Protocol of the Session on September 14, 2011

Dann betrachteten die Wissenschaftler - Kollegin Staudte hat es eben gesagt - vom Helmholtz Zentrum 2010 in einer weiteren Studie die Umgebung von 32 Atomanlagen. Ergebnis: Ja, es gibt diese signifikante Veränderung bei den Geburtenraten - in Gorleben, in Krümmel und anderswo. Je näher die Mütter an der Anlage wohnen, desto weniger Mädchen bringen sie zur Welt.

Aber der Ablauf ist wie immer: Es gibt einen Verdacht - dieses Mal nicht bei Ihnen, Herr Bäumer -, daraufhin wird eine epidemiologische Studie in Auftrag gegeben, die diesen signifikanten Effekt nachweist. Aber anschließend wird von Behördenseite ein Kausalzusammenhang zwischen ionisierenden Niedrigstrahlung und dem Effekt ausgeschlossen. Die Verfasser werden behindert, ignoriert und bepöbelt.

Nun hat aber das Niedersächsische Landesgesundheitsamt selbst geprüft und stellt diesen Effekt in und um Gorleben fest. Auch auf der Seite, wo es früher sozusagen einen blinden Fleck gab, nämlich auf der östlichen Seite der Elbe, wird der gleiche Effekt festgestellt. Trotzdem wiederholt das Gesundheitsamt stereotyp die These: Effekt ja, aber Strahlung kommt als Ursache nicht infrage. - Dass dieser Effekt gut mit der Inbetriebnahme des Castorzwischenlagers in Gorleben 1995 korreliert, tut dieser Borniertheit keinen Abbruch - auch nicht, dass der gleiche Effekt infolge der Atomwaffentests und der Tschernobyl-Katastrophe gerade Strahlung als Ursache nahelegt.

Die grenzwertüberschreitende Strahlung am Zwischenlager Gorleben steht nicht in Zusammenhang mit der Geburtenrate, sagt das NMU. - Aber eines ist doch neu: Der von der Atomaufsicht beauftragte NLWKN beharrt auf seinen Aussagen, und zwar im klaren Gegensatz zu Ministerium und TÜV, die die merkwürdigen Rechenkünste der GNS weiterhin für richtig halten.

Aber warum wird das alles hinter verschlossenen Türen ausgetragen? Warum verharmlost die Sprecherin des Umweltministeriums in so unerträglicher Art und Weise? Warum muss Lüchow-Dannenbergs Landrat leider draußen bleiben? - Herr Sander, wenn es um Ihre Endlagerbohrerei geht, dann wiederholen Sie mantrenhaft: „Die Menschen im Wendland haben ein Recht darauf, zu erfahren, ob

der Salzstock geeignet ist.“ Dann wenden Sie doch genau das endlich mal an, wenn es um die Strahlung geht, die von Castoren beim Transport und im Zwischenlager ausgeht!

(Beifall bei der LINKEN)

Denn das Herumgerede haben wir im Wendland wirklich satt - dieses Verschweigen, Vertuschen, Manipulieren, den „Dialüg“ eben, wie die Bäuerliche Notgemeinschaft sagt.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Ich erteile dem Kollegen Bachmann das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Oberverdachtsheger Bäumer hat hier heute eine Aussage getroffen, die unverschämt ist: Es gehe uns nicht um die Sicherheit der Menschen, nein, darum gehe es uns überhaupt nicht.

(Widerspruch bei der CDU)

Wissen Sie, Herr Bäumer, warum ich hier das Wort ergreife? - Mir geht es nicht nur um die Sicherheit der Menschen im Wendland, mir geht es auch um die Sicherheit der Tausenden von eingesetzten Polizeibeamten bei möglichen Castortransporten aus ganz Deutschland. Dazu kein Wort von Ihnen!

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN - Heinz Rol- fes [CDU]: Das ist ja dummes Zeug!)

