Protocol of the Session on March 24, 2006

Ich hätte mir aber schon gewünscht, dass, wenn es hier zum Schwur kommt, auch die SPD-Fraktion vor aller Öffentlichkeit sagt, wie sie zu dieser Sache steht. Dass dies nicht passiert, finden wir traurig. Wenn Sie uns erneut die Hand reichen wollen, meine Damen und Herren, nehmen wir sie gerne. Wir können gerne zu einer Abstimmung kommen, aber Sie drücken sich davor. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Meine Damen und Herren, wenn ich die Fraktionen richtig verstanden habe, ist Ausschussüberweisung gewünscht. Wir kommen jetzt zur Ausschussüberweisung. Federführend soll der Umweltausschuss, mitberatend der Ausschuss für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr, der Ausschuss für Wissenschaft und Kultur, der Ausschuss für Inneres und Sport und der Ausschuss für Haushalt und Finanzen tätig werden. Wer dem zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Gibt es Stimmenthaltungen? - Dann ist dies so beschlossen.

Meine Damen und Herren, ich rufe jetzt auf:

Tagesordnungspunkt 40: Erste Beratung: Bei der Föderalismusreform Fachargumente beachten statt Kuhhandel betreiben Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drs. 15/2732

und

Tagesordnungspunkt 31: Zweite Beratung: Gesetzgebungskompetenz für den Justizvollzug auf Bundesebene belassen! - Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 15/2611 Beschlussempfehlung des Ausschusses für Rechts- und Verfassungsfragen Drs. 15/2696

und

Tagesordnungspunkt 32: Zweite Beratung: Bundeseinheitliche Regelung des Strafvollzugs beibehalten - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 15/2616 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Rechts- und Verfassungsfragen Drs. 15/2697

Von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat sich der Abgeordnete Briese zu Wort gemeldet. Ich erteile ihm das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Mutter aller Reformen“, „Jahrhundertwerk“, „Herkulesaufgabe“ - die Superlative überbieten sich nur so. Ich frage mich allerdings, ob die Föderalismusreform am Ende nicht die Mutter allen Murkses sein wird.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, endlich sind einige Akteure aufgewacht und scheinen zu erkennen, dass es so, wie uns einige Großwesire und politische Paladine weismachen wollen, nicht geht. Wenn man z. B. an die Rede von David McAllister hier im Plenarsaal denkt, als er kundgetan hat, die Föderalismusreform sei gut für Niedersachsen, kann man nur sagen: Herr McAllister, Ihr schottisches Blut haben Sie dabei nicht verheimlicht; denn die Rede war sparsam an Inhalten und an intelligenten Gedanken.

(Heiterkeit und Beifall bei den GRÜ- NEN und bei der SPD - David McAl- lister [CDU]: So viel zu Vorurteilen von den Grünen gegenüber Ausländern! Das ist eine ganz schlimme Antiaus- länderpolitik! Unerträglich! Was sagt die Ausländerbeauftragte dazu?)

Warum, meine sehr verehrten Damen und Herren, soll es gut sein für Niedersachsen, wenn wir zukünftig weniger Geld für die Hochschulpolitik bekommen? Warum, meine sehr verehrten Damen und Herren - -

(David McAllister [CDU]: Entschuldi- gen Sie sich bei den Schotten für die- se unqualifizierten Äußerungen! Das darf ja wohl nicht wahr sein! - Beifall bei der CDU)

Herr Briese, Sie haben das Wort.

Die Zwischenrufe des Fraktionsvorsitzenden zeigen nur, dass ich mit meinem Vorwürfen absolut Recht gehabt habe.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, warum soll es gut sein für Niedersachsen, wenn das heute schon sehr komplizierte Umweltrecht noch weiter verkompliziert wird?

Warum soll es gut sein für Niedersachsen, dass eine Rechtsmaterie an das Land überwiesen wird, wenn sich alle Fachleute darüber einig sind, dass das ein Fehler ist? Ich meine den Strafvollzug.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, warum soll dies alles gut für Niedersachsen sein? - Aber das wird wohl das große Geheimnis von David McAllister bleiben.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es mehren sich die berechtigten Zweifel an der angeblich wichtigsten und bedeutsamsten Reform des Grundgesetzes seit seiner Geltung. Wenn man sich die Berichterstattung der letzten Wochen anschaut, erkennt man, dass sich die Begeisterung für das Projekt wahrlich in Grenzen hält. Der Spiegel, meine sehr verehrten Damen und Herren, ursprünglich ein vehementer Befürworter der Reform, kommentierte in der letzten Woche:

„Großer Wurf ins Leere.

Nach Ansicht vieler Experten gibt es nur eines, was schlimmer sein könnte als ein Scheitern der Reformpläne ihr Gelingen. Statt neuer Handlungsfähigkeit drohen neue Blockaden und ein unübersehbarer Kompetenzwirrwarr.“

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir erinnern uns: Die Reform sollte Blockademöglichkeiten zwischen Bund und Ländern reduzieren und zu mehr klarer Verantwortlichkeit zwischen den politischen Ebenen führen. Was uns hier nun als angeblich sehr ausgereifter Kompromiss angeboten wird, ist ein faules Ei, in großen Teilen ungenießbar.

