Geschätzte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jedem in diesem Hohen Hause war angesichts der ersten PISA-Ergebnisse zur Qualität der deutschen Schulen zur Jahrtausendwende klar, dass es Veränderungen in der bundesdeutschen und niedersächsischen Bildungspolitik geben musste. Deswegen haben wir hier in diesem Landtag in den letzten Jahren viele Schlachten um die jeweils richtige Bildungspolitik geschlagen. Daran habe auch ich mich immer gerne beteiligt.
Jede Fraktion hat dabei immer ihre eigenen Lösungen gehabt, aber ich denke, zumindest in einem sollten wir uns einig sein: Eine Verbesserung der Qualität von Schule muss natürlich auch eine Veränderung der Lehrerbildung zum Gegenstand haben.
In Niedersachsen ist deshalb im Jahr 2002 der von der damaligen SPD-Landesregierung an einigen Standorten eingeleitete Reformprozess zur Umstellung der Lehrerinnen- und Lehrerbildung auf Bachelor- und Masterstrukturen mit inhaltlichen Veränderungen im Hinblick auf mehr Praxisbezug und auf die Stärkung der Didaktik ein erster Schritt gewesen. Doch die Fortführung dieser Reform ist danach unter der CDU/FDP-Regierung ab 2003 leider nicht in sinnvoller Art und Weise erfolgt. Sie wollten die Umstellung auf Bachelor- und Masterstrukturen in der Lehrerbildung gleich flächendeckend in ganz Niedersachsen umsetzen, doch das erfolgte leider mit heißer Nadel und viel zu schnell.
Von der CDU/FDP-Regierung wurden so viele Fehler gemacht, Herr Klare, das Studium wurde dermaßen verschult und mit Prüfungen überfrachtet, dass sich das in massiven Studierendenprotesten geäußert hat.
folgte Wiedereinführung des Lehramts für Realschulen zurückgeworfen worden. Wie unsinnig das gewesen ist, meine Damen und Herren, hat die Regierung später selbst bewiesen: Das neue alte Lehramt an Realschulen wurde durch die Einführung der Oberschule im letzten Jahr durch die CDU/FDP-Regierung ad absurdum geführt. Insbesondere der Verbund zur Lehrerbildung, der Zusammenschluss der Lehrer bildenden Universitäten Niedersachsens, hat sich sehr darum bemüht, die negativen Auswirkungen der CDU/FDP-Politik in Sachen Lehrerbildung abzubauen, und auch vonseiten der niedersächsischen Universitäten wurde eine Reihe von inhaltlichen Veränderungen in der Lehrerbildung entwickelt. Aber eine hinreichende politische Unterstützung dafür hat es unter CDU und FDP leider nicht gegeben.
Sie, Frau Ministerin, werden sicherlich gleich versuchen, uns das Gegenteil zu beweisen. Aber wir haben viele Gespräche mit allen Beteiligten geführt und haben immer wieder gehört: Trotz aller Bemühungen der Universitäten werden die zukünftigen Lehrkräfte unter der CDU/FDP-Landesregierung noch immer unzureichend auf den Schulalltag und die veränderte Schulwirklichkeit vorbereitet. Studierende klagen über mangelnden Praxisbezug, zu viele Prüfungen, Probleme beim Übergang vom Bachelor- zum Masterstudium sowie über einen Praxisschock im Referendariat.
Die SPD setzt dem ein neues Konzept entgegen. Dieses haben wir in dem vorliegenden Antrag niedergelegt. Wir wollen die niedersächsische Lehrerbildung in Zusammenarbeit mit allen Beteiligten modernisieren.
