Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. Ich habe mich versehen, weil die Antwort auf die Zwischenfrage offensichtlich nicht von meiner Redezeit abgezogen worden ist.
Pferdeland Niedersachsen, Hürden aufbauen - das kann aber nicht heißen, dass Sie die Hürden für die Schülerinnen und Schüler derart hochlegen, dass gar keine Gesamtschulen mehr eingerichtet werden können, das kann nicht heißen, dass Sie den Kommunen ständig Steine in den Weg legen, wenn Sie - auch kleine - Gesamtschulen einrichten wollen.
Um beim Pferdeland zu bleiben: Frau HeisterNeumann, geben Sie Ihre Schulpolitik der behäbigen Kaltblüter auf! Werden Sie endlich zu temperamentvollen Hannoveranerinnen!
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Landesregierung hat es inzwischen eingestanden: Zum 1. August 2009 werden 1 500 Lehrerinnen und Lehrer an Niedersachsens Schulen fehlen, während die Hauptschulen vor dem endgültigen Aus stehen. Die Eltern wollen offensichtlich ihre Kinder dort nicht mehr anmelden.
Die Gymnasien sind überfüllt. Gleichzeitig fehlen Tausende Gesamtschulplätze in Niedersachsen. Es wird insofern nicht einmal Sie, meine Damen und Herrn aufseiten der Regierungskoalition, wundern, dass wir heute erneut anhand der vorliegenden Entschließungsanträge und des Gesetzesentwurfs der Fraktion der SPD die Schulstruktur in Niedersachsen diskutieren.
Auch im Frühsommer des letzten Jahres lagen Gesetzentwürfe und Anträge der Opposition zum Thema Stärkung der Gesamtschulen vor. Sie wur
den belegt durch die zahlreichen Initiativen und entsprachen dem Willen der Bevölkerung für eine uneingeschränkte Zulassung von Gesamtschulen. Wir unternehmen heute den nächsten Anlauf, die Regierung davon zu überzeugen, dass ihr Gesamtschulverhinderungsgesetz besser nur eine kleine, kurze Etappe in der Geschichte der niedersächsischen Schulpolitik bleiben sollte.
Der Erkenntnisprozess, der stattgefunden zu haben scheint, ist Folgender: Der Patient Hauptschule ist chronisch krank und braucht Hilfe. Nach Medikamenten wie „bessere Ausstattung mit Schulpsychologen“, „kleinere Klassen“, „Vorrang bei Anträgen auf Ganztagsschulen“ und dem „Hauptschulprofilierungsprogramm“ geht es nun eine Pflegestufe höher: Die Kooperation zwischen Haupt- und Realschulen soll intensiviert werden bis hin zur Fusionierung. Zeitweise schien diese Idee auch für Teile der SPD in Niedersachsen attraktiv zu sein.
Doch Vorsicht: Das Ergebnis ist derzeit schon fatal und wird schlimmer werden, wenn diese Restschulen Wirklichkeit werden: Restschulen führen zu Stigmatisierung der Kinder, die sie besuchen.
Das hat Folgen für das Selbstwertgefühl der Schülerinnen und Schüler und damit für die sowieso schon schlechten Perspektiven im weiteren Berufs- und Arbeitsleben. Kaum jemand will mehr Auszubildende mit Abschlüssen zweiter oder dritter Klasse. Ich selbst habe das in 25 Jahren Berufsleben in der Sparkasse beobachten können. Als Konsequenz wird sich der Run auf die Gymnasien fortsetzen, und die miserablen Arbeitsbedingungen dort bleiben bestehen. Schon jetzt liegen die Klassenfrequenzen an Gymnasien bei über 30 Schülern. Wie soll denn in Lerngruppen von über 30 Schülerinnen und Schülern pädagogisch sinnvoll gearbeitet werden und wie vor allem auf die individuelle Begabung jedes einzelnen Kindes eingegangen werden, von der Belastung der Lehrerinnen und Lehrer ganz zu schweigen?
Ich wiederhole hier nochmals das, was ich an anderer Stelle schon gesagt habe: Sachsen hat bei PISA mit Sicherheit auch wegen der deutlich kleineren Klassenfrequenzen so gut im Ländervergleich abgeschnitten.
Und die soziale Spaltung in unserem Bildungssystem hält an. Was der Bildungsforscher Jürgen Baumert mit der Feststellung - ich zitiere - „Eine zunehmende schulstrukturelle Differenzierung erhöht intentionswidrig das Risiko, dass an einzelnen Schulen Lern- und Entwicklungsmilieus entstehen, die zu einer kumulativen Benachteiligung von Schülerinnen und Schülern führen“ beschreibt, heißt auf gut Deutsch: Frühes Aufteilen in unterschiedliche Schulformen ist ein Gewaltakt gegenüber unseren Kindern, es raubt ihnen Bildungs- und Erfolgschancen.
Es trifft dabei mal wieder nicht die Wohlhabenden und Bessergestellten, sondern die ärmeren und schwächeren Familien. So stellt der Nationale Bildungsbericht fest - ich zitiere erneut -: „Schüler mit Migrationshintergrund erhalten in der Grundschule bei derselben Leistung etwas schlechtere Noten als ihre Mitschüler; unterschiedliche Chancen für eine Gymnasialempfehlung sind die Folge“. An anderer Stelle heißt es: „Dabei zeigt sich, dass Kinder aus unteren sozialen Schichten bei der Übergangsentscheidung trotz gleicher Schulleistung benachteiligt werden.“
trotz aller Ihrer Beteuerungen auf der Regierungsseite, jedes Kind habe auch in diesem Schulsystem die Chance, bei entsprechender Leistung auch beim Besuch einer niedrigeren Schulform das Abitur zu erreichen. Wenn das so ist, warum erreichen dann nur 14 % der Kinder von Hauptschuleltern das Abitur, aber gleichzeitig 68 % der Kinder, deren Eltern Abitur gemacht haben?
