Wir reden also über die Bürgerbeteiligung an den Haushaltsberatungen der Freien und Hansestadt Hamburg. Bürgerbeteiligung ist nie etwas Schlechtes. Man muss aber darauf achten, dass wir es hier nicht gerade mit einer repräsentativen Bürgerbeteiligung zu tun haben. Es gab etwa 50 000 Anfragen an das Internetsystem bei 1,2 Millionen Bürgerinnen und Bürgern im Stadtstaat Hamburg. Das ist nicht gerade viel. Von den etwas mehr als 50 000 entfielen etwa 25 000 auf Studenten, weil gerade im universitären Bereich für dieses Projekt geworben worden war. Das ist nicht falsch. Es ist überhaupt nicht schlecht, wenn Studenten sich mit der Haushalts- und Finanzproblematik ihrer öffentlichen Einrichtungen beschäftigen.
Ich komme auf das zurück, was Herr Thul gesagt hat. Sicherlich besteht bei den Ausgaben der Kommunen eine größere Nähe zu den Bürgern. Wahrscheinlich ist dieses Projekt eher dafür geeignet, in den Kommunen eingeführt zu werden.
Es gibt bei diesem Projekt noch eine ganze Reihe von offenen Fragen. Ich schlage vor, wir bilden eine Art Projektteam des Haushaltsausschusses und fahren mit drei, vier Abgeordneten aus jeder Fraktion nach Hamburg. Auf dem Rückweg können wir uns dann beispielsweise das HSV-Museum in der AOL-Arena angucken.
Das würde wertvolle Erkenntnisse in beiden Teilen miteinander verbinden. In diesem Sinne wünsche ich uns gute Beratungen. - Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit diesem Thema und mit diesem Antrag darf man es sich nicht zu leicht machen. Herr Wenzel, nehmen Sie mir nicht übel, dass ich als Haushaltsausschussvorsitzender diesen Antrag für einigermaßen deplatziert halte; denn er wurde in ein laufendes Verfahren hineingestellt, auf das sich alle vier Fraktionen im Ausschuss gemeinsam verständigt hatten. Wir haben Ihre Anregung aufgenommen. Ich habe dafür gesorgt, dass ein Kollege aus Hamburg vortragen konnte. Wir haben uns die ersten Ergebnisse angehört. Er hat einen sehr soliden Vortrag gehalten. Aber am Ende waren mehr Fragen offen als beantwortet.
Jetzt haben Sie einen Antrag auf den Tisch gelegt und darin das Ergebnis vorweggenommen: Es ist alles wunderbar. - Das ist es mit Sicherheit nicht. Deshalb ist dieser Antrag richtig kontraproduktiv. Wir sind mitten in der Diskussion. Das muss man in dieser Deutlichkeit feststellen. Es geht Ihnen wohl auch gar nicht so sehr um die inhaltliche Auseinandersetzung mit einem neuen Medium in der Haushaltsplanung, sondern wieder einmal um Selbstdarstellung der Grünen: Wir sind die größten Bürgerbeteiliger; wir sind am schnellsten am Ball, wir wollen ganz vorne mitspielen.
Das aber ist in dieser Frage nun wirklich nicht angebracht. Die Fraktionen haben im Ausschuss gesagt: Wir werden uns mit den Inhalten sehr sorgfältig aufeinander setzen.
Wer die Fachliteratur liest und die Dynamik in der Informationsgesellschaft kennt, der wird nicht umhinkommen, festzustellen, dass wichtige Institutio
nen - angefangen bei der UNO und der Europäischen Union - immer wieder der Faszination des Internets unterliegen und beginnen, es als Medium auch im Diskurs über hoch komplexe politische Zusammenhänge zu propagieren. Da werden Leitungen geschaltet, Netzwerke gebaut und Software benutzt, um Bürgerdialog sogar auf europäischer Ebene zu organisieren. Wenn das geht, bin ich der Auffassung, dass man grundsätzlich auch komplexe Haushaltsfragen interaktiv über das Internet regeln kann. Allerdings müssen die Spielregeln stimmen. Wenn man die Spielregeln nicht vorher sorgfältig festlegt, bekommt das Ganze sehr schnell einen Alibicharakter. Das ist das Schlimmste, was bei Bürgerbeteiligung geschehen kann. Heute Morgen hat Herr Möhrmann die Wendung „hinter die Fichte führen“ benutzt. Es gibt noch andere Worte dafür. Wenn man aber ernsthafte Beteiligung will, muss man den Zugriff auf die Daten und die Interaktion so organisieren, dass die Ergebnisse einen politischen Mehrwert bringen. Wenn dieser politische Mehrwert nicht sichergestellt ist, würde ich mir das angucken, was wir schon haben. In Niedersachsen ist wie in anderen Bundesländern auch und beim Bund sowieso der Zugriff auf die Haushaltsdaten gar nicht das Problem. Das statistische Material, das im Haushalt und in der Mipla abgefragt werden muss, steht inzwischen zur Verfügung. Weitere Schritte wären die systematische Aufbereitung dieser Daten und der kompetente Zugriff auf sie, dann die Interaktion und die Ergebnisdarlegung.
