Protocol of the Session on September 15, 2011

(Beifall bei der LINKEN)

Als denkbare Marge ließe sich die in der EU gängige Definition des Armutsrisikos setzen. Für eine alleinstehende Person wäre dies derzeit ein Einkommen von etwa 880 Euro pro Monat.

Die Frage nach den Kosten, die dem Land entstehen, hängt natürlich auch von den Verhandlungen mit den Verkehrsverbünden ab. Aber auch hierfür gilt: Je mehr Fahrgäste, desto niedriger die ProKopf-Kosten.

In einer eher pessimistischen Rechnung gehen wir für die Einführungszeit, also für eine Übergangszeit, von etwa 95 Millionen Euro pro Jahr aus, mit denen das Land die Kommunen unterstützen müsste. 40 % der Kosten würden von den Kommunen selbst getragen werden, in begründeten Ausnahmefällen auch etwas weniger. Mittel- und langfristig können die Kommunen durch die höhere Auslastung des ÖPNV allerdings mit deutlichen Einsparungen auch in anderen Bereichen rechnen. Allein in der Region Hannover konnten mit der

Einführung der Sozialcard jährlich Mehreinnahmen in Millionenhöhe generiert werden.

(Zustimmung bei der LINKEN - Kres- zentia Flauger [LINKE]: Geht doch!)

Der Personenkreis, der zum Erwerb eines Sozialtickets berechtigt ist, umfasst nach unseren Berechnungen - ich habe das in einem Pressegespräch ausführlich dargestellt - 10 bis 15 % der Gesamtbevölkerung in Niedersachsen. Das könnte monatliche Mehreinnahmen in Höhe von maximal 15 bis 22 Millionen Euro bedeuten - monatlich! -, allerdings nur, wenn alle Personengruppen, die eine Sozialcard erwerben können, dies auch tun. Wir legen sehr viel Wert darauf, dass diese 18,50 Euro dafür auch ausgegeben werden. Diese Mehreinnahmen reduzieren sich selbstverständlich, wenn nicht alle Menschen dieses Angebot in Anspruch nehmen. Der Betrag bleibt aber selbst bei einer pessimistischen Rechenart erheblich.

Ich möchte einen weiteren Aspekt aufgreifen, und zwar das Schwarzfahren. Wir stehen hierbei vor einem Phänomen in unserer Gesellschaft, das immer absurdere Züge annimmt. Ich meine damit die Tatsache, dass in den Justizvollzugsanstalten zunehmend mehr Menschen Strafen wegen des Delikts der Beförderungserschleichung absitzen als wegen anderer Delikte. Hierzu gibt es in anderen Bundesländern Zahlen. Nur unsere Landesregierung war nicht in der Lage, auf eine Anfrage von mir entsprechende Zahlen anzugeben. Das war sehr oberflächlich, sage ich einmal.

Unser Vorschlag für eine niedersächsische Sozialcard sollte neben der Mobilität noch eine zweite Säule haben und hat sie auch. Das ist die soziokulturelle Teilhabe. Alle öffentlich geförderten Einrichtungen müssen bezüglich ihrer sozialen Zugänglichkeit hinterfragt werden, ob Museen, Theater oder Kinos, Sportvereine oder Freizeitstätten. Wir brauchen neue, nämlich niedrigere Sozialtarife.

Hierfür gibt es teilweise schon sehr vorbildliche Beispiele, so etwa Sportvereine, die Kindern aus armen Elternhäusern eine kostenfreie Mitgliedschaft ermöglichen. Doch noch trifft es eben auch zu, dass einerseits einzelne Museen oder Theater an Besuchermangel leiden, andererseits Menschen zu Hause sitzen müssen, die sich einen Eintritt schlichtweg nicht leisten können. Wir können doch nicht ernsthaft mit öffentlichen Mitteln Museen finanzieren und Kindern aus sozial benachteiligten Familien den Blick auf die Ausstellungsstücke verwehren.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich weise an dieser Stelle nachdrücklich darauf hin, dass der Betrieb von Theatern, Schwimmbändern oder Museen Fixkosten verursacht, die unabhängig von der Besucherzahl anfallen. Auch hierbei heißt es also, dass die Öffnung dieser Einrichtungen für die Inhaber von Sozialcards keine Mehrkosten, sondern Mehreinnahmen verursacht. Das ist der zentrale Punkt für die Finanzierung dieser sozialen Leistung für einen Übergangszeitraum, bis der Antrag evaluiert worden ist.

