Protocol of the Session on September 14, 2011

dafür entscheiden, ihrer Heimat im Osten Niedersachsens den Rücken zuzukehren.

(Ursula Weisser-Roelle [LINKE]: Un- glaublich! - Weitere Zurufe - Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Ihre Strategie ist falsch und verwerflich. Ich hoffe, dass Sie früher oder später davon ablassen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Zurufe)

Wenn die Zwischenrufe abebben, hat der Kollege Bäumer das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist das zweite Mal, dass Sie mich heute Morgen hören können. Es kommt noch ein drittes Mal; das darf ich an dieser Stelle schon ankündigen.

(Ah! bei der SPD - Zustimmung von Ulrich Watermann [SPD])

Dann werde ich mich auch mit den sehr emotional vorgetragenen Worten von Herrn Bachmann beschäftigen. Insofern, Herr Bachmann, können Sie nur mit Spannung erwarten, wie ich gleich auf das reagieren werde, was Sie hier vorhin gesagt haben. Das lohnt sich aus meiner Sicht.

(Lachen bei der SPD - Klaus-Peter Bachmann [SPD]: Ich habe da einen Verdacht!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, in den Redebeiträgen vorhin ist immer so getan worden, als wenn jeder weitere Castortransport die Strahlung im Behälterlager erhöhen würde. Es ist vorgetragen worden, dass es einen direkten linearen Zusammenhang zwischen der Menge der Castorbehälter und der Höhe der Strahlung gebe.

Sicherlich, meine sehr geehrten Damen und Herren, besteht ein Zusammenhang zwischen der Lautstärke, die es hier in diesem Hause manchmal gibt, also den Emissionen an Lärm, und der Menge der Abgeordneten im Saal. Ich selbst habe die letzten acht Jahre feststellen dürfen: Je mehr hier im Saal sind, desto lauter kann es manchmal werden. - Momentan ist es übrigens hinter meinem Rücken relativ laut.

Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, die Physik der Strahlung von Castorbehältern ist anders. Uns ist letzte Woche im Umweltausschuss erklärt worden, dass es eine sehr interessante Grafik gibt. Ich habe mich ein wenig gewundert, dass keiner von Ihnen heute Morgen diese Grafik angesprochen hat. Wenn Sie das getan hätten, dann wäre manche Ihrer Aussagen obsolet gewesen.

Diese interessante Grafik zeigt, dass es in den Jahren 2001 bis 2006 und 2007 bis 2010 bei der Strahlung, die aus dem Transportlager austritt, durchaus natürliche Schwankungen gegeben hat. Es ist kein Geheimnis - Sie, Frau Staudte, werden das wissen -, dass in den Jahren 2001 bis 2006 jedes Jahr zwölf Castorbehälter nach Gorleben gebracht worden sind, dass es im Jahr 2007 keinen Transport gab und dass in den Jahren 2008 und 2010 jeweils elf Behälter dazugekommen sind. Heute stehen dort 102 Behälter. Die Jahresdosiswerte der Gammastrahlung und der Neutronenstrahlung sind von 2004 bis 2008 kontinuierlich gestiegen, aber dann in den Jahren 2009 und 2010 gefallen. Sie liegen heute unter dem Wert von 2008.

(Kurt Herzog [LINKE]: Wessen Statis- tik war das?)

Wer hier behauptet, Herr Herzog, je mehr Castoren, desto mehr Strahlung, der verkennt die Aussagen, die wir im Umweltausschuss bekommen haben.

(Zuruf von Ursula Helmhold [GRÜNE])

Dies hatte, Frau Kollegin Helmhold, mit Umräumen überhaupt nichts zu tun.

Natürlich, meine sehr geehrten Damen und Herren, gilt überall im Bereich der Strahlung der Grundsatz der Strahlenminimierung. Ich möchte hier heute Morgen keine Vergleiche mit der Röntgenuntersuchung oder der Strahlenbelastung beim Fliegen ziehen. Aber für Panikmache, wie sie von Ihnen auf der linken Seite des Hauses hier heute Morgen betrieben wird, ist überhaupt kein Platz.

(Zustimmung bei der CDU)

Schon jetzt lauthals zu schreien, dass der nächste Castortransport zwingend abgesagt werden müsse, hat mit den Fakten und der Sachlage überhaupt nichts zu tun. Das ist pawlowscher Hund pur.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Sie müssen nicht immer auf die Betreiber hören!)

Sie haben doch gehört - Sie natürlich nicht, Frau Kollegin Flauger, weil Sie nicht dabei sind; der Kollege Herzog hat es Ihnen vermutlich gar nicht erzählt -, dass man in Gorleben zurzeit Messungen von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt durchführen lässt.

(Kurt Herzog [LINKE]: Heimlich!)

Die PTB ist eine Bundesbehörde. Sie hat den Auftrag, die Messungen des NLWKN und des Betreibers noch einmal zu überprüfen. Das ist richtig. Ich halte immer viel davon, dass man ermittelte Daten kontrolliert. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bin schon sehr gespannt, was bei diesen Daten herauskommt.

Dann gibt es zwei Möglichkeiten: Wenn sich zeigen sollte, dass auch die PTB bestätigt, dass in der Prognose die Grenzwerte in diesem Jahr überschritten werden, dann ist der Betreiber in der Pflicht, durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass das nicht geschieht.

(Zuruf von Miriam Staudte [GRÜNE])

- Frau Staudte, warten Sie doch einmal ab! Ihr Problem ist doch, dass Sie nie abwarten können. - Erst dann, wenn sich herausstellen sollte, dass der Betreiber dazu nicht in der Lage ist, Frau Staudte, ist der Punkt erreicht, an dem man sagen kann: Der Castortransport wird abgesagt. - Vorher nicht!