Was sind dabei unsere Ziele? - Lehrerinnen- und Lehrerbildung ist immer wieder ein Bereich, in dem inhaltliche Veränderungen notwendig sind. Dies gilt aktuell z. B. für die Anforderungen der inklusiven Schule. Sie erfordert entsprechende Qualifikationen aller Lehrkräfte, die ich als Inklusionskompetenz bezeichnen möchte. Diese muss in der Lehrerbildung genauso erworben werden wie Medienkompetenz - heute ganz aktuell notwendig -, natürlich Fachkompetenz, Diagnosekompetenz, didaktische Qualifikation, pädagogische Eignung. Alles das muss bei den Lehrkräften vorhanden sein.
Das Ziel einer so verstandenen Lehrerbildung ist eindeutig: Die Lehrerinnen und Lehrer müssen heute vor dem Hintergrund einer immer heterogener werdenden Schülerinnen- und Schülerschaft befähigt werden, mit neuen Konzepten, differenzierten Vermittlungsformen und herausragender Diagnosefähigkeit zu agieren.
Ich will Ihnen jetzt einige Aspekte unseres Konzeptes darstellen. Es ist eine qualitativ orientierte Professionalisierung der Lehrerbildung notwendig. Die Kompetenzen, die zur Lehrerarbeit heute und zukünftig erforderlich sind, sind systematisch in einer phasenübergreifenden Ausbildungsstruktur zu vermitteln. Das Curriculum dafür muss in enger Zusammenarbeit zwischen Kultus- und Wissenschaftsministerium mit den Studienseminaren, mit den Fachkräften aus den Schulen und den Hochschulen gemeinsam entwickelt werden. Genau das passiert bei Ihnen aber nicht. Da wursteln die Ministerien vor sich hin, ohne Absprachen mit den Betroffenen.
Praxismodule sind in dieses curriculare Gesamtkonzept einzubauen, um die Segmentierung und die damit verbundenen Brüche in der Lehrerbildung zu überwinden. Wir wollen die Studierenden frühzeitig in die Lage versetzen, zu erkennen, ob sie für das gewählte Berufsziel Lehrerin bzw. Lehrer wirklich geeignet sind. Eignungsprüfungen vor dem Studium jedoch lehnen wir ab, da es kein gesichertes Verfahren gibt, mit dem eine solche Eignungsfeststellung verlässlich möglich ist. Im Übrigen würde man sonst den jungen Menschen die Chance nehmen, sich während des Studiums zu bewähren und zu entwickeln.
Allerdings: Eine qualifizierte Beratung während des Studiums muss ständig stattfinden. Die Frage der Eignung als Lehrkraft muss spätestens beim Übergang vom Bachelor zum Master beantwortet werden.
Ein großes Problem, meine Damen und Herren, ist der in Niedersachsen nach wie vor vorhandene Schulformbezug der Lehrerbildung. Wir brauchen keine Lehrkräfte für irgendwelche Schulformen, sondern wir brauchen Lehrkräfte für unsere Kinder. Wir brauchen Lehrkräfte, die auf die besonderen Bedingungen von Schülerinnen und Schülern in bestimmten Entwicklungsphasen eingehen können. Und wir brauchen Lehrkräfte, die so flexibel ausgebildet sind, dass sie auch in verschiedenen Schulstufen unterrichten können. Daher gilt bei unserem Modell grundsätzlich: Für alle Lehrämter
gibt es ein sechssemestriges Bachelor- und ein viersemestriges Masterstudium. Und es wird die Lehrkraft mit dem inhaltlichen Schwerpunkt Förderpädagogik geben, ferner die Primarstufenlehrkraft unter Einbeziehung von schulrelevanten Aspekten der Elementarpädagogik, außerdem die Lehrkraft mit dem Schwerpunkt Sekundarstufe I sowie die Lehrkraft mit dem Schwerpunkt Sekundarstufe II sowohl für die gymnasiale Oberstufe auf der einen als auch für die berufliche Bildung auf der anderen Seite.
