Protocol of the Session on February 18, 2009

Dankenswerterweise erkennen nun neben sozialdemokratischen, grünen und vereinzelt auch linken Vertretern in den Kommunalparlamenten aber auch CDU-Kommunalpolitiker, dass vor Ort auch Gesamtschulen eine interessante Alternative mit einer gymnasialen Option sein können.

Das Presseecho ist eindeutig, meine Damen und Herren. Ich zitiere aus der Deister-Weser-Zeitung vom 9. Februar: „CDU für eine Gesamtschule in Bodenwerder!“ oder die Cellesche Zeitung vom 31. Januar: „Landkreis legt Fragebogen zur KGS vor.“ Immerhin ein CDU-geführter Landkreis. Oder ich erwähne die Bemühungen in Wolfsburg, in Braunschweig, in Jesteburg oder in der Wedemark. Ich könnte noch viele Standorte mehr aufzählen, in denen CDU-Kommunalpolitiker die Ansätze zur Einrichtung von neuen Gesamtschulen unterstützen. So berichtete jüngst die Münsterländische Tageszeitung vom 11. Februar 2009: „Schulausschuss des Cloppenburger Kreistages stimmt für kreisweite Elternbefragung zur Gesamtschule.“

(Beifall bei der SPD)

Herr Bley - sofern er hier ist -, das finde ich gut. - Oder die CDU-Kreistagsfraktion im Landkreis Osterholz Scharmbeck: CDU signalisiert ihre Zustimmung für Integrierte Gesamtschule im Ostkreis.

Aber auch die FDP lässt sich nicht lumpen. Auf Landesebene macht sie den Hardliner in Sachen gegliedertes System, und vor Ort startet sie Initiativen wie z. B. im Landkreis Nienburg. Ich zitiere: „Bald Integrierte Gesamtschule in Nienburg? KreisFDP und Gruppe FDP-WG starten Initiative.“

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, nehmen Sie sich doch bitte einmal ein Beispiel an Ihren mutigen Kolleginnen und Kollegen aus den kommunalen Räten und Kreistagen oder vielleicht an Ihren Kollegen der FDP-Landtagsfraktionen in Nordrhein-Westfalen, in Baden-Württemberg oder in Bayern. Ich zitiere die Süddeutsche Zeitung vom 30. Dezember 2008:

„Die FDP übernimmt … immer mehr die Rolle des Antreibers. In NordrheinWestfalen, Baden-Württemberg und Bayern fordern die Liberalen eine Fusion der Haupt- und Realschulen und setzen damit ihren Koalitionspartner unter Druck.“

Meine Damen und Herren, aber nicht nur die kommunalen Mandatsträger von CDU und FDP sind dafür, mehr Gesamtschulen einzurichten. Ich

verweise z. B. auf die Loccumer Erklärung des Niedersächsischen Landkreistages, der ja deutlich den Abbau bestehender Hürden für die Errichtung von neuen Gesamtschulen fordert, damit die Schulträger vor Ort nach ihren Bedürfnissen entscheiden können.

(Beifall bei der SPD)

Und was machen die CDU und die FDP in Niedersachsen? - Nichts! Nichts ist klar,

(Dr. Gabriele Andretta [SPD]: Wie immer!)

alles mit einem großen Fragezeichen versehen. Alles ist möglich, Indiskretionen haufenweise verunsichern alle Akteure vor Ort.

Meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, dieses Haus und die Öffentlichkeit haben einen Anspruch darauf, mindestens von Ihrer Fraktion, aber auch seitens der Landesregierung zu erfahren, was Sie tatsächlich unter einer verstärkten Kooperation von Haupt- und Realschulen verstehen.

(David McAllister [CDU]: Das werden Sie am Dienstag erfahren!)

Wie weit gehen Ihre Kooperationsüberlegungen, Herr McAllister?

(David McAllister [CDU]: Weit über das hinaus, was Sie sich vorstellen!)

Warum arbeiten Sie z. B. immer noch mit Hürden für die Einrichtung neuer Gesamtschulen, während alle anderen Schulformen Ausnahmen für die Zügigkeit erhalten?

