Protocol of the Session on November 12, 2008

Frau Präsidentin! Herr Adler, der BDI schlägt mit dem Stifterverband in diesem übrigens sehr lesenswerten Gutachten vor, die Beträge, die durch die Abschaffung der Steuerfreibeträge eingespart werden, für eine Verbesserung des BAföG zu verwenden. In dem Zusammenhang kann man natür

lich sowohl über eine Erhöhung der BAföG-Leistung als auch über die Höhe des Kreditanteils bzw. des Verschuldungsanteils sprechen. Das ist ein Vorschlag des BDI, den ich sehr interessant finde. Denn es ist richtig, was hier gesagt worden ist: Wenn wir zusätzliche Akademiker brauchen - und wir brauchen sie -, dann können sie, weil es in dem anderen Bereich eine Ausschöpfungsquote von 90 % gibt, nur aus den bildungsfernen Schichten generiert werden.

Ich habe mich vor allem zum Thema Fachkräftemangel noch einmal zu Wort gemeldet, weil das für mich ein extrem wichtiges Thema ist. Ich möchte hier wiederholen, Frau Heinen-Kljajić - Sie wissen das aber -, auch an die Zuhörer gerichtet: Es gibt kein Bundesland in Deutschland, in dem es einen so hohen Anteil an ingenieurwissenschaftlichen und naturwissenschaftlichen Studiengängen und Hochschulmedizin gibt wie in Niedersachsen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Das hat für uns einen riesigen strukturellen Vorteil bei der Bewältigung der Zukunftsprobleme. Es hat aber den Nachteil, dass das sehr teure Studiengänge sind. Niedersachsen führt die Rankingliste der Ausgaben pro Studenten immer an, weil wir überproportional viele teure Studiengänge haben.

Beim Hochschulpakt haben wir erstens Wert gelegt, dass zwei Drittel der Hochschulpaktmittel an die Fachhochschulen gehen, die die Frage des Fachkräftemangels in besonderer Weise zu beantworten haben. Wir haben zweitens Wert darauf gelegt, dass überproportional viele Mittel wiederum in ingenieurwissenschaftliche Studiengänge fließen. Wir haben drittens Wert darauf gelegt, Mittel auch dafür zu verwenden, Anreize dafür zu bieten, dass überhaupt Ingenieurwissenschaften, Elektrotechnik usw. studiert werden.

(Beifall bei der CDU)

Das Thema IdeenExpo, das ebenfalls bundesweit einmalig ist, will ich bei dieser Gelegenheit gar nicht weiter ausführen. Das alles kennen wir.

Also: Wenn Sie ausgerechnet der Niedersächsischen Landesregierung vorwerfen, sie täte zu wenig, um das Problem des Fachkräftemangels zu beheben, dann - das muss ich Ihnen sagen - haben Sie sich leider überhaupt nicht informiert. Das ist nun wirklich ein Thema, auf das wir sehr stolz sind. Dabei lassen wir nicht nach. Wir wissen, dass die Zukunft unseres Landes, auch als Land der Automobilindustrie und all der Bereiche, die daran

hängen, nur sichergestellt werden kann, wenn wir diesen Fachkräftemangel beheben.

(Beifall bei der CDU)

Herzlichen Dank. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen zu den beiden Tagesordnungspunkten liegen nicht vor.

Ich schließe die Beratung.

Wir kommen zur Abstimmung zum Tagesordnungspunkt 3.

Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses zustimmen und damit den Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE in der Drs. 16/292 ablehnen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Das sind die Stimmen der Linken. Stimmenthaltungen? - Damit ist der Beschlussempfehlung des Ausschusses gefolgt worden.

Wir kommen zur Ausschussüberweisung zum Tagesordnungspunkt 4.

Der Antrag soll an den Ausschuss für Wissenschaft und Kultur überwiesen werden. Wer möchte so beschließen? - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist so beschlossen worden.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf:

Erste Beratung: Entwurf eines Gesetzes zur Erleichterung von Bürgerbegehren - Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE - Drs. 16/625

Zur Einbringung hat um das Wort gebeten - gerade noch rechtzeitig - für die Fraktion DIE LINKE Herr Kollege Adler. Bitte schön, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei diesem Gesetzentwurf geht es uns um Folgendes: Wir gehen von dem aus, was im Grundgesetz steht, dass nämlich die Volkssouveränität durch Wahlen und Abstimmungen ausgeübt wird. Das Wort „Abstimmung“ wird häufig vergessen, als ob es etwas Zweitrangiges sei.

(Beifall bei der LINKEN)

Für uns ist das aber etwas ganz Prinzipielles. Wenn man das ernst nimmt, muss man darüber nachdenken, wie man das gegenwärtige Verfahren des Bürgerbegehrens und des Bürgerentscheides,

das in der Gemeindeordnung und in der Landkreisordnung geregelt ist, ändern kann. Denn zurzeit ist der Zustand recht unerfreulich.