Nur eine Verbreiterung der Basis des Verfahrens bringt noch keine neuen Erkenntnisse. Die Erkenntnisse, die in Hamburg gekommen sind, waren gar nicht neu. Dass die Bürgerinnen und Bürger grundsätzlich zur Konsolidierung bereit sind, war vorher bekannt. Dass die Menschen in der Regel vorschlagen, da zu sparen, wo sie nicht selbst betroffen sind, ist auch bekannt. Dass ganze Bevölkerungsgruppen wegen Nichtzugangs zum Internet aus solchen Prozessen ausgeschlossen sind, ist bedenklich.
Wenn ich aber deshalb andere Gruppen wie hier die studentische Vertretung priorisiere, dann habe ich ein Problem. Wenn bei einer Diskussion über den Hamburger Haushalt nicht einmal klar ist, ob das gesamte Hamburger Umland mitspielt, dann ist sogar die Legitimationsbasis hin. Sie sagen zu einem Zeitpunkt, zu dem die Auswertung noch gar
Wir sehen die Sache folgendermaßen: Es ist meine persönliche Meinung, dass man auf Dauer die Interaktion mit den Bürgerinnen und Bürgern auch in Haushaltsfragen nicht wird ausblenden können. Die Frage wird sein, ob sich der Staat, das Parlament, die Regierung aktiv einbringen und selber die Strukturen für eine solche Diskussion bestimmen oder ob man sich sozusagen zum Objekt dieser Veranstaltung machen lässt. Schon heute bekommen wir während der Haushaltsberatungen von allen Seiten wunderbare Vorschläge. Das geht beim Bund der Steuerzahler los und hört bei den Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes noch längst nicht auf. Es gibt Wissenschaftler, die uns regelmäßig mit Erkenntnissen bombardieren, zu denen wir selbst nie in der Lage gewesen wären. Das Problem ist, dass sie erstens meistens falsch sind und ihnen zweitens die demokratische Legitimation fehlt. Am Ende der ganzen Veranstaltung fallen wir immer auf die unvermeidliche Situation zurück, dass der Landtag auf Landesebene und der Rat oder der Kreistag auf kommunaler Ebene letztendlich für die Budgets verantwortlich sind.
Das Budgetrecht liegt bei diesem Parlament, nicht einmal bei der Regierung. Deshalb kann es vernünftig sein, dass dieses Parlament den Prozess selber organisiert, um eine breitere Beteiligung neuer Kreise an dieser Diskussion zu erreichen. Ich halte das für denkbar, weil z. B. Kanada mit einem Projekt, das Online Pre-Budgeting heißt, an die Öffentlichkeit gegangen ist. Allerdings hat der kanadische Finanzminister obendrüber ganz groß geschrieben: Dies ist ein konsultatives Verfahren mit keinerlei Anspruch auf Durchsetzbarkeit in der realen Politik. - Dieser klare Hinweis muss vorangestellt werden, damit bei denen, die sich an diesem Planspiel beteiligen, keine falschen Hoffnungen geweckt werden.
Wir von der SPD sind für diese Diskussion offen. Ich lege allerdings Wert darauf, dass wir uns an das halten, was wir im Haushaltsausschuss verabredet haben. Entweder wir machen das alle gemeinsam und einigen uns auf die Kriterien für die interaktive Ausgestaltung dieses Projekts, oder wir geben das Projekt sozusagen in die Zuständigkeit Dritter oder aber auch der Fraktionen. Es hindert beispielsweise niemand die Grünen daran, sich auf diese Art und Weise an die Bürgerinnen und Bürger zu wenden, um ihre Haushaltsalternativen auf eine breitere Basis zu stellen. Es kann interessant
werden, wenn die Grünen das alles vorbereiten und mit einer ganz neuen Legitimation in diesen Landtag kommen, weil neben den üblichen Verdächtigen - Lobbyisten - 20 000 oder 30 000 Klicks hinter ihren Änderungsanträgen stehen. Das gilt auch für kommunale Partner; selbstverständlich können sie das machen. Sie machen das inzwischen sogar - ohne dass sie das Internet bemühen - mit so genannten Haushaltsforen, zu denen offen oder durch Zufallsgenerator eingeladen wird. Dann findet vor Ort, sozusagen live, eine Haushaltsberatung mit interessierten Bürgerinnen und Bürgern statt.
