Sei es drum, wer auch immer welchen Anteil am Einzug der Linkspartei in dieses Parlament hat: Die alte und die neue Regierung Wulff hat mit Ihrem Stil der Entpolitisierung im Land sicherlich einen
gehörigen Beitrag dazu geleistet. Jetzt wird man sich vor allem politisch damit auseinander zu setzen haben - und das werden wir tun.
Meine Damen und Herren, wer dieses Land künftig gestalten will, der muss sich den zentralen Herausforderungen stellen. Vor der Globalisierung können wir nicht in nationale Grenzen fliehen. Klimawandel und demografische Entwicklungen sind Herausforderungen, denen sich unser Land jetzt stellen muss. Alle drei Herausforderungen haben eines gemeinsam: Unser Handeln wird die wirkenden Kräfte nur marginal verändern. Deshalb geht es über weite Strecken um Anpassungen an Entwicklungen, die sich unserer direkten Einwirkung entziehen, aber auch um überfällige Impulse und Ideen, um die Rahmenbedingungen langfristig und insbesondere überall dort zu beeinflussen, wo wir als Landtag handeln können.
Die Menschen sind doch vielfach viel weiter als die Politik. Das Ergebnis der letzten Landtagswahl zeigt zunächst einmal, dass 43 % der Wählerinnen und Wähler keiner Partei, keinem von uns, wie wir hier sitzen, zutrauen, die Probleme zu lösen, oder das Gefühl haben, dass die eigene Stimme nichts bewirkt. Das muss uns alle umtreiben. Das erfordert eine Antwort, die nicht nur eine wissenschaftliche Analyse sein darf, zu der Sie in Ihrer Regierungserklärung nur die Rehabilitierung der einstmals ungeliebten Göttinger Politikforschung beizutragen haben. Ich halte es für notwendig, dass wir die Möglichkeiten direkter Bürgerbeteiligung auch zwischen den Wahlen stärken.
Die Hürden für Volksbegehren und Volksentscheide müssen deutlich gesenkt werden. Die Ausschlussmöglichkeiten bei den Dingen, über die man entscheiden kann, sind viel zu weit gefasst. Das Quorum bei Begehren und Entscheid ist viel zu hoch. Die Möglichkeit zur Schaffung von Bürgerhaushalten muss deutlich erweitert werden. Im Zeitalter des Internets ist es doch nicht zu verstehen, dass man dort allen Mist findet; aber den Haushaltsplanentwurf, den Haushalt selbst und die Rechnungslegung sucht man dort vergeblich.
Meine Damen und Herren, Klimawandel ist ein Begriff, der viele Entwicklungen zusammenfasst: steigende Rohstoff- und Energiepreise, verändertes Verbraucherverhalten, mehr Starkregenereignisse, die Gefahr von Hochwasser auch im Bin
nenland, verändertes Mikroklima für die Landwirtschaft, steigende Meeresspiegel. Der Klimawandel wird auch zu einer sozialpolitischen Herausforderung, wenn man schlicht und einfach die Rechnung für Warmwasser und Heizung nicht mehr bezahlen kann. Der Klimawandel wird zu einer ökonomischen Herausforderung, wenn sich die niedersächsischen Unternehmen nicht auf Energieeffizienz und umweltfreundliche Produkte einstellen.
Herr Sander mag das alles für Panikmache und Hysterie halten. Fakt ist, dass der Ölpreis steigt. Fakt ist, dass die Ressourcen begrenzt sind. Fakt ist, dass wir den Gipfel möglicher Ölförderung wahrscheinlich überschritten haben oder in Kürze überschreiten werden.
Wir haben ein Energieszenario für Niedersachsen vorgelegt, Herr McAllister, und dies zeigt, wie wir die Klimaziele erreichen und dabei auf Kohle und Atom verzichten können. Wir sind für jeden Vorschlag dankbar. Wir sind auch für jede Kritik dankbar. Aber es zeigt: Der Einstieg wäre zugleich auch ein Jobmotor für Niedersachsen. Langfristig führt nach meiner Auffassung kein Weg daran vorbei, 100 % erneuerbare Energien zur Energieversorgung der Zukunft zu nutzen.
Herr Wenzel, ich frage Sie, wann Sie das letzte Mal ins Internet geguckt und den Haushaltsplanentwurf 2008 gesucht haben. Der steht dort nämlich darin. Der Haushaltsplan 2008 selbst kann aber erst heute ins Internet eingestellt werden, weil erst heute die Druckstücke fertiggestellt worden sind und an die Häuser gehen. Das muss vorher geprüft werden. Wann haben Sie denn zum letzten Mal im Internet nach dem Haushaltsplanentwurf gesucht?
Noch mehr würde ich mich darüber freuen, wenn Sie auch den Haushaltsplanentwurf und die Rechnungslegung einstellen würden. Dann wären wir schon einen großen Schritt weiter.
(Hartmut Möllring [CDU]: Der Haus- haltsplan steht doch im Internet! Es ist aber nicht üblich, schriftlich mitzutei- len, was im Internet steht!)
