Protocol of the Session on January 19, 2012

nämlich mit dem Geständnis, verehrter Herr Kollege Schminke, dass ich, nachdem der Antrag vorlag und klar war, dass ich dazu reden soll, mehr über die deutsche Geschichte gelernt habe.

(Sigrid Leuschner [SPD]: Das ist gut!)

Denn, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich bin 1978 geboren. Das ist, wie man es so schön nennt, die Gnade der späten Geburt. Für mich war es ein Stück weit Neuland und interessant, dass es eine solche Phase gegeben hat. Das sage ich hier sehr deutlich.

Ich habe mich gefragt, was für ein Klima in Deutschland geherrscht haben muss, dass man zu solchen Entscheidungen kam und der Meinung war, dass solche Maßnahmen notwendig waren, um den deutschen Staat zu schützen. Die Kolleginnen Leuschner und Jahns haben versucht, das in den geschichtlichen Kontext zu rücken. Wenn ich hier daran erinnere, dass Ulrike Meinhof Lehrerin war und Andreas Baader Polizist, beide also aus dem öffentlichen Dienst kamen, dann ist das nur ein Hinweis dazu.

Sicherlich ist uns allen klar, dass man geschehenes Unrecht nur sehr schwer wiedergutmachen kann. Denn die etwa 11 000 Berufsverbote, die ausgesprochen wurden, haben - das wurde erwähnt - über viele Jahre dazu geführt, dass Menschen ihren persönlichen Lebensweg vielleicht nicht so gehen konnten, wie sie es sich vorgestellt und ausgemalt hatten.

Es ist gut, dass es das nicht mehr gibt. Ich möchte an dieser Stelle deutlich sagen, dass so etwas in einer lebendigen und wehrhaften Demokratie eigentlich keinen Platz haben darf.

(Zustimmung von Roland Riese [FDP] sowie Beifall bei der SPD und bei der LINKEN)

Wir sollten uns darüber Gedanken machen, wie wir damit weiter umgehen. Es wurde angesprochen - ich weiß nicht, ob von der Kollegin Jahns oder von der Kollegin Leuschner -, dass bis zum 28. Januar nicht mehr viel Zeit bleibt. Darüber, in welcher Art und Weise des Radikalenerlasses und dieser Zeit gedacht werden kann, sollten wir uns im Ausschuss vernünftig miteinander unterhalten.

Zum Abschluss möchte ich aber auch sagen: Verehrte Kolleginnen und Kollegen von den Linken, wenn Sie sich solche Absätze wie den letzten Absatz Ihrer Begründung sparen würden, in dem Sie noch einmal auf den Verfassungsschutz einkloppen, dann könnten Sie auf noch mehr Zustimmung in diesem Hause stoßen.

Ganz herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und Zustimmung bei der CDU)

Ich danke Ihnen, Herr Kollege Oetjen. - Für die Landesregierung hat sich Herr Minister Schünemann zu Wort gemeldet. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In den 1960er- und 1970er-Jahren stand unsere damals noch junge Demokratie vor einer innenpolitischen Bewährungsprobe.

Am rechten Rand formierte sich die NPD und eroberte in kürzester Zeit zahlreiche Landesparlamente. Gut 20 Jahre nach dem Ende des nationalsozialistischen Unrechtsstaates drohte erneut eine rechtsextreme Partei Einfluss auf die Geschicke unseres Landes zu nehmen.

Am linken Rand gelang es der vom Bundesverfassungsgericht verbotenen KPD, nun als Deutsche Kommunistische Partei wieder Einfluss auf die Bundesrepublik zu nehmen. Die DKP war vollständig von der SED abhängig und diente als verlängerter westdeutscher Arm der DDR-Diktatur.

Zeitgleich mit den von der DDR gesteuerten massiven Unterwanderungsversuchen radikalisierten sich Teile des linksextremen Spektrums in der Bundesrepublik. Frau Leuschner, Sie haben zu Recht gerade auf die schrecklichen Anschläge der RAF und anderer hingewiesen.

Unter dem Eindruck der extremistischen Bedrohungslage einigten sich Bundeskanzler Willy Brandt und die Regierungschefs der Länder im Januar 1972 auf den so genannten Extremistenbeschluss. Demnach sollten Beamte verpflichtet sein, sich aktiv für die Erhaltung unserer freiheitlichen Grundordnung einzusetzen. Bewerber, die verfassungsfeindliche Aktivitäten entwickeln, sollten nicht in den öffentlichen Dienst eingestellt werden.