(Zustimmung bei der CDU)

Tun Sie mir bitte einen Gefallen: Halten Sie sich an Daten, Fakten und Analysen, und hören Sie auf, ständig aus Kleinigkeiten Geschrei zu machen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich erteile jetzt dem Kollegen Herzog das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Falsche Messpunkte, zu hoch angesetzte Hintergrundstrahlung, unterschätzte Gefahren der Neutronenstrahlung, ungenügende Modellrechnungen statt empirischer Messungen - und trotzdem über dem Grenzwert!

(Vizepräsident Hans-Werner Schwarz übernimmt den Vorsitz)

In meiner Kreistagsfraktion sitzt ein Atomphysiker, der sich jahrzehntelang beruflich mit der Neutronenstrahlung beschäftigte, mit Streustrahlung, mit Skyshine-Strahlung und mit unterschlagenen Sekundäreffekten. Er weist seit vielen Jahren auf all die auftretenden Probleme technischer Art, auf die ungenauen Modellierungen sowie auf falsche Grundannahmen im Zusammenhang mit den Gorlebener Atomlagern hin. Er hat im Atomausschuss des Landkreises oftmals über die Castorbehälter, die mangelnde Neutronenabschirmung im Bodenbereich sowie die neutronenoffenen Sektoren am Deckel gesprochen, durch die beim Transport das Begleitpersonal und die Anwohner verstrahlt werden. Immer stießen wir statt Aufklärung auf das Zauberwort „Betriebsgeheimnis“ - aber nicht nur seitens des Betreibers GNS, sondern leider auch ausgesprochen deutlich seitens der Behördenvertreter, der niedersächsischen Atomaufsicht oder des BfS.

Herr Sander, Sie füllen Pressekonferenzen mit Leerformeln oder hüllen sich in beredtes Schweigen. Wundern Sie sich dann, dass Ihnen in Lüchow-Dannenberg niemand mehr glaubt? Wir wollen keine Doppelbödigkeit und keine bewusste taktische Langatmigkeit, sondern wir wollen das offene Behördenvisier und kein Abwimmeln unseres Landrats. Wir wollen eine Aufsicht, die die Menschen schützt!

(Beifall bei der LINKEN und Zustim- mung bei den GRÜNEN)

Herr Sander, nicht Sie haben die Öffentlichkeit über die Grenzüberschreitungen informiert, sondern die Info wurde dem NDR zugespielt. Die überfällige sofortige Unterrichtung im Umweltausschuss verhinderten CDU und FDP mit ihrer Mehrheit. Wahrscheinlich mussten Ihre Sprechzettel noch gerichtet werden.

Eine Woche später präsentierten Sie den TÜV als verlängertes, verharmlosendes Sprachrohr des Betreibers GNS - und das im totalen Widerspruch zu Ihrer eigenen Behörde, dem NLWKN. Alle wichtigen Fragen blieben unbeantwortet, beispielsweise die nach dem ungünstigsten Messpunkt, nach der vom Betreiber zu hoch angesetzten natürlichen Strahlung und vor allem auch die Fragen nach den angedachten Maßnahmen.

Klar waren lediglich die Ausführungen Ihres Referatsleiters, dass fünf Wochen vor dem Castor

transport die Entscheidung fallen muss, ob er rollt oder nicht, und dass es für jede zusätzliche Abschirmung ein ordentliches Genehmigungsverfahren beim BfS braucht. Wer rechnen kann, der sieht, dass das Zeitfenster von wenigen Wochen einfach nicht ausreichen kann. Deswegen sage ich voraus: Der Castor wird dieses Jahr nicht fahren.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Schach-Rochade der Castoren, die Sie genehmigt haben - im Geheimverfahren, versteht sich -, die Hütchenspiele werden vom Betreiber selbst für untauglich gehalten. Aber ich traute meinen Ohren nicht, Herr Sander, als ich hörte, wie Sie am letzten Freitag im ffn-Interview - wohl auf dem Rückweg vom Sägeeinsatz in der Elbtalaue - die Umstellungen in der Castorhalle im Juli ganz offen zugegeben haben. Diese hätten aber nichts mit den Grenzwertüberschreitungen zu tun, sondern erfolgten wegen Terrorwarnungen und seien durch das BfS veranlasst worden. Das Tohuwabohu war komplett, als der BfS-Sprecher Emrich das umgehend dementierte. Herr Sander, ich empfehle: Bleiben Sie bei der Säge! Dann machen Sie zwar auch etwas kaputt, aber das wächst wenigstens nach.

(Beifall bei der LINKEN und Zustim- mung von Miriam Staudte [GRÜNE])

Meine Damen und Herren, immer wieder hat der Kreistag Lüchow-Dannenberg in Stellungnahmen auf die mangelnde Terrorsicherheit bei einem gezielten Absturz einer großen Verkehrsmaschine hingewiesen. Immer wieder hat die Atomaufsicht im Schulterschluss mit dem BfS behauptet, Castorbehälter seien an sich sicher. Darauf könnten Flugzeuge oder 113 t schwere Hallenträger fallen, sie könnten eine Stunde in brennendem Kerosin liegen - alles kein Problem! Und dann werden die Behälter in geheimer Nacht- und Nebelaktion umgestellt? Waren das nicht vielmehr verzweifelte Versuche, die Strahlung draußen wieder knapp unter den Grenzwert zu drücken?

Ich erwarte hier und heute von Ihnen umfassende Aufklärung, Herr Sander.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Sander, Sie führten in dem ffn-Interwiev des Weiteren wörtlich aus:

„Nun muss vom Betreiber dargelegt werden, dass mit der Aufnahme der nächsten Transportbehälter keine neue, erhöhte Strahlenbelastung ein

tritt, und wenn das nicht geht, darf nicht eingelagert werden.“