Protocol of the Session on May 8, 2012

Herzlichen Dank, Frau Kollegin Twesten. - Für die CDU-Fraktion hat nun Frau Kollegin Ross-Luttmann das Wort. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem Gesetzentwurf streben Sie, meine Damen und Herren von der Fraktion DIE LINKE, eine Verfassungsänderung an, nämlich die Erwei

terung des Artikels 3 Abs. 3 der Niedersächsischen Verfassung um das Merkmal der sexuellen Identität. Sie verfolgen damit das Ziel, Diskriminierungen wegen der sexuellen Identität von Lesben, Schwulen, Transgendern und Bisexuellen in der Gesellschaft zu bekämpfen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bin mit Ihnen durchaus der Meinung, dass Betroffene in der Vergangenheit schweres Leid erfahren haben und dass es heute leider immer noch Anfeindungen gegenüber Menschen gibt, deren Verhaltensweisen als Anderssein empfunden werden. Ich lege großen Wert auf die Feststellung, dass dies absolut nicht toleriert werden kann.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Die CDU-Fraktion tritt entschieden und unmissverständlich gegen jede Form von Diskriminierung und Benachteiligung ein. Herr Haase, selbstverständlich verdienen Homosexuelle, Lesben und Schwule, wie auch jeder andere Mensch Respekt und Wertschätzung. Ich glaube aber - da gehen unsere Meinungen auseinander -, dass dies keine Frage verfassungsrechtlicher Gesetzgebung, sondern vielmehr eine Frage der tatsächlichen Akzeptanz in der Gesellschaft ist.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, unser Rechtssystem sichert jedem einzelnen Menschen einen autonomen Bereich privater Lebensgestaltung zu, in dem er seine Individualität entwickeln und wahren kann. Dazu gehört selbstverständlich auch die sexuelle Ausrichtung eines jeden Einzelnen. Das beinhaltet das Recht, sein Leben entsprechend seiner eigenen, von ihm selbst empfundenen sexuellen Identität zu führen. Dies folgt sowohl aus dem aus Artikel 2 Abs. 1 in Verbindung mit Artikel 1 Abs. 1 unseres Grundgesetzes abgeleiteten allgemeinen Persönlichkeitsrecht als auch aus dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Artikels 3 des Grundgesetzes, welcher ebenfalls Bestandteil unserer Niedersächsischen Verfassung ist. Damit bietet die Niedersächsische Verfassung bereits einen wirksamen und umfassenden rechtlichen Schutz gegen Benachteiligung und Ungleichbehandlung.

Ebenso wird das Merkmal der sexuellen Identität in weiteren europarechtlichen Regelungen geschützt, und zwar in Artikel 8 der Menschenrechtskonvention, in Artikel 21 der Grundrechtecharta - Herr Haase, Sie haben es erwähnt - sowie im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz. So hat § 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes zum Ziel, Benachteiligungen wegen der Rasse, der ethni

schen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, aber auch der sexuellen Identität zu verhindern und zu beseitigen. Damit gibt es, meine Damen und Herren, bereits umfangreiche Schutzrechte auf allen Ebenen.

Trotz dieser Vielzahl gesetzlicher Regelungen existieren in der Gesellschaft nach wie vor Vorurteile. Wir alle kennen zumindest aus den Medien den jüngsten Vorgang um die geplante Einstellung eines homosexuellen Grundschulleiters im Kreis Vechta. Alle vor Ort Verantwortlichen, Schulvorstand wie auch Gemeinde, haben der Einstellung zugestimmt. Der nachfolgende Protest einiger weniger Bürger hat den Bewerber veranlasst, seine Bewerbung zurückzuziehen, obwohl ihn die örtlichen Verantwortlichen gebeten hatten, das Amt zu übernehmen.

Das hat mir deutlich gemacht: Erstens. Der gesetzlich geregelte Diskriminierungsschutz des AGG hat funktioniert. Einstimmige Beschlüsse zur Einstellung des Bewerbers wurden gefasst. Zweitens. In der Gesellschaft gibt es immer noch - das ist das eigentlich Traurige - Akzeptanzprobleme. Diesen gilt es wirksam entgegenzutreten.

