Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, Ihnen aufseiten von CDU und FDP fehlt einfach der Mut, Inklusion bis zum Ende zu denken.
„Die öffentlichen Schulen ermöglichen allen Schülerinnen und Schülern einen barrierefreien und gleichberechtigten Zugang und sind damit inklusive Schulen.“
Sie nennen diesen Paragrafen „Inklusive Schule“. Das ist in der Tat äußerst bemerkenswert und bundesweit womöglich einmalig. Unsere Fraktion würde, sofern sie die Möglichkeit hätte, diesem einzelnen Paragrafen ausdrücklich zustimmen.
Nur so lässt sich das Recht auf inklusive Bildung in einem Gesetz formulieren. Es geht nicht darum, Kinder mit besonderen Förderbedarfen in ein bestehendes allgemeines Schulsystem zu integrieren, sondern darum, das allgemeine Schulsystem so zu verändern, dass alle Kinder ohne Einschränkung teilnehmen können.
So weit, so gut bzw. so schlecht; denn danach bleibt Ihr Gesetzentwurf leider völlig inkonsequent und verschlimmert an einigen Stellen die bisherige Situation, anstatt sie zu verbessern. Damit werden Sie Ihrem selbst formulierten Anspruch nicht gerecht.
Fangen wir mit dem Elternwillen an! Meine Kritik an den neuen §§ 59 und 61 kann ich zum Teil zurücknehmen. Die Ausschussanhörung und die Beratung im Ausschuss, die ich trotz der bestehenden Kritik als sehr konstruktiv empfunden habe, haben gewirkt: § 61, die Verweisung an eine Förderschule als Ordnungsmaßnahme, ist völlig
verschwunden. § 59, die Verweisung an eine andere Schulform gegen den Elternwillen, ist abgemildert worden. Trotzdem bleibt hier eine unnötige Aushöhlung des Rechtsanspruchs auf inklusive Bildung und des freien Elternwillens, den Sie vorher formuliert haben.
In § 69 versuchen Sie neu, absolute Ausnahmefälle für Kinder, die andere gefährden, zu regeln. Warum? - Diese Kinder lassen sich dann auch nicht in einer Förderschule unterrichten. Aber Sie öffnen damit die Möglichkeit der Ausgrenzung schwieriger Kinder insgesamt, auch wenn Sie beteuern, das nicht zu wollen.
Mir wurde vorgeworfen, wir würden den Elternwillen missachten, wenn wir nicht Förderschulen parallel bestehen lassen. Nein, meine Damen und Herren, Sie denken Inklusion nicht zu Ende. Ein inklusives Schulsystem, in dem alle Ressourcen auf das allgemeine Schulsystem konzentriert werden, braucht keine Förderschulen mehr.
Das ist ein Schulsystem mit viel kleineren Klassen, einer anderen Lehrerbildung, anderen Schulgebäuden, anderer psychologischer und sozialer Betreuung, mit multiprofessionellen Teams, die die Bildungswege aller Kinder begleiten, und viel mehr.
Aber Sie planen kaum zusätzliche Stellen. Die Kommunen sollen die größte Last bei der Umsetzung tragen. Die kommunalen Spitzenverbände haben das sehr deutlich kritisiert. So gibt es kein Geld für die Kommunen für Barrierefreiheit. Diese Planung reicht vorne und hinten nicht. Damit bleiben die Förderschulen für besorgte Eltern natürlich attraktiv.
Ihre Planungen zeigen eines der Grundprobleme dieses Gesetzentwurfes. Ein dauerndes Festhalten an einem parallelen Förderschulsystem ist falsch. Vor allen Dingen ist es auch nicht finanzierbar. Es ist aber auch historisch falsch. Unser Förderschulsystem war und bleibt ausgrenzend und diskriminierend. Schauen Sie sich die Migrantenquote an den Förderschulen Lernen an. Gut, dass zumindest diese Schulen sukzessive im Grundschulbereich aufgelöst werden sollen!
