Protocol of the Session on June 20, 2012

(Jens Nacke [CDU]: Sie haben doch überhaupt keine Ahnung von der Pra- xis!)

Heribert Prantl hat in der Süddeutschen Zeitung das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Sicherungsverwahrung mit dem Satz kommentiert: „Die Richter rückten die Waage der Gerechtigkeit gerade.“ Meine Damen und Herren, wir werden im Zuge der anstehenden Beratung dafür Sorge tragen, dass es Ihnen nicht gelingt, wieder ein Ungleichgewicht zu verankern.

Herzlichen Dank.

(Starker Beifall bei der SPD und Zu- stimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, für die FDP-Fraktion spricht nun Herr Professor Dr. Zielke.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sicherungsverwahrung ist keine Strafe, mit der ein Verbrechen gesühnt wird,

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Genau!)

sondern sie ist Entziehung der Freiheit der Betroffenen, um die Gesellschaft vor ihnen zu schützen, solange sie nach der Strafhaft noch als gefährlich gelten. Gerhard Schröders Devise „Wegsperren, und zwar für immer!“ mag populär wirken, aber sie ist populistisch und eines modernen Rechtsstaates unwürdig.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Elisabeth Heister-Neumann [CDU]: Ge- nau! Das war der Altbundeskanzler!)

Der vorgegebene Zeitrahmen für die Neuregelung der Sicherungsverwahrung lässt es nicht zu, dass wir mit der Einbringung des Landesgesetzes warten, bis das korrespondierende Bundesgesetz definitiv verabschiedet ist. Trotzdem glaube ich,

wesentliche Konflikte mit der Bundesregelung sind nicht zu befürchten. Im Interesse der Bevölkerung wollen und müssen wir sichergehen, dass nicht, wie in der Vergangenheit, Sicherungsverwahrte wegen Fehlern bei der Interpretation ihrer Grundrechte auf freien Fuß kommen, wenn sie noch als gefährlich einzustufen sind.

Der therapeutische Schwerpunkt in unserem Gesetz wird den zwingenden Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts gerecht. Das Recht des Vollzugs der Sicherungsverwahrung in Niedersachsen wird keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen. Es ist richtig: Dieses Gesetz verursacht dem Land erhebliche Kosten. Aber wir haben hier keine Wahl.

Noch einige Bemerkungen zu dem Gesetz zur Sicherungsverwahrung, das derzeit im Bundestag beraten wird:

Erstens. Der Katalog der Anlassstraftaten, aufgrund derer Sicherungsverwahrung verhängt werden darf, umfasst nicht nur schwere Vergehen gegen Leib und Leben von Menschen, sondern nach wie vor auch Tatbestände wie schweren Landfriedensbruch. Das finde ich bedenklich. Da sollte auf Bundesebene nachgebessert werden.

Zweitens. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung wurde mit dem Gesetz vom Januar 2011 abgeschafft. Sie war und ist jedoch umstritten und wird bei der Expertenanhörung des Bundestages ein wesentliches Thema sein. Ich bin zuversichtlich, dass auch hier der Bundesgesetzgeber eine kluge Lösung finden wird.

Ganz bedenklich finde ich die Haltung der Partei DIE LINKE. Sie ist - das sollten alle Bürgerinnen und Bürger im Lande wissen - rundheraus gegen die Sicherungsverwahrung.

Unsere Aufgabe in Niedersachsen besteht darin, bis Mai 2013 die Voraussetzungen für einen verfassungsgemäßen Vollzug der Sicherungsverwahrung zu schaffen. Ich meine, dass dies mit diesem Gesetz gut gelungen ist.

Vielen Dank.

(Lebhafter Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Meine Damen und Herren, es besteht der Wunsch auf eine Kurzintervention. Herr Kollege Adler, Sie haben 90 Sekunden.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Fraktion DIE LINKE ist dafür, dass die Regeln, die das Bundesverfassungsgericht gesetzt hat - eine freiheitsorientierte Ausgestaltung der Sicherungsverwahrung -, umgesetzt werden, und zwar sowohl im Gesetz als auch in der Praxis. Wir werden genau darauf achten, dass das auch wirklich geschieht.

