Den Antrag wird Herr Schwarz von der SPDFraktion einbringen. Ich erteile Ihnen das Wort, Herr Schwarz.
(Björn Thümler [CDU], Ulf Thiele [CDU] und Kreszentia Flauger [LIN- KE] sprechen an der Regierungsbank mit Ministerpräsident David McAllister - Unruhe)
Meine Damen und Herren, wir möchten in der Tagesordnung fortfahren. Vielleicht können die Beratungen an der Regierungsbank an anderer Stelle fortgesetzt werden. - Ich verstehe, dass dort geredet werden muss, aber vielleicht kann man das an anderer Stelle fortsetzen. Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben uns in den vergangenen zwei Jahren sehr häufig mit dem Thema der Pflegeproblematik in Deutschland und auch in unserem Bundesland beschäftigt, zuletzt aufgrund eines Entschließungsantrages zum Thema Altenpflegeausbildung von uns im Januar und im Februar aufgrund eines Antrages der Kolleginnen und Kollegen von den Grünen. Herr Rösler will das Jahr 2011 zum Jahr der Pflege machen. Wir finden, dass das höchste Zeit ist; denn zwischenzeitlich ist die Pflege in Deutschland selbst zum Pflegefall geworden, und die Zeitbombe Pflegenotstand tickt immer schneller.
Dem Deutschen Institut für Wirtschaft zufolge fehlen bundesweit gegenwärtig 30 000 Stellen allein in der Altenpflege. Bis 2020 wird die Zahl der fehlenden Stellen auf 400 000 anwachsen. Umgerechnet auf Niedersachsen bedeutet das: Gegenwärtig fehlen bei uns 3 000 bis 4 000 Stellen in der Altenpflege, im Jahre 2020 werden es 40 000 sein. In neun Jahren werden also 40 000 Stellen in der Pflege in diesem Land nicht mehr besetzt sein. Das heißt, wir haben einen dramatischen Fachkräftemangel. Nach Aussagen des BPA fehlen allein bei ihm zurzeit 10 000 Fachkräfte, und wir haben deutlich zu wenig Nachwuchs. Diese Fakten werden von sämtlichen betroffenen Einrichtungen und von sämtlichen Wissenschaftlern bestätigt. Nur bei der Landesregierung sind sie offensichtlich noch nicht angekommen. Die Landesregierung beschwichtigt, vergibt Preise und verteilt - vornehmlich zu Weihnachten - Pflegepakete, die sie aus Kürzungen in der ambulanten Pflege refinanziert.
Als Reaktion auf unseren heutigen Antrag trat allerdings eine erhebliche Betriebsamkeit im Sozialministerium ein. Frau Özkan schickte uns dicke Broschüren und erklärte dazu in rosaroten Farben: 5 600 Auszubildende, so viel Nachwuchs wie noch nie!
Meine Damen und Herren, dazu stelle ich fest: Erstens. Die aktuell gestiegenen Zahlen resultieren im Wesentlichen und nur kurzfristig aus den Bildungsgutscheinen der Bundesanstalt aufgrund des Konjunkturpaketes II; sonst sähen diese Zahlen ganz anders aus. Zweitens. Allein zur Deckung des gegenwärtigen Bedarfs fehlen immer noch fast 1 000 Schülerinnen und Schüler in Niedersachsen. Angesichts des zunehmenden Bedarfs der nächsten Jahre bis zum Ende dieses Jahrzehnts fehlen dann, wenn wir nicht dagegenhalten, nicht nur 1 000 Schülerinnen und Schüler, sondern 10 000 Schülerinnen und Schüler - innerhalb von neun Jahren. Meine Damen und Herren, ich finde, Sie sollten aufhören, die Ausbildungslücke in diesem Land zu verniedlichen.
Ich will nur aktuell auf die Aussage des Bundesverteidigungsministers von heute Vormittag hinweisen, in der er klargemacht hat, dass die Entscheidung über die Wehrreform nicht vor Juli 2011 getroffen wird. Auch dies hat erhebliche Auswirkungen für die Angebote der Freiwilligendienste in unseren stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen. Ich finde, die Landesregierung ist aufgefordert, endlich Taten folgen zu lassen, die diesen Namen auch verdienen.
Ich will Ihnen dazu noch etwas sagen: Frau Özkan, Sie haben in einer Pressemitteilung dargelegt, dass Niedersachsen als erstes Bundesland das dritte Jahr der Umschulung finanziere. Das ist gut so. Dass das so gekommen ist, hat im Wesentlichen damit zu tun, dass die Opposition im Rahmen der Haushaltsberatungen darauf hingewiesen hat. Ihre Landesregierung hatte das im ursprünglichen Haushaltsplanentwurf gar nicht berücksichtigt. Aber was nutzt die Landesfinanzierung im dritten Ausbildungsjahr, wenn Frau von der Leyen im
dritten Jahr die Arbeitslosenunterstützung verweigert und wenn unsere Berufsschulen die Umschulung nicht durchführen dürfen, weil sie als staatliche Altenpflegeschulen zwar agieren, aber sich an dieser Stelle zusätzlich zertifizieren lassen müssen. Dann, meine Damen und Herren, werden die gesamte Umschulung und auch das dritte gestützte Jahr dank Frau von der Leyen zum absoluten Rohrkrepierer.
