Protocol of the Session on May 25, 2011

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein Zitat vorweg:

„Abends, 20.40 Uhr: die Ziffern auf der Uhr lassen sich nur noch mit brennenden Augen lesen. Draußen ist es schon lange dunkel, und vom Tag habe ich mal wieder nichts mitbekommen. Jetzt muss ich nur noch Chemie machen und die Englischvokabeln lernen. … So sieht also mein Leben mit 14 Jahren aus.“

(Unruhe - Eine Abgeordnete der CDU lacht)

- Ich weiß nicht, was daran so witzig ist, Frau Kollegin.

So beschrieb am 12. Februar 2008 Viola in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung ihren Schulalltag an einem niedersächsischen Gymnasium.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

- Ich finde es einfach nur peinlich, über so etwas zu lachen.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD und bei der LINKEN - Karl-Heinz Klare [CDU]: Sprechen Sie mal mit der Schülerin!)

Meine Damen und Herren, ich habe genau dieses Zitat bereits am 10. April 2008 hier im Landtag vorgetragen, und zwar bei der Begründung unseres Entschließungsantrags „Schule darf nicht krank machen - Druck aus dem Turbo-Gymnasium nehmen“.

(Unruhe)

Frau Korter, ich würde Sie gerne unterbrechen, weil es wirklich zu unruhig ist. Ich würde Sie nämlich auch ganz gerne verstehen. Das geht aber nicht. Die Zeit wird angehalten. - Vielen Dank. Frau Korter, bitte schön!

Danke schön, Herr Präsident. - Damals hat die amtierende Ministerin einen runden Tisch mit Hilfen versprochen. Passiert ist wenig.

Die Regierungsmehrheit hat unseren Antrag natürlich abgelehnt und die Probleme kleingeredet. Statt nachhaltige Lösungen für die enormen Belastungen der Schülerinnen und Schüler im G8, z. B. durch eine Ausstattung als echte Ganztagsschule, zu schaffen, hat die Landesregierung gemeinsam mit der CDU/FDP-Mehrheit in 2009 sogar noch den Gesamtschulen das Abitur nach Klasse 12 - der gleiche Fehler - aufgezwungen mit dem fadenscheinigen Argument der Gleichbehandlung.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Sie wollten das!)

Meine Damen und Herren, als ob es Ihnen in diesem Hause jemals um Gleichbehandlung der Schulformen gegangen wäre! Ihr Turboabi sollte doch gerade die Gesamtschulen schwächen.

Man muss sich das einmal vorstellen: Die ideologischen Abwehrschlachten gegen die Gesamtschulen waren den Herrschaften von CDU und FDP wichtiger als die Gesundheit der Schülerinnen und Schüler, als ihr gelungener Bildungsweg.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Ich finde das unverschämt, was Sie sagen!)

Das ist einfach schamlos, Herr Kollege Klare, und Sie wissen genau, dass ich hier die Wahrheit sage; reden Sie einmal mit den Besuchergruppen!

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Sie wollten damals in Niedersachsen bundesweit zu den Ersten gehören, die - sogar ohne jede Vorbereitung - das Turboabi an den Gymnasien eingeführt haben. Die Schülerinnen und Schüler waren Ihnen dabei weitgehend egal - Hauptsache, sie stehen dem Arbeitsmarkt früher zur Verfügung.

Und kommen Sie mir gleich nicht wieder mit Ihrer gebetsmühlenartig wiederholten Begründung, alle anderen europäischen Staaten hätten ja das G8! - Ja, meine Damen und Herren, das kann man leicht sagen. Aber dort gibt es auch gebundene Ganztagsschulen für alle Schülerinnen und Schüler. Das bedeutet mehr Lernzeit, eine andere, eine gesündere Tagesrhythmisierung mit Phasen der Anspannung und Entspannung, ein warmes Mittagessen für alle Schülerinnen und Schüler in der Schule und nachmittags Unterstützung für alle.

Und seit wann orientieren Sie sich in Ihrer Schulpolitik überhaupt an anderen europäischen Staaten?

