Protocol of the Session on September 28, 2012

(Zustimmung bei der CDU)

Neben den stationären Angeboten stehen in den Landkreisen und kreisfreien Städten derzeit 44 ambulante Sozialpsychiatrische Dienste und zusätzlich zwei Kinder- und Jugendpsychiatrische Dienste zur Verfügung. Hier werden insbesondere Betroffene und deren Angehörige beraten, um eine angemessene Wiedereingliederung in die Gemeinschaft bewirken zu können. Diejenigen, die diese Institutionen nicht selbst aufsuchen können, werden direkt aufgesucht. So können gerade auch chronisch erkrankte Menschen Hilfe erhalten.

Darüber hinaus zählen auch Menschen mit psychischen Erkrankungen zur Zielgruppe von niedrigschwelligen Betreuungsangeboten nach § 45 a Abs. 1 SGB XI. Dazu wurden von den überörtlichen Trägern der Sozialhilfe Vereinbarungen mit den Leistungsanbietern getroffen. Bei folgenden Angeboten sind die Kapazitäten im Jahre 2011 als hinreichend ausgewiesen worden: stationäres Wohnen für chronisch mehrfach beeinträchtigte Abhängige, Tagesstätten für seelisch Behinderte, heiminterne Tagesstruktur für seelisch behinderte Menschen, heiminterne Tagesstruktur für chronisch mehrfach beeinträchtigte Abhängige, stationäres Wohnangebot für Menschen mit seelischen Behinderungen.

Auch für psychisch erkrankte Kinder und Jugendliche steht ein umfassendes System aus ambulanten und teilstationären Behandlungsofferten zur Verfügung. Neben einer Poliklinik an der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie der Uniklinik in Göttingen gibt es auch weitere Angebote. Es gibt 14 kinder- und jugendpsychiatrische Kliniken bzw. Abteilungen an Institutsambulanzen. Bei der Schaffung ausgelagerter Tageskliniken entstehen auch Institutsambulanzen an diesen Standorten.

In seinem 27. Tätigkeitsbericht für das Jahr 2011 führt der Ausschuss für Angelegenheiten der psy

chiatrischen Krankenversorgung in Niedersachsen aus - ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidiums -:

„Die überschaubare Zahl konkreter, selten gravierender Mängel steht dem positiven Gesamteindruck zur Versorgung in Niedersachsen nicht entgegen. Immer wieder können deutliche Verbesserungen festgestellt werden, an deren Zustandekommen die Besuchskommissionen Anteil haben.“

Die Wirksamkeit der Besuchskommissionen mit ihrer multiprofessionellen Fachkompetenz wollen wir mit unserem Antrag unterstützen und ihre Rechte bei einer Änderung des Niedersächsischen Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen für psychisch Kranke stärken.

Auch die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 23. März 2011 und in diesem Zusammenhang vom 12. Oktober 2011 zu gesetzlichen Grundlagen in den Bundesländern Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg zur Zwangsbehandlung weisen darauf hin, dass auch in unserem Land ein Anpassungsbedarf besteht.

(Zustimmung bei der CDU)

In der Ausschussberatung in der kommenden Woche wird auch der Entwurf eines Niedersächsischen Gesetzes zur Ausführung des Therapieunterbringungsgesetzes eingebracht werden.

Meine Damen und Herren, dass gesellschaftliche Umwälzungen zu Veränderungen in der Arbeitswelt führen, die von Menschen nicht in vollem Umfang verstanden und bewältigt werden können, zeigen die zunehmenden psychischen Erkrankungen. Ich nenne einmal das Stichwort „ausgebrannt sein“; den modernen Begriff will ich jetzt einmal nicht verwenden. Hier besteht Handlungsbedarf. Die Verdichtung der Taktabfolge in unserem Leben wird von zunehmend mehr Menschen nicht mehr bewältigt.

Wenn Hilfe in psychiatrischen und psychosomatischen Krankenhäusern und Fachabteilungen gesucht wird, müssen sich die Betroffenen jeweils gedulden. Vier bis zwölf Wochen kann es zum Teil dauern, bis ein stationärer Therapieplatz zur Verfügung steht.

Diese Wartezeit, meine Damen und Herren, kann sich jedoch bei akuten bzw. hoch akuten Fällen erheblich verkürzen. Die Aufnahmen können teilweise unmittelbar bzw. innerhalb weniger Tage vorgenommen werden. Das zieht natürlich Verzö

gerungen bei den nicht hoch akuten Fällen nach sich. Beim gestrigen Parlamentarischen Abend der AOK ist allerdings deutlich geworden, dass es diese Krankenkasse mittlerweile verstanden hat, durch individuelle Vereinbarungen eine Verkürzung der Wartefristen zu erreichen.