Insofern glaube ich auch nach den Diskussionen im zuständigen Fachausschuss nicht, dass allein die vorgeschlagene Verfassungsänderung zu mehr Akzeptanz in der Gesellschaft beiträgt.

(Hans-Henning Adler [LINKE]: Nicht allein, aber auch!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Herr Adler, nicht die Verfassung bedarf einer Änderung, sondern vielmehr muss sich das Denken der Menschen ändern, die aus welchen Gründen auch immer andere Menschen diskriminieren oder in ihrer Würde herabsetzen. Hiergegen müssen wir entschieden eintreten und eine Diskussion führen, die nicht das vermeintliche Anderssein hervorhebt, sondern die Vielfalt unseres Lebens als Chance für unsere Gesellschaft betont.

Wir alle sind gehalten, dieses Selbstverständnis auch im Alltag zu leben. Ich bin überzeugt davon, dass gesamtgesellschaftlich durch verstärkte Öffentlichkeitsarbeit, Aufklärung und breite Wissensvermittlung beispielsweise in unseren Schulen mehr erreicht werden kann und auch muss, damit Achtung, Respekt und Toleranz unsere Gesellschaft in allen Lebensbereichen prägen. Hierauf ist unsere Gesellschaft angewiesen.

Damit leisten wir nachhaltiger und wirksamer einen wertvollen und unschätzbaren Beitrag. So errei

chen wir mehr für ein solidarisches Miteinander in Niedersachsen, als eine Verfassungsänderung allein es vermag, vor allem wenn sie, wie hier, gesellschaftspolitisch einen gewissen symbolischen Wert entfaltet.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, unsere Verfassung ist - darauf ist Herr Adler eingegangen - die rechtliche Grundordnung für unser Land Niedersachsen, die sich zu Recht auf das Wesentliche konzentriert. Hierauf sollte auch unsere Verfassung beschränkt bleiben. Sie sollte nur behutsam geändert werden. Sie sollte vor Wiederholungen geschützt werden wie der Aufnahme des bereits geschützten Rechts der sexuellen Identität. Gesellschaftspolitische Wünsche, auch wenn sie noch so wünschenswert erscheinen, sollten eben nicht in sie aufgenommen werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, einer Verfassungsänderung bedarf es daher nicht, aber Wertschätzung für jeden einzelnen Menschen in seiner Einzigartigkeit. Deshalb sage ich für die Fraktion der CDU, dass wir den Gesetzentwurf aus den vorgenannten Gründen ablehnen.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Danke schön. - Auf den Beitrag von Frau Kollegin Ross-Luttmann haben sich zwei Kollegen zu Kurzinterventionen zu Wort gemeldet. Herr Adler, zunächst haben Sie für die Fraktion DIE LINKE für anderthalb Minuten das Wort. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Ross-Luttmann, Sie haben eben zu Recht gesagt, dass sich die Verfassung auf das Wesentliche beschränken sollte. Bei dem, was wir vorgeschlagen haben, handelt es sich ja nicht um ein langes Kapitel, das wir in die Verfassung einfügen wollen, sondern es sind nur ganz wenige Worte. Die Frage ist: Ist das, was wir hier einführen wollen, wesentlich oder nicht? Das ist eine Frage der politischen Bewertung. Wenn man es für wesentlich hält, dann ist man dafür. Dann kann man auch das, was Sie mit dem Begriff „Wertschätzung“ zum Ausdruck gebracht haben, durch diese Verfassungsänderung untermauern.

Das, was, wie Sie sagten, für die Bewusstseinsänderung zusätzlich notwenig ist, ist ja alles richtig. Aber das schließt nicht aus, es an dieser Stelle

durch eine Verfassungsänderung zu bekräftigen. Nicht mehr und nicht weniger haben wir beantragt.

(Beifall bei der LINKEN)

Danke schön. - Für die SPD-Fraktion hat Herr Kollege Haase für anderthalb Minuten das Wort.

Frau Präsidentin! Frau Ross-Luttmann, Sie wissen, dass ich Sie schätze.