(Zustimmung von Hans-Henning Adler [LINKE])

Dann müssten Sie doch längst die gemeinsame Schule für alle eingeführt, die Förderschulen abgeschafft und die Inklusion verwirklicht haben.

Meine Damen und Herren, die Schülerinnen und Schüler in Niedersachsen haben in diesem Jahr der Landesregierung gezeigt, was sie vom Turboabitur halten: Ein großer Teil - 18,4 % hat der Minister hier vor Kurzem erklärt - hat vorher die Notbremse gezogen und die Schule verlassen, freiwillig ein Jahr wiederholt oder einen anderen Weg gefunden, die individuelle Schulzeit zu verlängern, meist auf 13 Jahre.

Der jüngste Niedersachsentrend wird Ihnen nicht entgangen sein. 80 % der Eltern von schulpflichtigen Kindern wollen zum Abitur nach Klasse 13 zurückkehren. Auch deshalb haben wir jetzt unse

ren Gesetzentwurf vorgelegt. Er soll den Eigenverantwortlichen Schulen die Möglichkeit einräumen, gemeinsam mit den Eltern und den Schülervertretungen zu entscheiden, ob die Schule das Abitur nach Klasse 12 oder 13 vergibt oder beide Wege parallel anbietet. In Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen haben die Gymnasien diese Freiheit eingeräumt bekommen. In Hessen geschah dies sogar noch unter Ministerpräsident Roland Koch. Auch in Baden-Württemberg ist dies geplant.

(Karin Bertholdes-Sandrock [CDU]: Die will aber keiner haben!)

- Wenn dies keiner haben will, frage ich mich, wovor Sie Angst haben. Ich denke, Sie wollen den Schulen mit der Eigenverantwortlichkeit auch einmal Freiheiten einräumen. Dann tun Sie das doch bitte!

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wovor haben Sie solche Angst, meine Damen und Herren von CDU und FDP? Herr Althusmann, wovor haben Sie Angst, wenn das gar nicht so viele in Anspruch nehmen? Geben Sie den Gesamtschulen und den Gymnasien die Möglichkeit, gemeinsam mit den Eltern und den Schülerinnen und Schülern vor Ort jeweils den optimalen Weg zu wählen.

Wir Grünen machen keinen Unterschied zwischen Gesamtschulen und Gymnasien. Wir haben keine Angst, dass Gesamtschulen nicht attraktiv genug wären. Für uns gibt es keine Schülerinnen und Schüler erster und zweiter Klasse wie für die Regierungsparteien. Uns sind die Lernbedingungen für alle Schülerinnen und Schüler, für alle Kinder gleich wichtig. Wir wissen, dass immer mehr Eltern Gesamtschulen bevorzugen. Wir sind davon überzeugt, dass sich diese Schulen durchaus dem Wettbewerb stellen können. Wichtig ist nicht, was sich CDU-Ideologen im stillen Kämmerlein ausdenken. Wichtig ist eine Schullandschaft, die das Beste in unseren Kindern fördert und ihre Talente zur Geltung bringt.

Deshalb kann ich Sie nur auffordern und bitten: Setzen Sie sich ernsthaft mit unserem Gesetzentwurf auseinander! Trauen Sie den Eigenverantwortlichen Schulen wirklich zu, dass sie die richtige Lösung vor Ort finden! Lassen Sie uns im Kultusausschuss die Verbände zu unserem Gesetzentwurf anhören. Wir brauchen keine starre Vorgabe für alle Schulen. Nicht alle Kinder lernen gleich schnell. Wir haben in den Kommunen ganz unter

schiedliche Bedingungen. Wir brauchen mehr qualifizierte Abschlüsse. Wir wollen, dass Schülerinnen und Schüler je nach Lerntyp eine Wahl zwischen dem schnellen Weg zum Abitur und dem nachhaltigeren Weg haben, der über das Learningto-the-Test hinausgeht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir wollen - das möchte ich noch einmal betonen -, dass Kinder Kinder bleiben dürfen und keine Stopfgänse werden.