Meine Damen und Herren, in Niedersachsen gibt es keine ausreichende Anzahl an Gesamtschulplätzen. Mehr als 70 Gesamtschulinitiativen sind ein gutes Beispiel dafür. Zahlreiche Befragungen liegen bei weit über 60, 70 und zum Teil sogar bei über 80 % Zustimmung zur Einrichtung von Gesamtschulen.

Neben den sozialen Chancenunterschieden gibt es in Niedersachsen als Flächenland auch regionale Verwerfungen, weil in der Fläche nicht überall ein umfassendes Angebot aller Bildungsgänge vorhanden ist. Gymnasialübergänge mit einer Spreizung zwischen 20 und 50 % zeigen doch deutlich, dass in Niedersachsen längst nicht mehr nur die soziale Herkunft über die Bildungschancen eines Kindes entscheidet, sondern zunehmend auch der Wohnort.

Meine Damen und Herren, ich nenne ein weiteres Beispiel für die katastrophale Situation in Niedersachsen: Die vorhandenen Ressourcen werden nicht zielgenau eingesetzt. Die schlechte Situation der Unterrichtsversorgung - wie wir Ende letzter Woche erkennen konnten - mit jetzt zugegebenermaßen mehr als 1 500 fehlenden Lehrkräften ist ja auch der Tatsache geschuldet, dass Sie krampfhaft am gegliederten System festhalten; komme, was wolle.

(Beifall bei der SPD)

Es ist doch klar, dass man bei drei getrennten Schulen wie Haupt- und Realschule und Gymnasium mit drei getrennten Schulleitungen, drei getrennten Schulvorständen und drei getrennten Kollegien mehr Ressourcen braucht, als wenn man Synergieeffekte nutzen würde. Hinzu kommt, dass Sie mehr als 66 % aller Hauptschulen unterhalb der Mindestzügigkeit führen. Auch das verbraucht mehr Lehrkräfte als in größeren Einheiten.

Von daher, meine Damen und Herren, sind die Herausforderungen für Niedersachsen ganz klar umschrieben: Wir müssen allen Kindern in unserem Land den für sie jeweils höchstmöglichen Bildungsabschluss gewährleisten.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Eine angebotsorientierte Bildungspolitik hat ausgedient. Stattdessen wird eine Politik gebraucht, die sich an den Bedürfnissen der Kinder ausrichtet. Die Statistiken zeigen, was bedarfsorientiert ist. Das sind die Schulen, die den Weg zum Abitur öffnen. Das sind zurzeit die Gymnasien und die Gesamtschulen. Die derzeitig in der Diskussion befindliche stärkere Kooperation zwischen Haupt- und Realschulen geht da eindeutig nicht weit genug.

(Beifall bei der SPD)

Die Erfahrungen aus Schleswig-Holstein zeigen, dass eine Akzeptanz der Eltern nur dann gegeben ist, wenn diese Schulform auch ein gymnasiales Angebot - ich betone: von Anfang an - hat. Eine Neugestaltung des allgemeinbildenden weiterführenden Schulwesens ist nach alledem unabweisbar. Dies kann in Niedersachsen ohne Verwerfungen in der Bildungslandschaft und im kommunalen Konsens möglich werden, nämlich dann, wenn sich bestehende Standorte z. B. durch die Zusammenfassung von Haupt- und Realschulen regional angepasst zu Gesamtschulen weiterentwickeln können. Das Beispiel Schleswig-Holstein zeigt dabei

sehr deutlich: So kommt ein weiteres attraktives Angebot auch in die Fläche. Das wertet den ländlichen Raum auf.

(Beifall bei der SPD)

Schulträger, Eltern und Schulen erhalten mit unserem Gesetzentwurf die Möglichkeit, bestehende Haupt- und Realschulen um ein gymnasiales Angebot zu erweitern und als Gesamtschule zu organisieren. Daher muss es möglich sein, in Niedersachsen Gesamtschulen möglichst flächendeckend und zeitnah einzurichten, und zwar ganz und gar ohne Hürden und nur in Absprache mit Eltern, Schülern und Schulträgern.

