Protocol of the Session on March 20, 2012

Liebe Kolleginnen und Kollegen, 2010 wurden 53,1 % unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit eingebürgert. Eine andere Zahl ist aber auch entscheidend. Wir haben zwar eine hohe Anzahl von Menschen, bei denen die Mehrstaatigkeit aufgrund von Härtefallregelungen hingenommen wird. Wir sehen aber auch, dass die größte Bevölkerungsgruppe unter den Immigranten, die der Türkischstämmigen, hier sehr stark benachteiligt ist. Im Jahr 2008 waren nur 18 % der türkischstämmigen Bevölkerung unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit eingebürgert worden. Das ist ein eklatanter Unterschied. Im selben Jahr waren insgesamt 96 % unter Hinnahme von Mehrstaatlichkeit eingebürgert worden.

An dieser Stelle sehen wir, dass es eine Zwei- bzw. Dreiklassengesellschaft innerhalb der Migrantinnengruppen gibt. Auch das wollen wir abschaffen. Das erwarten wir auch von der Integrationsministerin, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Im Jahr 2010 haben wir entsprechende Gesetzentwürfe in den Bundestag eingebracht. Dazu hat es eine breite Anhörung gegeben. Aktuell liegt ein Entwurf der SPD-Bundestagsfraktion vor. Es gibt auch eine entsprechende Bundesratsinitiative aus dem grün-rot-regierten Baden-Württemberg.

Erstens wollen wir das diskriminierende Optionsrecht abschaffen.

Zweitens sollen die Einbürgerungshürden für Rentnerinnen und Rentner abgeschafft werden - auch uns ist das wichtig, Frau Dr. Lesemann -; denn gerade Rentnerinnen und Rentner, die nach 30-jähriger Berufstätigkeit unter dem Sozialhilfesatz leben, sind vom Staatsbürgerschaftsrecht

benachteiligt. Das ist kein individuelles, sondern ein gesellschaftliches Problem. Auch diesen Menschen wollen wir die doppelte Staatsbürgerschaft und die deutsche Staatsbürgerschaft generell ermöglichen.

(Zustimmung von Ina Korter [GRÜNE])

Drittens, liebe Kolleginnen und Kollegen, soll die uneingeschränkte Hinnahme von Mehrstaatlichkeit, also die doppelte Staatsbürgerschaft, ermöglicht werden, wie sie für mich als Tochter einer binationalen Partnerschaft und wie sie für einen EUBürger, wie ihn Herr McAllister verkörpert, eine Selbstverständlichkeit ist. Wir wollen hier keine Einteilung in Klassen, sondern wir wollen gleiches Recht für alle.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, in vielen europäischen Ländern ist es unabhängig von der Herkunft möglich, kommunale Entscheidungen mitzutragen.

(Glocke des Präsidenten)

Wir wissen, dass es insbesondere in NordrheinWestfalen eine breite Initiative der Kommunen gibt, die sagen: Wir haben viele Stadtteile, die sozusagen nicht mehr wahlberechtigt sind, weil hier viele leben, die keine „EU-Staatsbürgerschaft“ haben. Wir wollen, dass auch hier eine demokratische Teilhabe für alle ermöglicht wird, die schon mindestens fünf Jahre hier leben.

Ich wiederhole mich an dieser Stelle gerne - - -

Frau Kollegin, Sie können sich nicht wiederholen.

Letzter Satz, Herr Dinkla, wenn Sie gestatten?

Ja.

Christdemokratische Integrationspolitik endet regelmäßig immer dort, wo es darum geht, Migrantinnen ihre Rechte zu geben. Das wollen wir ändern.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Björn Thümler [CDU]: Auf den letzten Satz hätten Sie aber auch ver- zichten können!)

Ich erteile jetzt dem Kollegen Hiebing das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich zu dem Antrag „Kommunalwahlrecht für alle Einwohnerinnen und Einwohner!“ Stellung nehmen.

Über diesen Antrag haben wir heute abschließend zu beraten und zu entscheiden. Er wurde schon am 20. Februar 2010, also vor etwa zwei Jahren, in den Landtag eingebracht. Dieser Antrag ist also nicht neu. Im Vorfeld der letzten Kommunalwahlen - so ist es seinerzeit im Ausschuss auch vom Kollegen Bachmann, wenn ich mich recht erinnere, gesagt worden - bot es sich an, einen solchen Antrag zu stellen. Das ist insoweit ja auch in Ordnung.

