Der Änderungsantrag in der Drucksache 2648 neu weicht von der bereits verteilten Drucksache 2648 insofern ab, als die Fraktion der SPD zu der Eingabe 2083 nicht mehr „Berücksichtigung“, sondern Überweisung an die Landesregierung als „Material“ beantragt. Ferner sind die Fraktionen übereingekommen, über die Eingabe 2214 und die Folgesätze 1 bis 5 zunächst erneut im Ausschuss zu beraten.
Über die Beschlussempfehlungen zu den Eingaben in der Drucksache 2625, zu denen keine Änderungsanträge vorliegen, haben wir bereits in der 82. Sitzung am 22. Februar 2006 entschieden. Wir beraten jetzt nur noch über die Eingaben aus der Drucksache 2625, zu denen die genannten Änderungsanträge vorliegen.
Zu der Eingabe 2283 hat sich Frau Steiner von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu Wort gemeldet. Ich erteile ihr das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich spreche zu der gerade genannten Eingabe. Es handelt sich um eine Petition der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg, des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland, des Bundes der Energieverbraucher, des Dachverbandes der kritischen Aktionärinnen und Aktionäre, des Deutschen Naturschutzringes, der Deutschen Sektion der internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, der Katholischen Landjugendbewegung Deutschlands, Robin Wood, Greenpeace und mehrerer anderer. Sie wurde im Oktober 2001 eingereicht.
Aufgrund der Risiken durch die terroristische Bedrohung, die in den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA in aller Schärfe deutlich geworden ist, befassten sich die Petenten mit der Sicherheit deutscher Atomkraftwerke angesichts des Risikos von absichtlich herbeigeführten Flugzeugabstürzen und Terroranschlägen.
Die Petenten sind der Auffassung, dass der § 17 des Atomgesetzes zum Tragen kommen müsse. § 17 Abs. 5 sieht den Widerruf von Genehmigungen vor, wenn dies - das ist ein Zitat aus dem Atomgesetz - „wegen einer erheblichen Gefährdung der Beschäftigten, Dritter oder der Allgemeinheit erforderlich ist und nicht durch nachträgliche Auflagen in angemessener Zeit Abhilfe geschaffen werden kann“.
Die Petenten fordern den Widerruf der Betriebsgenehmigungen der deutschen Atomkraftwerke. Sie sind der Auffassung, dass der Widerruf der Betriebsgenehmigungen der Atomkraftwerke atomund verfassungsrechtlich geboten sei - wegen des Risikos äußerer Einwirkungen, wegen der fehlenden Entsorgungsvorsorge und wegen unzureichender Deckungsvorsorge.
Der Petitionsausschuss des Bundestags, bei dem diese Eingabe zuerst eingereicht worden war, hat im Februar 2005, also vor einem Jahr, beschlossen, die Petition der Bundesregierung und dem Bundesministerium für Umwelt als Material zu überweisen und den Landesvolksvertretungen zuzuleiten, soweit die Verpflichtung der Länder angesprochen wird, in eigener Zuständigkeit Sicherheitsüberprüfungen durchzuführen.
Deswegen hat sich der Umweltausschuss mit dieser Petition befasst und befasst sich jetzt der Landtag mit dieser Petition.
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen plädiert für die Überweisung der Petition als Material an die Landesregierung. Im Gegensatz dazu hat die Ausschussmehrheit der Fraktionen der CDU und der FDP für eine Unterrichtung der Petenten über die Sach- und Rechtslage votiert und das Anliegen der Petition, wenn ich es richtig im Kopf habe, zurückgewiesen.