Was heißt Bildungserfolg für die Eltern? - Sie wollen Chancengleichheit für ihre Kinder und die Möglichkeit des Abiturs. Die Vorbehalte gegenüber einer angeblichen Benachteiligung der Begabteren auf Gesamtschulen sind hausgemacht. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen, bemühen sich mit Ihrer Schulpolitik, den vorhandenen Integrierten Gesamtschulen das Leben so schwer wie möglich zu machen und deren pädagogisches Konzept letztendlich zu zerstören. Schauen wir auf den Erlass zur Stundenzuweisung von Februar 2004 mit dem Ziel, Gesamtschulen angeblich anderen öffentlichen Schulen
gleichzustellen. Die IGSen haben nun die gleiche Stundenzuweisung und ähnlich hohe Klassenfrequenzen wie die Gymnasien. Das macht die Gymnasien nicht besser, aber zerstört die pädagogische Basis der Integrierten Gesamtschule. Genau das gleiche Ziel verfolgen Sie mit der Nichtzulassung von Integrierten Gesamtschulen als gebundene Ganztagsschulen.
Meine Damen und Herren, ein inklusive Pädagogik wie in der Integrierten Gesamtschule, die dann wirklich die Möglichkeit der individuellen Förderung bietet, fordert zwingend kleinere Klassen, mehr Pädagogen und eine andere Rhythmisierung des Tagesablaufs,
z. B. Förderunterricht am Nachmittag. Ich denke, Sie wissen das ganz genau, aber Sie wollen Ihre Prophezeiung erfüllt sehen: Die Gesamtschule muss schlechter sein als das Gymnasium.
Ein Gymnasium mit aktuell bis zu 35 Schülerinnen und Schülern in einer Klasse in der Sekundarstufe I und überforderten Lehrkräften? - Meine Damen und Herren, das ist pädagogischer Unsinn! Lassen Sie uns endlich mit einer anderen Schulstruktur Chancengleichheit in einem gerechten Schulsystem verwirklichen!
Oder geht es Ihnen um etwas anderes? - Wir können im Nationalen Bildungsbericht nachlesen, dass die Chance des Gymnasialbesuchs für Kinder aus Familien der höchsten Sozialschicht im Vergleich zu der von Kindern aus Facharbeiterfamilien dreimal so hoch ist. Mit der Beibehaltung der frühen Auslese fördern wir also nicht die Kinder in bestmöglichem Maße, sondern wir fördern die reichen und herrschenden Schichten in unserem Land. Hier zementieren sich Bildungsarmut und Bildungsreichtum. Sie verstoßen damit gegen Artikel 3 der UN-Kinderrechtskonvention, in dem es heißt:
„Bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, … ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist.“
Mit Ihrem Festhalten am gegliederten Schulsystem orientieren Sie sich ausschließlich am Wohl der gut situierten Kinder. Dies richtet sich gegen die Ärme
Was wollen wir stattdessen? - Der Weg zum Abitur muss für jedes Kind so lange wie möglich offen bleiben. Wir brauchen die gemeinsame Schule bis Klasse 10 ohne Aussortierung.
Wo immer der Bedarf für eine IGS dokumentiert ist, muss sie ohne Einschränkungen zugelassen werden, gegebenenfalls auch als ersetzende Schulform; denn die Eltern wollen vor allem die Möglichkeit einer qualifizierten Schulbildung für ihre Kinder mit der Möglichkeit des Abiturs. Wir wollen keine zusätzlichen Hürden für die kommunalen Schulträger; auch Integrierte Gesamtschulen mit weniger als fünf Zügen müssen genehmigt werden. Pädagogische Beschränkungen, die die Arbeit der IGSen behindern, werden abgebaut. Dies gilt für die Zulassung von Ganztagsschulen wie für die Lehrerstundenzuweisung.
Das Angebot der Ganztagsschulen wird massiv ausgebaut. Die Mittel des Konjunkturpaktes II können hier hervorragend eingesetzt werden. Allerdings müssen sie durch das Land um eine erhöhte Lehrerstundenzuweisung ergänzt werden, um einen gebundenen Ganztagsunterricht zu gewährleisten. Nur ein gebundener Ganztagsunterricht bietet unseren Schulen die Möglichkeit, den Schultag angemessen zu gestalten, Pausen und verschiedene Lernformen sich sinnvoll abwechseln zu lassen und individuelle Förderung von geschulten Pädagoginnen und Pädagogen anbieten zu können.
Ein offener Ganztagsunterricht, also eine freiwillige Nachmittagsveranstaltung ohne rhythmisierten Unterricht, dient vor allen Dingen der Außendarstellung der Landesregierung, die mit dem Label „Ganztag“ punkten will. Den Schülerinnen und Schülern ist damit aber kaum geholfen.
Ich komme zum Schluss. Herr Ministerpräsident Wulff, Herr Minister Möllring, Frau Ministerin Heister-Neumann, liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktionen der CDU und der FDP, die Opposition lädt Sie heute erneut zu einer Debatte über unsere Schulentwicklung ein. Nutzen Sie diesmal die Chance! Kümmern Sie sich um alle Schülerinnen und Schüler, Eltern sowie Lehrerinnen und Lehrer