Deutschland ist mit seinen Förderschulen - ich erinnere: sie hießen einmal Hilfs- oder Sonderschulen - von Anfang an einen falschen Weg gegangen. Die sukzessive Auflösung zunächst der
Förderschwerpunkte Lernen, Sprache und soziale und emotionale Entwicklung, wie in den regionalen Integrationskonzeption schon vielerorts gut umgesetzt, ist daher notwendig. Ich glaube, dass langfristig alle Kinder inklusiv beschult werden können.
Die SPD wollte in ihrem Gesetzentwurf sogar alle Förderschulen parallel bestehen lassen. Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, ich verstehe Sie nicht; denn ich verstehe Inklusion anders.
Frau Reichwaldt, ich unterbreche Sie einmal. Sie bekommen die Zeit zusätzlich. - Meine Damen und Herren, es ist wieder sehr laut geworden. - Frau Reichwaldt, bitte!
Meine Damen und Herren, wissen Sie, warum hier in der Nähe des Landtages Straßenbauarbeiten stattfinden? - Es werden Fahrstühle gebaut; denn vor 20 Jahren konnte man sich nicht vorstellen, dass Rollstuhlfahrer mit der U-Bahn fahren.
Dieses Beispiel lässt sich auf diesen Gesetzentwurf übertragen. Es wird sehr viele Jahre brauchen, um auch Kinder mit schwersten geistigen und körperlichen Beeinträchtigungen in unsere allgemeinen Schulen mitzunehmen. Und wir müssen uns fragen, was in dem zergliederten Schulsystem, das wir leider noch haben, wirklich möglich sein wird. Aber wenn Sie heute diesem inkonsequenten Gesetzentwurf zustimmen, trauen Sie sich nicht, den Gedanken inklusiver Bildung positiv zu Ende zu denken, und Niedersachsens Schulen werden in den nächsten Jahren, so befürchte ich, nicht zu inklusiven Schulen verändert werden.
Bei den Entschließungsanträgen und dem Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen, die die richtigen ersten Schritte fordern, aber für uns in Bezug auf Übergangsregelungen und die finanziellen Auswirkungen zu unrealistisch bleiben, werden wir uns enthalten.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Abgeordnete Korter, mich machen Menschen ein wenig nachdenklich, die von sich glauben, die einzige Wahrheit zu besitzen.
(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Enno Hagenah [GRÜNE]: Vor allen Dingen, wenn es nicht Ihre ist!)
Ich habe eine große Hoffnung: Die niedersächsischen Wähler mögen verhüten, dass Sie nach dem 20. Januar 2013 auch nur eine Chance auf eine Regierungsbeteiligung bekommen;
denn wohin - das muss ich einmal so deutlich sagen - diese ideologische Verbohrtheit bei Ihnen im Besonderen führt, zeigen auch die neue Landesregierung in Baden-Württemberg und die gerade zerbrochene Landesregierung in Nordrhein-Westfalen.
Dabei wird man bei der Strategie der Ermöglichung von diesem oder jenem relativ schnell feststellen: außer Aktionismus nichts gewesen!
Meine Damen und Herren, man muss einmal ganz genau hinschauen, was die Ankündigung von Frau Korter für Niedersachsen und damit für die Eltern in diesem Bundesland heißt.
Sollten Sie wider Erwarten die Chance haben, Schulpolitik zu gestalten, heißt das: Alle Förderschulen in Niedersachsen werden abgeschafft.
Wissen Sie, was Sie damit tun? - Sie hebeln den Elternwillen in Niedersachsen komplett aus. Sie schaffen den Elternwillen in Niedersachsen komplett ab.
Frau Korter, um es aber nur einmal auf den Punkt zu bringen: Der Elternwille in Niedersachsen - auch von Eltern mit Kindern mit Behinderungen -