Protocol of the Session on February 27, 2008

Wir wollen uns hier nicht verbeißen, wer in der Bringschuld ist, meine Damen und Herren.

(Zurufe von der CDU: Nein, nein!)

Hätten wir eine Mehrheit gehabt, dann hätte ich heute gerne eine Regierungserklärung abgegeben. Dann hätten Sie sich daran die Zähne ausbeißen können. Die Lage haben wir nicht.

(Beifall bei der SPD - Lachen bei der CDU und bei der FDP)

Sie haben Vorschläge für die Gestaltung des Landes zu machen,

(Zurufe von der FDP: Sie auch!)

und wir sind in der schönen Rolle, diese als Opposition zu bewerten.

(Zustimmung bei der SPD - Lachen bei der CDU)

- So ist das! Auf der Tagesordnung steht nämlich nicht „Programmatische Grundsatzrede der Opposition“, sondern „Regierungserklärung“. Sie erklären, was Sie in den nächsten fünf Jahren vorhaben. Wir stellen fest: Sie erklären hier gar nichts, sondern Sie werfen nur Nebelkerzen in der Gegend herum, meine Damen und Herren. Das decken wir hier auf.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Mit Herrn Busemann verabschiedet sich ja jetzt die Hektik aus der Bildungspolitik. Das hat sicherlich auch etwas Gutes; das will ich nicht in Abrede stellen, meine Damen und Herren. Aber, Frau Heister-Neumann, ich habe nun gelesen, Sie sollen dort jetzt für Ruhe sorgen. Dass es dort gelassener zugehen kann und muss, das meine auch ich. Aber ich sage Ihnen eines: Der Bildungssektor braucht nicht Ruhe, sondern konzeptionelle Klarheit. Ich hoffe, dass Sie dazu wenigstens ein Stück in der nächsten Zeit beitragen können.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Meine Damen und Herren, wir haben in den letzten fünf Jahren erlebt, wie Konservative und Liberale „Sozialpolitik“ buchstabieren. Sozialpolitik war für Sie die Kürzung freiwilliger Leistungen, das war soziale Ausgrenzung, und hinter allem steckte das Prinzip: Barmherzigkeit statt Rechtsanspruch. Von Frau von der Leyen wurde es hier eingeführt und von der Nachfolgerin erkennbar bruchlos übernommen, meine Damen und Herren. Der Sozialhaushalt unterliegt in Niedersachsen dem Direktzugriff des Finanzministers, und zwar kontinuierlich, ohne dass er sich wehren kann.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Wer die Koalitionsvereinbarung gelesen hat, stellt fest: Es ist nichts Neues zu erwarten. Alle Herausforderungen, die sich schon heute abzeichnen, werden in Ihrer Koalitionsvereinbarung konsequent ausgeklammert.

Herr Hirche hat eben ein paar Bemerkungen zum Thema „Kinderarmut“ gemacht. In der Koalitionsvereinbarung findet sich dazu kein Wort. Sie ist für diese Mehrheit erkennbar keine Herausforderung in der Landespolitik, meine Damen und Herren, obwohl die Polarisierung in Niedersachen in den letzten Jahren zugenommen hat, obwohl die Kinderarmut in Niedersachsen dramatisch zugenommen hat, obwohl das weitreichende Konsequenzen für die Chancen der betroffenen Kinder im Bildungswesen hat. Für Sie ist das kein Wort wert, meine Damen und Herren.

Für Sie kommt es auch nicht in den Fokus der Überlegungen, dass es vor dem Hintergrund der Situation auf dem Arbeitsmarkt, der zunehmenden Hungerlöhne in absehbarer Zeit Altersarmut geben wird - auch in Niedersachsen. Herr Hirche, an dieser Stelle wäre eine Bemerkung zum Mindestlohn ganz angemessen gewesen. Das ist nämlich auch

ein Beitrag, um Altersarmut zu verhindern. Dazu fällt Ihnen nichts ein!

