Protocol of the Session on January 15, 2009

Durch diese Ausweitung und die Kombination der Förderangebote ist z. B. auch die Anzahl der Kinder an den Förderschulen mit Schwerpunkt Lernen um 22 % von 26 000 im Jahr 2003 auf 19 000 im Jahr 2008 gesunken. Die Anzahl der Integrationsklassen ist gestiegen. Auch die Anzahl der Kooperationsklassen ist gestiegen und liegt jetzt im dreistelligen Bereich. Seit 2005 haben wir die regionalen Konzepte zur sonderpädagogischen Förderung in unserem gesamten Flächenland konsequent aufgewertet.

(Zustimmung Karl-Heinz Klare [CDU])

Sie sagten eben, es sei aber noch nicht für alle Kinder so. Wir sind in einem Flächenland, meine Damen und Herren, und wir haben darauf mit für ein Flächenland maßgeschneiderten Angeboten zu reagieren. Wir haben maßgeschneiderte Angebote für die verschiedenen Regionen und die verschiedenen Anforderungen vor Ort erarbeitet, und sie werden hoch geschätzt. Hierbei werden Förderschulen als regionale Kompetenzzentren gestärkt. Sie stehen zusätzlich zu den allgemeinen Schulen zur Unterstützung zur Verfügung.

Meine Damen und Herren, wir haben beim allgemeinen deutschen Schulpreis 2008 die Förderschule Am Voßbarg in Rastede als einen der Sieger erlebt. Wir haben die mobilen Dienste für die wirklich ganz benachteiligten Kinder maßgeschneidert und mit großer Hilfestellung für die Eltern in den allgemeinbildenden Schulen etabliert.

Ich erinnere zum Schluss noch einmal an die Anhörung zum Thema Autismus, eine Anhörung, die alle Beteiligten überaus beeindruckt und im fachlichen und menschlichen Bereich weitergebracht hat.

(Frauke Heiligenstadt [SPD]: Es sind aber keine Konsequenzen gezogen worden!)

Die Anhörung hat letztendlich zu einem gemeinsamen Antrag aller im Landtag vertretenen Fraktionen geführt, aber auch zu weitgehenden Verbesserungen der Situation der Betroffenen. Von daher freuen wir uns auf eine konstruktive Beratung im Kultusausschuss, auf eine sehr qualifizierte, weiterbringende Anhörung, gerade weil wir unsere Verantwortung für die benachteiligten Schülerinnen und Schüler hier in unserem Land außerordentlich ernst nehmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Nächster Redner ist Herr Försterling von der FDPFraktion. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Menschen mit Behinderungen haben ebenso wie Menschen ohne Behinderungen ein Recht auf Bildung. Die Gesellschaft und der Staat haben die Aufgabe, die Verwirklichung dieses Rechts ohne Diskriminierung und auf der Grundlage der Chancengleichheit zu erreichen. Es ist daher notwendig, von der frühkindlichen Bildung bis zur Erwachsenenbildung diese Möglichkeiten der Partizipation und diese Möglichkeiten der gesellschaftlichen Mitwirkung und die Rahmenbedingungen für das Lernen zu schaffen.

(Beifall bei der FDP)

Menschen mit Behinderungen dürfen nicht aufgrund ihrer Behinderung vom allgemeinen Bildungssystem ausgeschlossen werden. Ich denke, darüber besteht hier im Hause Konsens. Jedes Kind mit sonderpädagogischem Förderbedarf hat Anspruch auf eine angemessene sonderpädagogische Förderung. Die gesamte Diskussion muss daher immer eine Einzelfallprüfung sein,

(Beifall bei der FDP)

d. h. wir müssen für jedes Kind die beste individuelle Lösung finden. Das kann zum einen dazu führen, dass festgestellt wird, dass eine integrative Beschulung Bestandteil des individuellen Förderkonzeptes sein kann. Das kann aber zum anderen auch dazu führen, dass unter Berücksichtigung der individuellen Voraussetzungen und des individuellen Umfeldes spezielle Formen der Förderung in besonderen Schulen notwendig sind. Es wird daher keine allgemeingültige Antwort geben. Deswegen kann ich an dieser Stelle nur davor warnen, per se die Förderschulen mit den Schwerpunkten „Lernen“, „Emotionale und soziale Entwicklung“ und „Sprache“ abzuschaffen. Ich habe derzeit noch meine Zweifel, ob das die richtige Antwort sein kann.