Sie haben uns mit der Einführung der Oberschule eigentlich schlagkräftige Argumente für den Stufenlehrer geliefert; denn die Oberschule als Schulform der Sekundarstufe I braucht doch Lehrkräfte, die speziell für die Altersstufe der Zehn- bis Sechzehnjährigen ausgebildet und in der Lage sind, mit der Heterogenität gerade in Oberschulen umzugehen. Sie müssen das als Chance begreifen können. Oder plädieren Sie jetzt möglicherweise für eine Lehrerausbildung mit dem Berufsziel Oberlehrer? - Dann hätten wir den wieder.
Wenn die Behauptung der CDU, Herr Klare, die Sie immer wieder einbringen, die Einführung des Stufenlehrers würde die Abschaffung der Gymnasien zur Folge haben, alles ist, was Sie zu dieser Lehrerbildungsreform sagen können, dann kann ich nur feststellen: Das ist peinlich. Das ist ein kläglicher Abschied von Ihrer Regierungsverantwortung für Bildungspolitik. Etwas anderes fällt Ihnen nicht mehr ein, wenn Ihnen die Sachargumente ausgehen.
Ich sage Ihnen eindeutig: Die Einführung einer schulstufenorientierten Lehrerinnen- und Lehrerbildung ist überhaupt keine Absage ans Gymnasium, sondern der gymnasiale Aspekt kommt in der Ausbildung der Lehrkräfte mit dem Schwerpunkt Sekundarstufe II klar zum Ausdruck. In den Bundesländern, die die Stufenlehrerausbildung bereits haben - z. B. Schleswig-Holstein, Hamburg, Bremen und Nordrhein-Westfalen -, hat das Gymnasium nach wie vor eine zentrale Bedeutung. Das wird auch unter einer SPD-geführten niedersächsischen Regierung so bleiben.
Ich sage Ihnen eindeutig: Die niedersächsische SPD wird die Gymnasien keineswegs abschaffen, sondern - im Gegenteil - stärken und weiterentwickeln. Auch an den Gymnasien soll endlich durch
gängig die individuelle Förderung aller Schülerinnen und Schüler stattfinden, und kein Kind soll in Niedersachsen mehr hören: Du hast hier nichts zu suchen.
Noch einige Worte zu weiteren Aspekten: Natürlich wollen wir die Praxisphasen während des Studiums hinreichend vorbereitet und nachbereitet wissen. Die Durchführung muss genau so laufen mit Hochschulmitarbeitern sowie mitwirkenden Lehrkräften aus den Partnerschulen der Universitäten. Wir schlagen dazu vor, dass die Universitäten mit denjenigen Partnerschulen Kooperationen schließen, aus denen die mitwirkenden Lehrkräfte stammen und in denen die Praktika stattfinden. Diese könnten dann vielleicht die Bezeichnung „Universitätsschule“ erhalten. Die sind dann mit den entsprechenden Ressourcen in personeller und sächlicher Hinsicht auszustatten.
Es muss auch hinreichend viele Masterplätze geben. Auch der Übergang zum Master muss garantiert werden. Spätestens an dieser Übergangsstelle hat eine verbindliche intensive Beratung der Studierenden im Hinblick auf ihre Eignung für das Lehramt zu erfolgen.
Das Masterstudium wird als integriertes Theorie- und Praxisstudium gestaltet, natürlich mit der bereits jetzt bei GHR 300 eingeführten halbjährigen Praxisphase. CDU und FDP sind aber auch hierbei nicht konsequent. Für die Lehrämter an Grund-, Haupt- und Realschulen wurde mit der Einführung des Praxissemesters das Referendariat um ein halbes Jahr auf ein Jahr verkürzt. Das Referendariat für die Lehrämter an berufsbildenden Schulen und Gymnasien sowie für Sonderpädagogik aber bleibt bei anderthalb Jahren. Das werden wir ändern. Das Referendariat für alle Lehrämter beträgt nach unseren Vorstellungen einheitlich 18 Monate. Es wird dort eine Trennung von Beratung und Beurteilung geben. Ferner werden wir die Studienseminare in personeller und inhaltlicher Hinsicht besser ausstatten.
