Protocol of the Session on December 7, 2011

Sehr geehrter Herr Wenzel, nachdem ich mir Ihren Wortbeitrag wirklich intensiv angehört habe, kann

ich Ihnen nur zustimmen. Ja, Hans-Heinrich Sander ist anders als Sie.

(Zuruf von der CDU: Gott sei Dank!)

Hans-Heinrich Sander macht Umweltpolitik, macht Klimapolitik, macht Energiepolitik mit den Menschen und nicht als Besserwisser, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Lebhafter Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Ihren Mut erkennt man auch daran, dass Sie diese Diskussion in Abwesenheit von Hans-Heinrich Sander führen. Aber ich kann Sie beruhigen. Sie brauchen vor ihm keine Angst zu haben; er kann nicht einmal einer Fliege etwas zuleide tun.

Und dann der Auftritt von Herrn Bosse und der SPD. Ich finde es neben allen Diskussionen, die Sie energiepolitisch führen können, schon beeindruckend, dass Sie in Ihrem Wortbeitrag die Regierungskommission Klimaschutz beschimpfen. Darin sind Persönlichkeiten der Gesellschaft, darin sind die Gewerkschaften vertreten. Diese Personen kann man hier nicht beschimpfen. Sie sollten sich entschuldigen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Herr Wenzel, ich war schon sehr überrascht, dass Sie heute in Ihrer Eingangsbemerkung die Sinnhaftigkeit der Weltklimakonferenz als solche infrage stellen.

(Stefan Wenzel [GRÜNE]: Das habe ich nicht gemacht! Da haben Sie nicht zugehört!)

Auf Ihrer eigenen Homepage - auf der Homepage der Grünen - steht noch: In Durban geht es um die ganze Welt. - Und Sie zweifeln die Sinnhaftigkeit an!

(Stefan Wenzel [GRÜNE]: Was he- rauskommt, wenn solche Akteure zu- sammenkommen! - Weitere Zurufe von den GRÜNEN - Glocke des Prä- sidenten)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wer glaubt, man kann das Weltklima alleine durch die Energiepolitik in Deutschland retten, ohne die Einbindung der Industrienationen, ohne die Einbindung der Entwicklungsländer, der glaubt auch, die Erde ist eine Scheibe. Das kann hier so nicht weitergehen, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Zustimmung von der CDU - Stefan Wenzel [GRÜNE]: Da haben Sie aber schlecht zugehört! - Zuruf von Ursula Helmhold [GRÜNE])

In Durban geht es um die ganze Welt, und Sie verheddern sich hier im Klein-Klein. Hans-Heinrich Sander ist einer von drei Vertretern der Bundesumweltministerkonferenz und begleitet den Bundesumweltminister zu diesen Konferenzen. HansHeinrich Sander ist der dienstälteste Umweltminister der Bundesrepublik Deutschland. Hans-Heinrich Sander ist Vorsitzender des Bundesratsumweltausschusses. Es kann also gar keinen besseren Begleiter für Norbert Röttgen geben.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, HansHeinrich Sander ist das politische Schwergewicht der Umweltminister der Länder.

(Lachen bei der SPD, den GRÜNEN und der LINKEN)

Wir sind stolz, dass er Niedersachsens Stimme auf der Weltklimakonferenz ist.

(Starker Beifall bei der FDP und bei der CDU - Hey, hey! bei der SPD)

Damit, verehrte Kolleginnen und Kollegen, schließen wir die Besprechung zu Punkt a ab.

(Detlef Tanke [SPD] lacht - Detlef Tanke [SPD]: Das war zu humorvoll! So etwas habe ich noch nicht gehört! - Gegenruf von Jens Nacke [CDU]: Herr Tanke, wir sind hier nicht in Braunschweig!)

- Herr Kollege Tanke, jetzt beenden wir das!

Ich eröffne die Besprechung zu Tagesordnungspunkt 15 b:

Abschiebepraxis in Niedersachsen - menschenrechtswidrig und inhuman. Wann zieht Innenminister Schünemann persönliche Konsequenzen? - Antrag der Fraktion DIE LINKE - Drs. 16/4245

Dazu erteile ich dem Kollegen Adler das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir erleben gerade den einmaligen Fall, dass eine abgeschobene Familie wieder ins Land zurückgeholt wird. Da muss der politische Druck auf diesen Innenminister, der die Abschiebung der Familie Nguyen noch im November-Plenum vehement verteidigt hatte, ja immens gewesen sein.

Um seine politische Niederlage zu kaschieren, tut er jetzt so, als sei das ein Akt humaner Großzügigkeit gewesen, und sagt, die Abschiebung selbst sei rechtmäßig gewesen. Er sagte im Plenum am 10. November 2011, irgendwann müsse das Recht ja mal umgesetzt werden. Wörtlich hat er gesagt: „Unsere Ausländerbehörden in den Kommunen, in den Landkreisen und kreisfreien Städten sind an das Recht gebunden.“ Ähnlich äußerte sich gestern Abend übrigens auch Ministerpräsident McAllister.

Das ist aber alles falsch. § 25 Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes verpflichtet die Ausländerbehörden, eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn die Ausreise aus rechtlichen Gründen unmöglich ist. Das ist wiederum der Fall, wenn sie gegen Artikel 8 der Menschenrechtskonvention verstößt. Das ist ständige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte - zuletzt im Fall Osman gegen Dänemark -, aber auch des Bundesverfassungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts und zahlreicher Oberverwaltungsgerichte.

(Zustimmung bei der LINKEN - Kres- zentia Flauger [LINKE]: Das müssen Sie mal begreifen!)

