Protocol of the Session on September 14, 2006

Längst befürwortet und fordert eine breite Mehrheit in Politik und Gesellschaft eine Altfallregelung. Im Juli hat Bundesinnenminister Schäuble mit seiner Äußerung in der Süddeutschen Zeitung einen weiteren Anstoß gegeben. Er hat gesagt:

„Jeder sieht doch, dass man Kinder, die hier geboren wurden, zur Schule gingen und oft sogar einen guten Abschluss gemacht haben, nicht irgendwohin abschieben kann.“

Auch die Länderinnenminister streiten nicht mehr über das Ob, sondern nur noch über das Wie. In Niedersachsen haben wir es letzten Endes dem Kommunalwahlkampf zu verdanken, dass Innenminister Schünemann als einer der letzten Länderinnenminister nun auch einen Vorschlag für eine Bleiberechtsregelung auf den Tisch gelegt hat. Wer will schon mit dem Image eines „harten Hundes“ in den Kommunalwahlkampf gehen?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, lange hat es gedauert, bis auch ihm aufgegangen ist, dass er mit seiner gnadenlosen Flüchtlingspolitik höchstens noch an den Stammtischen Erfolg hat. Den Rückhalt in der Gesellschaft hat er schon lange verloren. Bereits sein erster Vorschlag, nur Jugendlichen, aber nicht ihren Familien ein Daueraufenthalts- bzw. Rückkehrrecht einzuräumen, stieß landesweit auf große Proteste. Nicht nur die Kirchen haben zu Recht darauf hingewiesen, dass es unmenschlich ist,

Familien auseinanderzureißen. Auch der Koalitionspartner hat unerfreuliche Nebenwirkungen ausgemacht.

In der HAZ vom 3. Mai 2006 sagte der Fraktionsvorsitzende der FDP:

„Familien sollten nicht auseinandergerissen werden. Deshalb brauchen wir eine klare Bleiberechtsregelung.“

Recht hat er.

Meine Damen und Herren, jetzt will die Landesregierung Asylbewerbern unter bestimmten Bedingungen ein Bleiberecht gewähren. Leider ist auch das kein Grund zum Aufatmen. Der nun vorgelegte Minimalvorschlag ist nach wie vor enttäuschend. Alle Hoffnung auf eine, wie von Ministerpräsident Wulff versprochene, vernünftige Bleiberechtsregelung ist zunichte gemacht worden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Kranke, Behinderte und Alte werden ausgeschlossen. Dabei sind doch gerade das die Menschen, die neben den Kindern unseres besonderen Schutzes bedürfen. Was ist mit alleinstehenden Müttern, deren Kinder sich hier genauso gut integriert haben wie Kinder aus anderen Familien? Diese Menschen werden kurzfristig ihren Lebensunterhalt nicht eigenständig sichern können. Sie haben damit keine Chancen für eine Zukunft in Niedersachsen. Auch die halbjährige Übergangsfrist, die Sie, Herr Schünemann, Asylbewerbern zubilligen wollen, um Arbeit zu finden, ist eine Mogelpackung. Sie schieben den Schwarzen Peter der SPD zu, indem Sie Herrn Müntefering auffordern, den Arbeitsmarktzugang zu erleichtern.

(Heinz Rolfes [CDU]: Das hätte er schon längst tun können!)

Dabei könnte das Innenministerium jederzeit eine befristete Aufenthaltsgenehmigung erteilen, und das Problem wäre zumindest erst einmal gelöst.

Meine Damen und Herren, verschweigen möchte ich in diesem Zusammenhang auch nicht eine andere Tatsache, die das vermeintliche Entgegenkommen der Landesregierung in Sachen Bleiberecht relativiert. Hier zeigt sich dann wieder das wahre Gesicht dieser Landesregierung. Der Innenminister beabsichtigt, im Gegenzug zu einer Bleiberechtsregelung eine drastische Kürzung bei den Leistungen der Asylbewerber und plant eine Beweislastumkehr bei der Reisefähigkeit der von

Abschiebung bedrohten Menschen. Das ist schlicht und einfach unverantwortlich und trifft wieder einmal die Schwächsten dieser Gesellschaft.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, eine Bleiberechtsregelung, die die Hürden für eine Vielzahl von Menschen unerreichbar hoch setzt und die die Schutzbedürftigkeit vieler Flüchtlinge unberücksichtigt lässt, ist das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt ist.