Unterstützen Sie unseren innovativen Antrag, der große Chancen für soziale Gerechtigkeit für diejenigen bietet, die von einer sozialen Teilhabe am Leben ausgeschlossen sind!

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. Ich hoffe auf eine wirklich konstruktive Auseinandersetzung im Ausschuss, auch über die Frage der Finanzierung, Herr Böhlke.

(Beifall bei der LINKEN)

Der nächste Redner ist für die Fraktion der CDU Herr Kollege Böhlke. Sie haben das Wort!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir hörten es gerade: Die Fraktion DIE LINKE fordert mit ihrem Antrag, in Niedersachsen eine Sozialcard flächendeckend zu etablieren.

In einem so großen Bundesland wie Niedersachsen flächendeckend ein Sozialticket einzuführen, beinhaltet einen hohen Anspruch.

In Niedersachsen werden zurzeit unterschiedliche Modelle zum Stichwort „Sozialcard“ oder „-ticket“ für Bürgerinnen und Bürger, die Sozialleistungen erhalten oder über ein geringes Einkommen verfügen, angeboten. Überwiegend in den größeren oder großen Städten, sozusagen in den Zentren Niedersachsens, werden entsprechende kommunale Angebote unterbreitet, beispielsweise in den Landkreisen Göttingen, Stade, in der Region Hannover oder auch in Emden, Oldenburg, Osnabrück und Wolfsburg.

In den jeweiligen Kommunen werden allerdings unterschiedliche Vergünstigungen angeboten, so beispielsweise für den Freizeitbereich, für den Zoo, für den Schwimmbadbesuch oder auch für kulturel

le Einrichtungen. Auch Angebote von Sportvereinen werden entsprechend berücksichtigt.

Alles das, was hier angesprochen worden ist, wird von den Kommunen individuell durchaus berücksichtigt.

Auch zum Stichwort „Mobilität“ gibt es einzelne Beispiele in der Region Göttingen, in Wolfsburg, aber auch hier in Hannover, die deutlich machen, dass es Vergünstigungen bei der Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs gibt. Übrigens ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass seit dem 1. September 2011 aufgrund einer Absprache zwischen dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales und der Deutschen Bahn AG die Regelung besteht, wonach schwerbehinderte Menschen, die das Recht auf eine unentgeltliche Beförderung haben, das Angebot nunmehr auch in den DB-Nahverkehrszügen ohne Streckenbegrenzungen nutzen können.

Es gibt also eine Vielzahl an Möglichkeiten, die teilweise mit erheblichem Kostenaufwand von den Kommunen angeboten werden. Ich möchte aus sozialpolitischer Sicht ausdrücklich hervorheben, dass jede Kommune, die ein entsprechendes Angebot vorhält, auch in besonderer Weise zu loben ist. Aber, verehrte Kolleginnen und Kollegen, es ist eben nicht allen Kommunen möglich, ein entsprechendes Angebot vorzuhalten. Teilweise ist das auch bewusst so entschieden. Hintergrund hierfür ist die Tatsache, dass bei dem Regelsatz der Hartz-IV-Regelung entsprechende Bezugspersonen bereits grundsätzlich einen Ansatz von 18,50 Euro pro Person vom Bundesgesetzgeber zugebilligt bekommen haben, um die entsprechende Mobilität auf diese Weise zu finanzieren. Es ist vielen Kommunen vor dem Hintergrund dieser Leistungen unter Berücksichtigung der knappen Kassen nicht möglich, weitere Zugeständnisse zu machen. Es ist eben nicht aus dem Vollen zu schöpfen. Diese Situation erklärt sich für uns aus der kommunalpolitischen Selbstverwaltung.

