Vielleicht sollten wir zunächst einmal - das richtet sich an alle hier im Hause - insgesamt zur Kultur des Zuhörens zurückkommen. Die CDU-Fraktion hat noch eine Redezeit von 100 Minuten, die Sie sich entsprechend aufteilen können. - Herr Jüttner, Sie haben das Wort.
Auch beim Thema Ganztagsschule gilt das Motto: Bloß nicht festlegen. - Sie haben versucht, mit dem Thema Ganztagsschule etwas zu retten, was erkennbar durch die Abstimmung mit den Füßen der Eltern geregelt wird, dass nämlich alleinstehende Hauptschulen auf Dauer chancenlos sind. Sie versuchen, das durch diese Hilfskonstruktion zu retten. Es wird nicht zu retten sein, meine Damen und Herren. Gleichzeitig nehmen Sie in Kauf, dass den Gymnasien, die heute faktisch schon Ganztagsschulen sind, dieser Status vorenthalten wird.
(David McAllister [CDU]: Gesamtschu- len! Sie bringen jetzt alles durchein- ander! Das ist nicht in Ordnung, meine Damen und Her- ren. (Beifall bei der SPD)
Wenn Sie über die Landesgrenzen sehen würden, dann wüssten Sie, dass auch die CDU in den Nachbarländern inzwischen den Kopf über Ihren Anspruch von der Profilierung der einzelnen Schul
formen schüttelt. Sie halten an Dingen fest, die sich in der Praxis hinreichend blamiert haben und die vor allem die Chancen der nächsten heranwachsenden Generation wirklich mit Füßen tritt. Wachen Sie auf, meine Damen und Herren!
Beim Thema Gesamtschule lassen wir uns ja gerne überraschen. Aber so, wie das Kultusministerium bisher agiert hat, und so, wie die Koalitionsvereinbarung geschrieben ist, wird am Ende ein Gesetz stehen, bei dem es - ähnlich wie beim Erdkabelgesetz - heißen wird: Theoretisch ist es möglich, praktisch bleibt es folgenlos. - Das ist meine Prognose zu Ihrem Thema Gesamtschule.
- Ich würde mich ja darüber freuen, wenn Sie mich an dieser Stelle widerlegten. Aber ich bin ziemlich sicher, dass ich recht behalten werde. An dem schön verteilten Beifall in den Regierungsfraktionen zum Thema Gesamtschule vorhin war deutlich zu sehen, wie gering die Bereitschaft bei Ihnen ist, sich an dieser Stelle zu bewegen. Es war nichts als eine hohle Phrase im Wahlkampf, hier dieses kleine Zugeständnis zu machen, meine Damen und Herren.
Es ist schon ein Hohn, wenn man liest, was Sie zum Thema Fachkräftemangel ausführen. Eine Partei, die jahrzehntelang die These „Einwanderungsland“ strikt zurückgewiesen und die Realität geleugnet hat, kommt, weil sie nun beim Thema Fachkräftemangel durch eigene Unterlassung nicht mehr weiter weiß, auf den Gedanken, die Landesgrenzen jetzt zu öffnen und andere hereinzulassen, meine Damen und Herren. Ich habe nichts gegen die Öffnung von Grenzen. Aber bei diesem Thema geht es doch erst einmal darum, denjenigen Chancen zu geben, die hier sind und die in den letzten Jahren keine Chancen hatten.
(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN - Minister Walter Hirche: Das ist ja wie bei Rütt- gers!)
Zum Thema Fachkräftemangel möchte ich Ihnen sagen: Menschen ins Land zu holen, die qualifiziert sind, ist vielleicht bei Fußballern möglich, indem man den FC Bayern München aufpäppelt. Aber mit einer Volkswirtschaft insgesamt lässt sich eine solche Strategie nicht verwirklichen, meine Damen und Herren. Deshalb kann man das nur durch eigene Arbeit im eigenen Land realisieren. Wir brauchen diese Fachkräfte. Wir brauchen möglichst alle mit weitergehenden Abschlüssen, als es heute der Fall ist. Das verlangt die komplexe Arbeitsgesellschaft von uns, die wir heute haben. Hier sind Sie gefordert, die Voraussetzungen dafür zu schaffen.
Die Realität ist aber ganz anders: Wir sind Schlusslicht beim Thema duale Ausbildung in Niedersachsen, dafür Spitzenreiter, was die Warteschleifen angeht, meine Damen und Herren. Aber dieser Sachverhalt ist Ihnen keine Zeile in Ihrer Koalitionsvereinbarung und in Ihrer Regierungserklärung wert!
Eine Koalitionsvereinbarung muss doch erst einmal sagen, was Sache ist, damit man die richtigen Antworten geben kann. Aber Sie sagen erst einmal, wie Sie sich eine Sache vorstellen, und beschönigen Sie nicht die Realität, meine Damen und Herren. Daraus erwächst keine angemessene Therapie. Deshalb gehen Ihre Vorschläge rundherum ins Leere.
In diesem Zusammenhang, in dem wir über mehr Bildung und mehr Ausbildung diskutieren müssen, in Ihre Koalitionsvereinbarung den Gedanken hineinzubringen, die Berufsschultage zu reduzieren, hat uns in der Tat überrascht.
