Protocol of the Session on February 24, 2006

Ich möchte abschließend darlegen - Frau Müller hat das hier zum Teil schon getan -, welche Diskussionen die Pläne, die Gesetzgebungskompetenz für den Strafvollzug auf die Länder zu übertragen, hervorgerufen haben. Ich habe eingangs gesagt, dass es in der strafvollzugspolitischen Debatte keine einzige Stimme gibt, die das wirklich fordert. Frau Müller hat auf den Aufruf der 100 sehr renommierten Strafrechtler verwiesen - darunter u. a. der Nestor der deutschen Strafrechtspolitik, Professor Roxin, und viele andere berühmte Persönlichkeiten -, die sich alle dezidiert dagegen ausgesprochen haben. Daneben gibt es weitere gewichtige Stimmen: Der Deutsche Richterbund ist dagegen und hat massive Bedenken; Sie haben es gesagt. Der Deutsche Anwaltsverein ist dagegen, die Deutsche Bewährungshilfe ist dagegen, und die deutschen Strafanwälte sind dagegen. Die Bundesvereinigung deutscher Anstaltsleiter spricht sich genauso dagegen aus wie der Bund der Strafvollzugsbediensteten. Die Bundesrechtsanwaltskammer ist dagegen, die Deutsche Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfe ist dagegen, und die deutschen Sozialverbände und die deutschen Gewerkschaften sind es auch, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Und als wenn das alles nicht genug wäre, haben sich vor kurzem sogar elf ehemalige Landesjustizminister zu Wort gemeldet, die - übrigens parteiübergreifend - unisono der Meinung sind, dass man diese Zuständigkeit den Ländern nicht übertragen sollte.

Wenn Ihnen das immer noch nicht ausreicht, empfehle ich Ihnen, die rechtspolitischen Sprecher aller im Bundestag vertretenen Parteien zu fragen, was sie dazu gesagt haben. Im Vorfeld der Föderalismusreform wurden alle größeren Parteien angesprochen. Der ehemalige Rechtspolitiker und heutige Parlamentarische Geschäftsführer der CDU, Herr Röttgen - ein, wie ich finde, in manchen Sachen durchaus aufgeklärter, vernünftiger Konservativer -, hat sich dezidiert dagegen ausgesprochen, diese Zuständigkeit den Ländern zu übertragen. Die FDP war einhellig derselben Meinung, die Grünen und die SPD auch.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin sehr gespannt, welche Gründe die Justizministerin anführen und vor allem, welche rechtspolitischen Autoritäten sie hier gleich zitieren wird, die sich dafür ausgesprochen haben, die Gesetzgebungskompetenz für den Strafvollzug auf die Länder zu übertragen. Ich sage es Ihnen noch einmal: Es gibt niemanden, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Für die CDU-Fraktion hat nun der Abgeordnete Nacke das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn in Niedersachsen ein Mensch eine Freiheitsstrafe antritt, dann wird er in einer Justizvollzugsanstalt des Landes Niedersachsen inhaftiert.

(Heike Bockmann [SPD]: Ach nein!)

Er trifft dort auf niedersächsische Landesbedienstete, deren Dienstherrin die niedersächsische Justizministerin ist. Alle Fragen, die ihn während seines Aufenthaltes betreffen, werden von niedersächsischen Beamtinnen und Beamten entschieden. Vielleicht schreibt er auch einmal eine Petition, die er dann an den Niedersächsischen Landtag richtet. Wenn er sie an den Bundestag schickt, so teilt dieser ihm mit, er sei für seine Anliegen nicht zuständig, und leitet die Petition an den Niedersächsischen Landtag weiter. Wenn im Strafvollzug etwas schief läuft, was zum Glück selten vorkommt, würde sich die Kritik an die niedersächsische Justizministerin richten. Ich erinnere in die

sem Zusammenhang nur an die peinlichen Einlassungen von Frau Merk aus dem Dezember 2004. Sie sehen also: Die Landesregierung trägt die politische Verantwortung für den Strafvollzug.