(Zustimmung bei der CDU)

Trotzdem, die volkswirtschaftliche Bedeutung von psychischen Erkrankungen nimmt zu. 2010 ist die Anzahl der Fehltage aufgrund solcher Erkrankungen um 13,5 % gestiegen. Psychische Erkrankungen machen mittlerweile ein Achtel des gesamten Krankenstandes aus. In den jüngsten Mitteilungen der Bundespsychotherapeutenkammer wird ausgewiesen, dass die Zahl der Krankschreibungen aufgrund von Burn-out zwar gestiegen ist, allerdings von einer niedrigen Basis ausgehend. Trotzdem spielen psychische Erkrankungen auch beim Thema Arbeitsunfähigkeit zunehmend eine große Rolle. Dessen muss man sich annehmen. Hier gilt es, Maßnahmen zur Früherkennung, Selbsthilfe und verstärkten Prävention zu ergreifen. Dies bedarf der Koordination, aber auch der Evaluation.

Meine Damen und Herren, uns geht es darum, bei dem niedersächsischen Weg der „Zukunftsregionen Gesundheit“ auch die psychiatrische Versorgung und die Vielfalt der entsprechenden Zukunftsbereiche mit einzubeziehen. Dieser Antrag stellt einen weiteren Baustein dazu dar.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt Frau Reichwaldt für die Fraktion DIE LINKE das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich versuche jetzt mal, über den vorliegenden Antrag zu reden.

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich stimme den Antragstellern zu, dass sich das Niedersächsische Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen für psychisch Kranke aus dem Jahr 1997 grundsätzlich bewährt hat. Das Gesetz hat die psychiatrische Versorgung strukturiert und organisiert.

Einige Aspekte des Gesetzes müssen allerdings dringend überarbeitet werden, um die Rechte der

Patienten besser zu schützen, aber auch den Behandelnden mehr Rechtssicherheit zu geben.

(Zustimmung bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, ich gehöre nicht zu denjenigen, die die Unterbringung oder Behandlung eines psychisch kranken Menschen gegen den eigenen Willen grundsätzlich ablehnen. Zwang jeder Art darf aber wirklich nur das allerletzte Mittel sein. Jeder Mensch sollte das Recht haben, eine Behandlung abzulehnen. Aber Menschen können psychisch auch so schwer erkrankt sein, dass sie den eigenen Krankheitsgrad nicht mehr erkennen können - und sie leiden sehr unter dieser Situation. Haben sie nicht auch ein Recht auf Behandlung und Heilung?

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom März 2011 setzt Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug, aber damit auch Zwangsbehandlung allgemein in der Psychiatrie und unter Betreuung recht enge Grenzen. Das ist auch gut so. Denn dadurch entsteht Druck, auch unter unzulänglichen Rahmenbedingungen, wie z. B. Personalmangel - natürlich ist das ein Problem auch in der niedersächsischen Psychiatrie -, ernsthaft über Alternativen zu einer Behandlung gegen den Willen des Betroffenen nachzudenken. Denn in der Regel gibt es Alternativen.

Da klare gesetzliche Vorgaben und Handlungsanweisungen fehlen, stehen die behandelnden Ärzte und das Pflegepersonal im Moment vor dem Dilemma, dass sie nicht wissen, ob sie überhaupt behandeln können oder nicht. Es kann die absurde Situation entstehen, dass die geltenden gesetzlichen Vorgaben für Notfallsituationen es eher zulassen, einen sehr kranken Menschen ohne Medikation gegen seinen Willen zu fixieren, als ihn medikamentös zu behandeln. Das ist nicht nur absurd, sondern auch unmenschlich.

(Beifall bei der LINKEN und Zustim- mung bei den GRÜNEN)

Wir brauchen also klare Regelungen im Niedersächsischen PsychKG. Meine Damen und Herren, hier enttäuscht mich Ihr Entschließungsantrag sehr. Sie stellen die Frage, ob eine Anpassung des Gesetzes „notwendig erscheint“. Sie bitten die Landesregierung, zu prüfen, „inwieweit das NPsychKG weiterentwickelt werden kann“. Meine Damen und Herren, was soll das? Das muss nicht mehr geprüft werden!

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Der Handlungsbedarf ist da. Das haben Ihnen alle Experten, auch der Ausschuss für Angelegenheiten der psychiatrischen Krankenversorgung in Niedersachsen, bestätigt. Leider wird diese Novellierung des Gesetzes in dieser Legislaturperiode nicht mehr möglich sein.

