Protocol of the Session on September 14, 2011

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wir haben auch gefordert, den Castortransport zu stoppen. Aber, Herr McAllister, Sie haben zu beidem keine konkrete Meinung. Sie haben ein geerbtes Amt, wie viele Ihrer Amtskollegen.

(Zuruf von der CDU: Also!)

Die Wahlen, in denen sie sich beweisen mussten, haben Sie nicht überstanden, wie zuletzt Herr Mappus.

(Zustimmung bei der SPD - Heinz Rolfes [CDU]: Was redet er denn da?)

Sie stehen unter einem enormen Erfolgsdruck und sehen sich gezwungen, den zeitgerechten Anforderungen der Gesellschaft in der Energiewende hinterherzuhecheln. Sie sind getrieben von den aktuellen Erfordernissen in der Energiepolitik und müssen etwas vorweisen. Aber Sie wissen auch: Die Zeit des Dealens vom Herbst letzten Jahres - die Laufzeitverlängerung, die Sie unterstützt haben - ist unwiederbringlich vorüber.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Für die CDU ist die Energiepolitik zur Machtfrage geworden. Deswegen kritisieren wir Sie, damit Sie wirklich eine inhaltlich klare Bestimmung vornehmen, Herr McAllister.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ihr Koalitionswunschpartner geht Ihnen verloren. Er hätte Ihnen in diesem Fall ohnehin nicht geholfen. Und allein schaffen Sie es nicht. Was ist zu tun? - Die Antwort liefern Sie selbst. Am 12. September erklären Sie, dass Sie einen Brief mit Fragen an Herrn Röttgen geschrieben haben. Sie verraten aber nicht, was Sie dort dargelegt haben.

Seit heute Morgen wissen wir, warum. Sie haben es aus gutem Grund nicht gesagt. Denn am 11. August forderten Sie vom „lieben Norbert“ nahezu all das, was die Opposition hier im Landtag seit Beginn der Debatte um Gorleben eingefordert hat. Vermutlich verfolgen Sie mit Ihrem Schreiben zwei Ziele: Der Ministerpräsident kümmert sich höchst selbst um Gorleben, soll die Botschaft sein. Und: Ich mache mich einmal interessant für einen neuen Koalitionspartner. Weiß eigentlich Ihr guter herzlicher Freund, Herr Minister Sander, vom Freitag, was Sie da geschrieben haben?

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Bruderherz?)

Wissen Ihre Kolleginnen und Kollegen in CDU und FDP, was Sie da geschrieben haben?

(Christian Dürr [FDP]: Sie müssen auch ein bisschen Zeitung lesen! - Karl-Heinz Klare [CDU]: Onkel?)

Die SPD-Fraktion steht für eine starke Position in der Endlagerfrage. Wenn wir alle hier im Landtag Nein zu Gorleben sagen wollen, sollten wir das öffentlich tun und nicht in der Art einer Geheimdiplomatie.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wir haben hierzu einen Entschließungsantrag vorbereitet, den wir Ihnen heute als Entwurf vorlegen. Lassen Sie uns gemeinsam darüber beraten, feststellen und öffentlich beschließen: Gorleben, nein danke.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich erteile der Kollegin Staudte das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Herr Bäumer und Herr Dr. Hocker haben eben gerade noch einmal betont, dass sie auf jeden Fall zu den Grenzwerten stehen. Unsere Frage ist aber: Wie wollen Sie die Grenzwerte einhalten? Sie haben uns nicht dargelegt, mit welchen Maßnahmen. Das Verrücken der Castoren hat, wie wir wissen, noch nichts gebracht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich möchte hier auf einen anderen Aspekt eingehen. Das betrifft die Verschiebung des Geschlechterverhältnisses bei den Geburten um Gorleben. Der NLWKN ist nicht die einzige Landesbehörde, die in den vergangenen Wochen bundesweit für Aufsehen mit ihren Messungen gesorgt hat. Wir haben auch vom Landesgesundheitsamt eine neue Studie - vom Juli 2011 im Übrigen -, die uns als Landtag erst in der vergangenen Woche vorgelegt wurde. Das ist, wie ich finde, auch ein etwas seltsamer Vorgang.

