Protocol of the Session on March 20, 2012

Danke schön, Frau Janssen-Kucz. - Für die Fraktion DIE LINKE hat Herr Adler das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mein Kollege Biester hat mit seinen einführenden Worten völlig recht, dass mit diesem Staatsvertrag nicht die Zulässigkeit der elektronischen Fußfessel, sondern nur ein technischer Rahmen festgelegt wird. Das stimmt. Trotzdem müssen wir genauer hinsehen, wie dieser Staatsvertrag ausgestaltet ist.

Dabei muss man sich über eines im Klaren sein: Die elektronische Fußfessel ist ambivalent. Für denjenigen, der bisher keine Freiheitsbeschränkung hatte und dem sie zwangsweise angelegt wird, ist es eine Freiheitsbeschränkung. Für denjenigen jedoch, der schon im Strafvollzug oder aus anderen Gründen eingesperrt ist, ist sie unter Umständen eine Befreiung.

(Präsident Hermann Dinkla über- nimmt den Vorsitz)

Wir waren gerade mit dem Unterausschuss „Justizvollzug“ in Schweden und Norwegen. Dort gibt es ganz interessante Regelungen. So werden z. B. im Rahmen des offenen Vollzuges elektronische Fußfesseln verwendet. Das betrifft Leute, die sonst eingesperrt wären. Das ist die eine Seite. Aber man muss auch die andere Seite sehen. Es hat z. B. CSU-Politiker gegeben, die elektronische Fußfesseln für als gefährlich eingestufte Ausländer einführen wollten. Da sagen wir: Das geht nicht; denn die Betreffenden würden anderenfalls frei herumlaufen.

Wenn man das vor Augen hat, muss man sehr kritisch auf Artikel 4 schauen, der eine Öffnungsklausel enthält. Da richtet sich unsere Kritik nur gegen ein einziges Wort. Das Wort lautet „insbesondere“. Dort ist aufgezählt, wann diese Fußfessel angewendet werden kann, und darüber steht das Wort „insbesondere“. In der Erläuterung heißt es, es ist keine abschließende Aufzählung. Das heißt, der Anwendungsfall ist sozusagen nach

oben offen geregelt. Da, finde ich, kann man als Parlament auch einmal sagen: Das machen wir nicht mit.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir wollen, dass die Aufzählung bei solchen Freiheitsbeschränkungen abgeschlossen ist, dass das gesetzlich begrenzt ist.

Herr Dr. Biester, wenn Sie sagen, wir dürften das nicht, das könne man nicht nachverhandeln, dann frage ich mich: Wozu sind wir denn als Parlament da? Was haben Sie denn für einen Begriff vom Parlamentarismus?

(Jens Nacke [CDU]: Ach du lieber Gott!)

Nicht die Regierungen, sondern die Parlamente beschließen die Staatsverträge. Da haben sie auch einmal das Recht zu sagen: Liebe Ministerpräsidenten, ihr habt eure Arbeit schlecht gemacht. - In einem solchen Fall muss das noch einmal gemacht werden.

(Ministerpräsident David McAllister: Was? - Beifall bei der LINKEN)

Auf einen Tag kommt es dabei nicht an. Die Sache mit der Fußfessel kann man auch noch später regeln. Die Zeit sollten wir uns nehmen. Ein Parlament, das sich ein solches Recht herausnimmt, steht gegenüber einer Regierung, die ihre Arbeit nicht ordentlich gemacht hat, Herr McAllister, glaube ich, ganz gut da.

(Beifall bei der LINKEN - Ministerprä- sident David McAllister: Wir sind zu gut! - Jens Nacke [CDU]: In der Exa- mensarbeit steht „abwegig“ dahinter, Herr Adler, das wissen Sie! Es ist ju- ristisch nicht haltbar, was Sie hier er- zählen!)