Die CDU-Fraktion im Landtag ist der Auffassung, dass auch künftig die Kommunen im eigenen Wirkungskreis entscheiden sollten, ob sie im Rahmen der Gewährung freiwilliger sozialer Leistungen ein entsprechendes Angebot unterbreiten wollen. Der von den Linken dargestellte Ansatz, dass das Land dort, wo Kommunen kein Angebot vorhalten, einspringen soll, findet unsere Zustimmung nicht. Das bedeutet natürlich in der Konsequenz, dass Konnexität ausgelöst wird und damit eben auch in

erheblichem Umfange finanzielle Leistungen vom Land zu erbringen sind,

(Glocke des Präsidenten)

nicht nur für die Lücken, die in der Fläche sehr deutlich erkennbar sind, sondern auch dort, wo bereits ein entsprechendes Angebot vorgehalten wird; denn da gilt natürlich auch der Gleichbehandlungsgrundsatz. Das bedeutet natürlich auch, dass die Kommunen, die hier vorbildlich entsprechende Angebote tätigen, nicht schlechter gestellt werden dürfen als alle anderen und somit auch dort künftig das Land die bisher von der Kommune gezahlten Kosten zu übernehmen hat. Spätestens jetzt wird deutlich, dass es sich bei diesem Antrag um einen sogenannten Wünsch-dir-was-Antrag handelt, bei dem der Antragsteller offensichtlich nicht wirklich bis zu Ende darüber nachgedacht hat, wie die Finanzierung tatsächlich zu gewährleisten ist.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Man kann ja auch einmal über ein Aus- gleichssystem nachdenken!)

Wir haben gehört, dass es knapp 100 Millionen Euro sein sollen, die in dieser Angelegenheit auf das Land als Kosten zukommen. Wenn man den Antrag aber genauer liest, dann liest man auch, dass eine Übernahme der Kosten durch das Land im öffentlichen Personennahverkehr von 60 % und in besonderen Fällen sogar von 75 % erfolgen soll. Das sind unüberschaubare Ausgaben, die unkalkulierbar sind. Deshalb bezweifele ich schlichtweg, dass die genannte Summe in Höhe von 95 Millionen Euro ausreicht, um das Ganze zu finanzieren.

Hier muss eine seriöse und nachvollziehbare Kalkulation auf den Tisch. Die werden wir ja im Ausschuss erleben. Ich bitte Sie, Herr Kollege Humke, uns möglichst im Vorfeld Ihre Kalkulation so frühzeitig zur Verfügung zu stellen, dass wir sie entsprechend nachvollziehen können. Dazu werden wir sicherlich ganz unterschiedliche Positionen haben.

Für ganz gefährlich halte ich im Übrigen, meine Damen und Herren, den Hinweis auf Schwarzfahren. Es ist völlig unberechtigt, einen Zusammenhang zwischen Armut und Schwarzfahren herzustellen. Ich glaube in Anbetracht der Tatsache, dass wir an vielen anderen Stellen finanzielle Zuwendungen dringend benötigen, die wir entweder gestrichen oder reduziert haben, schon gar nicht, dass wir uns darauf verständigen können, dass wir als Bundesland künftig Schwarzfahrer unterstüt

zen. Es ist ein Witz im Treppenhaus, dieses Geld jetzt für Schwarzfahrer auszugeben, den wir mit Sicherheit nicht akzeptieren und auch nicht mittragen werden.

(Beifall bei der CDU - Glocke des Präsidenten)

Abschließend möchte ich der den Antrag stellenden Fraktion DIE LINKE deutlich machen, dass sie sich keine allzu großen Hoffnungen machten sollte, dass wir ihr bei der Annahme dieses Antrages behilflich sein können. Wir werden die einzelnen Aspekte in der Detailberatung im Fachausschuss sicherlich intensiv beleuchten. Darauf freue ich mich.

Letzter Satz!

Ich denke, dass wir in diesem Sinne relativ schnell eine endgültige Entscheidung im Plenum herbeiführen werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Victor Perli [LINKE]: Keine soziale Verantwortung!)

Zu dem Beitrag von Herrn Böhlke hat sich Herr Humke zu einer Kurzintervention gemeldet. Sie haben das Wort, Herr Humke.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Böhlke, ich möchte hier eines feststellen: Uns geht es um eine Gleichbehandlung aller Menschen hier in Niedersachsen, die Sie nicht erreichen - Sie haben das selbst dargestellt -, indem Sie darauf verweisen, dass es in verschiedenen Kommunen bereits Sozialkarten gebe, bei denen auch der ÖPNV mit berücksichtigt worden sei. Ich habe Ihnen in meinem Einführungsstatement aber auch gesagt, dass es in keiner Kommune oder keinem Verkehrsverbund eine Monatskarte für 18,50 Euro gibt, mit denen man den öffentlichen Personennahverkehr fördern könne, und die günstigsten bei 35 Euro pro Monat liegen, während der Hartz-IVSatz 18,50 Euro pro Monat vorsieht. Das heißt, die Menschen sind vom ÖPNV und von der Mobilität ausgeschlossen.