Wir werden diese Diskussion also aufgreifen und stellen vorweg fest: Das Hamburger Modell ist 1 : 1 auf gar keinen Fall auf Niedersachsen übertragbar. Es spricht schon die Stadtstaatfunktion gegen die Flächenstaatfunktion.
Wir legen großen Wert darauf, dass klar wird, dass wir in sehr ernstem Umgang mit den Kommunen ein Projekt anfassen würden, das sowohl die Landes- als auch die kommunale Ebene einbezieht; denn es ist unvermeidlich, über die vorhandenen Finanz- und Aufgabenverflechtungen sicherzustellen, dass es in der Debatte kein Durcheinander gibt.
Wir sind ferner davon überzeugt, dass Input - was sowohl die Kosten als auch die innere Ausgestaltung eines solchen Projektes angeht - von großer Bedeutung für das Ergebnis ist. Umso wichtiger ist, eine klare Vorstellung von den möglichen Ergebnissen zu haben, weil davon die Auswertung und die Verwertbarkeit abhängt. Wer das so macht wie in Hamburg und nur bestätigt, was man vorher wusste, hat ein Problem bei der Darstellung dessen, was als Ergebnis herausgekommen ist.
Der letzte Punkt - Herr Wenzel, ich will das so deutlich sagen -: Ich wäre Ihnen sehr dankbar dafür, wenn Sie in den Kreis derer zurückkämen, die gesagt haben: Wir setzen uns sorgfältig mit dem auseinander, was in Hamburg vorgelegt wird und als Ergebnis herauskommt. Wir gucken uns andere Modelle an, beispielsweise Kanada. Wenn wir uns einigen können, dann ist der Landtag der richtige Ort, ein solches Instrument in die Bürgerbeteiligung einzuführen. In diesem Sinne hoffe ich, dass wir den Antrag im Rahmen der übrigen Beratung bearbeiten können. - Schönen Dank.
Federführend soll der Ausschuss für Haushalt und Finanzen sein, mitberatend soll der Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen tätig werden. Wer dem zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Ich sehe, das ist nicht der Fall.
Meine Damen und Herren, bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, möchte ich darauf aufmerksam machen, dass der Tagesordnungspunkt 28 - „Gerichtsnahe Mediation weiter ausbauen!“ - Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 15/3008 morgen nach den strittigen Eingaben behandelt wird. Darauf haben sich die Fraktionen geeinigt.
Tagesordnungspunkt 27: Erste Beratung: Lehrstellenlücke schließen - Transparenz in die Ausbildungssituation im Land bringen - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 15/3007
Der Antrag wird vom Abgeordneten Hagenah von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen eingebracht. Herr Hagenah, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Während für uns hier die Sommerpause langsam näher rückt, wollen tausende junger Menschen in unserem Land dringend eine Lehrstelle finden. Sie haben noch keine und sind verzweifelt. In Niedersachsen wurden im Mai erneut 6 % weniger Ausbildungsstellen von den Arbeitgebern gemeldet als im Jahr zuvor - übrigens im dritten Jahr in Folge weniger als im Jahr zuvor -, während die Zahl der Schulabgänger steigt und noch weiter steigen wird. Der Scheitelpunkt wird erst im Jahr 2009 erwartet.
Bereits seit drei Jahren müssen wir leider einen Rückgang des Lehrstellenangebots zur Kenntnis nehmen. Angesichts dieser alarmierenden Ent
wicklung muss man von dem Niedersächsischen Pakt für Ausbildung ein Stück weit als Rosstäuscherei sprechen; denn dort werden laufend Rekorde vermeldet - unter der Nulllinie. Gefeiert werden 6 000 zusätzliche Lehrstellen, 3 500 EQJs, die von den Betrieben im Jahr 2005 angeboten wurden. Real waren es aber weniger Lehrangebote, weil zwar zusätzliche Lehrstellen gemeldet wurden, leider aber noch mehr Lehrstellen vom Markt genommen wurden, entweder durch entstandene betriebliche Probleme oder schlichtweg deshalb, weil man einen Austausch vorgenommen hat. Das zu prüfen sind wir nicht in der Lage. Wir müssen nur feststellen: Trotz der Rekordmeldungen ist das Angebot geringer.
