Protocol of the Session on February 19, 2009

(Glocke des Präsidenten)

- Ich komme zum Schluss. - Lassen Sie uns gemeinsam mit einer hohen Sensibilität an die weitere Debatte herangehen. Lassen Sie uns gemeinsam und auf dem Niveau der heutigen Debatte auch im Sozialausschuss diskutieren. Ich denke, damit kommen wir den Interessen der Betroffenen am nächsten. Lassen Sie uns dieses sensible Thema vernünftig angehen. Ich vertraue auf eine vernünftige Zusammenarbeit auch hier im Hause.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN und Zustim- mung bei der SPD und bei den GRÜ- NEN)

Das Wort hat jetzt Frau Ministerin Ross-Luttmann. Bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Landtag befasst sich heute mit einem außerordentlich dunklen und traurigen Kapitel der deutschen Jugendhilfe. Ehemalige Heimkinder der 1950er- und 1960er-Jahre haben nach vielen Jahrzehnten des Schweigens ihre körperlich und seelisch erlittenen Verletzungen öffentlich gemacht. Was bis in die 1970er-Jahre hinein viele - aber Gott sei Dank nicht alle - Kinder und Jugendliche in den Heimen der damaligen Fürsorgeerziehung erfahren mussten, war oft meilenweit von dem pädagogischen Alltag entfernt, der für unsere heutige Gesellschaft bestimmend ist. In den Berichten von Betroffenen werden übereinstimmend Prügelstrafen, unsägliche Demütigungen und schwere, zumeist unentgeltliche Arbeit unter oft menschenunwürdigen Bedingungen geschildert. Dies betrifft staatliche wie konfessionelle Einrichtungen gleichermaßen. Es betrifft Einrichtungen bundesweit.

Die Aufarbeitung hat begonnen. Es ist wichtig, dass durch das Wissen von den damaligen Zuständen - wenn auch spät - heute ein Bewusstsein in der Gesellschaft für das den Kindern und Jugendlichen damals zugefügte Unrecht entsteht. Rechtsgrundlage war seinerzeit - bis 1961 - das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz von 1922 mit stark eingeschränkten Aufsichtsbefugnissen. Es wurde

im Jahr 1961 vom Jugendwohlfahrtsgesetz mit einer umfänglichen Heimaufsicht abgelöst. - So weit zur damaligen Situation.

Heute, meine sehr geehrten Damen und Herren, besteht für uns die Verpflichtung, den Versuch zu unternehmen, die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und gesundheitlichen Folgen der damaligen Heimerziehungspraxis aufzuarbeiten. Mir war es wichtig, den Betroffenen die Möglichkeit zu geben, sich ihre persönlichen Erlebnisse von der Seele zu reden. Seitdem das Sozialministerium eine entsprechende Telefonnummer veröffentlicht hat, haben über 100 Frauen und Männer ihre persönlichen Heimerfahrungen geschildert. Es waren zum Teil erschütternde Berichte über erlebte Demütigungen und Gewalt. Herr Schwarz, Sie haben ja sehr eindringlich einige Beispiele geschildert. Ich habe selbst mit einigen wenigen Betroffenen gesprochen. Ich kann Ihnen sagen, es war sehr schwer, die Tränen in den Augen wegzudrücken. Ich habe es mir einfach nicht vorstellen können, was damals in der Zeit einer jungen Demokratie Kindern und Jugendlichen geschehen ist. Ich habe erfahren, dass viele der jetzt erwachsenen und älteren Menschen über viele Jahre hinweg verzweifelt versucht haben, ihre traumatischen Erlebnisse zu verdrängen, und dass es von vielen erst einmal als sehr entlastend empfunden worden ist, endlich auch öffentlich über ihr erlittenes Leid zu sprechen. Sehr geehrte Frau Staudte, das war meine Rückmeldung, und deswegen steht das auch auf der Internetseite des MS. Es ist den Betroffenen unendlich wichtig, dass auch bei uns in unserer Gesellschaft ein Bewusstsein dafür wachgerufen wird, was ihnen damals geschehen ist.