Zusammenfassend als Letztes, Frau Präsidentin: Wir werden unser Konzept in der neuen Legislaturperiode in einem Lehrerausbildungsgesetz niederlegen. Wir werden in Niedersachsen endlich die notwendige Modernisierung in der Lehrerausbildung vorantreiben. Sie können sich sicher sein. Die Lehrerausbildung ist bei uns in guten Händen.
Herzlichen Dank, Herr Kollege Wulf. - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Frau Kollegin Dr. Heinen-Kljajić das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Alle Fachdebatten zeigen, dass nicht die Lehrerinnen und Lehrer an unseren Schulen gescheitert sind, sondern gescheitert sind die Strukturen, in denen sie ausgebildet werden und in denen sie arbeiten müssen. Viele internationale Vergleichsstudien belegen: Es gibt sie, die Schulen, in denen die Kinder in ihrer Entwicklung individuell unterstützt werden und in denen nicht vorgegeben wird, wer wie wann was wo zu lernen hat, wobei viele Schülerinnen und Schüler leider Gottes auf der Strecke bleiben.
Dazu bedarf es allerdings einer Neuausrichtung nicht nur des Schulsystems, sondern auch der Lehrerinnenbildung, weshalb auch wir Ihnen heute unser grünes Konzept zur Lehramtsausbildung vorstellen möchten. Ein zentraler Punkt dieser Neuausrichtung ist aus grüner Sicht der Wechsel von einer bisher schulformbezogenen Ausbildung hin zu einer schulstufenbezogenen Ausbildung. Spätestens seit Einführung der Oberschule ist der deutsche Sonderweg der schulformbezogenen Ausbildung auch in Niedersachsen ein Anachronismus geworden.
Diese Landesregierung bildet Studenten für Schularten aus, die es in naher Zukunft vermutlich gar nicht mehr geben wird. Das eigens neu geschaffene Lehramt für Realschulen - der Kollege Wulf hat es schon angesprochen - ist mit der Einführung der Oberschule längst überholt.
Bevor Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP und lieber Herr Klare, jetzt gleich wieder den Anschlag auf die Gymnasien wittern: Nennen Sie mir auch nur einen einzigen Grund, weshalb ich als Lehrer für das individuelle Lernen mit zehn- bis fünfzehnjährigen Jugendlichen an einer Hauptschule oder an einer Oberschule andere Kompetenzen brauche als an einem Gymnasium. Es gibt keinen Grund; es sei denn, man hält wie CDU und FDP an einem eliteverliebten Menschenbild fest, das Leistungsstärke nach dem Motto „Nur das Beste für die Besten“ nur von speziell ausgebildeten Lehrern unterrichten lassen will.
Das ist eindeutig nicht unser Ansatz, zumal er die Ursache für das Scheitern unseres Bildungssystems ist.
Wir wollen Lehrkräfte, die Lernen in heterogenen Gruppen ermöglichen und das Beste aus jedem einzelnen Kind herausholen. Wir wollen Lehrerinnen und Lehrer, die für inklusives Lernen in Zukunft auch wirklich gewappnet sind, weil sich alle Lehramtsstudenten bereits im Studium mit dem Thema Sonderpädagogik befasst haben.
Ein weiterer Kernpunkt unseres Konzeptes ist die Fokussierung auf die berufspraktische Eignung. Der Beruf des Lehrers ist mit hohen Belastungen verbunden. Ich glaube, das wird niemand hier bestreiten. Deshalb ist es umso wichtiger, dass junge Menschen frühzeitig überprüfen können, ob sie für diesen Beruf geeignet sind. Aus diesem Grund wollen wir einem Lehramtsstudenten erst einmal die Möglichkeit für ein Eingangspraktikum vor Beginn des Studiums geben.