Die Kontrolle der Landesregierung obliegt diesem Parlament. Um dieser Verantwortung gerecht zu werden, hat dieses Parlament einen eigenen Unterausschuss, der sich ausschließlich mit den Fragen des Strafvollzuges und der Gefangenenhilfe beschäftigt. Die Mitglieder dieses Ausschusses besuchen häufig die Haftanstalten und stehen mit den Menschen im Vollzug in engem Kontakt. Dadurch wird auch dieses Parlament seiner politischen Verantwortung gerecht.

Trotz dieser vollständigen politischen Verantwortung ist der Niedersächsische Landtag jedoch nicht für die rechtlichen Grundlagen des Strafvollzuges zuständig. Stattdessen gibt es ein bundeseinheitliches Strafvollzugsgesetz. Der Strafvollzug ist damit ein Paradebeispiel, wie politische und gesetzgeberische Verantwortung auseinander fallen. Aber der Strafvollzug ist kein Einzelfall. Deshalb ist auch die Reform der gesetzgeberischen Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern so dringend erforderlich.

Im Rahmen der Föderalismusreform soll die soeben geschilderte politische und gesetzgeberische Verantwortung zusammengeführt werden. Dieses Parlament soll zukünftig in eigener Verantwortung die Gesetze verabschieden, nach denen unser Strafvollzug durchgeführt werden soll. Der Herr Ministerpräsident hat gestern in der Aktuellen Stunde mit Recht darauf hingewiesen, dass wir uns über diesen Umstand freuen dürfen.

Aber jetzt, meine Damen und Herren, geschieht das Unfassbare: Sie, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen, wollen sich vor dieser Verantwortung drücken. Sie trauen sich nämlich nicht zu, ein gutes Strafvollzugsgesetz zu verabschieden.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Ralf Briese [GRÜNE]: Wir haben ein gutes Gesetz! Wir brauchen kein neu- es!)

Sie halten sich für zu schwach, die notwendigen Kosten des Strafvollzugs gegenüber der Öffentlichkeit zu begründen.

(Widerspruch bei der SPD - Ralf Brie- se [GRÜNE]: Wer will denn immer mehr inhaftieren?)

Sie haben nicht die Kraft, Maßnahmen wie Therapieangebote, Sportangebote, Lockerungen oder Urlaubsgewährung für Strafgefangene gegenüber Kritikern zu vertreten. Nein, Sie wollen sich lieber hinter einem Bundesgesetz verstecken, das man angeblich leider nicht ändern könne.

(Uwe Schwarz [SPD]: Wer hat Ihnen denn das aufgeschrieben?)

Aber, meine Damen und Herren, was ist das für ein Selbstverständnis als Parlamentarierin oder als Parlamentarier? - Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer nicht bereit ist, Verantwortung zu übernehmen und zu den eigenen Entscheidungen zu stehen, der ist nicht nur in diesem Parlament falsch, der ist in der Politik insgesamt falsch, der hat da nichts verloren.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren von der Opposition, auf jeden Fall sind Sie völlig ungeeignet für Regierungsämter. Dort muss man nämlich Verantwortung übernehmen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - David McAllister [CDU]: Das musste mal gesagt werden!)

Meine Damen und Herren, ich habe in den vergangenen Wochen viele Gespräche geführt und mich mit den Stellungnahmen der Verbände, die im Wesentlichen von den Grünen abgeschrieben und auch vorgetragen worden sind, auseinander gesetzt.

(Ralf Briese [GRÜNE]: Ja, was sagen die Praktiker, Herr Nacke?)

Aus meiner Sicht gibt es drei wesentliche Argumente, die in diesen Stellungnahmen immer wieder angeführt werden: Erstens. Der Rückfall in die Kleinstaaterei sei zu befürchten. Zweitens. Die Länder könnten aus Kostengründen die Standards verringern. Drittens. Wahltaktische Überlegungen könnten die Gestaltung des Vollzuges bestimmen.

Zu dem Argument 1. Seit Bestehen des Grundgesetzes haben die Abgeordneten des Bundestages nach und nach in jedem einzelnen Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung die Zuständigkeit an sich gezogen. Dabei sah das Grundgesetz ei

gentlich im Sinne von Regel und Ausnahme die Zuständigkeit der Länder vor.