Die damit geforderte Verfassungstreue der Beamten war, wie Willy Brandt noch Jahrzehnte später in seinen „Erinnerungen“ zutreffend feststellte, inhaltlich nichts Neues. Allerdings musste das Gemeinwesen angesichts der damaligen Bedrohungslage auch Flagge zeigen. Deshalb hat sich Willy Brandt zum richtigen Zeitpunkt als wahrer Streiter für unsere wehrhafte Demokratie erwiesen.

(Zustimmung bei der CDU und bei der SPD)

Meine Damen und Herren, jeder Beamte in der Bundesrepublik Deutschland steht in einem be

sonderen öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis zu seinem Dienstherrn. Jeder Beamte verpflichtet sich in seinem Amtseid, Verfassung und Gesetze der Bundesrepublik Deutschland zu befolgen und auch zu verteidigen. Nichts anderes forderte der Extremistenbeschluss.

Allerdings wurden bei der praktischen Umsetzung des Extremistenbeschlusses Fehler gemacht. Hier geht es um Einzelschicksale. Die darf man nicht kleinreden, sondern man muss sich jeden einzelnen Fall anschauen. Wenn es notwendig ist, muss man das auch als Fehler darstellen. Manche konkreten Entscheidungen mögen im Rückblick also als unverhältnismäßig, manche gar als völlig falsch erscheinen. Jedes Schicksal eines zu Unrecht abgelehnten Bewerbers ist bedauerlich und muss dargestellt werden.

Entgegen der im Entschließungsantrag der Linken aufgestellten Behauptung waren es aber ausschließlich diese praktischen Umsetzungsfehler, die Willy Brandt im Rückblick kritisiert hat. Das kann man in seinem Buch „Erinnerungen“ nachlesen. Noch in seinen „Erinnerungen“ hielt er ausdrücklich fest, dass aktives Bekämpfen der Verfassung sehr wohl den Ausschluss vom öffentlichen Dienst rechtfertigt. Ich glaube, das sollte eine Selbstverständlichkeit sein.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, zur historischen Wahrheit gehört schließlich auch, dass der Extremistenbeschluss dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorgelegt wurde und von den Karlsruher Richtern für verfassungsgemäß erklärt wurde - Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 22. Mai 1975. Es spricht für sich, dass dies in Ihrem Entschließungsantrag nicht dargestellt worden ist.

(Hans-Henning Adler [LINKE]: Ein dunkles Kapitel beim Bundesverfas- sungsgericht!)

Das ist auch deshalb schade, weil sich die Aktualität dieses Urteils erst unlängst erwiesen hat. Im Jahr 2008 wurde ein Mitglied der Neonaziband „Noie Werte“, deren Lieder auch auf der „SchulhofCD“ zu finden sind, des Amtes eines ehrenamtlichen Richters enthoben. Das Bundesverfassungsgericht - das kann man im Urteil nachlesen - hat diese Amtsenthebung bestätigt, und zwar unter maßgeblichem Rückgriff auf seine damalige Entscheidung zum Extremistenbeschluss.

Betrachten wir zum Abschluss einmal ganz nüchtern die Zahlen, die auch Sie, meine Damen und Herren von den Linken, in Ihrem Antrag anführen! 3,5 Millionen Bewerber für den öffentlichen Dienst sollen überprüft worden sein. Gegen etwa 11 000 von ihnen sollen offizielle Ablehnungsverfahren eingeleitet worden sein. 1 250 wiederum sollen abgelehnt und 265 entlassen worden sein.

Meine Damen und Herren, es handelt sich um Einzelschicksale. Deshalb will ich hier nicht sagen, wie viel Prozent das ausgemacht hat. Aber wenn in Ihrem Antrag davon geschrieben wird, dass es ein Klima der Hysterie und der Berufsverbote gegeben habe, ist das anlässlich dieser Zahlen mit nichts zu rechtfertigen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wenn es um Rechtstreue geht, wenn es um unsere Verfassung geht, leben wir in einem Staat der wehrhaften Demokratie. Ich sage Ihnen: Von Staatsdienern muss man schlichtweg verlangen - das ist auch im Amtseid festgelegt -, diese Verfassung auch zu verteidigen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Insofern habe ich überhaupt nichts dagegen, wenn dieses Parlament hier ausdrücklich die Einzelschicksale benennt, denen Unrecht widerfahren ist. Aber dass man gerade für eine wehrhafte Demokratie eintritt und Willy Brandt dies auf den Weg gebracht hat, ist etwas, was man hier nicht kritisieren muss. Ich glaube vielmehr, es war gerade auch vor dem Hintergrund der damaligen Geschichte durchaus etwas, was man hier durchaus auch sagen kann.

