Protocol of the Session on June 21, 2006

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank. - Als Nächster hat der Kollege Dr. Biester das Wort. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gerade wegen meines Nachnamens lege ich Wert darauf, dass Namen in der politischen Debatte nicht verhohnepipelt werden;

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

sonst könnte ich Frau Bockmann auch sagen: Mit diesem Redebeitrag in dieser Aktuellen Stunde haben Sie einen ganz schönen Bock geschossen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Widerspruch bei der SPD)

Wir sind Ihnen sehr dafür dankbar, dass Sie dieses Thema für die Aktuelle Stunde angemeldet haben, weil uns das die Gelegenheit gibt, zwei Dinge zu tun. Erstens können wir die hervorragende Arbeit der Niedersächsischen Justizministerin würdigen.

(Beifall bei der CDU - Widerspruch bei der SPD und bei den GRÜNEN - Hans-Dieter Haase [SPD]: War das der Bettvorleger?)

Zweitens können wir bei dieser Gelegenheit nachweisen, dass es bei der SPD eine Justizpolitik gar nicht gibt.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Widerspruch bei der SPD)

Frau Bockmann, Sie ziehen durch die Lande und beklagen, dass die Richter unverhältnismäßig hohe Belastungsquoten hätten.

(Elke Müller [SPD] und Heike Bock- mann [SPD]: Das stimmt ja auch!)

Sie schlagen in diesem Zusammenhang vor, dass mehr Geld in das System gegeben werden muss.

(Widerspruch bei der SPD)

Des Themas, wie die Justiz in der heutigen Zeit neu organisiert werden kann, nehmen Sie sich überhaupt nicht an.

Es ist das große Verdienst der Justizministerin des Landes Niedersachsen, dass sie diese Reformdebatte angestoßen hat

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

wohl wissend, dass sie allein gar nicht entscheidungsbefugt ist, weil über viele Themen auf der Bundesebene zu entscheiden ist.

(Heike Bockmann [SPD]: Experimen- tierklausel!)

Aber sie hat die Debatte immerhin angestoßen. Das wäre Aufgabe der Bundesjustizministerin - der SPD zugehörig - gewesen. Sie hat es weder bei Rot-Grün noch jetzt in der großen Koalition getan. Das ist ein seltsames Schweigen der Bundesjustizministerin zu diesem Thema! Insofern war es wichtig und gut, dass dieses Thema angeschoben worden ist.

Wir finden auch in der Koalitionsvereinbarung der Parteien Ansätze dafür, dass bestimmte Dinge angeschoben werden. Sie selbst sind sogar dafür, indem Sie dafür eintreten, dass bestimmte Fachgerichtsbarkeiten zusammengelegt werden sollten. Wir werden uns dieses Themas weiter annehmen. Wir werden versuchen, möglichst viele der Punkte, die die Justizministerin vorgeschlagen hat, auf Bundesebene durchzusetzen.

Dazu gehört auch die Verlagerung des Strafvollzugs in den Kompetenzbereich des Landes. Frau Bockmann und meine Damen und Herren von der SPD, wo steht denn eigentlich, dass Resozialisierung das einzige Vollzugsziel sein muss?

(Elke Müller [SPD]: Im Strafvollzugs- gesetz!)

Wir wollen die Resozialisierung doch keineswegs abschaffen! Der Strafvollzug hat doch schon immer zwei Gesichtspunkte berücksichtigt - das muss man auch in einem Gesetz als Leitlinie durchsetzen -: Wir wollen durch den Strafvollzug sowohl resozialisieren als auch die Allgemeinheit vor

Straftätern schützen. Das ist Bestandteil des Strafvollzuges.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Frau Bockmann, die Justizministerin hat auch niemals eine „lasche Strafjustiz“ angesprochen. Es geht um Vollzug. Es geht nicht um die Urteile der Richter; diese sind niemals kritisiert worden. Wenn Sie das so gesagt haben, dann muss ich darauf hinweisen, dass das schlicht und ergreifend falsch ist.

Wer trägt denn die politische Verantwortung für den Strafvollzug?

(Hans-Dieter Haase [SPD]: Sie!)

Wer bezahlt denn den Strafvollzug? - Das sind ausschließlich die Länder. Da liegt es doch nahe und ist es ein Gebot der Stunde, dass auch die politische Verantwortung dafür bei den Ländern liegt.

Was haben wir in der ganzen Diskussion eigentlich von der SPD gehört? - Rückwärts gewandt, alles verneinend, was angestoßen worden ist, keinerlei eigene Vorschläge, die die Diskussion befruchten und weiterführen könnten. Es wäre fast noch ein Lob, wenn ich sagen würde, dass Sie reformunfähig sind. Denn es ist viel schlimmer: Sie sind nicht nur nicht reformfähig, sondern Ihre Justizpolitik findet in Niedersachsen überhaupt nicht statt.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank. - Das Wort hat Herr Kollege Briese.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es muss erlaubt sein, zu fragen, was von der sehr lauthals, sehr vollmundig angekündigten „größten Justizreform seit 1871“ bleibt.