Darüber hinaus haben die Betroffenen sicherlich auch mehrere Forderungen. Deshalb war es auch richtig, dass sich der Verein ehemaliger Heimkinder mit einer Petition an den Deutschen Bundestag gewandt hat und dass der Bundestag entsprechend der Empfehlung des Petitionsausschusses beschlossen hat, einen runden Tisch zur Aufarbeitung der bundesweiten Heimerziehung in den 1950er- und 1960er-Jahren unter Beteiligung von Betroffenen - das halte ich für unendlich wichtig -, von Bund, Ländern, Kirchen und freien Trägern auf Bundesebene einzurichten. Der runde Tisch unter Vorsitz der ehemaligen Bundestagsvizepräsidentin, Frau Vollmer, hat in dieser Woche, am 17. Februar 2009, seine Arbeit aufgenommen. Niedersachsen wird sich beim runden Tisch aktiv einbringen - wir sind nicht Mitglied des runden Tisches - und insbesondere bei der Aufarbeitung

von Einzelschicksalen die Erkenntnisse aus der Hotline einbringen.

Ich bin fest davon überzeugt, dass für die anstehenden Fragen zügig Lösungen gefunden werden, die bundesweit Geltung haben müssen. Nur so ist es möglich, auf die Anliegen aller ehemaligen Heimkinder einzugehen. Ob wir, Herr Schwarz, auch in Niedersachsen zu einem runden Tisch kommen, mögen die konstruktiven Beratungen im Landtag ergeben. Ich halte das gegenwärtig - das haben wir schon diskutiert - nicht für zwingend erforderlich. Für mich persönlich ist es ganz besonders wichtig, dass wir uns beim runden Tisch auf Bundesebene aktiv einbringen, dass wir deutlich machen, dass das, was Kinder und Jugendliche seinerzeit erlitten haben, Unrecht war, dass erforderliche Gespräche unverzüglich geführt werden, auch mit den Betroffenen, und dass wir in Niedersachsen die Dinge tun, die wir selbst in Angriff nehmen können. Dazu zählen neben Zuhören und dem Angebot an Beratung natürlich auch, dass wir die Betroffenen darin unterstützen, Zugang zu ihren Akten zu erhalten, wenn sie dies wünschen, damit sie ihre eigene Geschichte aufarbeiten können. Alles darüber Hinausgehende muss einheitlich vom runden Tisch geleistet werden. Im Interesse der Menschen, die ein Leben lang unter den Folgen von Misshandlungen zu leiden hatten, müssen bundesweit schnell gerechte Lösungen gefunden werden.

Auch wenn wir heute leider nichts ungeschehen machen können, so sollten wir für heute und für die Zukunft immer an die vielen Kinder und Jugendlichen denken, die in unseren guten Jugendhilfeeinrichtungen untergebracht sind. Die Lehren müssen sein: Auch wenn heute andere Erziehungsmethoden als noch vor 40 oder 50 Jahren gelten, muss das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen in stationären Einrichtungen der Jugendhilfe auch in Zukunft aufmerksam begleitet werden. Denn es darf heute wie auch in der Zukunft kein Kind verkümmern, sondern es muss sich entfalten können. Deshalb sind gute Betreuungseinrichtungen für Kinder, die zu Hause nicht die nötige Aufmerksamkeit erhalten können, die sie für ein gesundes und glückliches Aufwachsen benötigen, so wichtig.

Ich würde mich sehr freuen, wenn wir in dieser hochsensiblen Frage, bei der es um das Schicksal von vielen Tausenden von Heimkindern geht, hier im Landtag zu einer einvernehmlichen und klaren Botschaft kommen. Denn die Betroffenen haben

es verdient, dass sich der Landtag in ihrem Sinne positioniert.

Schönen Dank.

