Protocol of the Session on July 11, 2006

Der Kollege Jüttner hat verzichtet. Dann hat der Kollege Althusmann noch einmal das Wort.

Meine Damen und Herren! Ich möchte diese Debatte mit einem Zitat beenden, das gut zu ihr passt: „Das Absurde ist die Königsklasse des Humors.“ Vielen Dank dafür, dass Sie heute zum Humor des Parlamentes beigetragen haben!

(Walter Meinhold [SPD]: Sie sind aber sehr humorvoll!)

Ich will aber deutlich sagen: Wir werden uns an dieser nicht niveauvollen Debatte nicht weiter beteiligen und unsere Entscheidung so durchstimmen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, es liegt ein Antrag des Kollegen Möhrmann vor, den Ministerpräsidenten mit der Mehrheit des Hauses aufzufordern, den Termin in Osnabrück heute nicht wahrzunehmen. Wer diesem Antrag der SPD-Fraktion zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Letzteres war die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.

Wir kommen jetzt zu

Tagesordnungspunkt 1: Aktuelle Stunde

Es liegen vier Beratungsgegenstände vor. Ich rufe den ersten Beratungsgegenstand auf:

a) Arbeitsplatzvernichtung trotz Gewinnexplosion - Kahlschlag am Versicherungsstandort Niedersachsen - Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 15/3041

Das Wort dazu erteile ich dem Kollegen Lenz.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Keine Woche vergeht, ohne dass eine neue Hiobsbotschaft den niedersächsischen Arbeitsmarkt erschüttert. Seit dem letzten Plenum vor drei Wochen, als Sie, Herr Minister Hirche, in der Aktuellen Stunde noch Ihre Freude darüber zum Ausdruck brachten, dass Niedersachsen so häufig unter dem Stichwort Innovation angegoogelt werde, haben drei weitere Unternehmen die Vernichtung von insgesamt über 500 sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen in Niedersachsen angekündigt. Faurecia in Stadthagen: 150 Arbeitsplätze; Honeywell, ehemals Riedel-de Haën, in Seelze: 105 Arbeitsplätze; die Allianz in Hannover: 278 Arbeitsplätze.

Während Faurecia und Honeywell allenfalls regionale Aufmerksamkeit erzeugten, ging die Allianz bundesweit durch die Medien. Die SPDLandtagsfraktion schließt sich ausdrücklich der Kritik am Allianz-Vorstand an.

(Beifall bei der SPD)

Wer 4,4 Milliarden Euro Gewinn erwirtschaftet und gleichzeitig im Versicherungsbereich 5 000 Stellen streicht, der hat jedes Maß verloren.

(Beifall bei der SPD)

Diejenigen, die Sicherheit verkaufen wollen, treiben Tausende von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und deren Familien in die absolute Existenzunsicherheit. Das ist ein Skandal. So muss man das auch nennen.

(Beifall bei der SPD)

Die so genannte Allianz fürs Leben ist eine unheilige Allianz mit den Gesetzen des Turbokapitalis

mus eingegangen und lässt jede soziale Verantwortung für dieses Land vermissen. Das lehnen wir ab.

(Beifall bei der SPD)

Sehr geehrte Damen und Herren, das Vorgehen der Allianz ist jedoch nur das Vorspiel für das, was den Versicherungsstandort Niedersachsen noch erwarten kann. Drei so genannte Megatrends in der Versicherungswirtschaft werden den Wettbewerbsdruck und damit auch den Druck auf Arbeitsplätze verschärfen: Erstens Konzentration und Internationalisierung, zweitens die Standardisierung von Produkten und drittens die Automatisierung oder, wie man so schön sagt, Industrialisierung der Abläufe werden sicherlich auch am Versicherungsstandort Niedersachsen noch Spuren hinterlassen. Allein am Standort Niedersachsen/Hannover sind 2 000 von rund 10 200 Arbeitsplätzen unmittelbar in Gefahr. Die Pläne der Allianz kennen wir bereits. Der Talanx-Konzern wird nach der Gerling-Übernahme voraussichtlich am 18. Juli mit weiteren Arbeitsplatzstreichungen an die Öffentlichkeit gehen. Bei der Züricher drohen ebenfalls Streichungen. Bei der Victoria ist die Schließung des Standortes zum 1. Juli 2007 bereits besiegelt.