Meine Damen und Herren, vor einem Jahr hatten wir folgende Gemengelage: Kurz vor dem Castortransport - darum ging es schon bei der damaligen Debatte über die Regierungserklärung Schünemann, die nach hinten losging, Stichwort „Ausstieg aus dem Ausstieg“; im Übrigen ist er ja bei solchen Debatten meistens draußen, was zeigt, wie ernst er das Thema nimmt -

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

haben Zigtausende Demonstranten und besorgte Bürger an den Kundgebungen teilgenommen und auf der Straße gestanden.

(Ingrid Klopp [CDU]: Wir auch!)

Dann kamen Ihre Krokodilstränen über die Einsatzkosten. Bei einem Castortransportszenario in diesem Jahr unter diesen Vorzeichen provozie

ren Sie beides wieder! Darüber müssen Sie sich im Klaren sein!

(Zustimmung bei der SPD)

Wenn der Herr Innenminister schon nicht mit der GdP redet, dann sollte er wenigstens lesen, was die GdP, die größte Berufsvertretung und Gewerkschaft der Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten Niedersachsens, ihm schriftlich mitteilt. Und wenn er das nicht liest, dann will ich ihm - auch wenn er nicht da ist; aber das kann man ihm ja weiterleiten - wenigstens zwei Passagen vorlesen: Eine Gefährdung der Bevölkerung als auch der eingesetzten Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten muss restlos ausgeschlossen sein, bevor ein neuer Transport durchgeführt wird. Die Landesregierung darf in ihrer Verantwortung für die Menschen im Wendland - und jetzt kommt das, was sich der Innenminister mal hinter die Ohren schreiben sollte - und im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht auch für die Beschäftigen der Polizei nicht zulassen, dass sich Gesundheitsschäden möglicherweise in nicht absehbarem Ausmaß realisieren.

Eine weitere Feststellung der GdP spricht Bände, meine Damen und Herren. Ich lese sie Ihnen vor, weil Sie ja leider sprachlos sind - nicht der Kollege Güntzler, sondern der Innenminister in den Gesprächen mit der größten Berufsorganisation unserer Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten:

„Die Auswertungen der beim letzten Transport über Dosimeter erfassten Strahlenbelastung sind bis heute der GdP Niedersachsen“

- ein Jahr danach! -

„nicht zugänglich gemacht worden.“

(Zurufe - Unruhe)

„Unabhängig von der Gefahr am Zwischenlager müssen auch diese Ergebnisse zur Grundlage einer Entscheidung gemacht werden.“

Es spricht Bände, dass man das nicht transparent macht.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Unabhängig davon, dass die Kollegen Tanke und Bosse deutlich gemacht haben, warum wir auch aus grundsätzlichen Erwägungen einen solchen Castortransport nach Gorleben für nicht vertretbar halten, betrachte ich auch die Einsatzaspekte, die z. B. für einen solchen möglichen Einsatz auf Tau

sende von Polizeibeamten zukämen - auch da empfiehlt sich ein Aussetzen, weil Herr Schünemann noch nachzuarbeiten hat -, wie die 1:1-Vergütung von Bereitschaftszeiten und der entsprechenden Überstunden. Auch da haben Sie noch etwas zu regeln. Trotzdem hoffen wir, dass es unter solchen Vorzeichen nicht zu einem solchen Castortransport kommt.

Herr Bäumer, nehmen Sie bitte eines zur Kenntnis: Sie reden hier verbal und unterstellen, uns gehe es nicht um die Menschen. Polizeibeamte sind Menschen genau wie die Menschen im Wendland. Ich habe Ihnen hier deutlich gemacht, dass es uns sehr wohl darum geht. Von Ihnen hingegen habe ich kein Wort dazu gehört.

(Lebhafter Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Heinz Rolfes [CDU]: Laut und leer! Mehr ist dazu nicht zu sagen!)

