46 % der Schüler sind in Warteschleifen. Meine Frage, Herr Minister: Wenn ich davon ausgehen kann, dass Eltern genau diese Problematik kennen und deswegen die Hauptschule für ihre Kinder nicht gern wählen, dann kann das auch damit zusammenhängen - die Frage ist, ob Sie meine Meinung teilen -, dass viele Bildungsexperten glauben, dass es das Problem der Hauptschule ist, dass mangels der Heterogenität der Lerngruppen die Förderung der leistungsschwachen Schüler einfach nicht so gut sein kann, wie sie sein sollte, und dass die Eltern dieses Problem auch sehen. Danke schön.
Das war eine korrekt formulierte Frage, Herr Kollege Althusmann. - Die Antwort gibt Herr Kultusminister Busemann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Helmhold, das waren natürlich Vorlagen für einen abendfüllenden Vortrag zu solchen Fragen der Bildungspolitik, über die wir schon immer einmal reden wollten.
Zu den Besuchergruppen: Auch ich kenne Besuchergruppen mit Schülern, die nicht alle einen Ausbildungsplatz haben oder sicher wissen und die Sorgen genug haben. Das geht mal so und mal so aus.
Aber diskutieren wir es einmal völlig streitfrei: Wären die Probleme der Hauptschülerinnen und -schüler so, wie Sie meinen, dass sie sind - Problemfreiheit besteht ja nicht -, dann frage ich Sie, ob Sie wirklich glauben, man müsste nur „Gesamtschule“ oder Ähnliches daran schreiben und die Probleme wären gelöst. Meinen Sie, es gäbe dort plötzlich andere Menschen, die bei gleichem Arbeitsaufwand und gleicher Förderung bessere Ergebnisse und bessere Perspektiven hätten? Das ist doch völlig realitätsfremd!
Es kann doch nur um das Maß der Zuwendung für die betroffenen jungen Leute gehen. Hier strengen wir uns an, das Bestmögliche zu tun.
Nun zu der Frage, wie die Eltern dies wahrnehmen. Sie mögen ja sagen, im Hinblick auf die Hauptschule löse die Gesamtschule alle Probleme.
Dahinter steht der Elternwille, der in Niedersachsen einen hohen Rang hat. Ich stehe für den freien Elternwillen ein. Wenn Sie aber Gesamtschulen oder gemeinsame Schulen nicht nur in den großen Zentren, sondern im ganzen Lande anbieten woll
ten, müssten Sie auch dem Willen der Eltern Rechnung tragen, die offenbar weit über dem Landesdurchschnitt nur die Kinder mit Realschulempfehlung und mit einem dramatisch niedrigen Wert die Kinder mit Gymnasialempfehlung zur Gesamtschule schicken. Damit wäre die Schulform, die Sie favorisieren, von diesen Eltern und den betroffenen Kindern völlig abgewählt. Welche Antwort hätten Sie denn darauf? Ich muss Ihnen sagen, dass mir dies große Sorgen macht.
Ich sage Ihnen ganz offen: Ich will, dass alle Schulen, in welcher Variante auch immer, in unserem Lande gelingen. Ob Sie es glauben oder nicht: Ich will auch, dass unsere 60 IGSen und KGSen gut funktionieren. Auch dort wird gut gearbeitet; die dort Tätigen hängen sich rein und wollen für die Kinder das Beste erreichen. Da und dort können sich auch andere etwas von Gesamtschulen abschneiden, Frau Korter; so blind gehen wir nicht durchs Land. Jede Schule soll also entsprechend erfolgreich sein.