Das Thema ist insofern also nicht neu. Das Anliegen, ein kommunales Wahlrecht für ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger einzuführen, hat uns hier im Niedersächsischen Landtag durchaus schon häufig beschäftigt. Auch im Februar 2009 gab es dazu einen Antrag, der damals vom Landtag aber abgelehnt worden ist.

Meine Damen und Herren, wichtig ist mir, dass in der Zwischenzeit für die Integration von ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern viel erreicht worden ist. Wir haben in wichtigen Bereichen gute Fortschritte erzielt, wie ich finde. Ganz sicher - das räume ich auch ein - gibt es im Bemühen um gelungene Integration aber auch weiterhin noch viel zu tun. Ich denke, hier leistet die Landesregierung einen wichtigen Beitrag. Wir sind auf einem guten Weg.

Meine Damen und Herren, jetzt besteht Gelegenheit, all denjenigen Menschen im Land Niedersachsen zu danken, die an verschiedensten Stellen ihren Beitrag leisten und sich um Menschen kümmern, die integriert werden wollen, und dabei Hilfestellung leisten.

(Zuruf von Filiz Polat [GRÜNE] - Glo- cke des Präsidenten)

Es ist an dieser Stelle wichtig, Frau Kollegin Polat, dies auch einmal zu sagen.

Ich darf Sie einmal unterbrechen. - Frau Kollegin Polat, das akzeptiere ich nicht. Sie hatten eben die Möglichkeit, von hier vorne aus Stellung zu bezie

hen. Solche Zwischenrufe machen wir hier aber nicht.

(Zuruf von Filiz Polat [GRÜNE])

Ich darf noch einmal deutlich sagen: Nach den §§ 88 und 89 unserer Geschäftsordnung kann auch ein Zwischenruf eine Störung darstellen, wenn sie so gemacht werden, wie das hier geschehen ist. Das verbitte ich mir.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich wollte an dieser Stelle all den Menschen danken, die dazu beitragen, dass es möglich ist, Menschen auch in Niedersachsen besser als bisher zu integrieren. Ich glaube, das ist ein wichtiges Anliegen. Dafür wird man doch auch einmal herzlichen Dank sagen dürfen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, darüber, ob die Einführung eines kommunalen Wahlrechts am Anfang eines Integrationsprozesses der richtige Schritt ist, muss diskutiert werden. Ich bin mir nicht sicher. Bereits in den Ausschussberatungen habe ich sehr deutlich auf einen Aspekt hingewiesen, den auch der GBD als zentrale Frage aufgegriffen hat. Es geht um die verfassungsrechtliche Zulässigkeit. Wir haben hier durchaus Bedenken. Wenn ich meine Vorredner richtig verstanden habe, sind diese Bedenken auch bei den anderen Kolleginnen und Kollegen nicht von der Hand zu weisen. Ich glaube, das Kommunalwahlrecht für Ausländerinnen und Ausländer ist durchaus bedenkenswert, gleichwohl aber kommunalverfassungsrechtlich kompliziert.

Meine Damen und Herren, ob diese Bedenken durch eine Verfassungsänderung ausgeräumt werden können, ist meines Erachtens nicht sicher. So haben es zumindest mehrere Verfassungsrechtler bei einer öffentlichen Anhörung des Bundestages erklärt. Eine Erweiterung des Kommunalwahlrechts auf Drittstaatenangehörige über den Kreis der EUBürger hinaus wird von einer Reihe von Verfassungsrechtlern ohnehin kritisch betrachtet.

Meine Damen und Herren, Sie bezeichnen das Fehlen des kommunalen Wahlrechts als Integrationshindernis. Dabei bleiben Sie zugleich den Beweis schuldig, dass die Integration von Migrantinnen und Migranten in den Ländern, in denen das Kommunalwahlrecht besteht, signifikant besser gelingt. Denselben Beweis bleiben Sie schuldig,

wenn Sie nun die generelle Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft fordern.