Das Atomgesetz aus dem Jahr 2000 legt die Begrenzung der Laufzeit der Atomkraftwerke und danach den Ausstieg aus der Atomenergieproduktion fest. Die neue schwarz-rote Koalition hat bislang keine Änderung beschlossen. Dennoch müssen wir konstatieren, dass es eine Reihe von Vorstößen zur Änderung bzw. Aufkündigung des Atomkompromisses gegeben hat und gibt, im Wesentlichen vonseiten der CDU-Ministerpräsidenten oder CDU-Landesregierungen. Wie wir alle vernommen haben, gehört auch Ministerpräsident Wulff zu denjenigen, die eine Aufkündigung des Atomkompromisses gefordert haben. Es ging zunächst um die Verlängerung von Laufzeiten über das vorgesehene Maß hinaus, die man anstreben wollte. Sporadisch taucht immer wieder sogar die Forderung - von der FDP-Seite kennen wir diese Forderung schon - nach dem Neubau von Atomkraftwerken auf.
Die aktuelle, ganz besonders problematische Debatte spiegelt sich in der Diskussion über die Übertragung von Laufzeiten wider. Nach dem Atomkompromiss ist es möglich, Laufzeiten von einem Atomkraftwerk auf ein anderes zu übertragen. Es wird nun aber nicht - wie man annehmen könnte - darüber diskutiert, dass die Laufzeiten besonders alter - ich sage einmal: Schrottschleudern - auf neuere Atomkraftwerke übertragen und diese dann eher geschlossen werden sollen.
(Christian Dürr [FDP]: Das Wort „Schrottschleudern“ sollten Sie noch einmal überdenken, Frau Kollegin!)
Das Gegenteil ist der Fall. Es wird gefordert, dass Laufzeiten von neueren Reaktoren, wie z. B. Philippsburg, auf alte Kernkraftwerke übertragen werden. Zynisch finde ich es zu fordern, z. B. auf die Atomkraftwerke Biblis A und B, Brunsbüttel und Neckarwestheim Laufzeiten zu übertragen. Das sind diejenigen vier Atomkraftwerke, die in den
nächsten Jahren zur Schließung anstünden. Insbesondere Biblis A und Brunsbüttel mit ihren bei bestimmten Punkten eingeschränkten Sicherheitsvorkehrungen sind einer heftigen Kritik ausgesetzt. Ihr technischer Zustand ist immer wieder Gegenstand von Diskussionen, und es gab Abschaltungen noch und noch. Ich finde es zynisch, dass man auf diese alten Schrottschleudern Laufzeiten übertragen will, damit sie länger gefahren werden können und sich besser rechnen, weil sie schon abgeschrieben sind. Dafür nimmt man ein erhöhtes Risiko in Kauf, statt die Laufzeiten bei den neueren Atomkraftwerken bestehen zu lassen.
Das hat eine besondere Wirkung - das ist auch der Zusammenhang mit der Petition -: Diese alten Atomkraftwerke haben wesentlich einfachere Containments, was beispielsweise im Hinblick auf die Gefahr von vorsätzlich herbeigeführten Flugzeugabstürzen auf Kernkraftwerke relevant ist. Genau auf diese Atomkraftwerke will man auch noch Laufzeiten übertragen und diese länger laufen lassen.
Einer der Gründe, warum die Petition der Landesregierung als Material überwiesen werden soll, ist die ungelöste Endlagerfrage. Wir wissen natürlich, dass Herr Sander mit Nachdruck die Aufhebung des Moratoriums für Gorleben fordert. Darüber hinaus stellen wir aber fest, dass die Standortsuche für ein alternatives sicheres Endlager insbesondere vonseiten der CDU blockiert wird.
Das ist auch das Problem, das die Petenten beispielsweise aus Lüchow-Dannenberg umtreibt. Sie verlangen, dass jetzt ohne Verzug eine ergebnisoffene Suche nach einem alternativen Endlagerstandort gestartet wird. Denn wenn das jetzt nicht bald geschieht, wird es ganz schwierig werden - das wissen wir -, Gorleben überhaupt noch aus der Prüfung herauszubekommen. Ich befürchte fast, dass dies genau das ist, worauf auch diese Landesregierung spekuliert.