Nachdem der Kollege Nacke seinen Beitrag geleistet hat, rufe ich jetzt Herrn Kollegen Zielke auf und erteile ihm das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der aktuellen Diskussion um den Staatsvertrag zur elektronischen Fußfessel geht es nur um die Überwachung eines sehr kleinen Kreises von Straftätern, nämlich solcher, die nach Verbüßung ihrer Haft und gegebenenfalls anschließender Sicherungsverwahrung wieder in Freiheit sind, ob

gleich sie noch als möglicherweise gefährlich gelten.

Virulent geworden ist diese Konstellation auch durch Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die im Kern vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe bestätigt worden sind. Die elektronische Fußfessel soll durch die Überwachung dieser Straftäter zum Schutz der Gesellschaft beitragen. Seit dem 1. Januar 2011 können Gerichte für Verurteilte, die nach ihrer Entlassung aus dem Straf- oder Maßregelvollzug unter Führungsaufsicht stehen, eine elektronische Aufenthaltsüberwachung anordnen. Voraussetzung ist - wie gesagt, das ist Bundesrecht -, dass die Verurteilten schwere Gewalt- oder Sexualstraftaten begangen haben und diesbezüglich weiterhin als gefährlich eingestuft werden.

Niemand im Ausschuss hat bezweifelt, dass hier eine länderübergreifende Überwachungsstelle sinnvoll ist, dass es darüber also einen Staatsvertrag geben muss. Die Punkte, mit denen SPD und Linke nicht einverstanden sind, betreffen im Wesentlichen Marginalien, etwa in der Formulierung des Staatsvertrags. Da werden, liebe SPD, Ablehnungsgründe mühsam herbeikonstruiert, aus Mücken Elefanten gemacht.

Es besteht im Übrigen seitens des Landes keine Absicht, weitere Aufgaben auf die Gemeinsame Überwachungsstelle zu übertragen. Aber selbstverständlich gilt für die technischen Einrichtungen, dass sie noch zu anderen Dingen in der Lage wären. Daher ist es gut, einen Staatsvertrag mit dem Wort „insbesondere“ zu haben; denn dann braucht man, wenn der Bundesgesetzgeber etwa andere Tatbestände einschließt, dafür keinen neuen Staatsvertrag.

Ich glaube jedenfalls ganz weit jenseits des aktuellen Gesetzesvorhabens bzw. dieser Zustimmung zu dem Staatsvertrag, dass die elektronische Aufenthaltsüberwachung - da schließe ich an die Ausführungen von Herrn Adler an - durchaus weitere sinnvolle Anwendungen haben könnte. So könnte sie etwa bei Vollzugslockerungen als zusätzliches Instrument eingesetzt werden. Auch die Möglichkeit strafrechtlicher Sanktionen in Form von elektronisch überwachter Freiheitsbeschränkung statt komplettem Freiheitsentzug sollte eine Überlegung wert sein.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich erteile jetzt Herrn Minister Busemann das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für den, den es interessiert, habe ich eine elektronische Fußfessel mitgebracht.

(Der Redner zeigt das Modell einer elektronischen Fußfessel)

Sie wird oberhalb des Fußgelenkes angelegt, wenn der Proband die JVA nach Gerichtsbeschluss verlassen darf. Sie muss ständig, 24 Stunden pro Tag, getragen werden. Der Akku muss im Schnitt einmal pro Tag aufgeladen werden. Die Fußfessel darf nie abgelegt werden. Ich komme darauf gleich noch zu sprechen.

Die elektronische Aufenthaltsüberwachung wurde zu Beginn des letzten Jahres als ein weiteres Führungsaufsichtsinstrument in das Strafgesetzbuch aufgenommen. Ihre Anwendung ist nach der gesetzlichen Regelung auf solche Täter beschränkt, die schwere Straftaten begangen haben und mindestens drei Jahre Freiheitsstrafe voll verbüßt haben. Um das zu verdeutlichen: Rein theoretisch fallen in die Kategorie „mehr als drei Jahre Freiheitsstrafe“ über tausend Menschen. Es wird in der Praxis nicht um alle gehen, aber das ist der Personenkreis, der theoretisch zu betrachten ist. Außerdem muss, falls eine Fußfessel beschlossen wird, die Gefahr bestehen, dass der Täter rückfällig wird.