(Beifall bei den GRÜNEN - Heinz Rolfes [CDU]: Das sind vielleicht Län- derparlamentarier!)

Die jetzt vorgelegten Vorschläge zur Föderalismusreform wurden uns mit der Behauptung verkauft, die Blockade zwischen Bund und Ländern würde dadurch reduziert.

(Vizepräsidentin Ulrike Kuhlo über- nimmt den Vorsitz)

Wenn dem so wäre, dann wäre die Reform zu unterstützen. Es ist absolut richtig, endlich den oftmals verantwortungslos agierenden Bundesrat nicht mehr immer und überall mitreden zu lassen. Wir kennen die Obstruktionskünste von Provinzfürsten, egal ob sie schwarz oder rot sind.

(Reinhold Coenen [CDU]: Oder grün!)

- Herr Coenen, grün wäre schön. Wir hätten nichts dagegen, auch einmal einen Ministerpräsidenten stellen zu dürfen. Noch ist es aber leider nicht so weit.

(David McAllister [CDU]: Ihr seid aus gutem Grund in keiner Landesregie- rung! Ihr seid ein Auslaufmodell!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wissen Sie, was in der ersten Lesung im Bundestag Erstaunliches passiert ist? - Ein Parlamentarier hat es gewagt, die Frage zu stellen, inwiefern die Vorschläge zur Föderalismusreform vergangene Obstruktionspolitik verunmöglicht hätten bzw. welche Bundesratsblockaden zukünftig nicht mehr möglich seien. Wissen Sie, was diesem redlichen Mann geantwortet wurde? - Die Antwort ist erstaunlich: Wir wissen gar nicht ganz genau, welche Blockaden durch die Föderalismusreform in Zukunft nicht mehr möglich sind. Das muss der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages erst einmal prüfen. Das ist also das intelligente und durchdachte Titanenwerk Föderalismusreform mit dem Ziel der klaren Aufteilung von politischer Verantwortung! Ich muss schon sagen, es ist ein Meisterwerk der politischen Künste, das uns hier dargeboten wird. Man weiß gar nicht, welche Blockademöglichkeiten es zukünftig im Bundesrat noch geben wird. So sieht also intelligente Gesetzgebung aus. Ich sage Ihnen: So schlechte Gesetzgebung kennen wir nicht einmal aus Niedersachsen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, kommen wir zu den drei Kardinalforderungen in unserem Antrag.

Wohl niemand in diesem Plenum wird bestreiten, dass die Bildungsfrage eine der ganz wichtigen Zukunftsfragen ist. Denn daran machen sich fest: Chancengerechtigkeit in unserer Gesellschaft, Teilhabegerechtigkeit, sozialer Zusammenhalt,

auch Innovationskraft, wirtschaftliche Prosperität sowie - mindestens genauso wichtig - politische Urteilsfähigkeit und historisches Bewusstsein. Frage Nr. 1: Fordert irgendeine Stimme in der Fachwelt den völligen Rückzug des Bundes aus der Bildungspolitik? Gibt es eine einzige überzeugende Stimme, die fordert, das komplett den Ländern zu geben, weil sie das können? - Nein, nein und nochmals nein! Es gibt diese Forderung in der politischen Fachdebatte nicht.

(Minister Bernhard Busemann: Quatsch!)

Ich will eine einzige Stimme im großen Chor derer nennen, die kritisieren, dass sich der Bund nach der Föderalismusreform völlig aus der Bildungspolitik zurückzieht, nämlich Professor Klaus Landfried, ehemals Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, Politikprofessor, Universitätspräsident, also eine sehr anerkannte Koryphäe im Bildungsbereich. Herr Präsident, ich zitiere mir Ihrer Erlaubnis Herrn Landfried:

„Mit unglaublicher Provinzialität übersieht“

- die Föderalismusreform

„alle gesamtdeutschen und europäischen Abstimmungsnotwendigkeiten, egal ob es um den Bologna-Prozess..., um die Ganztagsschulen, die Forschungsförderung oder den Hochschulbau geht.“

Herr Kollege Briese, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kultusministers?

(Zuruf von der CDU: Nein, des Abge- ordneten Busemann!)

- Des Abgeordneten Busemann, Entschuldigung. Er sitzt auf seinem Abgeordnetenplatz.

Nachdem ich meine Rede beendet habe, kann ich sehr gerne auf die Frage eingehen.

„Mir... fällt eine strukturelle Ähnlichkeit der heutigen Argumente“

- so Herr Landfried weiter

„mit denen auf, die große und kleine Landesherren im 19. Jahrhundert gegen den Modernisierungsschritt ‚Zollverein‘ bemühten, also der Abschaffung allgemeiner Schranken.“