Die Fraktion der Grünen hatte schon einmal einen Gesetzentwurf oder einen Entschließungsantrag - das weiß ich jetzt nicht genau - mit der Zielsetzung eingebracht, die Hürden herabzusetzen. Das findet hier keine Mehrheit. Deshalb haben wir jetzt einen Gesetzentwurf eingebracht, der einen Schritt bescheidener ist. Wir möchten nur ein Problem lösen, das wohl offensichtlich ist.

Ich will Ihnen einmal berichten, was ich als Kommunalpolitiker in der Ratsperiode von 2001 bis 2006 in Oldenburg dazu erlebt habe. Wir hatten dort zwei Bürgerbegehren, die nicht gescheitert sind, weil es an Unterschriften fehlte. Im Gegenteil: Es gab reichlich Zuspruch. Sie sind vielmehr an einer juristischen Auseinandersetzung gescheitert, jeweils vom Verwaltungsgericht zum Oberverwaltungsgericht. Zum Schluss wurde aufgrund der komplizierten Bestimmungen, die es im Gesetz gibt, entschieden, dass diese Bürgerentscheide unzulässig sind. Der Beschluss des Verwaltungsausschusses wurde also von der Gerichtsbarkeit bestätigt.

Man muss bei alledem beachten, wie schwierig es ist, die Fragestellung für einen Bürgerentscheid so zu formulieren, dass sie rechtlichen Überprüfungen standhalten kann. Das ist höchst kompliziert. Damit werden Fachanwälte beauftragt, und keiner kann wirklich vorhersagen, wie am Ende die Entscheidung des Gerichts ausgehen wird. Da das so kompliziert ist, muss man sich Gedanken darüber machen, wie man das Verfahren so erleichtern kann, dass die Bürgerinnen und Bürger nicht in die Falle laufen.

Denn so ist es damals in Oldenburg geschehen. Der Oberbürgermeister der Stadt, damals Herr Schütz von der SPD, hatte nicht gesagt, dass er die Fragestellung für unzulässig hält. Die Leute haben sich bei Regen und bei schlechtem Wetter im Winter an Infostände gestellt und Unterschriften gesammelt, und zum Schluss war alles für die Katz.

Das ist der Punkt, von dem wir meinen, dass er korrigiert werden muss. Wir müssen Regelungen haben, damit die Menschen nicht vergeblich Unterschriften sammeln. Sie sollten vielmehr vorher wissen, dass es sich gegebenenfalls lohnt und nicht vergeblich ist, wenn ein solcher Kraftakt angegangen wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Deshalb wollen wir die Regelung haben, dass auf der Gemeindeebene der Verwaltungsausschuss oder auf der Kreisebene der Kreisausschuss vorab eine die Behörde später bindende Entscheidung trifft, die als selbstständiger Verwaltungsakt überprüfbar ist. Dann hätten wir nämlich die rechtliche Auseinandersetzung vor der Unterschriftensammlung. Eine solche Konstruktion kennen Sie vielleicht aus dem Baurecht. Dort gibt es den Bauvorbescheid. Das ist eine analoge Regelung, die man auf diesen Bereich übertragen müsste. Deshalb geht unser Gesetzentwurf dahin, dass durch einen Vorbescheid verbindlich entschieden wird. Damit können wir erreichen, dass die direkte Demokratie nicht zu organisiertem Frust entwertet wird.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN)

Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Krogmann. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muss gestehen, Herr Adler, dass, als ich gehört habe, dass Sie einen Gesetzentwurf zur Erleichterung von Bürgerbegehren einbringen wollen, dies mich gleich in mehrfacher Hinsicht erstaunt hat.

Das hat mich erstens erstaunt, weil auch die Grünen vor Kurzem dazu einen Antrag eingebracht haben. Das ist noch gar nicht so lange her. Aus diesem Anlass haben wir das Thema diskutiert. Ich hatte den Eindruck, es ist alles beantragt, aber noch nicht von jedem, und jetzt wollten Sie auch noch einmal. Das war, wie gesagt, mein erster Eindruck.

Zweitens hat mich erstaunt, was in Ihrem Gesetzentwurf genau steht. Das hat nicht in meiner Erwartung gelegen. Ich habe eher erwartet, es kommt ein populistischer Rundumschlag. Herr Nacke hat vorhin vom Freibier für alle gesprochen. Das stimmt aber gar nicht. Sie haben - Herr Adler hat es ausgeführt - an einer ganz bestimmten Stelle angesetzt, an der durchaus ein Mangel besteht, wobei auch wir sagen, dass man darüber nachdenken und diskutieren sollte.