Diese Studie bestätigt das, was die Wissenschaftler Kusmierz, Scherb und Voigt schon Anfang des Jahres als Befund feststellen konnten, nämlich dass die Mädchengeburten seit der Einlagerung der Castoren im 35 bzw. 40-km-Radius signifikant

zurückgegangen sind. Das Gesundheitsamt hat das Gebiet auf die neuen Bundesländer ausgedehnt. Wir wissen jetzt, dass der Mittelwert der Jahre 1996 bis 2009 bei 109 Jungengeburten zu 100 Mädchengeburten liegt. Das liegt deutlich über dem Bundesdurchschnitt von 105 zu 100. Das ist insofern besonders beunruhigend, als das Verhältnis vor der Einlagerung in Lüchow-Dannenberg noch weit unter dem Bundesdurchschnitt lag. Jetzt haben wir eine ansteigende Rampe, die im Moment bei 118 Jungen- zu 100 Mädchengeburten endet. Mit anderen Worten: je mehr Castoren, desto weniger Mädchen.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Die Frage ist natürlich: Um was für absolute Zahlen handelt es sich? Wovon reden wir hier? Herr Professor Pflugbeil, der sich in den vergangenen Jahren schon sehr intensiv mit den Effekten von Niedrigstrahlung befasst hat - - -

(Anhaltende Unruhe)

Frau Kollegin, ich darf einmal unterbrechen. - Ich möchte, dass im Plenarsaal mehr Aufmerksamkeit für die Rednerin herrscht. Das ist einfach zu laut. Ich bitte, die Gespräche einzustellen. - Bitte, Frau Kollegin!

Danke schön.

Herr Professor Pflugbeil geht davon aus, dass in diesem Zeitraum seit 1996 bis zu 1 400 weniger Geburten stattgefunden haben. Er betont auch, dass es nicht nur um Mädchengeburten geht, sondern auch ein Anteil an Jungengeburten wohl nicht stattgefunden habe. Der Effekt bei Jungen sei allerdings deutlich geringer. Deswegen hier die Geschlechterverschiebung. Mit anderen Worten: Jede 15. Schwangerschaft, die ansonsten erfolgreich verlaufen wäre, könnte betroffen gewesen sein.

Das NLGA verneint natürlich jeden Zusammenhang mit der Strahlung, obwohl der Skyshine der Neutronen durchaus diesen Effekt erklären würde. Herr Bäumer, Sie dürfen nicht Äpfel mit Birnen vergleichen. Man muss sehr differenziert gucken. Hier haben wir diesen besonderen Effekt wegen der Neutronenstrahlung. Ihre Werte vor Ort betreffen auch die Gammastrahlungen. Es gibt im Übrigen keine andere plausible Erklärung, keine andere Ursache, die sich hier in der Region aufdrängen

würde. Insofern müssen wir diese Spur sehr wohl weiterverfolgen. Wir haben den Eindruck, die Landesregierung blockt hier, weil eben nicht sein kann, was nicht sein darf.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

In der Konsequenz hören wir aus dem Sozialministerium lediglich: Wir wollen Literaturstudien vertiefen - obwohl sich der Aufwand wahrscheinlich gar nicht lohnt.

Nachdem die Medien jetzt doch sehr intensiv berichtet haben, sagt man: Na gut, dann richten wir auch eine Arbeitsgruppe ein, um das Phänomen zu untersuchen. - Uns fällt dabei natürlich auf, dass daran keinerlei Strahlenexperten beteiligt sein sollen.

Es gibt zwar keinen absolut sicheren Beweis dafür - ökologische Studien legen ja nur einen Verdacht nahe -, aber es gibt signifikante Zahlen und einen zeitlichen Zusammenhang. Insofern ist das ein sehr, sehr beunruhigender Befund.