(Beifall bei den GRÜNEN - Karl-Heinz Klare [CDU]: Mein Gott noch einmal! Frau Korter, ich weiß nicht, ob Sie noch überlegen, was Sie sagen!)

Jugendliche brauchen Freiräume für die individuelle Entwicklung. Sie brauchen Freizeit für ihre besonderen Interessen, ob es Sport, Kunst oder Musik, das Engagement in Vereinen oder sogar in der Politik ist. Unser Land braucht keine Herde von Lernschafen, sondern wissensdurstige, selbstbewusste, kritische und demokratiefähige Persönlichkeiten. Dazu brauchen junge Menschen Zeit - manche mehr, manche weniger. Geben wir sie ihnen doch. Es wird sich sicher lohnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Für die Fraktion DIE LINKE hat Frau Reichwaldt das Wort. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben heute früh schon über Schulformen debattiert, die man nicht als solche bezeichnen kann. Die Einführung des Abiturs nach zwölf Jahren gehört dazu. Das ist auch nicht mehr zu heilen, weil Grundvoraussetzungen dagegen stehen.

Niemand hat mir bisher erklären können, warum die verkürzte Zeit zum Abitur pädagogisch sinnvoll sein soll. Allein das Argument der Wettbewerbsfähigkeit kann es nicht sein. Schon die Vorgabe der Kultusministerkonferenz von 265 Stunden führt zu großen körperlichen und seelischen Belastungen für die Schülerinnen und Schüler. Bis zu 36 Wochenstunden im Bereich der Sekundarstufe I sind Wahnsinn. Wir rauben den Schülerinnen und Schülern einen Teil ihrer Kindheit.

Herr Minister Althusmann hat heute früh gesagt, wenn man die Abiturienten fragt, die jetzt fertig sind, dann seien alle für das Turboabitur. Diese Abiturienten haben diese unnötigen Mühen nun auch hinter sich. Fragen Sie die Schülerinnen und Schüler aus den Besuchergruppen. Wie viele haben vorher aufgegeben?

(Zurufe von der CDU)

Durch G8 nimmt die Durchlässigkeit unseres sowieso schon selektiven Schulsystems weiter ab. Der Zwang, sich möglichst schnell möglichst viel Stoff anzueignen, führt dazu, dass man die Inhalte ebenso schnell wieder vergisst. Wir kennen das doch alle aus unserer eigenen Schulzeit.

(Unruhe)

Frau Reichwaldt, ich möchte Sie unterbrechen. Es ist einfach zu unruhig. - Ich bitte Sie, die Privatgespräche einzustellen oder nach draußen zu gehen. - Frau Reichwaldt, bitte schön!

Danke. - Die Qualität des Lernens sinkt. Die LINKE ist von Anfang an für die Beibehaltung des Abiturs nach 13 Jahren an allen Schulformen gewesen. Wir stehen damit nicht allein. Nach einer aktuellen NDR-Umfrage sind 80 % der Eltern gegen das Turboabitur. Eine Viertelmillion Unterschriften unter das Volksbegehren für gute Schulen sprechen eine eindeutige Sprache. Eine Kernforderung des Volksbegehrens ist die Rückkehr zu 13 Jahren Schulzeit auch an den Gymnasien. Die Reform sollte zurückgedreht werden. Lernen muss mehr sein als die stumpfe Aneignung von Lerninhalten.

Wir finden die Lösung, die Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, in Ihrem Gesetzentwurf anbieten, allerdings nicht konsequent. Wir sollen es in die Entscheidungskompetenz der Eigenverantwortlichen Schulen legen, ob sie das Abitur nach 12 oder 13 Jahren anbieten. Das muss beim Gymnasialangebot zu regionalen Ungleichgewichten führen und schränkt letztlich die Entscheidungsfreiheit der Schülerinnen und Schüler ein.

Stellen Sie sich einmal vor, ein wechselnder Schulvorstand beschließt alle zwei Jahre wechselnde Zeiten zum Abitur. Das Resultat ist ein vollkommenes Tohuwabohu. Für Klassenwiederholer oder Schulwechsler von anderen Gymnasien wäre es eine absolute Katastrophe. Um dieses Chaos