In seinem Urteil vom 10. Mai 2011 hatte das Bundesverwaltungsgericht über das in Artikel 8 formulierte Recht auf Achtung des Privatlebens Folgendes ausgeführt: „die Summe der persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beziehungen, die für die Lebensführung eines jeden Menschen konstitutiv sind“, ist entscheidend. Ihnen kommt „angesichts der zentralen Bedeutung dieser Bindungen für die Entfaltung der Persönlichkeit eines Menschen bei fortschreitender Dauer des Aufenthaltsrechtes wachsende Bedeutung zu“. Und weiter: „Diese Bindungen können insbesondere bei hier geborenen oder in ihrer Kindheit zugezogenen Ausländern zu einer Verwurzelung in die hiesigen Verhältnisse führen. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn das Hineinwachsen in die hiesigen Lebensverhältnisse mit einer gleichzeitigen Entfremdung vom Heimatland einhergeht, sodass die Ausländer mit diesem im Wesentlichen nur noch

durch das formale Band der Staatsangehörigkeit verbunden und faktisch zu Inländern geworden sind.“ - So war es ja wohl zumindest bei den minderjährigen Kindern der Familie aus Hoya: Sie sind hier geboren.

Interessant in diesem Zusammenhang ist auch der Hinweis des Oberverwaltungsgerichts Bremen in seinem Urteil vom 5. Juli 2011 auf Artikel 3 der UN-Kinderrechtskonvention. Danach ist bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist. In unserem Fall aus Niedersachsen hätte man auch an unsere Niedersächsische Verfassung denken können, die wir gerade um Kinderrechte erweitert haben.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜNEN und Zustimmung bei der SPD)

Meine Kollegin Pia Zimmermann hatte schon im letzten Plenum darauf hingewiesen: Die ganze Familie war vollständig in die hiesigen Lebensverhältnisse integriert. Oder wie es der evangelische Pastor vor Ort, Andreas Ruh, gesagt hatte: Besser als diese Familie kann man gar nicht integriert sein.

Wenn aber die beiden vietnamesischen minderjährigen Kinder nicht abgeschoben werden durften, dann hat das auch Konsequenzen für das Aufenthaltsrecht der Eltern, was der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seinem Urteil vom 28. Juni dieses Jahres - Nunez gegen Norwegen - klargestellt hatte.

Das OVG Bremen hat in seinem Urteil vom 5. Juli 2011 übrigens auch ausgeführt, dass die Tatsache, dass eine Familie Sozialleistungen bezieht, nicht ohne Weiteres ausreicht, ihre Verwurzelung in Deutschland zu verneinen. Verwurzelung ist nämlich ein Begriff - das müssen Sie sich einmal merken -, der auf die faktischen Gegebenheiten Bezug nimmt. Wie die Menschen hier aufgewachsen sind, das ist entscheidend.

Das bedeutet, wenn die Familie Nguyen jetzt zurückgeholt wird, dann ist das kein Gnadenakt außerhalb des geltenden Rechts, sondern eine Wiedergutmachung für an dieser Familie begangenes Unrecht.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜNEN und Zustimmung bei der SPD - Kreszentia Flauger [LINKE]: Das ist eine Fehlerkorrektur! Wer be- zahlt das eigentlich?)

Wir halten fest: Die Behörde hat sich menschenrechtswidrig verhalten, und der Innenminister hat das ausdrücklich unterstützt. Wenn er sich so korrigieren muss, wie es jetzt ansteht, dann müsste er eigentlich persönliche Konsequenzen ziehen.

Eines will ich zur Entlastung der Ausländerbehörden noch sagen: Ich habe mir einmal die Ausführungsbestimmungen zu § 25 Abs. 5 angeschaut, die vom Bundesinnenminister herausgegeben werden. In diesen Ausführungsbestimmungen ist die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und aller von mir zitierten Gerichte überhaupt nicht berücksichtigt. Das mag die Ausländerbehörde entlasten, aber es entlastet nicht den Innenminister. Denn der müsste in so einem Fall normalerweise die Entwicklung der Rechtsprechung in der Praxis berücksichtigen und seine Ausländerbehörden darauf hinweisen, dass es diese Rechtsprechung gibt.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜNEN und Zustimmung bei der SPD - Ursula Helmhold [GRÜNE]: Ei- ne Pflichtverletzung ist das!)

Das hat er aber nicht getan, weil ihm die ganze Richtung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht passt. Das ist der Fakt.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Ich erteile jetzt der Kollegin Polat das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie lange wollen Sie eigentlich noch wegschauen? Wie lange wollen Sie eigentlich noch weghören? - Die Abschiebepraxis dieser Landesregierung ist und bleibt menschenrechtswidrig und inhuman!

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN und Zustimmung bei der SPD)

Sie schieben Menschen aus der Psychiatrie ab. Sie schieben Frauen aus dem Frauenhaus ab. Sie schieben kranke Menschen ab, nachdem Ihre dubiosen Ärzte sie als „fit to fly“ begutachtet haben. Sie schieben Mütter ab, während ihre Kinder in der Schule sind. Sie schieben minderjährige Kinder ab. Sie schieben schwangere Frauen ab. Sie schieben Menschen noch im hohen Rentenalter ab.

(Zuruf von Gudrun Pieper [CDU] - Gegenruf von Helge Limburg [GRÜ- NE]: Das ist eine Unverschämtheit!)

Sie schieben in Staaten wie den Kosovo ab, die Minderheiten keine Perspektive und keinen Schutz bieten können. Sie schieben nach Syrien ab, obwohl Sie wissen, dass die Menschen dort Haft erwartet. So sieht die Abschiebepraxis in Niedersachsen aus, meine Damen und Herren!

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)