Es kann nur eine Konsequenz im Sinne der Gesundheitsprävention geben, und zwar, den nächsten Castor abzusagen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich möchte an der Stelle noch einmal betonen: Wer als Ministerpräsident konsequenzlose Bittbriefe nach Berlin schreibt, anstatt die eigene Atomaufsicht zu bemühen und die eigene Arbeit zu erledigen, der ist nichts als ein zahnloser Tiger. Ich möchte Ihnen aus der Region ausrichten, Herr Ministerpräsident, dass man dort auf Ihren Besuch wartet. Es ist ja schön, dass Sie Sommerreisen auf die Nordseeinseln machen, aber in LüchowDannenberg würde man sich durchaus freuen, wenn Sie dort auch einmal vorbeikämen. Unsere grüne Bürgermeisterin würde Ihnen dann sicherlich die Situation vor Ort erklären.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustim- mung bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Ich erteile Herrn Kollegen Herzog zur zweiten Fünfminuteneinheit das Wort.

(Kurt Herzog [LINKE]: Zur zweiten Dosis!)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Teil 2: Aus der Halle in Gorleben bzw. den Castoren dringt ja neben der Gammastrahlung auch die gefährlichste aller Strahlungen, die Neutronenstrahlung, die mehrere Kilometer weit wirken kann. Es ist kein angenehmes Gefühl in Dannenberg, Herr Bäumer, das kann ich Ihnen sagen, in unmittelbarer Nähe von dem Ort zu wohnen, an dem die Castoren viele Stunden lang verladen werden. Neutronen wirken im Köper mutagen und karzinogen. Deshalb wurde ein biologischer Wichtungsfaktor eingeführt, je nach Energie bis zum Faktor 20 - also zwanzigfach so zerstörend wie Röntgenstrahlung.

Leider verlässt man sich trotz anderer wissenschaftlicher Erkenntnisse immer noch auf die Vorgaben der atomfreundlichen internationalen Atomenergiebehörde ICRP. In einer Versuchsreihe im europäischen Forschungszentrum CERN hingegen - das ist ja wohl unverdächtig - wurden nach Neutronenbeschuss in Zellen die Chromosomenaberrationen ausgewertet. Ergebnis, Herr Bäumer: Die Wirkung wird mindestens 5,5-fach unterschätzt.

Alle diese Erkenntnisse wurden schon 1996 im Lüchow-Dannenberger Atomausschuss von Wissenschaftlern wie Kuni, Köhnlein, Schmitz-Feuerhake, Körblein, Pflugbeil und anderen und auch später mehrfach in Gremien der Stadt Dannenberg - öffentlich, mit CDU - vorgetragen.

Wenn man diese Fakten kennt, meine Damen und Herren, dann weiß man auch, was es bedeutet, wenn die Castorbehälter - allein die Behälter - 80 % des Grenzwertes ausschöpfen. Der Dreisatz eines Fünftklässlers pulverisiert diesen Gefälligkeitsgrenzwert.

(Beifall bei der LINKEN)

Hier wird bewusst hinter den wissenschaftlichen Erkenntnissen hinterhergehinkt. Denn sonst bräche die gesamte Castortransport- und Lagerlogistik in sich zusammen. Dem gesellschaftlichen Nettonutzen geschuldet, unterschätzt die ICRP auch an dieser Stelle bewusst atomfreundlich die schädliche Wirkung insbesondere im Niedrigstrahlenbereich.

Die KiKK-Studie erbrachte den klaren Nachweis, dass das Krebsrisiko bei Kindern in der Umgebung von Atomanlagen zunimmt, je näher dran sie wohnen. Wieder wurde von bekannter Seite der Zusammenhang geleugnet; wieder wiesen Wissen

schaftlicher darauf hin, dass die Berechnungsgrundlage, die allgemeine Verwaltungsvorschrift AVV, mit Mittel- und Schätzwerten arbeitet, mit Transferfaktoren, die das Problem um Größenordnungen unterschätzen.

Dann betrachteten die Wissenschaftler - Kollegin Staudte hat es eben gesagt - vom Helmholtz Zentrum 2010 in einer weiteren Studie die Umgebung von 32 Atomanlagen. Ergebnis: Ja, es gibt diese signifikante Veränderung bei den Geburtenraten - in Gorleben, in Krümmel und anderswo. Je näher die Mütter an der Anlage wohnen, desto weniger Mädchen bringen sie zur Welt.