(Zustimmung von Elisabeth Heister- Neumann [CDU])

Aber mir ist nicht ersichtlich geworden, wieso Sie in Ihren letzten Sätzen, in Ihrer Subsumtion, zu dem Ergebnis kommen, es bedürfe keiner Ergänzung der Verfassung.

Herr Adler hat richtigerweise darauf hingewiesen: Es geht um drei Worte, es geht um die Aufnahme eines Merkmals. Sie sagen, dass Sie den Inhalt dieses Merkmals durchaus positiv bewerten und auch leben wollen. Mittlerweile haben wir hier doch auch einen gesellschaftlichen Konsens erreicht.

Verfassung darf nichts Statisches sein. Wir erleben eine Fortbildung des europäischen Rechts, des Bundesrechts und des Landesrechts. Bei der Verfassung handelt es sich nicht um etwas, was man ins Museum stellt, sondern um etwas, was man leben muss.

Insoweit noch einmal mein Appell! Denken Sie an die Kolleginnen und Kollegen aus dem Saarland, aus Bremen und Thüringen auch aus Ihrer Partei, die zu einer anderen Bewertung gekommen sind. Ich glaube, das wäre für viele Menschen in Niedersachsen ein wirklicher Gewinn. Es würde deutlich machen, dass wir als Landtag, als Gesetzgeber einen ganz deutlichen Akzent und ein richtig starkes Symbol setzen könnten.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Frau Kollegin Ross-Luttmann möchte antworten. Sie haben das Wort für anderthalb Minuten.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Haase, Sie haben es mit Ihrem letzen Wort gesagt: ein Symbol setzen. Ich möchte darüber hinausgehen. Mir geht es nicht darum, nur ein

Symbol zu setzen, sondern darum, dass wir eine gesellschaftliche Akzeptanz erreichen und dass es uns gelingt, möglichst schon bei den ganz kleinen Kindern zu erreichen, dass jeder Mensch in seiner Einzigartigkeit und in seiner Vielfalt als ein Gewinn für unsere Gesellschaft angesehen wird.

(Beifall bei der CDU)

Das erreichen wir nicht mit Symbolen, sondern nur durch tatsächliches Tun und Handeln. Und darum geht es mir.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herzlichen Dank. - Für die FDP-Fraktion hat Herr Professor Dr. Zielke das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Linke fordert uns auf, die Niedersächsische Verfassung zu ändern. Was würde diese Verfassungsänderung aber tatsächlich bewirken? - Rein rechtlich ist die Regelung überflüssig; denn das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz verbietet bereits jede Diskriminierung wegen der sexuellen Identität. Das ist ein Bundesgesetz und gilt also auch in Niedersachsen. Mit anderen Worten: Diese Verfassungsänderung würde unsere Verfassung ändern - und sonst nichts. Sie schüfe kein neues Recht, und sie würde auch kein neues Recht implizieren.

Möglicherweise gibt es durchaus unterschiedliche Sichtweisen, wozu eine Landesverfassung dienen soll. Die Linken schlagen hier etwas vor, das - ich zitiere - „Ausstrahlungswirkung entfalten“ und ein „deutliches Bekenntnis“ darstellen soll.

Herr Professor Dr. Zielke, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Haase?

Nein.

(Hans-Henning Adler [LINKE]: Wie bei den Kinderrechten!)

- Genau.

Was wir hier beschließen sollen, ist also lupenreine Symbolpolitik. Natürlich ist auch Symbolpolitik eine legitime Art von Politik. Die Bewusstseinsänderung der Gesellschaft, die Sensibilisierung der Öffentlichkeit für eine gute Sache - auch das kann Auf

gabe von Politik sein. Aber wir sollten nicht jede moralisch hochstehende Initiative zum Anlass für Verfassungsänderungen nehmen. Ich möchte mir erlauben, an dieser Stelle den Kollegen Krogmann von der SPD zu zitieren. Er sagte einmal:

„Eine Verfassung ist keine Wanderbaustelle. Man sollte nicht ohne Not daran herumbasteln.“

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Wird unsere Verfassung besser, wenn sie statt umfassender klarer Oberbegriffe wie den Menschenrechten immer mehr Einzeltatbestände auflistet? - Ich befürchte, wir begäben uns da auf eine schiefe Ebene.