Die elektronische Aufenthaltsüberwachung soll - das ist der Sinn der Sache - dabei helfen, gefährliche Straftäter besser zu kontrollieren. Dabei sollte man sich nicht der Illusion hingeben, die elektronische Überwachung könnte 100-prozentige Sicherheit schaffen. Mit dieser Überwachung wissen wir immer, wo der potentielle Täter, der Proband, ist. Wir wissen aber nicht, was er tut. So viel Einsicht muss bestehen. Es ist aber zu erwarten, dass es uns mit der Technik gelingt, vor allem Gewalt- und Sexualstraftäter von weiteren Straftaten abzuhalten. Wir erwarten, dass das Wissen um die Möglichkeit der Behörden, die Aufenthaltsorte nachzuvollziehen, die Hemmschwelle der Probanden deutlich steigen lässt. Das Rückfallrisiko unter den überwachten Führungsaufsichtsprobanden dürfte somit sinken. Die elektronische Aufenthaltsüberwachung wird also ein Beitrag zur Verbesserung der Sicherheit der Bevölkerung sein.

Meine Damen und Herren, mit der Regelung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung im Straf

gesetzbuch wurde eine bundesgesetzliche Regelung geschaffen, die Justiz und Polizei verpflichtet, dieses Instrument anzuwenden und die Voraussetzungen für dessen Anwendung zu schaffen. Wir müssen die Diskussion um Sicherungsverwahrung und um die Frage, in welchen Fällen und mit welcher Perspektive vielleicht auch eine Fußfessel ausreicht, nicht neu führen. Der Bundesgesetzgeber hat Regelungen geschaffen. Die elektronische Aufenthaltsüberwachung ist Gesetzeslage. Es geht lediglich um die Frage, in welcher Weise wir diese neuen Möglichkeiten umsetzen.

Zu Beginn des vergangenen Jahres waren alle Länder in derselben Situation wie Niedersachsen. Überall wurden Überlegungen angestellt, welche Strukturen zu schaffen sind, um die Überwachung möglichst effizient und ressourcenschonend durchzuführen. Recht schnell zeichnete sich ab, dass in allen Ländern großes Interesse besteht, diese neue Aufgabe gemeinsam anzugehen und möglichst einen bundeseinheitlichen Standard zu schaffen, um damit auch Probleme beim Länderübertritt von vornherein zu vermeiden.

In Hessen fanden sich gute Bedingungen, um von dort aus bundesweit alle Probanden in gesetzlich streng begrenzter Art und Weise zu kontrollieren und bei Bedarf sofort auf etwaige Verstöße der Probanden zu reagieren. Gemeinsam haben die Länder - ich darf wohl sagen: in einem Kraftakt - die Strukturen vorbereitet, die dann von Hessen umgesetzt wurden.

Meine Damen und Herren, meiner Ansicht nach kann es keine Zweifel daran geben, dass es richtig ist, die elektronische Aufenthaltsüberwachung gemeinsam mit den anderen Ländern zu organisieren. Die Alternative wäre die Einrichtung einer eigenen niedersächsischen Überwachungszentrale. Diese müsste in gleicher Weise ausgestattet sein wie die gemeinsame Zentrale für bis zu 16 Bundesländer. Herr Tonne, das wäre für das Land Niedersachsen mal eben 1 Million Euro mehr. Aber Sie sagen ja, darauf kommt es dann auch nicht mehr an.

Der Unterschied ist also vor allem in den Kosten zu sehen. Während wir im Verbund nur den niedersächsischen Anteil nach dem Königsteiner Schlüssel zu tragen haben, müssten wir, wenn es jeder für sich machen würde, logischerweise das Zehnfache bezahlen. Was soll das denn? Ich kann daher sagen, dass es wohl vernünftig ist, das gemeinsam mit den anderen Ländern zu organisieren. Das ist die bessere Alternative.