Deshalb meinen wir, wenn man diese Petition der Landesregierung als Material überweist, wird sich diese mit diesen Problemen noch einmal ernsthaft auseinander setzen müssen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Kollegin Steiner hat dankenswerterweise den Sachverhalt ausführlich geschildert, sodass ich darauf verzichten kann. Sie hat das, wie ich finde, auch sehr gut gemacht. Sie hat ebenfalls dargestellt, wie der Deutsche Bundestag mit dieser Petition umgegangen ist.
Ich möchte auf einen inhaltlichen Aspekt eingehen, der die von den Petenten vorgebrachten Sicherheitsbedenken aufgreift, und möchte deutlich machen, wie damit vonseiten der Landesregierung umgegangen worden ist. Es ist verständlich, dass Petenten damals solche Sicherheitsbedenken vorgetragen haben.
Die Reaktion des Niedersächsischen Umweltministeriums bestand darin, die Parlamentarier in einer vertraulichen Sitzung zu unterrichten. Das heißt, keiner der Anwesenden darf darüber reden, was dort berichtet worden ist. All das, was uns das Haus vorgetragen hat, hätten wir auch in einer öffentlich bekannt gemachten Antwort der rotgrünen Bundesregierung auf eine Anfrage der FDP nachlesen können.
Mit diesem Vorgehen will man sich offensichtlich verstecken, Herr Dürr, damit man bloß nicht öffentliche Debatten führen muss. Das Ganze, was Sie damals veranstaltet haben, war eine Nebelwerferdebatte. Daran werden Sie sich gut erinnern können. Diese Nebelwerferdebatte können Sie selbst so interpretieren, wie Sie es möchten.
Meine Damen und Herren, die Beschlussformel „Material“ wird wie folgt definiert - ich zitiere -: Der
Landesregierung wird anheim gestellt, das Vorbringen bei der Ausarbeitung von Gesetzentwürfen, beim Erlass von Richtlinien oder bei sonstigen Verwaltungsmaßnahmen zu prüfen und gegebenenfalls zu verwerten.
Wir als SPD sind der Meinung, dass es der Landesregierung gut tun würde, noch ein mal ein bisschen nachzudenken. Deshalb sollten Sie sich einen Ruck geben und ebenfalls für die Überweisung als Material stimmen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Steiner, Herr Dehde, die Welt ist nicht ganz so einfach, wie Sie sie hier erklärt haben. Dies sage ich Ihnen sozusagen von Ingenieur zu Parlamentarier.
(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Dorothea Steiner [GRÜNE]: Mit dieser Einleitung habe ich gerechnet!)
Der Umweltausschuss und das Plenum haben sich im Zusammenhang mit einem eine ähnliche Zielrichtung verfolgenden Antrag der Grünen im letzten Jahr schon einmal ausführlich mit diesen Fragen beschäftigt. Alle Fragen sind ausreichend beantwortet worden.
Ich möchte in diesem Zusammenhang Umweltminister Sander zitieren, der in diesem Hause am 15. September letzten Jahres gesagt hat:
„Das BMU sieht die im Zusammenhang mit terroristischen Flugzeugangriffen auf Kernkraftwerke gestellten Aufgaben als erfüllt an.“
- Frau Steiner, Ihr damals noch amtierender Umweltminister hat in einer seiner letzten Pressemitteilungen am 31. Oktober letzten Jahres festgestellt:
„Die von den Betreibern der deutschen Atomkraftwerke zum Schutz vor terroristischen Angriffen vorgesehenen Tarnmaßnahmen... sind... ausreichend...“
Beim Blick auf die aktuelle Internetseite des BMU werden Sie feststellen, dass auch der neue Umweltminister dem bisher nicht widersprochen hat, sodass sich in dieser Frage keine neuen Erkenntnisse ergeben haben.
Nach dem 11. September 2001 wurden auf Bundes- und Länderebene zusätzliche umfangreiche Maßnahmen zum Schutz der kerntechnischen Anlagen gegen terroristische Angriffe ergriffen.
Frau Steiner, fragen Sie einmal Ihren Kollegen Professor Lennartz. Er hat dieses umfangreiche Maßnahmenpaket in einem anderen Zusammenhang gestern ausdrücklich gelobt.