Es muss endlich Schluss damit sein, dass die Ausbildung von Nachwuchs für Pflegeeinrichtungen zum Wettbewerbsnachteil wird. Es muss Schluss damit sein, dass die Hälfte aller jungen Menschen, die sich für den Pflegeberuf entscheiden, im Durchschnitt auch noch 160 Euro Schulgeld im Monat mitbringen müssen. Wir brauchen eine gerechte Verteilung der Kosten. Deshalb ist eine Altenpflegeumlagefinanzierung unumgänglich.
Wir begrüßen, dass neben den Wohlfahrtsverbänden zwischenzeitlich auch der BPA Niedersachsen Bereitschaft erklärt hat, auf diese Linie einzuschwenken. Meine Damen und Herren, alle Akteure haben hier klare Signale gegeben. Das einzige Signal, das noch fehlt, endlich die Position zu überdenken und eine neue einzunehmen, ist das von der Landesregierung. Wir erwarten von Ihnen eine klare, eindeutige, positive Positionierung zum Thema Altenpflegeumlage und zur Einführung der Schulgeldfreiheit, Frau Ministerin.
Sie haben hier im Januar-Plenum für den März die überfällige Fortschreibung des Landespflegeplanes angekündigt und ein entsprechendes Papier vorlegen wollen. Es ist März-Plenum - aber die Vorlage fehlt. Ich sage Ihnen auch, warum: Weil Sie bei dieser Vorlage bestätigen müssten, dass bis zum Ende dieses Jahrzehnts in Niedersachsen 40 000 Fachkräfte fehlen, und weil Sie damit eingestehen müssten, dass die Landesregierung beim Thema Altenpflege in den letzten acht Jahren komplett versagt hat.
Niedersachsen ist mit großem Abstand Schlusslicht in der Finanzierung; ich habe das ein paar Mal gesagt. Wir bewegen uns auf den Basisdaten von 2007. Alle Bundesländer haben die gleiche
Rechtsgrundlage. Wir in Niedersachsen haben umgerechnet einen Tagesschnitt von 80 Euro, der in den Einrichtungen gezahlt wird. Hessen und Baden-Württemberg liegen bei 93 Euro, Hamburg liegt bei 100 Euro, Nordrhein-Westfalen bei 104 Euro. Das sind 24 Euro Tagesdifferenz zu den anderen westlichen Bundesländern. Das liegt 17 % unter dem Bundesdurchschnitt. Demnach sind große Teile dieser Misere hausgemacht.
Ich kann sie auch benennen. Da wird sich bei der Budgetberechnung auf ein BFG-Urteil zurückgezogen, das längst überholt ist. Da werden in Budgetverhandlungen Durchschnittswerte zugrunde gelegt, die untertarifliche Bezahlung fördern. Da wird eine landesweite Auslastung von 98 % vorausgesetzt, obwohl wir eine durchschnittliche Auslastung zwischen 80 und 89 % haben. Schon beim Abschluss dieser Budgetverhandlungen sind in den Einrichtungen, die keine Vollauslastung haben, die roten Zahlen vorprogrammiert. 16 Insolvenzen sind die Folge dieser Politik.
Meine Damen und Herren, in den vergangenen Wochen, gerade in der letzten, wurde in „Hallo Niedersachsen“ sehr massiv auf die Situation der Pflege in Niedersachsen hingewiesen. Diese Situation, diese dramatische Unterdeckung hätte es hier nie geben dürfen. Das hätte verhindert werden können, wenn das Sozialministerium und die jeweiligen Spitzen endlich ihre Fach- und Rechtsaufsicht wahrgenommen hätten, meine Damen und Herren.
Das Ergebnis ist: Trotz aller Imagekampagnen sind Attraktivität, Akzeptanz und Wertschätzung des Pflegeberufs weiter deutlich gesunken. Nun bekommen wir zusätzlich das Thema „Billige Kräfte aus Osteuropa“. Ich will das hier klar sagen: Erstens. Wir brauchen kontrollierte Zuwanderung. Zweitens. Wir brauchen eine schnellere Anerkennung vergleichbarer Abschlüsse, um den Mangel an Fachkräften bei uns zu mildern. Insofern begrüßen wir die europäische Freizügigkeit. Aber 45 Euro Tagessatz plus Kost und Zimmer für eine 24-Stunden-Pflege bei vertraglich zwei Stunden zugesicherter Freizeit für die Pflegekraft bedeuten einen Stundenlohn von 2 Euro. Meine Damen und Herren, das sind wirklich Formen der modernen Sklaverei und der Ausbeutung. Sie sind sittenwidrig.