(Starker Beifall)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist nicht schön, dass wir uns mit einem solchen Thema beschäftigen müssen. Aber es tut gut, dass dieses Haus das Thema mit einer würdigen Debattenkultur begleitet. Wir im Präsidium haben das jedenfalls als wohltuend empfunden. Wir sind am Ende der Beratungen, es gibt keine weiteren Wortmeldungen mehr.

Wir kommen damit zur Ausschussüberweisung.

Zuständig soll der Ausschuss für Frauen, Familie und Gesundheit sein. Wer so beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - Das ist einstimmig so beschlossen.

Wir treten jetzt in die Mittagspause bis 15.15 Uhr ein. Ich wünsche Ihnen eine angenehme Pause.

(Unterbrechung der Sitzung von 13.22 Uhr bis 15.15 Uhr)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich darf die Sitzung wieder eröffnen. Ich möchte noch ein kleines Versäumnis nachholen - vielleicht ist das ein wenig untergegangen -: Der Wechsel des Fraktionsvorsitzenden Dr. Rösler auf den Stuhl des Ministers hat zur Folge gehabt, dass andere Kollegen künftig andere Positionen wahrnehmen. Diese Veränderung wollte ich als Präsident zum Anlass nehmen - bei aller gebotenen Neutralität, darf ich dazusagen -, dem Fraktionsvorsitzenden Herrn Bode und auch dem Parlamentarischen Geschäftsführer Herrn Dürr zu gratulieren.

(Beifall)

Diese Bemerkung war natürlich in erster Linie auf das gute und erfolgreiche Zusammenwirken aller Fraktionen ausgerichtet. Alles Gute!

(Jörg Bode [FDP] und Christian Dürr [FDP]: Danke!)

Wir kommen nun zu Tagesordnungspunkt 20:

Einzige (abschließende) Beratung: Hungerlöhne beseitigen - Billigpflege verhin

dern: Auch die Pflege braucht einen gesetzlichen Mindestlohn - Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 16/404 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit - Drs. 16/874 - Änderungsantrag der Fraktion der SPD - Drs. 16/961

Die Beschlussempfehlung lautet auf Ablehnung.

Der Änderungsantrag der Fraktion der SPD vom heutigen Tage zielt auf eine Annahme ihres eigenen Antrages in geänderter Fassung.

Eine Berichterstattung ist nicht vorgesehen.

Wir treten in die Beratung ein. Ich erteile dem Kollegen Watermann von der SPD-Fraktion das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir reden jetzt über die Situation der Mindestlöhne in der Pflege. Die SPD-Fraktion hat ihren Antrag noch etwas verändert.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, man kann sicherlich sagen: Eine gute Bundesregierung, ein guter Bundestag und ein guter Bundesrat haben entschieden, dass wir den Mindestlohn in der Altenpflege haben. Allerdings muss man hinzufügen: ohne Zutun Niedersachsens. Dies ist außerordentlich bedauerlich; denn wir reden über ein Metier, bei dem die unterschiedlichen politischen Kräfte sonntags bei „Anne Will“ und in vielen anderen Talkshows sehr deutlich hervorheben, wie schwierig und kompliziert der Beruf der Altenpflege ist. Wir reden darüber, dass es eine Belastung für diejenigen ist, die in diesem Metier arbeiten. Wir reden oft darüber, dass wir eine hohe Qualität erwarten. Aber wenn wir schon eine hohe Qualität erwarten, dann muss man auch davon ausgehen, dass diese hohe Qualität dadurch abgesichert wird, dass anständige Löhne gezahlt werden.