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Sie haben sich ja nicht einmal dazu aufraffen können, den Vorschlag, den Frau Mundlos und Frau Meißner im Wahlkampf kontinuierlich wiederholt haben, dass es in Zukunft in Niedersachsen eine qualifizierte Sozialberichterstattung geben soll, auch in Ihr Wahlprogramm zu schreiben. Frau Meißner, Einfluss ist bei Ihnen nicht gegeben, oder wie sieht das eigentlich aus? Es ist doch erbärmlich, dass Sie nicht einmal bereit sind, in Niedersachsen öffentlich zu machen, wie die soziale Lage von Teilen dieser Bevölkerung ist. Peinlich ist das!

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN - Jörg Bode [FDP]: Das ist falsch!)

Wissen Sie, warum das so ist? - Das ist die gleiche Argumentation, mit der Sie auf das Landesamt für Statistik gucken: Wenn man keine schlechte Daten geliefert bekommt, hat man auch ein weniger schlechtes Gewissen und glaubt man, nichts machen zu müssen, meine Damen und Herren. Das lassen wir Ihnen aber nicht durchgehen. Wir verlangen, dass deutlich wird, wie sich die soziale Lage in Niedersachsen entwickelt, wie es um Armut und wie es um Reichtum in diesem Land steht. Wir haben ein Recht auf Daten zu diesem Thema, um auch angemessene Antworten geben zu können.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Stattdessen ist dieser sozialpolitische Teil von Halbherzigkeiten geprägt, die wir hier auch in der Vergangenheit erlebt haben. Das Thema Kinderschutz bleibt ohne konkrete Aussage. Das Hebammenprogramm wird weiterhin bei der kommunalen Seite abgelagert und ist von deren Leistungskraft abhängig; denn das, was auf Landesebene gemacht wird, bringt in der Substanz überhaupt nichts, sondern stellt nur eine begleitende Komponente dar.

Das Thema der Pflegequalität findet in der Koalitionsvereinbarung als Problemfeld nicht statt. Auch zum Thema Fachkräftemangel in diesem Bereich, auf den es Antworten gibt, nämlich die Umstellung der Altenpflegeausbildung, gibt es von Ihnen kein Wort, meine Damen und Herren.

Aber das passt natürlich auch zu dem, was Herr Hirche hier heute ausgeführt hat: Der sozialpolitische Teil findet bei Ihnen nicht statt. Er hat überhaupt keinen Stellenwert. Bemerkenswert ist: Nachdem Sie in der letzten Wahlperiode die Landeskrankenhäuser verkauft haben, kommen Sie jetzt auf den Gedanken, darüber nachzudenken, ein Psychiatriekonzept für Niedersachsen zu entwickeln. Gibt es einen peinlicheren Zusammenhang zwischen dem Verkauf der Krankenhäuser und anschließender konzeptioneller Überlegung? Das bestätigt ja unseren Vorbehalt, Ihnen sei es beim Verkauf um grundsätzliche ideologische Gründe beim Thema Landeskrankenhäuser gegangen. Da ging es um Finanzen und um Ordnungspolitik. Die Sachkomponente hat überhaupt keine Rolle gespielt. Jetzt wird Ihnen erkennbar deutlich, dass dort Defizite auflaufen. Deshalb braucht es jetzt ein Konzept, meine Damen und Herren.

Soziales Denken, Gerechtigkeitsempfinden - das ist in den Mehrheitsfraktionen des Landtags nicht zu Hause.

(Lebhafter Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Die Wohlfahrtsverbände werden sich darauf einzustellen haben, dass die Politik der sozialen Kälte, die wir hier fünf Jahre lang erlebt haben, beibehalten wird. Tragisch genug: Die Veränderung läge bei Ihnen. Aber Sie können sicher sein: Wir werden Ihnen auf den Hacken bleiben und das hier einklagen, damit das hinreichend öffentlich wird.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Meine Damen und Herren, meine Einschätzungen zum Regierungshandeln sind sehr reserviert. Das wissen Sie. Ich traue nicht allen, die dort auf der Regierungsbank sitzen, viel zu. Aber ich bin mir zumindest mit meiner Fraktion einig: Der Umweltminister senkt jedes Mal das Niveau - darauf kann man sich eigentlich verlassen.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN - Dr. Philipp Rösler [FDP]: Un- verschämt!)