Mit dem Arbeitsplatzabbau gehen nicht nur dringend benötigte Ausbildungsplätze verloren, sondern auch weitere Arbeitsplätze im Bereich von Fort- und Weiterbildung, die sich rund um den Versicherungsstandort Hannover entwickelt haben. Klar ist auch: Wenn der Marktführer Allianz den Kostendruck so verschärft, wird das sicherlich auch auf die öffentlich-rechtlichen Versicherungen Auswirkungen haben, die in Niedersachsen eine erhebliche Rolle spielen.

Meine Damen und Herren, die Arbeitnehmervertreter haben sich bereits in der Vergangenheit gegen den Arbeitsplatzabbau gestemmt. Sie haben auch mit Arbeitszeitverlängerungen, Urlaubskürzungen und Lohnkürzungen reagiert. Auch jetzt haben die Betriebsräte der namhaften Unternehmen in Hannover, die im Übrigen heute hier zu Gast sind, zusammen mit Verdi Standortkonzepte gegen Massenentlassungen entwickelt, die aber bei den Vorständen offensichtlich auf taube Ohren stoßen.

Herr Minister Hirche, Sie haben sich doch immer für betriebliche Bündnisse eingesetzt. Sie haben doch auch eine ständige Gesprächsrunde mit der

Versicherungswirtschaft. Zu VW lese ich häufig Ihre Ratschläge in der Öffentlichkeit; aber zur Versicherungswirtschaft haben Sie sich bisher gar nicht geäußert. Hier erwarten wir von Ihnen endlich Aussagen darüber, was die Niedersächsische Landesregierung zu tun gedenkt, um dem massiven Arbeitsplatzabbau entgegenzutreten.

(Beifall bei der SPD)

Wir erwarten, dass Sie in dieser Frage aktiv werden. Wir erwarten, dass Sie die Attraktivität des Versicherungsstandortes Niedersachsen stärken und an der Seite der Betriebsräte gegen die tausendfache Vernichtung von Arbeitsplätzen kämpfen.

Herr Wulff, vielleicht können Sie heute das Gespräch mit unserer Bundeskanzlerin in diesem Sinne nutzen. Ich denke, das ist nicht nur ein Problem von Niedersachsen, sondern dieser Republik insgesamt. - Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat der Kollege Dinkla.

Herr Präsident! Jeder Verlust eines Arbeitsplatzes ist für die Betroffenen schmerzlich. Es ist, Herr Lenz, aber irreführend und auch schlicht und ergreifend unzutreffend, von einem Kahlschlag am Versicherungsstandort Niedersachsen zu sprechen. Niedersachsen ist und bleibt ein wichtiger Standort der Versicherungswirtschaft. Ca. 8 % der 215 000 Beschäftigten der Versicherungsbranche sind hier. Hannover hat den fünften Platz in der Rangliste der Versicherungsstandorte.

(Günter Lenz [SPD]: Noch!)

Die Branche hat mit über 10 000 Beschäftigten eine wichtige Funktion als Arbeitgeber.

(Zurufe von der SPD: Die wollen wir auch behalten! - Wie lange noch?)

Deshalb will ich die Probleme, die sich aus den Ankündigungen der Versicherungsunternehmen Allianz und Victoria ergeben, nicht schönreden. Aber der Titel der Aktuellen Stunde hätte auch etwas weniger reißerisch sein können. Die Unter

nehmen verdienen sehr gut, meine Damen und Herren. Dies belegen die Zahlen.

(Walter Meinhold [SPD]: Hervorra- gend!)

Die rot-grüne Bundesregierung - dies will ich in Erinnerung rufen - hat im Jahre 2000 mit ihren Steuerbeschlüssen die Grundlage dafür gelegt, dass Unternehmensbeteiligungen steuerfrei verkauft werden können. Das waren für die Branche mit einer Vielzahl von Beteiligungen im Ergebnis milliardenschwere Steuergeschenke und hat die schlummernden Geldreserven ans Licht kommen lassen. Auch das muss man in diesem Zusammenhang mit betrachten.