Fakt ist, meine Damen und Herren, dass sich die Verbraucher neu orientieren. Die Diskussion über den Klimawandel hat dazu geführt, dass sich das Käuferverhalten, dass sich das Verbraucherverhalten ändert. Deshalb werden die Produkte und die Produktionsverfahren erfolgreich sein, die hierauf Antworten liefern. Deshalb brauchen wir heute Innovationen hin zu einer Ökonomie, die auf Effizienz, Einsparung und erneuerbare Energien setzt. Das ist die Determinante für wirtschaftlichen Erfolg und für die Schaffung von zukunftsfähigen Arbeitsplätzen. Das gilt für alle Leitbranchen, also von Handel und Dienstleistungen über Maschinen- und Fahrzeugbau, Landwirtschaft bis zu den Informationstechnologien. „Green IT“ ist das Motto der diesjährigen CeBIT. Keine Branche kann sich dieser Entwicklung verweigern. Grün ist eine politische Farbe geworden. Grün ist auch ein Synonym für erfolgreiches Wirtschaften geworden. Deshalb brauchen wir endlich eine konsequente landespolitische Initiative für einen Klima- und Innovationsfonds sowie ein Umsteuern bei der Verwendung der Gelder aus dem EU-Strukturfonds.
Meine Damen und Herren, der Innenminister, der zurzeit nicht anwesend ist, es sei denn, er sitzt im Plenum,
ist von den Bischöfen inzwischen mehrfach für seine Unbarmherzigkeit in der Flüchtlingspolitik kritisiert worden. Auch angesichts der demografischen Entwicklung ist Ihr Umgang mit Flüchtlingen und Migranten fatal. Noch immer werden Familien weggeschickt, die hier bis zu 16 Jahre lang gelebt haben und deren Kinder hier geboren sind.
Deshalb müssen wir endlich vom Reden zum Handeln kommen. Integration braucht einen ganzheitlichen Ansatz. Dazu gehört eine humanitäre Flüchtlingspolitik ebenso wie das Einstellen von Lehrern und Polizisten mit Migrationshintergrund. In diesem Punkt öffnen Sie sich mittlerweile der Diskussion und gehen Schritte nach vorn, was wir durchaus anerkennen. Dazu gehören aber auch Anerkennung und Gleichberechtigung im Alltag, auch in religiösen Fragen wie der Seelsorge im Krankenhaus oder in den Friedhofsordnungen.
Meine Damen und Herren, vor allem und vor allem jetzt braucht unser Land einen grundsätzlichen Wandel in der Bildungspolitik. Es hätte einen wichtigen konkreten Schritt bedeutet, wenn Sie alle Ressourcen hierzu in einem Kinderministerium gebündelt hätten, statt heute in Ihrer Regierungserklärung für die nächsten Jahre die Aufnahme der Kinderrechte in die Verfassung anzukündigen.
Wir brauchen die neue Schule, die nicht aussortiert, sondern jedes Kind und jeden Jugendlichen mit seinen jeweiligen Begabungen optimal fördert.
Auf dem Weg dorthin brauchen wir kurzfristig rasche Lösungen für die dringlichsten Probleme. Das bedeutet erstens gemeinsame Beschulung ohne Wenn und Aber. Das Neugründungsverbot für alle Formen von Gesamtschulen und integrativen Schulformen muss unverzüglich und ohne Einschränkung aufgehoben werden.
Die Landesregierung muss die Einrichtung von individuell fördernden gemeinsamen Schulen ermöglichen und unterstützen, damit es uns am Ende nicht so geht, Herr Klare, wie mit Ihrer Härtefallkommission.
Damit haben wir zwar ein Gremium, aber die Bedingungen sind so eng gestrickt, dass sie am Ende niemand erfüllen kann.
Wenn ich den Katalog der Ausnahmen höre, den Herr McAllister vorgetragen hat, fürchte ich, dass Ihr Angebot, Gesamtschulgründungen zuzulassen, so ähnlich gedacht ist.
Meine Damen und Herren, eine neue Bildungspolitik bedeutet zweitens: Die Gymnasien müssen Ganztagsschulen werden - ohne Wenn und Aber. Die Gymnasien müssen pädagogisch umgestaltet werden, um die Überforderung der Kinder zu beenden und die Lernergebnisse zu verbessern. Sie müssen zügig - ebenso wie mittelfristig alle Schulen - zu echten Ganztagsschulen mit warmem Mittagessen ausgebaut werden.
Dafür müssen Sie ein Investitionsprogramm auflegen und den Schulen ausreichend Ressourcen personeller Art zur Verfügung stellen.
Diese Forderungen unterstützen alle großen Bildungsverbände und die Elternvertretungen, die wir unmittelbar nach der Landtagswahl zu einer Konferenz über die verkorkste G-8-Reform der Landesregierung eingeladen haben.
Herr Klare, Sie wissen auch, dass sich bei diesem Thema ganz interessante und bisher unbekannte Allianzen auftun, weil der Missstand viel größer ist, als Sie das bislang wahrgenommen haben.
Lehrer, Eltern und Verbände sind mittlerweile über die Art und Weise empört, wie Sie damit umgehen. Herr Wulff sagt nur: Weiter so! - Die Zeit schreibt in einem bemerkenswerten Artikel über das Thema: Manchmal ist ein Schritt nach vorn auch ein Schritt zurück.