Ich bleibe bei der Ansicht, die ich Ihnen bereits vor zwei Jahren dargelegt habe: Wir sollten uns gemeinsam weiterhin darum bemühen, dass unsere ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger bessere Angebote zur Verbesserung ihrer Sprachkompetenz erhalten. Wir sollten uns darum bemühen, dass gute Perspektiven in Kindergärten und Kinderkrippen sowie für die jungen Menschen in der Schule, am Ausbildungsplatz und an den Universitäten und Hochschulen befördert werden. Hier, wo es aktiv um Integration geht, gibt es bereits gute Erfolge, also Chancengleichheit, Diskriminierungsfreiheit und etliche Angebote. Hier sollten wir gemeinsam weitere Anstrengungen unternehmen. Das ist konkrete Integrationspolitik, das ist gelebte Integrationspolitik, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Wir bleiben in dieser Sache ganz eindeutig bei unserem Grundsatz: Die Verleihung der deutschen Staatsbürgerschaft und der Erwerb des aktiven und des passiven Wahlrechts stehen möglicherweise eher am Ende eines gelungenen Integrationsprozesses und insofern nicht am Anfang. Ein Kommunalwahlrecht für Ausländerinnen und Ausländer könnte möglicherweise auch das Bemühen hinterlaufen, die deutsche Staatsbürgerschaft zu erlangen. Darum, meine Damen und Herren, werden wir die Forderung unter Nr. 8 in Ihrem Antrag ablehnen.

Gleichwohl wird uns das Thema doppelte Staatsbürgerschaft im Ausschuss noch beschäftigen. Wenn ich mich recht erinnere, hat die damalige rotgrüne Bundesregierung dieses Gesetz auf den Weg gebracht. Auch das wird man einmal sagen dürfen. Ich glaube, meine Damen und Herren, wir werden im Ausschuss gerade diesen Punkt weiter beraten und uns darüber auseinandersetzen. Ich bin mir sicher, dass wir hier noch zu guten Ergebnissen kommen werden.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Mir liegen zwei Wünsche auf Kurzinterventionen vor. Zunächst Frau Kollegin Polat und dann Herr Kollege Bachmann! - Das Verfahren brauche ich nicht zu erläutern; denn es ist bestens bekannt.

Vielen Dank. - Herr Präsident, entschuldigen Sie bitte, dass ich hier so emotional reagiere. Ich reagiere so, weil das auch mich persönlich bzw. meinen Vater betrifft.

Ich reagiere immer ein bisschen allergisch, wenn gesagt wird: Wir bedanken uns bei den Menschen, die diese Menschen integrieren. - Ich muss ganz deutlich sagen: Wir sprechen von einer großen Zahl von Menschen. Ich betone es noch einmal: Es sind insbesondere die vielen türkischstämmigen Mitbürgerinnen und Mitbürger, die nicht EU-Bürger sind, die Sie kategorisch vom Kommunalwahlrecht ausschließen. Es ist schlicht undemokratisch, diesen Menschen eine Teilhabe an kommunalen Entscheidungen und Bürgermeisterwahlen zu verweigern. Das ist Fakt, liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Es ist einfach dogmatisch, dass Sie das immer an der Herkunft festmachen. In vielen anderen EUMitgliedstaaten ist diese Herkunft insbesondere bei der Kommunalwahl entkoppelt, weil es dabei nicht um Gesetzgebung, sondern um ganz normales Verwaltungshandeln und kommunalpolitische Entscheidungen geht. Sie schaffen hier zum einen in vielen Kommunen demokratiefreie Zonen, und zum anderen hört, wie bereits gesagt, bei Ihnen die Integrationspolitik regelmäßig da auf, wo Sie Migranten deren Rechte an die Hand geben sollen. Auf der anderen Seite wollen wir keine Deutschen mit Verfallsdatum.

Warum kommen Sie nicht endlich in der multikulturellen Gesellschaft an? - Hier gibt es viele Kinder und Erwachsene, die mit zwei Identitäten aufwachsen. Diese zwei Identitäten bilden sich auch in den Pässen ab. Das ist Regel in der EU, nur nicht in Deutschland. Das wollen wir nicht!

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)