(Beifall bei der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie wissen, ich habe seinerzeit dafür gestritten, die Sozialhilfe und die Arbeitslosenhilfe zusammenzulegen; ich habe das für richtig gehalten. Genauso richtig ist es, dass diejenigen, die vollschichtig arbeiten, einen Lohn bekommen, von dem sie leben können. Dafür müssen wir uns einsetzen, gerade im Dienstleistungsbereich und im Handwerk. Wer diesen Weg nicht mitgeht, ist im Prinzip ein Verfechter von Staatssubventionen. Deshalb muss ich erstaunt feststellen, dass die Regierungs

fraktionen hier im Hause für Staatssubventionen sind; denn nichts anderes unterstützen Sie ja damit, indem Sie dafür sorgen, dass Löhne nicht ausreichend sind und dass der Staat das über die Unterstützung in dem Bereich des SGB weiterhin mit fördert. Das kann nicht sein! Vielmehr muss die Arbeit, die geleistet wird, anständig entlohnt werden.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung von Kreszentia Flauger [LINKE])

Wir müssen von hier aus ein Signal an die Kostenträger senden, dass das, was in Sachen Mindestlohn festgelegt ist, umgesetzt wird. Die privaten, die gemeinnützigen und die staatlichen Einrichtungen müssen in die Lage versetzt werden, über die Pflegekassen anständige Löhne zu zahlen. Deshalb sage ich erstens ganz deutlich, dass der Weg, den Berlin vorgegeben hat, richtig ist. Zweitens kommt es jetzt im Wesentlichen darauf an, eine Ausrichtung hinzubekommen, dass anständige Löhne gezahlt werden können.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir über Mindestlöhne reden, sollten wir auch einmal ganz offen sagen, dass das eine Forderung ist, die nicht nur für die Arbeitnehmerinnen und Arbeiter eine wichtige Grundlage ist, sondern auch für die Betreiber solcher Einrichtungen, weil sie sonst in einen ruinösen Wettbewerb gejagt werden. Ich meine, auch das muss beachtet werden.

Ich finde es bedauerlich, dass wir uns zwar oft an Sonntagen in Talkshows breitmachen und erzählen, wie wichtig das alles ist. Aber dann, wenn es darauf ankommt und wenn man bekennt, auch einmal etwas zu unterstreichen, bekommt man es nicht hin.

(Beifall bei der SPD)

Es ist ein Trauerspiel, wie sich Niedersachsen hier verhalten hat. Ich hoffe, dass es nur die Räson in der Koalition war und dass die Christdemokraten, die ja sonst sehr sozial daherkommen, noch einmal scharf darüber nachdenken, dass diese Forderung, die ja immerhin die gemeinsame Bundesregierung aufgestellt hat, eine Forderung ist, die für die Betroffenen, die in dem Metier arbeiten, aber auch für diejenigen, die eine hohe Qualität an Pflege brauchen, ein wichtiger Bestandteil ist. In diesem Sinne sagen wir: gute Bundesregierung, schlechte Landesregierung.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD - David McAllister [CDU] und Jörg Bode [FDP]: Was?)

Ich erteile dem Kollegen Böhlke von der CDUFraktion das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Ursprungsantrag enthielt politische Forderungen der SPD-Fraktion: Aufnahme der Pflegeberufe in die Liste der Branchen, die unter das Arbeitnehmerentsendegesetz fallen, und die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns für Pflegehilfskräfte.

Bei der Einbringung dieses Antrages haben wir hier an dieser Stelle bereits diskutiert. Wir haben sehr deutlich gemacht, welches unsere grundsätzlichen Positionen sind.

Als wir im Ausschuss darüber beraten haben, hatte die Bundesregierung mittlerweile entsprechende Beschlüsse gefasst, der Bundestag ebenfalls. Wir haben diese Angelegenheit damit als erledigt betrachtet. Oppositionsfraktionen des Landtages legten aber Wert darauf, dass der Antrag nicht zurückgezogen wird, sondern dass vor dem Hintergrund der fehlenden Entscheidung des Bundesrates, die man abwarten wollte, auch hier noch eine Entscheidung getroffen wird. Der Bundesrat hat letzten Freitag mit deutlicher Mehrheit ein entsprechendes Zeichen gesetzt.

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Aber oh- ne Niedersachsen!)