Sicherlich wird die Ankündigung der Allianz und der Dresdner Bank, 7 500 Arbeitsplätze, also 5 000 plus 2 500, zu streichen, im Zusammenhang mit dem eben erwähnten Jahresüberschuss von 4,4 Milliarden Euro gesehen. Viele fragen sich zu Recht besorgt: Wenn nicht einmal mehr gute Gewinne den Arbeitsplatz sichern, was dann?

(Dieter Möhrmann [SPD]: So ist es!)

Aber Shareholdervalue für sich ist keine Strategie; es ist das Ergebnis einer Strategie. Nach meiner persönlichen Überzeugung lässt sich mit Profitmaximierung allein heute kein Unternehmen mehr führen.

(Beifall bei der CDU)

Oft wird von der Verantwortung der Manager gesprochen. Ein guter Manager zeigt zweifellos Verantwortung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Aber wenn die Vorstände davon überzeugt sind, dass die angesprochenen Unternehmen bei unveränderten Kostenstrukturen Marktanteile verlieren und dem Anpassungsdruck der Branchen mit zunehmender Internationalisierung, stärkerem Wettbewerb über Internet und neuen Vertriebswegen nur durch Umstrukturierungsmaßnahmen, Personalabbau und neuen Betriebsmodellen begegnen können, dann sollte man sich das nicht so einfach machen, wie es der Vorsitzende des DGB, Michael Sommer, getan hat, als er von „vaterlandslosen Gesellen“ gesprochen hat. Man könnte in diesem Zusammenhang auch einmal über die Ausbildungsplätze bei den Gewerkschaften reden; auch dort liegt sicherlich vieles im Argen.

Ich wiederhole: Es gibt keinen Kahlschlag am Versicherungsstandort Niedersachsen. Bei genauer

Betrachtung sollten wir es eigentlich mit Erleichterung aufnehmen, dass der Standort Hannover von dem angekündigten Stellenabbau der Allianz mit am geringsten betroffen ist.

(Zuruf von Günter Lenz [SPD])

Positiv ist, dass Hannover Allianz-Hauptstandort bleibt, im Gegensatz zu den vollständigen Schließungen in Köln, Dortmund, Aachen und an anderen Standorten. Von den Umstrukturierungen sind in Hannover 280 Arbeitsplätze betroffen. Darin enthalten sind 84 Arbeitsplätze, die zum AllianzSach-Bereich gehören und nach Hamburg verlagert werden. 20 Arbeitnehmer haben sich anderweitig orientiert und gehen zum Teil den Weg der sozialverträglichen Lösung über Altersteilzeit. Damit bleiben ca. 100 Stellen, deren Abbau zweifellos als problematisch eingestuft werden muss. Dies ist für die Betroffenen unbefriedigend. Es muss ein verantwortungsvoller Umgang des Unternehmens mit den betroffenen Menschen gefordert werden. Aber es bleibt bei der Bewertung, dass der Schwerpunkt des Stellenabbaus - man muss sagen: Gott sei Dank - in anderen Bundesländern liegt und Hannover mit einem blauen Auge davonkommt.

(Walter Meinhold [SPD]: Wie argu- mentieren Sie denn?)

In Nordrhein-Westfalen baut die Allianz 1 767 Stellen ab. In Nordrhein-Westfalen spricht man von einer „Allianz-freien Zone“. In Hessen sind es 1 643, in Bayern 778, in Sachsen 500 und in Hamburg 360 Stellen. Die angekündigte Schließung der Regionalverwaltung der Victoria - Herr Lenz, dies haben Sie eben angesprochen - muss in die Bewertung einbezogen werden. Mit der Victoria hat die SPD für ihre 670 000 Mitglieder über die DDVG und die IMAGE Ident ja eine jahrelange exklusive Vertriebsvereinbarung gehabt. Ich bin davon überzeugt, dass die Landesregierung alle Möglichkeiten dazu genutzt hat und auch weiter nutzen wird, um den Versicherungsstandort Niedersachsen attraktiv zu gestalten.

Die Bereitschaft der Landesregierung zum Dialog mit den Unternehmen, die Einrichtung von Fachprofessuren und die Weiterentwicklung des Kompetenzzentrums Versicherungswissenschaften GmbH belegen ja, dass die Politik durchaus aktive Anstrengungen einbringen kann, um Niedersachsen und Hannover weiterhin als attraktiven, herausragenden Standort für die Versicherungswirt