Meine Damen und Herren, meiner Meinung nach sollte es wenigstens eine Untergrenze für Anstand und Qualität geben, wenn jemand Mitglied eines Kabinetts ist.

(David McAllister [CDU]: Das gilt auch für Fraktionsvorsitzende!)

Ich lese in einem Rundschreiben von gestern an die Beschäftigten im Umweltministerium, dass der Staatssekretär den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Hauses mitteilt: Gestern früh konnte ich wie sicherlich viele von Ihnen aus der Zeitung erfahren, dass mich die Landesregierung auf Wunsch von Minister Sander am heutigen Tag in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Minister Sander hat mir diese Entscheidung auf meine telefonische Nachfrage und in einem anschließenden Gespräch bestätigt, meine Damen und Herren.

(Zurufe und Buh-Rufe von der SPD und von der LINKEN)

Das sind die Führungsqualitäten, die in dieser Landesregierung erkennbar auch zu Hause sind! Ist es nicht peinlich, dass solch ein Vorgang möglich ist?

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei der LINKEN - Minister Hirche: Fragen Sie einmal Karl-Heinz Funke nach sei- ner Entlassung durch Schröder!)

- Ich finde es einfach peinlich. Im Übrigen: Wenn Sie auf einen peinlichen Vorgang mit einem anderen Vorgang antworten, der vielleicht auch peinlich ist, dann relativiert das den ersten überhaupt nicht.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Es ist jenseits meiner Vorstellungswelt, seinen leitenden Mitarbeiter aus der Zeitung erfahren zu lassen, dass er entlassen wird. Aber das passt natürlich zu dem, was inhaltlich in diesem Hause gemacht wird. Der Teil Umwelt in der Koalitionsvereinbarung ist eine Gebrauchsanweisung zum Nichtstun und nichts anderes, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - David McAllister [CDU]: Falsch!)

Als krönender Höhepunkt wird das Ministerium jetzt umbenannt und der Klimaschutz mit in den Namen aufgenommen. Auch das hat hier eine Vorgeschichte, meine Damen und Herren. Im Dezember 2006, als Herr Sander wieder einmal nicht weiter wusste, hat Herr Wulff eingegriffen und uns hier erklärt, für das Thema Klimaschutz würden jetzt 300 Millionen Euro verausgabt.

(Hans-Dieter Haase [SPD]: Die su- chen wir heute noch!)

- Die suchen wir heute noch, Herr Wulff übrigens auch. Das war eine der etwas peinlichen Entgleisungen, die bei ihm immer mal vorkommen können. Ich will damit sagen: Klimaschutz hat in dieser Landespolitik bisher nicht stattgefunden.

(Beifall bei der SPD)

Man hat in den letzten Jahren im Umweltbereich über 400 Stellen gestrichen. Als das Thema aufkam, man müsse auch etwas für den Klimaschutz tun, hat man - das war die gezielte klimapolitische Maßnahme - im Haushalt vier Stellen etatisiert und für Klimaschutzpolitik des Landes Niedersachsen ausgewiesen. Meine Damen und Herren, wen wollen Sie denn in der Öffentlichkeit eigentlich noch veralbern? Das nimmt Ihnen doch niemand ab.

Das GEO-Magazin hat im Dezember 2007 - also wenige Wochen alt - einen Vergleich der Bundesländer durchgeführt. In dem Textteil über Niedersachsen wird festgestellt:

„Eine aktive Klimapolitik fehlt bisher im Land. Es existieren weder Reduktionsziele für Treibhausgase noch Handlungspläne für ein koordiniertes Vorgehen - kein Wunder bei einem Umweltminister, der das Landesamt für Ökologie auflöste, Windräder als ‚technische Monster’ bezeichnet und den vorher erfolgten Ausbau der alternativen Energien bremst...“

Meine Damen und Herren, so viel das Fachblatt GEO zu diesem Minister, der jetzt nicht nur für Umwelt, sondern auch noch für Klimaschutz zuständig ist und der bisher bei allen politischen Themen in diesem Lande versagt hat.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)