Sorgen Sie bitte dafür, dass die Arbeitskräfte, die wir bekommen und die wir hier auch haben wollen, zu den gleichen Bedingungen und zu den gleichen Löhnen hier arbeiten und bezahlt werden, wie es auch für unsere Kräfte gilt! Geben Sie endlich Ihren Widerstand gegen Mindestlöhne auf! Ansonsten sorgen Sie auch an dieser Stelle dafür, dass die Wertschätzung in der Pflegebranche immer weiter einbricht und immer weniger Menschen bereit sind, dort tätig zu werden, meine Damen und Herren.
Frau Özkan, Sie haben im Januar darauf hingewiesen, dass am 4. April die Pflegekonferenz stattfindet. Wir fordern Sie mit unserem Antrag auf: Nehmen Sie die Inhalte unseres Antrages, gehen Sie damit in die Pflegekonferenz und schließen Sie wirklich einen Pakt der Vernunft! Diese Landesregierung schließt sehr viele Pakte und Zukunftsverträge. Es wird höchste Zeit, ein Pflegepaket mit Pflegedienstleistern, Pflegekassen und kommunalen Spitzenverbänden abzuschließen. Sie können damit einen riesigen Schritt nach vorn machen. Aber kommen Sie nicht wieder mit einer Mogelpackung, so wie es Ihre Vorgängerinnen und Vorgänger praktiziert haben. Dann ist der Pflegenotstand in Niedersachsen in der Tat nicht mehr abzuwenden, meine Damen und Herren.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon bezeichnend, dass dieses Thema in den letzten zwei, drei Jahren ausschließlich von den Oppositionsfraktionen auf die Tagesordnung gebracht worden ist. Die Regierungsfraktionen haben bestenfalls nachgezogen und, wenn es gut ging, die bestehenden Anträge verwässert. Wir haben das Thema so oft auf die Tagesordnung gebracht, weil der Pflegenotstand nämlich längst begonnen hat.
Der vorliegende Antrag der SPD greift dazu wichtige Punkte auf. Die Linksfraktion sieht Nachbesserungsbedarf lediglich an zwei Punkten. Dazu komme ich später, und das wird auch Thema der Ausschussberatungen sein. Wir, die Oppositionsfraktionen, nehmen das Thema schließlich ernst und versuchen, eine Einigung zu finden.
Kernpunkte sind fraglos die viel zu niedrigen Pflegesätze in Niedersachsen und die damit korrespondierende Abwärtsspirale im Bereich der tariflichen Entwicklung. Die Pflegesätze sind im Westländer-Vergleich inakzeptabel schlecht. Darauf haben wir Linke bereits mehrfach hingewiesen. Über die Frage, ob, wie es die SPD fordert, der durchschnittliche Wert der West-Pflegesätze für das Ziel einer guten Pflege für alle ausreichen kann, werden wir im Ausschuss noch genauer diskutieren müssen.
Unstrittig ist für meine Fraktion die Forderung im SPD-Antrag nach einer Rücknahme der Kürzung der Landesmittel in der Kurzzeitpflege. Es ist ja wohl das Mindeste, dass die Landesregierung diese Millionenkürzung zurücknimmt, wenn sie in der Diskussion über die Pflege nur einen Hauch an Glaubwürdigkeit erhalten will.
Bei mindestens zwei weiteren Punkten aus dem Antrag der SPD werden wir im Rahmen der Ausschussberatung über das Landesheimgesetz noch Gelegenheit haben, eine Klärung herbeizuführen. Wir müssen das kombinieren. Das gilt einerseits für Nr. 11 des SPD-Antrages, die turnusgemäßen Besuche des Medizinischen Dienstes, und das gilt andererseits für Nr. 5, die Absicherung der Fachkräftequote, wo wir mit der SPD vollkommen übereinstimmen, dass sie mindestens bei 50 % liegen muss.
Gleichwohl möchte ich jetzt noch zu den beiden Punkten kommen, bei denen wir noch Lücken sehen. Das ist zum einen die Frage der langfristigen Finanzierung einer guten Pflege für alle und zum anderen die Frage der Privatisierung dieses Teils der öffentlichen Daseinsvorsorge.
Zur Finanzierung. Wir müssen endlich zu einer Bürgerversicherung kommen. Wir werden aber auch innerhalb der Opposition noch diskutieren müssen, wie sie konkret aussehen soll; da gibt es bisher in den Überlegungen nämlich an dem einen oder anderen Punkt durchaus unterschiedliche Auffassungen.