Aber ich glaube, dass wir die Schulstrukturprobleme beiseite tun können. Wir haben dieser Tage die Eigenverantwortlichkeit diskutiert. Es läuft immer wieder darauf hinaus, dass die individuelle Förderung funktioniert. Diese Förderung können Sie in einem gegliederten System allemal besser als in einem Einheitssystem für das ganze Land erreichen. Dies können wir meinetwegen noch vertiefen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am 8. Juli konnte ich in der Braunschweiger Zeitung unter der Überschrift „Immer weniger Schüler wollen auf die Hauptschule“ lesen, dass in Braunschweig die Anmeldezahlen zur Hauptschule wieder gesunken sind: von 12,8 % im Jahre 2004 über 10,8 % im Jahre 2005 auf 9,5 % in diesem Jahr. Das hat dazu geführt, dass es an einem Hauptschulstandort nur sechs Anmeldungen gegeben hat. Damit diese Schüler an diesem Standort zur Schule gehen können, ist den Eltern angeboten worden, dort eine kombinierte 5. und 6. Klasse
einzurichten. Ich frage die Landesregierung, ob sie in solchen kombinierten Klassen die Zukunft der Hauptschule sieht. Ich sehe das eher als ein Zurück in die Steinzeit der Schule an.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin, nicht generell, aber in bestimmten Einzelfällen, gerade in ländlichen Bereichen, kann man diese Variante durchaus vernünftig fahren; auch bei anderen Schulformen. In manchen Landesteilen geht die Zahl der Kinder dramatisch zurück. Gleichwohl ist der Bedarf an Plätzen in einer Grundschule sehr hoch. Ich kämpfe für jede Grundschule in den ländlichen Bereichen. Es lohnt sich, dafür zu kämpfen. Angesichts der zurückgehenden Schülerzahlen müssen manchmal aber Varianten gefunden werden: Jahrgangsübergreifende oder kombinierte Systeme, wie auch immer. Ich sehe das ganz entspannt.
(Karl-Heinz Klare [CDU]: Herr Wenzel, das wird bestimmt eine gute Frage! Darauf gibt es auch eine gute Ant- wort!)
Herr Minister, Sie betreiben hier doch Pfeifen im Walde und tun so, als hätten Sie kein Problem. Ich will einmal sagen: Wir haben hier einen Streit. Wir haben aber auch etwas Gemeinsames, Herr Minister. Wir haben nämlich gemeinsam das Problem, dass sich der Anteil der Schulabbrecher in Niedersachsen auf fast 10 % beläuft. Ein Großteil von ihnen kommt von den Hauptschulen. Diese Kinder haben auf absehbare Zeit sehr große Probleme, anschließend einen vernünftigen Beruf zu finden, eine Berufsausbildung zu machen und einen Job zu finden. Das ist unser gemeinsames Problem als Gesellschaft insgesamt. Dieses Prob
lem müssen wir lösen, und zwar besser heute als morgen. Deshalb frage ich Sie: Was wollen Sie tun, um die Zahl der Abbrecher an Hauptschulen ganz signifikant zu senken?
(Beifall bei den GRÜNEN - Heinz Rolfes [CDU]: Da hat der Minister doch schon eine Menge getan! - Ge- genruf von Stefan Wenzel [GRÜNE]: Er hat die Zahlen gefälscht! Er hat die Zahlen gefälscht! - Heinz Rolfes [CDU]: Unerhört!)
- Herr Rolfes! Herr Wenzel! - Für die Landesregierung antwortet Herr Minister Busemann und sonst niemand.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Wenzel, ich muss die Zahlen noch einmal klarstellen. Darüber, dass wir diesbezüglich nicht sorgenfrei sind, besteht zwischen uns sicherlich Einigkeit. Aber: Die Nichtabschlussquote liegt in Niedersachsen derzeit bei 8,9 %. Gestartet sind wir einmal irgendwo bei 10 % über 9,4 % auf 8,9 %. Vor ein paar Monaten hatte das Statistische Landesamt noch einen günstigeren Wert. Den hätte ich gerne gehabt. So weit sind wir aber noch nicht. Deshalb lassen wir ihn einmal außen vor.
(Stefan Wenzel [GRÜNE]: Sie haben in einer Presseerklärung von 7,5 % gesprochen! - Wolfgang Jüttner [SPD]: Sie haben geschummelt!)