(Beifall bei der FDP)

Gleichwohl darf nicht verkannt werden, dass man kritisch hinterfragen muss - das wird meines Erachtens in den folgenden Beratungen die Hauptaufgabe sein -, ob die vermehrten Proteste der Eltern mitunter nicht berechtigt sind. Die Existenz von Förderschulen macht es natürlich einfach, sich möglicherweise einer intensiven Betrachtung des

Einzelfalles und einer nachhaltigen Erstellung eines individuellen Förderkonzeptes zu entziehen. Ich will auf keinen Fall pauschale Vorwürfe erheben. Aber wenn man so manchen Elternprotest hört, dann stellt man mitunter fest, dass die Eltern das Gefühl haben, dass sich die Verantwortlichen allzu leicht für die Förderschule entscheiden. Auch die beklagte Zurückhaltung der örtlich zuständigen Sozialhilfe- bzw. Kinder- und Jugendhilfeträger bei der Eingliederungshilfe in Form von Integrationshelfern passt hier scheinbar ins Bild. Ich begrüße es daher ausdrücklich, dass die Fraktion der Grünen mit dem vorliegenden Gesetzentwurf und dem Entschließungsantrag das Thema auf die Tagesordnung gesetzt hat.

(Helge Limburg [GRÜNE]: Hört, hört!)

Aber derzeit habe ich, wie gesagt, Zweifel, ob der Inhalt dieser Anträge die richtige Vorgehensweise sein kann. Wir werden uns, wie die Kollegin Körtner schon ausgeführt hat, in den vor uns liegenden Beratungen intensiv mit der Frage auseinandersetzen, wie wir die Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf in unserem vielfältigem Bildungssystem individuell in der Art und Weise fördern können, dass das Ziel einer individuell angepassten Hilfe zur Selbsthilfe in größtmöglicher Autonomie und bei größtmöglicher Partizipation erreicht werden kann.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Nächste Rednerin ist Frau Seeler von der SPDFraktion. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin im Augenblick hocherfreut, weil ich nicht erwartet habe, dass sich meine Vorrednerinnen und mein Vorredner so positiv zu diesem Gesetzentwurf und dem Antrag der Grünen äußern würden.

(Beifall bei der SPD)

Ich hoffe, dass es uns gelingt, im Ausschuss vernünftige Regelungen zu finden.

Es ist schon gesagt worden, dass uns die UNKonvention sozusagen zwingt, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen, und dass die Konvention auch verlangt, dass die Menschen mit Behinderungen an unseren regulären allgemeinbildenden Schulen unterrichtet werden. Aus meiner Sicht ist das auch gut so. Es gibt inzwischen sehr vielfältige wissenschaftliche Untersuchungen,

wie z. B. die von Professor Wocken aus Hamburg, die belegen, dass die Förderschulen Kinder dümmer machen, als sie wirklich sind, und dass die Leistungen umso schlechter sind, je früher die Kinder auf eine Förderschule gehen; denn, so Wocken, Schüler wachsen mit den Ansprüchen, die man an sie stellt. Der Professor plädiert deswegen dafür, alle Kinder auf dieselbe Schule zu schicken. Er sagt, sie lernen doch am besten voneinander.

Auch die Zeit führt in einem Artikel vom 23. Dezember aus, dass Vergleiche zwischen Integrationsklassen und normalen Regelschulklassen keine nennenswerten Leistungsunterschiede aufzeigen.

Doch, meine Damen und Herren - an der Stelle werden meine Gedanken durch einen kleinen Wermutstropfen getrübt -, was macht eigentlich unsere Kultusministerin? - Sie hat sich - so kann man zumindest den Presseverlautbarungen entnehmen - gleich gegen einen solchen Gesetzentwurf gestellt, und das, obwohl die UN-Konvention auch von Niedersachsen unterzeichnet worden ist. Ich hoffe, dass das, was in der Presse steht, nicht stimmt und dass Sie das hier gleich richtigstellen werden.

(Beifall bei der SPD)

Wir brauchen doch nur über unsere Landesgrenze hinauszuschauen, um zu sehen, wie Integration wirklich gut funktioniert. Wer einmal im Ausland war - und sei es nur in Dänemark -, der weiß, wie sehr wir bei der Inklusion unserer Kinder hinterherhinken. Das, was dort selbstverständlich ist, ruft bei uns immer noch Erstaunen hervor. Das ist übrigens nicht nur im Bereich der allgemeinbildenden Schulen der Fall, sondern im täglichen Umgang. Ich nenne Ihnen hierfür ein Beispiel aus Dänemark, das ich selbst gesehen habe. Dort gibt es in den Häfen Vorrichtungen, mit denen Rollstuhl fahrende Kinder oder Erwachsene auf die Segelboote gehievt werden, damit sie segeln können. So etwas habe ich bei uns in Deutschland noch nirgendwo gesehen. Es hat mich wirklich beeindruckt, wie man dort Integration auch außerhalb der Schule verwirklicht.

(Beifall bei der SPD)

Auch im Schulwesen sind die Dänen wie auch viele andere Staaten uns weit voraus. Es ist dort selbstverständlich, dass alle Kinder auf eine gemeinsame Schule gehen. Selbstverständlich werden die dafür benötigten Einrichtungen, z. B. für

stark schwerhörige Kinder, an den Schulen installiert. Allerdings geschieht dies - das ist eine kleine Einschränkung - nicht an jeder Schule, sondern es gibt dort allgemeinbildende Schulen, die sich auf bestimmte Behinderungen, wie hier z. B. auf schwerhörige Kinder, spezialisiert haben. Diese Schulen sind allerdings noch in für die Kinder erreichbarer Nähe.