Der Staatsvertrag über die Errichtung einer Gemeinsamen Überwachungsstelle der Länder ist zunächst von Hessen, Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen geschlossen worden. Niedersachsen hat die Möglichkeit beizutreten. Ich will es einmal verkürzen: Baden-Württemberg - grün-rot regiert, Nordrhein-Westfalen - rotgrün regiert. Auch Bremen und Hamburg wollen mitmachen. Brandenburg mag das Thema insgesamt nicht: Die mögen die Sicherungsverwahrung nicht, die mögen die Fußfessel nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Ob das der Nachweis für besondere Sachkunde ist, lasse ich einmal dahingestellt.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Das ist Kompetenz!)

Aber es gibt kein weiteres Bundesland, das diesen Staatsvertrag kritisch sieht. Herr Tonne, vielleicht sollten Sie doch einmal hinterfragen, ob Sie mit Ihrer Kritik auf der richtigen Seite sind.

Man kann natürlich nach Argumenten suchen, nur um dagegen zu sein. Dabei ist Ihnen nun das Datenschutzthema aufgefallen. Ein vorsichtiger Hinweis am Rande: Die Regelungen der Strafprozessordnung gelten für ganz Deutschland. Die Gemeinsame Überwachungsstelle hat ihren Sitz in Hessen und ist damit dem hessischen Datenschutzgesetz unterworfen. Sie müssen also nicht die niedersächsische Datenschutzrechtslage im Weiteren bemühen, weil sich das Thema soweit erledigt hat, dass am Ende 15 Länder sagen: Die Regelung im Staatsvertrag ist in Ordnung, lasst es uns gemeinsam so machen.

Frau Janssen-Kucz, Sie haben recht: Wenn das in Gang gesetzt ist, muss man aufpassen, ob es Weiterungen gibt. Es wird auch zu Arbeitsbelastungen in Niedersachsen führen. Wir sind darauf eingestellt, dass unser AJSD, soweit die Justizseite betroffen ist, mit Mehrarbeit belastet werden wird. Wir sind darauf eingestellt, spätestens im Laufe des 2013er-Etats mit Geld und Stellen darauf zu reagieren.

Um das Ganze zusammenzufassen: Dem Proband wird nach entsprechendem Gerichtsbeschluss beim Verlassen der JVA eine Fußfessel angelegt. Theoretisch kommen tausend Menschen in Betracht. Wir denken, dass die Gerichte, nachdem es sich eingespielt hat, in 60 bis 70 Fällen pro Jahr eine Fußfessel verhängen. Wenn das über ein paar Jahre erfolgt ist, können bis zu 200 Personen an die Überwachungsstelle angeschlossen sein.

Ab dem Zeitpunkt des Verlassens der JVA mit Fußfessel wird kontrolliert. Kommt es zu einem Verstoß, indem jemand den vorgeschriebenen Bereich, in dem er sich aufhalten soll, verlässt oder indem er in einen Bereich hineingeht, in den er nicht hineingehen soll - Stichwort Schulgelände oder Kindergarten -, wird ein Alarm ausgelöst. Ein Alarm wird auch dann ausgelöst, wenn die Fußfessel beschädigt wird, durch welchen Umstand auch immer. Der Alarm läuft in Hessen auf, wird unmittelbar nach Niedersachsen weitergegeben, und dann werden Polizei und Justiz aktiv.

Ich glaube, dass wir ein ordentliches, sicheres und auch technisch gutes Verfahren entwickelt haben. Hessen hat auf dem Gebiet gute Erfahrungen. Denen vertrauen wir uns an. Ich denke, dass wir so den Willen des Bundesgesetzgebers auch in Niedersachsen gut umsetzen. Das wird in den nächsten Wochen passieren.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Damit schließen wir die Beratung ab.

Wir kommen zur Einzelberatung. Ich rufe auf:

Artikel 1 einschließlich Anlage. - Unverändert.