Was Sie eben über die Position der Linken gesagt haben, ist nicht zutreffend.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Kollege Zielke möchte antworten. Sie haben das Wort, ebenfalls für 90 Sekunden.

Ausweislich des Protokolls der 184. Sitzung des Deutschen Bundestages vor sechs Tagen hat die justizpolitische Sprecherin der Linken, Halina Wawzyniak, wörtlich erklärt:

„Deswegen wiederhole ich: Die Linke lehnt das Institut der Sicherungsverwahrung ab.“

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Christian Grascha [FDP]: Das war ein Tiefschlag!)

Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt Frau Konrath von der CDU-Fraktion das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die zukünftige Regelung der Sicherungsverwahrung in Niedersachsen stellt für den Gesetzgeber eine Herausforderung dar. Höchste Priorität besitzt der Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor Gewaltstraftätern, die ihre Haftstrafe zwar verbüßt haben, von denen aber weiterhin eine erhebliche Gefahr für die Bevölkerung ausgeht. Gleichzeitig fordert das Bundesverfassungsgericht andere Unterbringungsstandards für Sicherungsverwahrte, die sich vom Vollzug der Strafhaft deutlich unterscheiden.

Diese Kernforderungen werden mit dem eingebrachten Gesetzentwurf erfüllt, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts konsequent umgesetzt. Seit April 2012 wird in Göttingen auf dem Gelände der JVA in Rosdorf ein neues Unterkunftsgebäude mit 45 Plätzen gebaut, bezugsfertig im Mai nächs

ten Jahres. Kosten: 12,5 Millionen Euro. Geplant sind drei behindertengerechte Unterbringungsmöglichkeiten, sechs Wohngruppen mit jeweils sieben ca. 23 m² großen Appartements zuzüglich Bad mit Dusche, Küche in jeder Wohngruppe, Freizeitbereich mit zentralen Gruppenräumen, Fitnessraum, eigener Außenbereich. Die Sicherungsverwahrten können sich im Gebäude und im Außenbereich außerhalb der Nachtruhe frei bewegen, ihre Appartements mit eigenen Möbeln ausstatten, sich auf Wunsch selbst verpflegen, wöchentlich einkaufen, mehr Besuch empfangen als bisher und - deutlich abgegrenzt zum Strafvollzug - Briefe und Pakete senden und erhalten sowie telefonieren. Die Versorgung mit Kommunikationstechnologien wird sicherlich noch ein Thema im Unterausschuss sein.

Für die Behandlung und Betreuung soll ein multidisziplinäres Team qualifizierter Fachkräfte bereitgestellt werden, für das 2013 mit dem Haushaltsgesetz 30 Planstellen geschaffen werden.

Die Sicherungsverwahrung ist ein schwieriger, kostenintensiver und sensibler Bereich innerhalb des Justizvollzuges. Für die Unterbringung eines Sicherungsverwahrten wird das Land zukünftig pro Jahr 150 000 Euro aufzubringen haben. Viele Menschen mit geringem Einkommen dürften es schwer haben, diesen Lebensstandard zu erreichen. Auf der anderen Seite bedeutet der Entzug der Freiheit den am schwersten wiegenden Eingriff in die Rechte eines Menschen.

Die Abwägung zwischen dem Sicherheitsbedürfnis der Allgemeinheit und dem Opferschutz auf der einen und der Freiheitsrechte verurteilter Straftäter auf der anderen Seite ist ein schwieriger Spagat. Hier muss in jedem Fall individuell genau geprüft werden.

Darüber sollten wir uns auch immer im Klaren sein: Jeder Fall ist anders und vor allen Dingen auch nicht immer unbedingt voraussehbar. Vor kurzem wurde in der Presse über den Fall eines vor vier Jahren durch Urteil des Landgerichts Göttingen aus dem Maßregelvollzug Freigesetzten berichtet, der in Graz ein 15-jähriges Mädchen missbraucht hat und jetzt natürlich wieder festgesetzt werden musste. Das heißt, wir haben nicht die Möglichkeit, in jedem Fall genau vorauszusehen, wie sicher oder unsicher das ist. Das muss man den Menschen, die mit diesem Personenkreis zu tun haben, auch zugestehen.

