Protocol of the Session on October 8, 2008

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN - Lachen bei der CDU)

Das muss so sein. Wir nennen dann auch immer Ross und Reiter. Die Firma Schmitz Cargobull in Altenberge: Auf 440 regulär Beschäftigte kommen zusätzlich 600 Leiharbeitnehmer. Wincor Nixdorf in Paderborn: 647 eigene Leute in der Produktion, 450 Leiharbeiter.

(Zuruf von der CDU: Paderborn liegt nicht in unserem Land!)

- Es geht um die Sache insgesamt. - Claas in Harsewinkel: 1 397 eigene Arbeitnehmer, 600 Leiharbeiter. Bei Nokia waren es bis zur Aufgabe des Werkes 50 % Leiharbeiter.

Meine Damen und Herren, der eigentliche Skandal besteht in dem verqueren Staatsverständnis, dass diese Leiharbeiter zu einer festen Größe in den personalwirtschaftlichen Überlegungen geworden sind. Das ist der eigentliche Skandal, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Mit kurzfristigen Engpässen oder krankheitsbedingten Ausfällen ist die dauerhafte Beschäftigung von einem Drittel z. B. bei BMW in Leipzig überhaupt nicht mehr zu erklären. Nein, das Ganze hat Methode. Hier findet dauerhaft und kontinuierlich eine Mischkalkulation auf dem Rücken der Leihar

beitnehmer statt. So ist es. Daher müssen wir jetzt auch reagieren.

(Beifall bei der SPD - Zuruf von Heinz Rolfes [CDU])

Es sind, Herr Rolfes, Großbetriebe wie Siemens, Porsche, Bosch, Airbus, Opel, Miele, die auffällig stark auf Leiharbeit setzen. Waren es 2006 noch 200 000, so arbeiten jetzt bereits mehr als 600 000 Menschen bei den Zeitarbeitsfirmen. 2010 wird nach Meinung der Wirtschaftsforscher bereits die Millionengrenze überschritten sein. Die Zahlen steigen rasant an, und es sind nicht mehr nur Ungelernte, sondern auch Schlosser, Schweißer, Journalisten, Ingenieure, Kaufleute und Programmierer. Alle Branchen sind hier vertreten. In Krankenhäusern und Altenheimen werden ganze Stammbelegschaften durch Leiharbeitskräfte ersetzt. In den Harzer Nobelhotels putzen thüringische Frauen für Niedriglöhne die Hotelsuiten der Reichen. Finden Sie das noch normal? Sogar Projektarbeiten werden an Zeitarbeitsgesellschaften vergeben. Die Leute werden sofort nach Erledigung des Auftrags wieder entlassen. Solche Zustände, meine Damen und Herren, lassen keine normale Lebensplanung mehr zu. Wir brauchen verlässliche und vor allem auskömmliche Arbeitsbedingungen. Nur das ist der richtige Weg.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Meine Damen und Herren, hire and fire ist ohne gesetzliche Hürden auch am Bau wieder möglich. Nur ein Beispiel aus der Praxis, das ich selbst erlebt habe: Drei Maler werden nach 20-jähriger Tätigkeit im Winter wegen Arbeitsmangels entlassen. Sie erhalten von der Agentur für Arbeit vier Monate Arbeitslosengeld. Im Mai werden die Leute dann zu einer Zeitarbeitsfirma geschickt. Diese Firma vermittelt die drei Maler in ihren alten Betrieb, aus dem sie gekommen sind. Nun freuen die sich, weil sie wieder mit ihren ehemaligen Kollegen zusammenarbeiten dürfen, stellen dann aber am Monatsende fest, dass eigentlich große Enttäuschung angebracht ist, weil sie nämlich für die gleiche Tätigkeit am gleichen Ort insgesamt 683 Euro weniger verdient haben - im Monat, meine Damen und Herren! Das ist eine Sauerei! So etwas kann man doch einfach nicht zulassen.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Dieses Beispiel ist kein Einzelfall, sondern solche Formen nehmen ständig zu, weil es sich natürlich

auch bei den Arbeitgebern herumgesprochen hat, dass pro Stunde 3,93 Euro einzusparen sind. Jeder achte Leiharbeitnehmer ist wegen seines geringen Einkommens als sogenannter Aufstocker auf ALG II angewiesen. In Niedersachsen und Bremen waren im Dezember 2007 etwa 7 500 Personen davon betroffen.

Sie ahnen, was jetzt kommt. Natürlich: Wer täglich acht Stunden oder sogar mehr arbeitet, der soll davon auch leben können. Das ist unsere Position. Deshalb sagen wir auch: Das ist ein Plädoyer für den Mindestlohn, und zwar einen vernünftigen Mindestlohn, der die Menschen auskömmlich versorgt, sodass auch später im Rentenalter keine Armut vorherrscht.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen, was wir von solchen Beschäftigungsformen halten: Das ist ungerecht, das ist ausbeuterisch, das ist einfach menschenverachtend. So etwas wollen wir Sozialdemokraten nicht mehr zulassen. Ich sehe, dass es auch noch andere in diesem Hause gibt. Dafür bin ich dankbar.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Wir wollen die Leiharbeit nicht verbieten, aber wir wollen faire Regeln, an die sich jeder Arbeitgeber zu halten hat. Erklären Sie bitte dem erstaunten Volk, was Sie sich dabei denken, wenn Sie unter dem Motto „Der Markt regelt alles selber“ solche Dinge zulassen wollen! Die Betroffenen haben solche Zustände satt. Diese Exzesse müssen korrigiert werden.