Vielen Dank.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herzlichen Dank, Herr Minister. - Für die SPD hat sich Frau Leuschner noch einmal zu Wort gemeldet. Sie hat noch eine Redezeit von 2:17 Minuten. Bitte schön, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Innenminister, der Radikalenerlass war nicht nur gegen Beamte gerichtet, sondern auch gegen Angestellte und Arbeiter im öffentlichen Dienst. Er wurde eben leider nicht oder nur in den seltensten

Fällen gegen Rechts angewendet. Er traf im Wesentlichen das gesamte linke Spektrum.

Das Entscheidende bei diesem Erlass war, dass im Grunde genommen noch eine Ergänzung stattgefunden hat: Allein die Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Organisation reichte aus, um Zweifel an der Verfassungstreue der Personen zu begründen. Das heißt, es wurde nicht konkretes, gegebenenfalls strafbares Handeln der Beschäftigten beurteilt, nicht das individuelle Verhalten, was eine Unschuldsvermutung zuließe, sondern nur die Organisation. Das habe ich hier kritisiert.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Um zusätzliche Redezeit hat Herr Adler von der Fraktion DIE LINKE gebeten. Herr Adler, Sie haben anderthalb Minuten. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben den Verfassungsschutz als Organisation hier mit benannt - in der Sache ist er nichts anderes als ein Geheimdienst des Innenministeriums -, weil er an dem damaligen Verfahren aktiv beteiligt war.

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: So war das!)

Ich sehe noch die Aufforderungsschreiben, in denen „laut Erkenntnissen“ stand, und dann kamen die Geheimdienstberichte des Verfassungsschutzes. Da wurde über die Teilnahme an einer Demonstration berichtet, die die Spitzel des Verfassungsschutzes sorgfältig aufgeschrieben hatten. - So war das. Der Verfassungsschutz war also Mittäter bei dieser Entwicklung.

(Beifall bei der LINKEN - Frank Oes- terhelweg [CDU]: Er hat vollkommen korrekt gearbeitet!)

Das politische Klima war damals von diesen Verfahren belastet. Ich erinnere mich noch an Diskussionen, in denen Leute gesagt haben: Nein, ich kann das nicht unterschreiben, ich bin ja im öffentlichen Dienst. - Diese Äußerung hat man häufiger gehört. Das ging weit über die Betroffenen hinaus.

Noch etwas, Herr Minister Schünemann: Die Gesetzeslage bezüglich der beamtenrechtlichen Pflicht, jederzeit für die freiheitliche demokratische

Grundordnung einzutreten etc., hatte sich überhaupt nicht geändert. Sie blieb immer gleich. Aber das Problem war doch, dass die Behörden meinten, Leuten sozusagen ansehen zu können, ob sie Verfassungsfeinde sind. Selbst wenn Lehrer von sich aus immer gesagt haben „Natürlich trete ich für das Grundgesetz ein; es gibt keinen, der sich über meinen Unterricht beschwert“, meinten die Behörden - ausgestattet mit ihren Erkenntnisquellen, u. a. dem Verfassungsschutz -, es besser zu wissen. Sie meinten, Sie könnten jemandem ins Gehirn hineinschauen und sagen: Du bist ein Verfassungsfeind, und du bist keiner. - Das war ein erbärmliches Verfahren.

(Beifall bei der LINKEN)

Zu dem Beitrag von Herrn Kollegen Adler liegen mir zwei Wortmeldungen zu Kurzinterventionen vor. Zunächst erhält Frau Kollegin Helmhold von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen für eineinhalb Minuten das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Adler, ich möchte Ihnen in Ihrer Einschätzung ausdrücklich recht geben. Auch ich fand das, was der Herr Innenminister hier eben zu bedauerlichen Einzelfällen gesagt hat, doch etwas sehr abwiegelnd; denn ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, welches gesellschaftliche Klima hier herrschte, als ich jung war. Wir hatten uns damals sehr gut überlegt, zu welchen Veranstaltungen wir gegangen sind. Und wenn wir gegangen sind, waren wir ständig in der Sorge, ob da nicht der Verfassungsschutz herumsitzt und uns aufschreibt, sodass wir hinterher, wenn wir uns für den öffentlichen Dienst bewerben, Schwierigkeiten bekommen könnten. Das war das Klima der Angst, in dem wir uns befunden haben