Die Zahlen zu den Kosten und den Mehreinnahmen liefern wir Ihnen vor der Sitzung. Es geht tatsächlich darum, zu ermöglichen - dafür möchte ich Sie gewinnen -, dass diese Karte von 18,50 Euro erworben werden kann. Wenn Sie die Anzahl der antragsberechtigten Menschen zusammenzählen, dann haben Sie - gesetzt den Fall, sie würden das Angebot annehmen - selbst dann, wenn nur die Hälfte derjenigen das Angebot in Anspruch nehmen würde - ich muss jetzt zum Schluss kommen -, monatliche Einnahmen von vielen, vielen Millionen Euro - die genauen Zahlen liefere ich Ihnen im Ausschuss. Dann rechnet sich das und relativiert sich auch das, was wir nur für eine Übergangszeit von drei Jahren bezuschussen wollen, sodass wir die Hoffnung haben, irgendwann zu einem Nullsummenspiel zu kommen. Das ist unsere Hoffnung. Ich bitte Sie darum, dass wir darüber diskutieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Böhlke möchte darauf antworten. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Stellungnahme des Kollegen Humke hat sehr deutlich gemacht, dass die Kostenfrage im Mittelpunkt steht. Die Gleichbehandlung aller Menschen ist natürlich der Nulltarif im öffentlichen Personennahverkehr.

(Zustimmung von Dr. Manfred Sohn [LINKE])

Das ist nicht zu finanzieren. Es muss ja irgendjemanden geben, der das zu bezahlen hat. Es muss doch weiterhin ein attraktives Angebot vorgehalten werden. Sie haben weiterhin angesprochen, dass das Land die Kosten tragen soll und die Mehreinnahmen, die Sie daraus ableiten und die sich daraus generieren, die Träger derer erhalten sollen, die den öffentlichen Personennahverkehr bzw. die Freizeitangebote vorhalten. In der Regel handelt es sich dabei um die Kommunen. So geht es natürlich auch nicht, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Dr. Manfred Sohn [LINKE]: Doch, so geht es! Das ist ein bisschen einfach gerechnet. Vor die- sem Hintergrund bleibt letztlich die konkrete Frage zu stellen: Wie können wir sicherstellen, dass mög- lichst in einer überschaubaren Größenordnung im Wirkungskreis der kommunalen Selbstverwaltung die Gemeinderäte und Stadträte für sich entschei- den, ob in ihrem Gebiet eine entsprechende Ange- botspalette zur Verfügung gestellt werden kann oder nicht? - Es muss unser Ziel sein, dafür Sorge zu tragen, dass die Kommunen in diesem Bereich einen entsprechenden Spielraum haben. Ich glau- be, dort ist ein Lösungsansatz für die Menschen zu sehen, die tatsächlich darauf angewiesen sind. Alle anderen Angebote, die Sie damit verbinden, sind aus unserer Sicht kaum zu finanzieren. (Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Frau Helmhold das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Linke stellt in ihrem Antrag zu Recht fest, dass Mobilität eine Grundvoraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe ist. Daneben beschäftigt sich der Antrag mit den Zugangsmöglichkeiten zu öffentlichen Einrichtungen wie Theatern, Schwimmbädern, Sportvereinen usw. Dies wird in den niedersächsischen Kommunen - Herr Böhlke hat es schon gesagt - sehr unterschiedlich gehandhabt: Manche haben Sozialcards, andere geben Ermäßigungen für bestimmte Personengruppen.

Die Linke fordert nun in ihrem Antrag das Land auf, eine flächendeckende Sozialcard einzuführen. Ich halte das für ein sehr schwieriges Unterfangen. Neben der Tatsache, dass das Selbstbestimmungsrecht der Kommunen berührt sein könnte, macht ihr Antrag einen Finanzierungsvorschlag, wie das gehen soll, nämlich mit bis zu 75 % Kostenbeteiligung des Landes. Mehr stand zunächst nicht im Antrag. Sie haben heute in Ihrer Rede gesagt, Sie schätzen 95 Millionen Euro, und vorgerechnet, dass auch wieder viel Geld hereinkommt. Das kommt mir an der Stelle vor wie ein Perpetuum mobile. Das sollten wir uns tatsächlich genauer angucken. Es ist nicht erklärt, wie diese Summe vom Land aufgebracht werden kann.