Wenn man mit Lehrkräften aus anderen Staaten spricht, dann sind diese immer nur erstaunt und fassungslos, z. B. wenn wir ihnen von unseren Schulen für Lernhilfe erzählen. In anderen Staaten ist es nämlich längst selbstverständlich, diese Kinder nicht auszusondern, sondern natürlich an allgemeinbildenden Schulen zu fördern.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Natürlich bedeutet jede Form von Integration, dass der Unterricht anders gestaltet werden muss als heute, dass z. B. starrer Frontalunterricht abgelöst werden muss zugunsten von flexiblen und unterschiedlichen Unterrichtseinheiten für die verschiedenen Leistungsniveaus. Das, was bei uns an vielen Grundschulen zwar tatsächlich schon heute Praxis ist, ist insbesondere bei den weiterführenden Schulen oft nicht mehr vorstellbar. Aus meiner Sicht ist es genauso unsinnig, Kinder mit Sprachschwierigkeiten in spezielle Klassen zusammenzufassen, wo sie nur falsches Sprechen hören, anstatt sie in unseren regulären Grundschulklassen zu integrieren, wo sie von den anderen Kindern das richtige Sprechen lernen könnten. Sprachheilklassen und Sprachheilschulen gehören aus meiner Sicht einfach nur noch abgeschafft, und zwar sofort!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Es gibt auch keine finanziellen Gründe, diese Forderung abzulehnen. Ich hoffe, dass wir hierüber in Kürze zu einer Einigung gelangen und damit auch einen kleinen Schritt weiter, hin zu einer gleichberechtigten Gesellschaft, kommen.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Das ist Un- sinn, was Sie sagen! Wer sich darin ein bisschen auskennt, der merkt das!)

Viel schwieriger ist es, Kinder mit Problemen in der emotionalen und sozialen Entwicklung effektiv zu fördern, weil die Probleme dieser Kinder sehr, sehr vielfältig sind. Wie absurd es allerdings ist, Kinder mit starken Verhaltensauffälligkeiten in einer Schu

le zusammenzufassen, muss wohl nicht weiter erläutert werden. Ich weiß zwar, dass man diese Kinder nicht einfach integrieren kann, weil manche so stark beeinträchtigt sind, dass sie zum Teil sogar einzeln unterrichtet und betreut werden müssten. Aber auch diese intensive Betreuung könnte an allgemeinbildenden Schulen stattfinden, die entsprechend eingerichtet sind. Wie schon vorher erläutert, bedeutet dies allerdings, dass man die Schulen anders organisieren muss und dass man in der Ausgestaltung von Klassengrößen oder auch des Unterrichts viel flexibler sein muss. Natürlich gehört auch dazu, dass Sonderschulpädagogen, Sozialpädagogen und andere Hilfskräfte an unseren Schulen teilhaben können.

(Beifall bei der SPD)

Ich teile nicht die Auffassung der Grünen, dass nur die Weiterqualifizierung von Lehrkräften Geld kosten würde. Ich glaube, wir bräuchten ohnehin mehr Kräfte an unseren Schulen, wenn wir dies tun würden.

Deutschland und Niedersachsen sind doch nicht ärmer als Dänemark, Schweden oder andere Staaten. Wir sind nur noch nicht ganz so demokratisch, dass Inklusion für uns ganz selbstverständlich wäre. Außerdem werden - wie in dem Gesetzentwurf und dem Antrag beschrieben - durch die Auflösung von Förderschulen viele ausgebildete Lehrkräfte frei, die dann an den allgemeinbildenden Schulen unterrichten könnten. Deshalb sind der Gesetzentwurf und der Antrag der Grünen richtig und wichtig.

Ob allerdings alle Formulierungen so korrekt sind und dem Gewollten tatsächlich entsprechen, muss noch genauer untersucht werden. So habe ich ganz persönlich Probleme damit, dass man bei Gesamtschulen und Ganztagsschulen keine Beschränkung bei der Aufnahme von Schülerinnen und Schülern zulassen will, bei den anderen Schulen hingegen schon; denn dies könnte zu einer überproportional hohen Zahl solcher Schülerinnen und Schüler an Gesamtschulen und damit zu ungewollten neuen Problemen führen. Dies müsste noch genauer besprochen werden. Wenn allerdings die Zahl der Gesamtschulen in der nahen Zukunft tatsächlich zunimmt, wie wir von der SPD hoffen, dann löst sich das Problem von allein.

(Beifall bei der SPD)

Ich habe noch ein weiteres Problem und finde dies sehr diskussionswürdig, nämlich die Formulierung des § 4. Dort schreiben die Grünen:

„Schülerinnen und Schüler, die einer sonderpädagogischen Förderung bedürfen..., sollen an allen Schulen gemeinsam mit anderen Schülerinnen und Schülern erzogen und unterrichtet werden,“

- nun kommt es -

„wenn auf diese Weise dem individuellen Förderbedarf der Schülerinnen und Schüler entsprochen werden kann.“