Bei einer Novellierung sollten auch die Rechte des Psychiatrieausschusses gestärkt werden. Die Versuche, über den Rechtsweg die Besuchskommissionen des Ausschusses aus privaten Pflegeeinrichtungen herauszuhalten, sind bekannt.

Eine umfassende Novellierung sollte natürlich auch Regelungen zur Prävention psychischer Erkrankungen umfassen.

Ihren Forderungen unter den drei Spiegelstrichen kann ich also durchaus folgen. Es steht aber außer Frage, dass sie berechtigt sind. Vielleicht besteht in den Ausschussberatungen ja die Möglichkeit, sich auf eindeutige Formulierungen zu einigen.

Die taz berichtete am 20. September 2012, dass in Ostdeutschland das Risiko, zwangseingewiesen zu werden, rund zweieinhalbmal niedriger ist als in Westdeutschland. Warum, ist unklar. Für mich ist das eine Aufforderung, auch bei der Beratung dieses Antrags genauer zu betrachten, unter welchen Bedingungen zu diesem letzten Mittel gegriffen wird.

Meine Damen und Herren, ich wünsche mir eine psychiatrische Versorgung, die völlig offen und im Einklang mit dem Willen der Patienten arbeitet. Ich weiß, dass, um diesen Zustand zu erreichen, viel mehr und hoch qualifizierte Betreuung und Behandlung auf allen Ebenen, stationär und ambulant, notwendig ist. Leider fährt der Zug zurzeit in eine andere Richtung. Das wird auch eine Novellierung des Gesetzes nicht ändern. Wir sind trotzdem auf die Beratungen im Ausschuss gespannt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, das Wort hat nun die Kollegin Staudte von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Reichwaldt, ich bin Ihnen wirklich dankbar, dass Sie in Ihrer Rede zum Antrag gesprochen haben.

Das, was Sie hier zur Einbringung vorgetragen haben, Frau Schwarz, war eine beschönigende Fleißarbeit aus dem Ministerium - eine Auflistung, die überhaupt nichts mit der Realität zu tun hat.

(Zustimmung bei den GRÜNEN - Wi- derspruch von Heidemarie Mundlos [CDU])

- Doch.

Zur Wertschätzung würde gehören, dass Sie, wenn Sie hier schon die Arbeit des Psychiatrieausschusses unterstützen wollen, den Bericht des Psychiatrieausschusses auch einmal zur Kenntnis nehmen. Er hat ganz deutlich gemacht, dass wir eine eklatante Unterversorgung in vielen Bereichen der Psychiatrie haben, insbesondere im ambulanten Bereich. Sie haben hier nur aufgezählt, was es alles mehr gibt, und nicht die Verbindung dazu hergestellt, dass die Morbidität sehr viel stärker gewachsen ist.

Jetzt komme ich zu dem Antrag. Für uns Grüne ist klar: Dieser Antrag hat nur einen Zweck. Er soll darüber hinwegtäuschen, dass das Sozialministerium in der Frage von Zwangsbehandlungen nicht zu Potte kommt.

Wie gerade schon dargestellt worden ist, hat das Bundesverfassungsgericht im März 2011 das Urteil gesprochen, das jetzt Grundlage dafür ist, dass hier Handlungsbedarf besteht. In diesem Urteil ist festgelegt worden, dass die medikamentöse Zwangsbehandlung in der Psychiatrie nur auf einer sehr ausdifferenzierten rechtlichen Grundlage stattfinden darf. Es muss klar geregelt sein, wann man medikamentös zwangsbehandeln darf und wann nicht. In der Fachszene ist unter allen in diesem Bereich Tätigen vollkommen unbestritten, dass hier Handlungsbedarf besteht.

Dass Sie jetzt einen Antrag einbringen, der nur ein Prüfauftrag ist - im Ministerium soll geprüft werden, ob überhaupt gehandelt werden muss -, ist überhaupt nicht nachvollziehbar. Letztendlich hat das Ministerium im Sozialausschuss bzw. im Psychiatrieausschuss schon längst dargestellt, dass sie zwar an diesem Thema arbeiten, dass sie aber leider nicht zu einem Ergebnis kommen. Das könnten Sie, wenn Sie hier politisch agieren wollten, einmal anprangern. Sie könnten hier einmal einen Antrag vorlegen, in dem gefordert wird: Bis dann und dann muss ein Ergebnis vorliegen. - Es ist aber ganz deutlich, dass Sie hier auf die Diskontinuität spekulieren und dass es eine reine Luft

nummer ist, dass Sie überhaupt diesen Antrag eingebracht haben.

(Glocke des Präsidenten)