(Heiterkeit bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Das waren ja die Ansagen. Ich meine, man muss eine Justizministerin daran messen dürfen. Was bleibt momentan von den konkreten Reformvorhaben Gerichtsfusion, flexibler Richtereinsatz, Standortfusionierung, Rechtsmittelbeschneidung übrig? Was bleibt von dem ganz zentralen rechtspolitischen Reformvorhaben dieser Landesregierung,

was bleibt von der sehr lauthals angekündigten Reform? - Meine sehr verehrten Damen und Herren, da muss man jetzt ehrlich sein und sagen: Es bleibt nicht viel davon übrig. Das rechtspolitische Titanenwerk dieser Justizministerin ist auf LiliputNiveau zusammengeschrumpft.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist nicht so, dass sich die Opposition in Bezug auf Reformvorhaben völlig verweigert hat. Aber es muss die Frage erlaubt sein bzw. wir müssen hier darüber diskutieren, wie man so etwas anpackt. Man war auf konservativer Seite sehr stolz darauf, dass über Rechtspolitik aus Niedersachsen bundesweit diskutiert wurde. Ich kann mich in diesem Zusammenhang an Tagesschau-Auftritte und auch an Reden des Vorsitzenden des Rechtsausschusses erinnern. Da hieß es: Ja, über niedersächsische Rechtspolitik wird geredet. Die Zeit der kleinen Rädchen ist vorbei. Jetzt werden wir mal das ganz große Rad drehen. Das wilde Gestrüpp der Justiz müssen wir jetzt mal ordentlich zurechtschneiden. Wir haben von der Opulenz der Justiz genug. Da muss jetzt mal richtig eine große zentrale Reform passieren. - Meine sehr verehrten Damen und Herren, an den Erwartungen, die Sie geweckt haben, werden Sie jetzt gemessen! Davon bleibt aber nicht mehr viel übrig.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Wenn wir in der Rückschau auf die Debatte ehrlich sind, dann gab es für die Pläne, die Sie vorgelegt haben, auch niemals großartig positive Zustimmung - nicht in den Expertenzeitschriften und nicht in der überregionalen Tagespresse. Man kann sich genau anschauen, was die Süddeutsche Zeitung, das Handelsblatt und die FAZ zu dem Thema „Große Justizreform aus Niedersachsen“ geschrieben haben. Wenn man ehrlich ist, stellt man fest, dass das ziemlich vernichtend ist. Ich kann mich an einen Artikel im Handelsblatt erinnern, in dem zu lesen war: Heiß gegessen - lau gekocht. - Die FAZ - so viel ich weiß, nicht unbedingt eine 68erPostille - hat geschrieben: Justiz auf Sparflamme.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine reflexive Politik, eine beratungssensitive Politik hätte sich jetzt vielleicht die Frage gestellt, ob alles das, was man hier vorstellt, richtig ist. Normalerweise sind gerade die deutschen Medien in ihrer

Forderung nach Reformen nicht unbedingt vorsichtig. Frau Heister-Neumann hat hier aber keine Beratungssensitivität an den Tag gelegt.

Ich will Ihnen eines sagen: Die dritte Gewalt im Staat, die Recht sprechende Gewalt im Staat, ist keine Bezirksregierung, die man mal so eben einfach abwickeln kann, wobei man dann einen zumindest fragwürdigen Verwaltungsaufbau hinterlässt. Die Abschaffung des Widerspruchsverfahrens haben wir hier vielfach thematisiert. Sie haben den Gerichten und den Bürgern dadurch sehr viel aufgeladen; denn die dürfen das, was Sie da hinterlassen haben, jetzt ausbaden.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Recht sprechende Gewalt ist ein sensibler Bereich in unserem Staatsgefüge. Man muss sie sensibel reformieren und vorantreiben. Man darf dort nicht die Abrissbirne kreisen lassen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben jetzt drei Jahre lang große Ankündigungen im rechtspolitischen Bereich erlebt. Wir haben dicke Konvolute, markige Sprüche und großartige Ankündigungen. Aber was ist konkret die Bilanz nach drei Jahren? Was ist das faktische Resultat? Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir stehen vor einem großen schwarzen, gähnenden Loch. Es gar nichts umgesetzt. Die Kritik wird immer massiver. Die große Justizreform schmilzt dahin. Wir haben keine Gerichtsfusion. Wir haben keine Verfahrensoptimierung. Vor allen Dingen haben wir keine Justizentlastung. Wir erwarten eigentlich von einer Justizministerin, dass sie sich vor die dritte Gewalt stellt, dass sie sie vor manchmal vielleicht sicherheitsfixierten Innenministern und geldgierigen Finanzministern verteidigt. Das alles hat es in der niedersächsischen Rechtspolitik nicht gegeben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ein zentrales Reformprojekt droht zu scheitern. Große Worte, große Pläne - große Niederlage! Das Zitat des Kollegen Mackenroth aus Sachsen haben Sie schon gehört. Er findet, die große Justizreform ist mausetot.

Was gibt es ansonsten momentan auf rechtspolitischem Gebiet aus Niedersachsen zu berichten? Ganz viele schlechte Gesetze, mehrere verfassungsrechtliche Niederlagen und einen Staatssek

retär, meine sehr verehrten Damen und Herren, der sich eine Ämterpatronageaffäre leistet. Gute Rechtspolitik sieht ganz anders aus. Ich finde, daraus muss man Konsequenzen ziehen. - Vielen Dank.