- Da hat niemand geschummelt. Das haben wir gar nicht nötig. Die 7,5 % schaffen wir sogar noch. Warten Sie mal ab! Geben Sie uns nur die erforderliche Zeit! Von Jahr zu Jahr wird es besser. Wir müssen diese 8,9 % aufteilen. 0,5 % entfallen auf die sonstigen Schulen. Von den verbleibenden 8,4 % entfällt die eine Hälfte auf die Förderschulen und die andere Hälfte auf die Hauptschulen. 4,2 % der Leute ohne Abschluss kommen aus dem Hauptschulsystem. Das ist immer noch zu viel. Darüber können wir uns einig sein. Wir müssen versuchen, die von mir soeben beschriebenen Maßnahmen umzusetzen, um die Situation an den Hauptschulen zu verbessern. Ich denke hier an die
individuelle Förderung und an die Eigenverantwortliche Schule, damit vor Ort besser reagiert und die Nichtabschlussquote verringert werden kann. Das ist doch ein System, das man als Ganzes sehen muss.
Ich darf Ihnen jetzt noch eines sagen - ich hatte in der Diskussion über die Große Anfrage zur beruflichen Bildung den Eindruck gewonnen, dass das im ganzen Haus entsprechend Anklang findet -: Wenn wir sehen, dass viele junge Leute keinen oder nur einen ganz schwachen Hauptschulabschluss erreichen, und nicht jedes Lamento der Wirtschaft glauben, dass diese jungen Menschen nicht ausbildungsfähig seien und vieles andere mehr, dann ist ein bestimmtes Angebot in der beruflichen Bildung, das wir zunächst einmal im Rahmen des Pilotversuchs „Berufseinstiegsklasse“ vorhalten und dann, wenn es sich bewährt, ausweiten, nicht schlecht. Das heißt, dass der Hauptschulabschluss an der Berufsschule im ersten Jahrgang nachgemacht bzw. ein schwacher Abschluss verbessert werden kann, sodass sich daran eine berufliche - am besten eine duale - Ausbildung anschließen kann. Das sind u. a. die Maßnahmen, mit denen wir versuchen, das Problem in den Griff zu bekommen.
Bei dieser Dringlichen Anfrage geht es ja um die Zukunft der Hauptschule. Zur Zukunft der Hauptschule wurde ja auch die schleswig-holsteinische Ministerin Ute Erdsiek-Rave befragt, die der SPD angehört. Sie äußerte sich in der Westfälischen Rundschau dahin gehend, dass die Hauptschule in Zukunft nicht als Sammelbecken für Problemfälle stigmatisiert, sondern gestärkt werden solle. Sie führte weiterhin aus, es komme jetzt darauf an, die Hauptschulen mit guten Konzepten, die der Lebenswirklichkeit der Schüler entsprächen und sie auf den Beruf vorbereiteten, aktuell zu stärken und zu schützen. Ich frage die Landesregierung: Wird unsere Landesregierung mit der Präsidentin der Kultusministerkonferenz in dieser Frage künftig zusammenarbeiten?
(Walter Meinhold [SPD]: Was ist denn das? - Wolfgang Jüttner [SPD]: Sie waren schon stärker, Herr Kollege!)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Schwarz, bei einer Zitatensammlung muss einem das eine oder andere gelegentlich durchgehen. Aus dem schleswig-holsteinischen Wahlkampf hatte ich von Frau Erdsiek-Rave ganz andere Modelle im Hinterkopf. Aber jeder kann sich ja irgendwann auf den Pfad der Tugend begeben. Wenn dieses klare Bekenntnis zur Hauptschule auch mit dieser Zielsetzung so gefallen ist, dann ist Frau Erdsiek-Rave - so würde ich sagen - sehr nahe beim Niedersächsischen Kultusminister angekommen. Da sie gerade auch die Präsidentin der Kultusministerkonferenz ist, kann ich nur sagen: Wir alle ziehen an einem Strang.
- Kann ich ja. Ich werde sie auch gleich stellen. Wer über Hauptschüler immer so spricht, als wären sie die Dauerpatienten in der schulpolitischen Diskussion, der darf sich nicht darüber wundern, dass die Eltern größte Hemmnisse haben, ihre Kinder an einer Hauptschule anzumelden.
Die gleichen Kinder nun aber an einer Integrierten Gesamtschule, einer Einheitsschule, einer Gemeinschaftsschule oder sonst einer anderen Schule anzumelden, heißt doch aber nichts anderes, als sie zu verstecken und nicht begabungsgerecht zu fördern.