(Hans-Christian Biallas [CDU]: Wie heißt denn der Bundesarbeitsminis- ter? - Zuruf von Heinz Rolfes [CDU])

Wir fordern deshalb in unserem Entschließungsantrag die Landesregierung auf - jetzt müssen Sie aufpassen, Herr Rolfes -,

(Beifall bei der SPD - Zuruf von Heinz Rolfes [CDU])

mit einer Bundesratsinitiative darauf hinzuwirken, dass im Entleihbetrieb der Gleichbehandlungsgrundsatz in Bezug auf Löhne und Gehälter, aber eben auch in Bezug auf alle anderen Arbeitsbedingungen gilt.

(Heinz Rolfes [CDU]: Müntefering heißt der eine, Scholz heißt der ande- re! Unglaublich!)

Ausnahmen soll es dann nur noch geben, wenn der repräsentative Tarifvertrag eine Einarbeitungszeit explizit zulässt. Sie haben richtig vernommen: Ich rede von einem repräsentativen Tarifvertrag und nicht von einem dieser Tarifverträge, die christliche Möchtegerngewerkschaften abkupfern und damit für schlechtere Löhne sorgen.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei der LINKEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch der Betriebsrat im Entleihbetrieb soll sein Mitbestimmungsrecht ausüben können, indem er die Festsetzung einer Quote verlangen kann. Mitbestimmung schreiben wir ja groß, und die Arbeitnehmer sind keine rechtlosen Individuen. Ihnen muss folgerichtig auch das aktive Wahlrecht zugesprochen werden.

(Glocke der Präsidentin)

Theoretisch können Leiharbeiter nach geltendem Recht bis hin zur Verrentung Leiharbeiter sein. Auch das müssen wir ändern. Deshalb ist es auch das Ziel des Antrags, die Verleihdauer wieder auf 24 Monate zu begrenzen.

Die ungenügende Gesetzeslage wird von findigen Personalmanagern missbraucht. Da werden massenweise hauseigene Zeitarbeitsfirmen gegründet. Auch das wollen wir mit diesem Antrag verhindern.

Wir wollen nicht unterschlagen, dass es auch positive Beispiele gibt. Natürlich gibt es die. Diese positiven Beispiele werden aber immer seltener.

Wir sind mit unserem Zorn über die geschilderten Zustände nicht allein. Derzeit finden deutschlandweit sehr viele Protestaktionen statt. Oft sind es Gewerkschaften wie ver.di, IG Bau und IG Metall, oft aber auch gebeutelte Leiharbeitnehmer. Auch die IG Metall tourt derzeit mit einem AufklärungsTruck durch Deutschland. Die SPD unterstützt diese Aktionen ausdrücklich. Wir waren vor Ort und haben dort Solidarität bekundet.

(Beifall bei der SPD)

Herr Schminke, einen Schlusssatz!

Einen Schlusssatz, Frau Präsidentin: Das Motto der Kampagne lautet „Gleiche Arbeit - Gleiches Geld - Leiharbeit fair gestalten“; exakt diese Ziele wollen wir mit diesem Antrag erreichen - Komma -, stimmen Sie zu - Komma -,

(Heiterkeit)

wenn Sie die Courage haben - Komma -, den Profiteuren endlich das Handwerk zu legen.

Schönen Dank.

(Starker, lang anhaltender Beifall bei der SPD und bei der LINKEN)

Herzlichen Dank. - Auf den Beitrag des Kollegen Schminke hin hat sich Herr Kollege McAllister von der CDU-Fraktion zu einer Kurzintervention zu Wort gemeldet. Herr McAllister, Sie haben genau anderthalb Minuten.

Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Schminke, ich habe Ihren Ausführungen mit großem Interesse zugehört. Ich möchte Ihnen vorschlagen, sich mit einigen Themen an den Bundesarbeitsminister Olaf Scholz zu wenden, der bekanntlich Ihrer Partei angehört.

(Beifall bei der CDU)

Im Einzelnen wird gleich der Kollege Höttcher auf Ihren Redebeitrag eingehen. Ich möchte deshalb nur noch Folgendes kurz ansprechen: Herr Kollege Schminke, Sie haben gerade die vermeintlich unzumutbaren Arbeitsbedingungen für die Sicherheitsfirma Plural hier im Hause kritisiert. Ich bitte Sie, Ihre Vorwürfe konkret zu belegen und dem Landtagspräsidium vorzutragen. Ich wundere mich insbesondere darüber, dass sich unser Landtagsvizepräsident Herr Möhrmann bislang nicht zu diesem Thema geäußert hat, wenn diese Vorwürfe zutreffen sollten.

Ein weiterer Punkt: Wenn Sie hier schon über eine vernünftige Bezahlung auch für die Mitarbeiter von Sicherheitsfirmen sowie über vernünftige Rahmenbedingungen sprechen, darf ich Sie daran erinnern, dass Ihr SPD-Bundesverband im Jahr 2007 einen Bundesparteitag in Hamburg durchgeführt hat, auf dem Sie u. a. den Mindestlohn beschlossen haben. Gleichzeitig haben Sie sich aber von einer Sicherheitsfirma bewachen lassen, die Dum

pinglöhne in Höhe von 5,98 Euro pro Stunde gezahlt hat. Die Genossen ließen sich für Dumpinglöhne bewachen. Das ist die Wahrheit. So viel zu Anspruch und Wirklichkeit bei der SPD!

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Danke schön. - Für die SPD-Fraktion antwortet Herr Jüttner. Bitte schön!

Herzlichen Dank. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Erstens. Die Vorgänge hier im Hause werden im Präsidium zu bereden sein.

Zweitens. Das, was den Bundesparteitag der SPD anbelangt, wird nicht dadurch besser, dass Sie es hier mehrmals vortragen. Ihnen ist schon im letzten Jahr gesagt worden, dass die SPD reingelegt worden ist

(Oh! bei der CDU - Weitere Zurufe von der CDU)