Dieser Pakt wird also in dem Sinne zunehmend zum potemkinschen Dorf, das sich nur dank einer zeitlich sehr verzögert gemeldeten intransparenten Datenlage noch aufrechterhalten lässt. Die bittere Realität darf aber hinter diesem Datennebel nicht länger versteckt werden, damit dringend erforderliche zusätzliche Maßnahmen gegen den Lehrstellenmangel endlich ergriffen werden.
Klar ist, dass Niedersachsen - belegt durch den Bildungsbericht der Bundesregierung aus dem Jahr 2006 - bei der Ausbildungssituation im Bundesvergleich Minusrekorde einfährt. Mit nur 37,5 % junger Menschen, die in die duale Ausbildung kommen, wenn sie den Schulabschluss gemacht haben, und mit mehr als 46 % junger Menschen, die aus der Schule in so genannten Übergangssystemen landen, bilden wir bundesweit das Schlusslicht. Nirgendwo ist die Aussicht auf einen Ausbildungsplatz im dualen System für Schulabgänger in der Bundesrepublik so gering wie in Niedersachsen. Das ist aus unserer Sicht alarmierend und ein Armutszeugnis für die Leistungen dieser Landesregierung.
Die Ursachen, die die Landesregierung mit zu verantworten hat, sind klar zu benennen: Die wirtschaftliche Strukturschwäche des Landes spiegelt sich im niedrigen Qualifizierungsstand wider, den die Branchen, die bei uns im Land angesiedelt sind, im Bundesvergleich darstellen. Laut Niedersächsischem Institut für Wirtschaftsforschung ist über alle Branchen hinweg der Qualifizierungsstand der Mitarbeiter in der niedersächsischen
Wirtschaft unterdurchschnittlich. Wir alle wissen, wie sich die Zukunft im Hochlohnland Deutschland entwickeln wird: Wir werden auf hoch qualifizierte Jobs setzen müssen. Dafür haben wir die schlechtesten Startbedingungen in unserem Land.
Hinzu kommt: Wo wenig hoch Qualifizierte arbeiten, gibt es nun einmal auch weniger Arbeit für gering Qualifizierte. Das ist eine logische Folge. In Süddeutschland kann man das Gegenbeispiel sehr gut wahrnehmen: Dort gibt es auch für gering Qualifizierte bessere Chancen, weil in Verbindung mit den vielen dort tätigen hoch Qualifizierten diese Jobs zusätzlich angeboten werden. Das eine hängt also mit dem anderen eng zusammen.
Unsere Lage wird noch dadurch verschärft, dass die Innovationsförderung, die ja auch etwas mit hoch qualifizierten Jobs zu tun hat, durch diese Landesregierung derart zurückgefahren und mittlerweile auf eine Vielzahl von Projektbereichen aufgeteilt wurde, dass keine wirklichen Schwerpunkte mehr erkennbar sind.
Obwohl der Landesregierung bekannt ist, dass wir schon in wenigen Jahren vor einem Fachkräftemangel stehen, hat sie bisher nicht entschieden genug gegen die seit Anfang der 90er-Jahre von damals 11 % auf inzwischen 15 % angewachsene Zahl junger Menschen ohne Ausbildungsabschlüsse gekämpft.
Besonders problematisch ist die seit 2003 zu beobachtende Abnahme der Zahl der Studienanfänger. Dies liegt nicht nur an der Studienplatzvernichtung durch diese Landesregierung im Zuge des so genannten Hochschuloptimierungskonzeptes. Seit dem gingen immerhin mehr als 4 000 Studienplätze verloren. Selbst besonders zukunftsträchtige Ingenieurstudiengänge sind in Hannover und Braunschweig in den Anfangssemestern derzeit nicht ausgelastet. Insgesamt hat die Studierquote der Abiturienten von den 80erJahren mit damals noch 85 % auf heute nur noch 70 % abgenommen. Die Abiturquote - das Abitur ist die allgemeine Hochschulreife - sollte eigentlich zu einem weiterführenden Studium führen. Dafür geben die Steuerzahler ja sehr viel Geld aus.
Ein negativer Verdrängungswettbewerb im Ausbildungsmarkt hat eingesetzt. Die Abiturienten verdrängen die Realschüler, diese wiederum verdrängen die Hauptschüler usw. Inzwischen ist es bei uns so weit, dass nur noch 51 % der Hauptschüler im ersten Anlauf nach Schulabschluss eine Chan
ce auf einen Ausbildungsplatz haben, und sogar 25 % der Realschüler landen erst einmal in Übergangssystemen in Niedersachsen. Unser gemeinsames Ziel muss es sein, diesen Verdrängungswettbewerb nach unten im Ausbildungssystem endlich wieder umzukehren, um das Gesamtabschlussniveau der nachwachsenden Generation bei uns deutlich anzuheben.