Im Mittelpunkt dieses Gesetzentwurfs stehen intensive Behandlung und umfassende Therapie. Ich

verweise darauf, dass wir in Niedersachsen als eines der ersten Bundesländer seit 2007 mit KURS - „Konzept zum Umgang mit rückfallgefährdeten Sexualstraftätern“ - eine Konzeption haben, um Rückfälle von Sexualstraftätern zu verhindern und ihre Reintegration zu verbessern. Das umfassende Kommunikationsmanagement von KURS hat im Sommer 2010, als es zu einem kurzzeitigen Aufenthalt eines entlassen Sicherungsverwahrten in Bad Pyrmont kam, sofort gegriffen. Trotz der kurzfristigen Betreuungsübernahme waren Polizei und Ambulanter Justizsozialdienst ständig vor Ort, um den Fall mit der betroffenen Kommune praktisch ohne Vorbereitung handhaben zu können.

Die Bevölkerung reagiert mit Unruhe und Angst auf entlassene Sicherungsverwahrte in ihrer Nachbarschaft. Diese haben es dann schwer, eine Wohnung zu finden. Um Rückfälle zu verhindern, ist eine intensive Bewachung und Begleitung rund um die Uhr erforderlich, was erhebliche Kosten verursacht.

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wurde eine vertretbare Lösung entwickelt, um die Gerichtsurteile auf Bundes- und Europa-Ebene umzusetzen, den bestmöglichen Opferschutz zu gewährleisten und gleichzeitig die Interessen der Sicherungsverwahrten nach mehr Freiraum zu berücksichtigen.

Ich gebe Ihnen Recht, Herr Adler: Natürlich muss das Abstandsgebot mit einer Freiheitsorientierung in der Praxis umgesetzt werden. Wir werden sicherlich sehr interessante Diskussionen darüber führen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, für die Landesregierung hat sich nunmehr Justizminister Busemann zu Wort gemeldet. Die Landesregierung hat noch eine Redezeit von 3:30 Minuten.

Das ist locker einzuhalten.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir ehrlich sind, haben wir es hier möglicherweise mit dem auch rechtlich schwierigsten Komplex dieser Legislaturperiode zu tun, bei dem wir alles daransetzen müssen, dass das am Ende verfassungskonform und rechtsstaatlich geregelt ist.

Ich darf mich - wobei ich die eine oder andere Spitze jetzt einmal überhöre - zunächst grundsätzlich dafür bedanken, dass dieses Thema im letzten Jahr hier sehr verantwortlich und fachkundig beraten worden ist und in den nächsten Monaten sicherlich auch genauso verantwortlich und fachkundig beraten werden wird.

Herr Tonne, das ist kein Feld für parteipolitische Angriffe. Ich darf nur darauf hinweisen, dass die Zuständigkeit für den Vollzug erst im Rahmen der Föderalismusreform 2005 den Ländern zugewiesen wurde. So gesehen hätte man, selbst wenn man es gewollt hätte, gar nicht früher gekonnt.

Außerdem möchte ich Sie einmal bitten, mir ein deutsches Bundesland - und insbesondere ein sozialdemokratisch geführtes Bundesland - zu benennen, das das Abstandsgebot in seinen einschlägigen Gesetzen so umgesetzt hatte, wie Karlsruhe es gewollt hat. Ich würde mit Ihnen fast um ein Fass Bier wetten, dass Ihnen das nicht gelingt.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Nennen Sie mir ein Land! Nehmen wir NordrheinWestfalen, Hamburg, Berlin oder Rheinland-Pfalz mit Kurt Beck: Da haben wir alle miteinander gesündigt und die Anforderungen von Karlsruhe nicht gesehen, jedenfalls nicht erfüllt.

Meine Damen und Herren, zur Historie der Sicherungsverwahrung ist das eine oder andere schon gesagt worden. Es geht um Personen, die nach verbüßter Strafhaft als hochgradig rückfallgefährdet eingestuft werden und von denen man sagt, dass sie in irgendeiner Form von Gewahrsam bleiben müssen; ich formuliere das einmal so allgemein.