Meine Damen und Herren, Schulstrukturreformen müssen mit den finanziellen Möglichkeiten der Schulträger und des Landes kompatibel sein. Daher haben wir in unseren Gesetzentwurf und in unseren Entschließungsantrag drei Schwerpunkte aufgenommen:

Erstens. Wir wollen die Abschaffung der Fünfzügigkeit bei der Neueinrichtung von Gesamtschulen.

(Beifall bei der SPD)

Die Mindestgröße kann unterschritten werden.

Zweitens. Wir wollen, dass Gesamtschulen richtige, also gebundene Ganztagsschulen sind und dass alle Schulen, die sich für ein Ganztagskonzept entscheiden, keine Mogelpackung mehr wie bisher erhalten.

(Beifall bei der SPD)

Sie müssen mit ausreichend Lehrerstunden versorgt werden. Daher haben wir unserem Gesetzentwurf noch einen Entschließungsantrag beigefügt, um die Bedeutung des Ausbaus von Ganztagsschulen zu betonen. Damit erreichen wir mittelfristig die Umwandlung aller Schulen in Ganztagsschulen, die es wünschen.

Drittens. Die Schulträger vor Ort in Niedersachsen müssen berechtigt sein, bei Vorliegen eines Bedürfnisses ohne Wenn und Aber Gesamtschulen zu führen.

(Beifall bei der SPD)

Die Vorteile des Gesetzentwurfs liegen klar auf der Hand: Wir können kleine leistungsfähige Systeme ermöglichen und damit eine erhöhte Standortsicherung für weiterführende Angebote schaffen. Für Schulträger ergibt sich mehr Sicherheit bei der Schulentwicklungsplanung. Es gibt Kostenersparnisse, z. B. bei der Schülerbeförderung.

Mit unserem Gesetzentwurf stehen alle Möglichkeiten offen, Herr Althusmann und Herr McAllister. Hiermit hätten Sie die Möglichkeit, eine bessere Anpassung an die unterschiedlichen Bedürfnisse vor Ort vorzunehmen. Damit wäre ein effizienter Lehrereinsatz möglich, und es würden kürzere Schulwege ermöglicht. Ich bitte Sie daher ernsthaft, dies zu berücksichtigen. Der vorgelegte Gesetzentwurf entspricht in vielen Bereichen den Forderungen des Landkreistages und zahlreichen Beschlüssen von Kreistagen und Stadträten, die mit Mehrheiten von CDU und FDP ergangen sind. Wir schaffen mit dem Gesetzentwurf, den wir vorgelegt haben, keine einzige Schulform ab. Wir arbeiten - im Gegensatz zu Ihnen - nicht mit Verboten. Wir setzen auf die Kraft der Überzeugung und die Richtigkeit von Elternentscheidungen und Schulträgermeinungen.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben es nun in der Hand, Ihre Vorstellungen genauso offensiv darzulegen wie wir. Eltern, Schulträger, Schülerinnen und Schüler sowie viele weitere Akteure sind ideologische Debatten leid. Öffnen Sie sich für unsere Forderungen, auch für die Forderungen aus Ihren eigenen Reihen! Lassen Sie uns eine ordentliche Anhörung durchführen und den Gesetzentwurf im Ausschuss ordentlich diskutieren! Wir sind gespannt auf Ihre Vorschläge, über die wir dann im Ausschuss diskutieren können.

Zum Schluss Folgendes: Auch Sie können von Philosophen lernen, frei nach Aristoteles: Kluge Leute lernen auch von ihren Gegnern. - Denken Sie bitte über unsere Vorschläge nach!

(Lebhafter Beifall bei der SPD und Beifall bei der LINKEN)

Herzlichen Dank. - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Frau Kollegin Korter das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Acht Jahre sind vergangen, seit die erste PISA-Studie vorgelegt wurde, und all die Jahre hat sich die CDU in Niedersachsen am gegliederten Schulsystem festgeklammert. Meine Damen und Herren, das sind lauter verlorene Jahre für eine Schulreform, die Niedersachsens Schulen hätte weiter voranbringen können.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Aber die Regierung Wulff hat mit völlig überholten Rezepten und Konzepten auf PISA reagiert, mit denen sie sich bundesweit isoliert hat und über die man nur noch den Kopf schütteln kann.