Bischof Trelle hat gestern Abend noch einmal ein deutliches Zeichen gesetzt, indem er Kirchen auch als Ort für Heimatlose, die geschützt werden müssen, definiert hat. Die christdemokratische Landesregierung ist noch weit davon entfernt, humanitäre Gesichtspunkte in politisches Handeln im Umgang mit Flüchtlingen und Asylbewerbern einfließen zu lassen.

Noch im Sommer hat die FDP den Aufstand geprobt. Aber heute buhlen Sie bereits wieder um die Gunst des Koalitionspartners. In einer Presseerklärung vom 1. September loben Sie ausdrücklich Herrn Schünemanns Vorschläge. In einer Presseerklärung vom März dieses Jahres war noch keine Rede davon, ein Bleiberecht vom Nachweis eines Arbeitsplatzes abhängig zu machen. Wieder einmal zeigt sich: Ihre vollmundigen Forderungen an den Koalitionspartner bleiben doch nur hohle Phrasen.

Meine Damen und Herren, die Forderung nach einer Altfallregelung ist das eine. Die Chancen, noch in diesem Jahr zu einer Lösung zu kommen, sind groß. Was aber passiert mit den Menschen, die bereits heute die zweifellos restriktiven Kriterien dieser Landesregierung erfüllen? Wie werden sie vor einer bevorstehenden Abschiebung geschützt? Was passiert z. B. mit einem 16-jährigen - ich betone: einem 16-jährigen - jungen Mann, der allein in die Türkei abgeschoben werden soll? Was passiert mit Familien und ihren Kindern, die ihren eigenen Lebensunterhalt verdienen, die über ausgezeichnete Deutschkenntnisse verfügen und sozial engagiert sind? - Sie sind hier integriert. Sie haben hier ihre Heimat gefunden, und dennoch steht ihnen die Abschiebung bevor.

Meine Damen und Herren, ein Abschiebestopp bis zum Inkrafttreten einer bundesweiten Bleiberechtsregelung könnte genau diesen Familien und jungen Menschen, die seit Jahren hier leben und für die Niedersachsen zur Heimat geworden ist, eine

Chance auf ein Bleiberecht ermöglichen. Diese Chance darf Ihnen nicht durch vorzeitige Abschiebung genommen werden.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Mecklenburg-Vorpommern und Berlin haben bereits in Erwartung einer Bleiberechtsregelung einen Abschiebestopp für Personen erlassen, die von einer solchen Regelung möglicherweise profitieren können. Die Signale dieser Landesregierung sind allerdings eindeutig: kein Abschiebestopp! Aus Niedersachsen hören wir eher weitere Ausgrenzungsparolen: mehr abschieben, weniger hereinlassen, Familiennachzug erschweren. Damit lösen Sie, meine Damen und Herren, die Probleme der Zukunft nicht. Sie bleiben weiter auf Stammtischniveau.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Abschließend richte ich noch ein paar Worte an die Fraktion der FDP: Der Presse entnehmen wir, dass auch Ihr Fraktionsvorsitzender ein Abschiebemoratorium fordert. Auf der einen Seite setzen Sie sich medienwirksam für ein Bleiberecht in Szene und sprechen sich öffentlich dagegen aus, dass integrierte Menschen abgeschoben werden. Auf der anderen Seite ducken Sie sich im Kabinett und im Landtag weg und nehmen die Möglichkeit nicht wahr, eine Bleiberechtsregelung zu beschließen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Meine Damen und Herren von der FDP, Sie sind unglaubwürdig und in Ihrem Verhalten letztlich unanständig.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und von Heidrun Merk [SPD])

Sie könnten mit Zustimmung zu unserem Antrag endlich einmal beweisen, dass Sie Ihren Worten auch Taten folgen lassen.