(Hans-Henning Adler [LINKE]: Hört, hört!)

Drittens hat mich überrascht, was ich vor Kurzem in der Braunschweiger Zeitung zu diesem Thema lesen konnte. Ich zitiere sinngemäß: Wir wollen die repräsentative Demokratie nicht aushöhlen. Es gibt aber Korrekturbedarf im Verfahren des Bürgerbegehrens. Erst Unterschriften sammeln, dann das Ganze abgelehnt bekommen, das erzeugt natürlich Frust. - Das hat niemand anders als der Innenminister Uwe Schünemann gesagt, der damit eine Änderung des Kommunalverfassungsgesetzes angekündigt hat, die genau das beinhaltet, was die Linkspartei jetzt beantragt. Das war für mich schon erstaunlich. Da tun sich Verbindungen auf, an die man sich erst einmal gewöhnen muss.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und bei der LINKEN)

Ich frage mich bei der Gelegenheit natürlich auch: Darf die CDU dem Ministervorschlag überhaupt zustimmen, wenn er praktisch wortgleich von der Linkspartei kommt?

(Hans-Henning Adler [LINKE]: Kom- plizierte Frage!)

Das wird noch kompliziert. Man muss in diesem Hause sehr um die Ecke denken. Das haben wir gelernt. Aber Spaß beiseite.

Meine Damen und Herren, ich möchte kurz inhaltlich auf den Gesetzentwurf eingehen, ohne Sie durch die Wiederholung der Reden zum Antrag der Grünen zu langweilen. Ich möchte aber noch einmal sagen: Aus der Sicht der SPD-Fraktion haben sich Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in der niedersächsischen Kommunalverfassung bewährt. Es hat sich aber auch als sinnvoll erwiesen, sie thematisch zu begrenzen. Personalentscheidungen und Bebauungspläne sind ausgenommen. Finanzielle Folgen von Bürgerentscheiden müssen durch Vorschläge zur Kostendeckung untersetzt werden. Die vielen kommunalen Praktiker hier im Haus werden das kennen. Diese Einschränkungen sind wichtig, wenn man Kommunen vor belastenden und ruinösen Entscheidungen bewahren und die kommunale Demokratie in den Räten und Rathäusern nicht zu Papiertigern degradieren möchte.

Trotzdem - Herr Adler, dies ist richtig - hat sich gezeigt: Für Bürger ist es schwer nachzuvollziehen, wenn sie für ihre Vorhaben lange die Werbetrommel rühren und Unterschriften sammeln und am Ende der Verwaltungsausschuss sagt: April, April! Das, was ihr fordert, geht gar nicht. - Auch die SPD sieht hier - dies möchte ich klar sagen - einen Mangel an Fairness im Verfahren.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Wir haben es übrigens nicht mit Einzelfällen zu tun. Nach einer Datenbank der Philipps-Universität Marburg sind seit 1996 187 Bürgerbegehren angezeigt worden. 79 davon, also rund 40 %, waren unzulässig. Das besonders spektakuläre Beispiel aus Oldenburg haben Sie genannt, Herr Adler. Ich selbst habe das aus nächster Nähe miterlebt. Seinerzeit wurden 17 000 Unterschriften gesammelt. Es gab ein monatelanges Verfahren, das dann vor das Oberverwaltungsgericht kam. Am Ende war das Verfahren unzulässig. Wenn das so läuft, dann brauchen Sie sich als Kommunalpolitiker nicht mehr an einen Infostand zu stellen. Da kommt natürlich Frust auf, und man bekommt einiges zu hören. Dies führt nicht zu mehr Akzeptanz von politischen Entscheidungen, im Gegenteil: Die Menschen verlieren den Glauben an die Politik. Deshalb sollte man dies durchaus einmal ins Blickfeld nehmen.

Die Bürgerinnen und Bürger sollten einen Anspruch darauf haben, früh und verbindlich eine Auskunft darüber zu erhalten, ob ihr Verfahren zulässig ist oder nicht. Beide Seiten - Befürworter und Gegner - sparen dadurch Zeit, Nerven und Geld.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Wenn es im Verfahren einen Korrekturbedarf gibt, dann sollte man ihn abstellen. Wenn Links-Partei und Landesregierung hier schon auf einem gemeinsamen Weg sind, dann wollen auch wir als SPD uns der Diskussion nicht verschließen. Die Frage ist allenfalls, ob man das Thema im Zusammenhang mit Ihrem Antrag beraten sollte oder ob man das Kommunalverfassungsgesetz, das der Innenminister vorlegen wird, zur Grundlage nehmen sollte, dies zu regeln. Ich meine, wir sollten den Gesetzentwurf abwarten und beides dann gemeinsam beraten.

(Jörg Bode [FDP]: Ein guter Vor- schlag!)