Ich erteile dem Kollegen Dr. Hocker das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Liebe Frau Kollegin Staudte und Herr Kollege Herzog, gestatten Sie mir noch ein Wort zu der in Ihren Reden genannten Signifikanz beim Rückgang von Mädchengeburten und der Unterstellung, es existiere ein unmittelbarer Zusammenhang mit dem Zwischenlager in Gorleben.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Signifikanz ist eine definierte statistische Größe, die auf eine Ursache zurückzuführen ist. Dies kann man in jedem Fachbuch nachlesen. Sie liegt nicht vor, nur weil Herrn Wenzel oder Frau Staudte gerade einmal etwas aufgefallen ist oder weil ihnen gerade etwas in den Kram passt. Bestätigt wurde - dies ist richtig -, dass es im Landkreis LüchowDannenberg mehr Jungen- als Mädchengeburten gegeben hat.

(Miriam Staudte [GRÜNE]: Das ist al- so Zufall, oder was?)

Der von Ihnen konstruierte Zusammenhang zum Zwischenlager ist nicht nur abenteuerlich, sondern er ist verantwortungslos, weil er werdende Mütter und Väter maßlos verunsichert. Das, was Sie da tun, ist unverantwortlich.

(Beifall bei der FDP)

Verehrter Herr Kollege Wenzel, man muss Unterrichtungen des Landesgesundheitsamtes einmal länger Aufmerksamkeit schenken, als man benötigt, um seine bereits vorformulierte Pressemitteilung auf den Weg zu bringen.

Der Bericht des Landesgesundheitsamtes spricht eine ganz deutliche Sprache. Ich darf zitieren: Ionisierende Strahlung scheidet als Einflussfaktor für ein erhöhtes sekundäres Geschlechterverhältnis aus, da keine nennenswerte radioaktive Zusatzbelastung in der genannten Umgebung des Transportbehälterlagers vorliegt. Eine Diskussion um mögliche Ursachen ist rein spekulativ. - Das ist ein Zitat von Seite 4 des Berichts.

Meine Damen und Herren, in jedem Landkreis in Niedersachsen gibt es verschiedene statistische Besonderheiten. Es gibt Landkreise mit einem weitaus deutlicheren sekundären Geschlechterverhältnis zugunsten der Jungen als in LüchowDannenberg, obwohl das nächste Kernkraftwerk oder Zwischenlager viele, viele Kilometer entfernt ist. In einigen Landkreisen werden leichtere, in anderen Landkreisen schwerere Babys geboren. In einigen Landkreisen weicht die Zahl der Frühgeburten vom Durchschnitt ab. Für keines dieser Merkmale werden Sie in Niedersachsen oder Deutschland einheitliche Werte erhalten, und zwar ganz ohne jede kerntechnische Einrichtung als Ursache. Es liegt in der Natur des Faches Statistik - deswegen gibt es das Fach überhaupt -, einen Durchschnitt zu erkennen und zu erklären.

(Zuruf von Kreszentia Flauger [LINKE])

- Wenn Sie, Frau Flauger, sich mit Statistik auskennen, dann würde ich empfehlen, auf derartige tendenziösen Behauptungen zu verzichten.

(Ulf Thiele [CDU]: Da hat er recht!)

Wenn Sie sich damit wider Erwarten auskennen und sogar wissen, dass ein Zusammenhang nicht existiert, dann fordere ich Sie auf, diese Aussagen, die die Väter und Mütter in der Region LüchowDannenberg verunsichern, zu unterlassen.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Das ist schon dreist! - Weitere Zurufe)

Denn man kann eine Region auch schlechtreden. Wenn man permanent über außerordentliche Gefahren durch das Transportbehälterlager Gorleben schwadroniert, sind diejenigen, die das tun, mit dafür verantwortlich, dass die Verkehrswerte von Immobilien im Landkreis Lüchow-Dannenberg an Wert verlieren und dass sich die Menschen häufig

dafür entscheiden, ihrer Heimat im Osten Niedersachsens den Rücken zuzukehren.