Wir stellen unseren Antrag zur sofortigen Abstimmung.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Für die SPD-Fraktion erteile ich jetzt Frau Rübke das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Herren, meine Damen! Wiederholte Male haben wir in diesem Hohen Hause als Opposition versucht, die Landtagsmehrheit von CDU und FDP zur Schaffung eines humanitären Bleiberechts zu bewegen. Wir haben die unterschiedlichsten Regelungen vorgestellt und angeboten. Nichts hat Sie bewegt. Sie konnten sich lediglich zu einer Entschließung durchringen, deren Hauptteil das Warten auf eine Evaluierung des Zuwanderungsgesetzes enthält. Diese Abwartehaltung im Hinblick auf einen drängenden Handlungsbedarf zeigte zum wiederholten Male, dass Sie von der CDU nicht die Verantwortung für Tausende von Menschen übernehmen wollen, die oft schon Jahrzehnte hier in Niedersachsen leben. Sie leben hier mit der Ungewissheit, jeden Tag, jede Nacht in ein unbekanntes Schicksal abgeschoben zu werden.

In Deutschland leben wir seit 60 Jahren ohne Krieg, zwei deutsche Staaten wurden friedlich vereint. Doch haben viele, deren Eltern nach dem Zweiten Weltkrieg aus Ostpreußen, Pommern oder Schlesien flüchten mussten bzw. vertrieben wurden, vergessen, was es heißt, nach Kriegswirren, Hunger und Not eine Heimat zu finden. Sie hatten das Glück,

(Jürgen Gansäuer [CDU]: Glück? Das sagen Sie denen mal!)

nicht wieder zurückgeschickt zu werden. Sie konnten sich darauf verlassen, hier angekommen zu sein und nicht wieder weg zu müssen.

(Heinz Rolfes [CDU]: Was vergleichen Sie denn da?)

Was machen wir heute? Wir schicken Erwachsene, Jugendliche und Kinder, die zwölf Jahre und länger hier leben bzw. hier geboren sind, in Länder zurück, aus denen sie bzw. ihre Eltern geflohen sind und die sie nicht mehr als ihre Heimat ansehen. Sie haben alles getan, um hier anzukommen und angenommen zu werden: Sie sprechen Deutsch, sie denken Deutsch, sie träumen Deutsch. Was sollen sie noch tun? Vielleicht ein Jodeldiplom machen,

(Heinz Rolfes [CDU]: Was soll so was?)

plattdeutsche Verse aufsagen oder einer Trachtengruppe beitreten?

(Zuruf von der CDU: Das ist doch ab- surd!)

Politik lebt auch von der Hoffnung, dass politische Mandatsträger ihr Tun und Handeln hinterfragen und reflektieren.

(Heinz Rolfes [CDU]: Wer hat eigent- lich das Zuwanderungsgesetz be- schlossen?)

Dafür hatte der Fraktionsvorsitzende der FDP, Herr Rösler, durch seine kluge Rede am 12. Juli dieses Jahres in diesem Haus zum Thema Altfallregelung den Beweis angetreten. In dieser Rede haben Sie, Herr Rösler, die Bitte an Ihren Partner gerichtet, die Frage der Bleiberechtsregelung noch einmal neu zu diskutieren. Ich zitiere Ihre Worte:

„Wir sagen sehr klar: Wenn man das Gefühl hat, dass die bestehende Rechtslage nicht mit den eigenen ethischen oder moralischen Vorstellungen übereinstimmt, dann stehen wir alle gemeinsam in der Verantwortung, genau diese Rechtslage gemeinsam zu ändern.“

(Beifall bei der SPD und Zustimmung von Stefan Wenzel [GRÜNE] - Ernst- August Hoppenbrock [CDU]: Das hat Rot-Grün beschlossen!)

Ihr Umdenken in dieser humanitären Frage haben Sie dann am 22. August gegenüber dem Innenminister auch noch einmal schriftlich zum Ausdruck gebracht. In diesem Schreiben haben Sie Ihre Freude darüber geäußert, dass sich Herr Schünemann laut Berichterstattung auf die Seite der Befürworter einer Bleiberechtsregelung gestellt habe. Ich selber habe mich allerdings gewundert und mich gefragt, warum sie sich offene Briefe schreiben, anstatt sich zusammenzusetzen, ein gemeinsames Konzept aufzustellen und dann um Zustimmung bei der Opposition zu werben.

(Jörg Bode [FDP]: Das machen wir doch jetzt!)

Mein ungutes Gefühl wurde auch postwendend bestätigt; denn noch am selben Tag ließ der In