Das kann doch überhaupt nicht ernst gemeint sein, Herr Klare! Ich höre, die Fachleute bei Ihnen schlagen die Hände über dem Kopf zusammen. Welchen Fachfremden haben Sie denn an dieser
Stelle bei der Erstellung der Koalitionsvereinbarung mitwirken lassen? Das kann doch nicht die Möglichkeit sein, meine Damen und Herren! Wir brauchen mehr Bildung! Wir brauchen mehr Ausbildung! Die Berufsschultage zu reduzieren, kann an dieser Stelle nur der falsche Weg sein. Das steht aber bei Ihnen im Programm.
Wie im Bereich der Bildung ist auch der Wissenschaftsbereich im Kern allen Problemen aus dem Weg gegangen. Herr Stratmann, Sie haben in den letzten fünf Jahren verantwortet, dass die Zahl der Studierenden in Niedersachsen um über 13 000 reduziert worden ist - das ist Ihre Verantwortung! -, und das in einer Gesellschaft, in der wir über einen zunehmenden Bedarf an Menschen mit wissenschaftlichen Abschlüssen reden und in der wir das auch fordern. Sie haben sich dazu verpflichtet, im Rahmen des Hochschulpaktes dafür zu sorgen, dass bis 2010 11 200 Studienplätze aufgebaut werden. Schon im ersten Jahr, 2007, haben Sie gepatzt und gerade einmal ein Drittel der verabredeten Plätze aufbauen können. Das ist leider die Realität in Niedersachsen! Schon dort, wo wir heute stehen, haben Sie die Zwischenziele nicht erreicht. Gleichzeitig wissen wir alle, dass das, was im Hochschulpakt festgelegt ist, überhaupt nicht reicht. Das Jahr darauf, 2011, gibt es einen doppelten Abiturjahrgang. Wo ist ein konkreter Hinweis in der Koalitionsvereinbarung, wie damit umgegangen wird? - Kein einziger!
Darin steht wolkig: Wir werden das schon irgendwie machen. - So kann man keine Planung für fünf Jahre Politik in Niedersachsen machen. Wir wollen wissen, wie Sie sich das im Einzelnen vorstellen. Die Probleme dürfen nicht alle verdrängt oder zur Seite gelegt werden, meine Damen und Herren!
Das Einzige, was Sie leicht modifizieren, ist das kleine Angebot an die FDP, nämlich das Thema Studiengebühren.
Wir sind der festen Überzeugung: Die Erhebung von Studiengebühren ist und bleibt falsch, meine Damen und Herren!
Ihr Hinweis, die Erstsemesterzahlen seien hochgegangen, ist zwar richtig, aber sie liegen noch immer um 3 000 unter den Zahlen, die wir vor fünf
Jahren hatten. Ein leichter Anstieg auf ganz niedrigem Niveau ist nicht das, was wir im Wissenschaftsbetrieb in Niedersachsen brauchen. Sie ahnen doch genau wie wir, dass Studiengebühren ausgrenzen und dazu beitragen, junge Menschen vor die Alternative zu stellen und nicht das Studium aufzunehmen, obwohl sie die intellektuellen Voraussetzungen dafür hätten. Das wollen wir nicht. Soziale Herkunft soll nicht darüber entscheiden, was aus jemandem wird. Aber durch solche Maßnahmen wird es begünstigt. Das wissen Sie. Hier machen Sie einen schwerwiegenden Fehler.
Die Konfusion Ihrer Bildungspolitik ist seit dem Wahltag beim Thema „Abitur nach acht Jahren am Gymnasium“ noch einmal richtig deutlich geworden. Das Ziel ist vertretbar. Ich bin der Meinung, wir sollten es nicht zurückschrauben.
Interessant ist, wer die Verantwortung für diesen Dilettantismus zugeschoben bekommt. Das ist übrigens nicht neu. Der Ministerpräsident übernimmt es gerne selbst, das zu erklären. Ich habe gelesen, dass auch diesmal wieder die Kultusministerkonferenz schuld ist - das Zitat kann ich gerne nachliefern -, weil sie über Monate nicht dazu in der Lage ist, zu einer Verkürzung der Stundenzahlen zu kommen. Herr Busemann, Sie sollten Herrn Wulff einmal mitteilen, dass es im Sommer letzten Jahres einen Versuch der Länder Hamburg und Saarland gegeben hat, hier einen Vorstoß zu machen, und dass dieser auch deshalb in der KMK blockiert worden ist, weil das Land Niedersachsen kein Interesse daran gezeigt hat, an dieser Geschichte mitzuwirken. Das ist die Realität, meine Damen und Herren. Von wegen, die Kultusministerkonferenz ist schuld. Sie haben vollkommen unterschätzt, welche organisatorischen und pädagogischen Herausforderungen mit diesem Thema verbunden waren, und wundern sich jetzt über die Eltern und die Schülerinnen und Schüler sowie über den Ärger, den Sie gegenwärtig haben, meine Damen und Herren.
Ich prognostiziere Ihnen: Auch bei diesem Thema werden Sie wieder zu kurz springen. Sie haben in die Koalitionsvereinbarung geschrieben: „angemessene Absenkung der Gesamtpflichtstundenzahl bis zum Abitur“. Was heißt das in der Konsequenz? Ich kann mich an ähnliche Debatten erinnern. Wo wird jetzt gekürzt? Beim Sport? In der Kunst? In der Musik?
- Nein, nicht jetzt, mein Lieber. Die Zeit haben wir hier nicht. Diese Debatte können wir gern miteinander führen. - Diese Antworten erwarten wir von Ihnen, meine Damen und Herren. Sie haben hier heute eine Regierungserklärung abzugeben.