(David McAllister [CDU]: Richtig!)

Jetzt soll dieser Entwicklung in sehr begrenztem Maße entgegengewirkt werden. Wer da bereits von Kleinstaaterei redet, der stellt in Wirklichkeit das Erfolgsmodell Föderalismus insgesamt infrage.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - David McAllister [CDU]: Frau Müller hat ein merkwürdiges Verständnis von Föderalismus!)

Frau Trost hat es richtig angeführt: Wer Deutschland zu einem zentralen Staat umformen und die Länder zu reinen Verwaltungseinheiten degradieren will, der wird die Unterstützung der CDU nicht erfahren.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, schlimmer sind aber noch die Argumente 2 und 3. Die Behauptung, die Länder würden den Strafvollzug verschlechtern, um Geld zu sparen und Wählerstimmen zu kassieren, zeichnet ein schlimmes Bild von Landespolitikern. Landtagsabgeordnete sind nicht verantwortungsloser oder dümmer als Bundestagsabgeordnete.

(Beifall und Heiterkeit bei der CDU und bei der FDP - Bernd Althusmann [CDU]: Das war ein wahres Wort, ge- lassen ausgesprochen!)

Wir tragen schon jetzt die politische Verantwortung für den Strafvollzug. Die Fachkompetenz im Strafvollzug liegt in den Landesministerien und in deren nachgeordneten Vollzugseinrichtungen. Und auch dieser Landtag ist nach meiner festen Überzeugung in Fragen des Strafvollzugs kompetenter als der Bundestag.

(Bernd Althusmann [CDU]: Sehr rich- tig!)

Wer glaubt, es bedürfe eines trägen und unflexiblen Gesetzes des Bundes, um den Justizvollzug vor unüberlegten Veränderungen durch Landespolitiker zu schützen, der sollte aus meiner Sicht dringend sein gestörtes Verhältnis zu Demokratie und Föderalismus überdenken.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Lachen bei der SPD)

Glauben Sie denn allen Ernstes, wir hätten die Haftanstalten in Sehnde und Rosdorf nur deshalb gebaut, weil das Strafvollzugsgesetz des Bundes uns dazu gezwungen hätte?

(Elke Müller [SPD]: Nein, weil wir sie geplant hatten!)

Glauben Sie wirklich, der hohe Standard des niedersächsischen Justizvollzuges sei uns durch ein Bundesgesetz aufgezwungen? Glauben Sie wirklich, wir würden das Risiko eines schlechteren Vollzuges eingehen, obwohl wir von den Wählerinnen und Wählern für jeden Fehler verantwortlich gemacht werden?

(Heike Bockmann [SPD]: Ja, das glauben wir!)

Wer das glaubt, meine Damen und Herren, verkennt die Arbeit dieses Parlaments, die Arbeit der Landesregierung und die Arbeit der Bediensteten des Landes.

Ich lade daher alle diejenigen, die jetzt ihr Misstrauen gegenüber dem föderalen System zum Ausdruck gebracht haben, herzlich ein, an dem neuen niedersächsischen Strafvollzugsgesetz mitzuwirken. Wir werden mit der Hilfe und der Kompetenz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Strafvollzug ein modernes, praxisbezogenes Strafvollzugsgesetz erlassen. Ich bin mir sicher: Der Strafvollzug wird durch die Länderkompetenz nicht an Bedeutung verlieren, sondern er wird aufgewertet. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Für die FDP-Fraktion hat nun der Abgeordnete Herr Dr. Zielke das Wort.

(Ralf Briese [GRÜNE]: Was sagt Herr Stadler, Herr Zielke?)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In bekannter Einseitigkeit malen die beiden Oppositionsparteien den Teufel an die Wand.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Ralf Briese [GRÜNE]: Das seid ihr ja auch: Teufel!)

Das ist ihr gutes Recht, es ist nur die Frage, ob SPD und Grüne sich mit derartigen Versuchen, doch noch Haare in der Suppe zu finden, tatsächlich einen Gefallen tun. Uns kann Ihr Agieren im Grunde nur recht sein.