Protocol of the Session on February 22, 2006

(Hans-Dieter Haase [SPD]: Gutes Pa- pier! - Gegenruf von David McAllister [CDU]: Kalter Kaffee!)

Meine Damen und Herren, dieses Konzept ist nun genau das Gegenteil von dem, was Sie heute in den Landtag eingebracht haben.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herr Jüttner, ich spreche Sie jetzt ganz persönlich an; Sie sind ja Fraktionsvorsitzender und waren früher Landesvorsitzender. Sie haben am 2. Februar 2006 noch erklärt: „Mehr Qualität geht nur durch mehr Freiheit.“ Ebenfalls am 2. Februar 2006 haben Sie wörtlich erklärt:

„Nur wenn Schulen mehr Gestaltungsfreiheit erhalten, können sie die Unterrichtsqualität verbessern und auf die Bedürfnisse vor Ort zugeschnittene pädagogische Konzepte entwickeln.“

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Sehr gut!)

- Sehr gut. Ich stimme Ihnen zu.

(Walter Meinhold [SPD]: Das macht mich nachdenklich!)

Jetzt kommt dieses Papier vom 3. Februar, also einen Tag später. Ich habe die 56 Seiten gelesen.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Ach, Sie wa- ren das! - Hans-Werner Schwarz [FDP]: Hast du dir das wirklich ange- tan?)

- Ja, ich habe mir das wirklich angetan. - Ich habe mich gefragt: Wie kann eine Partei, die eine solch lange schulpolitische Tradition - das will ich gern akzeptieren; Walter Meinhold, ich gucke dich an und auch anerkannte Fachleute hat - auch das wird nicht bestritten -, innerhalb nur eines Tages solch gegensätzliche Aussagen produzieren? Das will ich nicht verstehen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren von der SPD, die von Herrn Jüttner, Ihrem Fraktionsvorsitzenden, beschriebene Freiheit gibt es nicht mehr. Das ist die alte schulpolitische Linie der SPD: Detailsteuerung, um so die Ergebnisse nach dem eigenen Verständnis zu beeinflussen. - Ich habe das genau gelesen. Sie haben beschrieben, wie der Lehrereinsatz funktionieren soll, wie die Module aufeinander aufgebaut werden sollen. Tausend Details werden in Vorschriften klar geregelt. Das ist mit Freiheit der Schule und mit Eigenverantwortlichkeit aber nicht in Einklang zu bringen. Das ist leider so.

(Beifall bei der CDU)

Und dann kommt diese Gemeinschaftsschule. Meine Damen und Herren, sagen Sie doch, was Sie wollen! Einen schönen Begriff finden, ist das eine. Das ist die alte niedersächsische IGS, die Integrierte Gesamtschule.

(Ursula Körtner [CDU]: Einheitsschu- le!)

Und dann trauen Sie sich auch noch, Verbindungen mit Finnland herzustellen! In Finnland aber gibt es dieses System nicht. Belügen Sie in dieser Frage also die Leute nicht!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, das ist die Politik à la Peter von Oertzen aus den 70er-Jahren. Das müssen Sie sich einmal vergegenwärtigen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich weiß, dass er aus der SPD ausgetreten ist. Jetzt kann er aber wieder eintreten, wenn Sie so ein Papier vorlegen. Das ist Peter von Oertzen, 70er-Jahre.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, Sie wissen ganz genau, dass Finnland ein sehr differenziertes Schulsystem anbietet. Ich hatte gedacht, dass Sie nach den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen schlauer geworden wären. Mit Schulstrukturdebatten kann man heute keine Wahlen mehr gewinnen.

(Georgia Langhans [GRÜNE]: Es geht nicht um das Gewinnen von Wahlen, sondern es geht um die Kinder!)

Wir alle wissen nämlich, dass es um die Verbesserung der Qualität, nicht aber um neuerlich angeheizte Debatten um die Schulstruktur geht. Die sind nämlich Gift für die Qualitätsentwicklung an unseren Schulen. Außerdem erweisen Sie den Schulen einen Bärendienst; das sage ich Ihnen in aller Klarheit. Nehmen Sie Abstand davon!

Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, ob Herr Duin das gelesen hat: Beide Konzepte laufen diametral gegeneinander. Es sind völlig unterschiedliche Papiere. Fragen Sie einmal die Eltern, was sie davon halten. Ich habe mit dem Landeselternrat gesprochen.

Meine Damen und Herren, selbst Ihre Mitglieder fühlen sich verunsichert - auch das ist klar -, weil sich viele an den Schlingerkurs von Sigmar Gabriel im Jahr 2002 erinnern. Der hat hier dasselbe mit der Förderstufe und diesem ganzen Zeug gemacht, was Sie nachher umsetzen mussten. Also, liebe SPD, hüten Sie sich vor dem Schulgeist Gabriel. Der hat Ihnen nichts Gutes beschert. Schieben Sie das wieder weg, und konzentrieren Sie sich auf den Entwurf, den Sie gerade eingebracht haben.

Frau Eckel, wir haben doch auf der Didacta diskutiert. Ich habe Sie danach gefragt, ob Sie für den Entwurf der SPD-Landespartei sprechen - daran haben Sie ja auch mitgewirkt - oder für den Entwurf, den Sie heute eingebracht haben. Sie haben gesagt, Sie sprechen nur für den Entwurf, den Sie heute eingebracht haben. - Frau Eckel, Sie haben sich nicht für beide Konzepte in Anspruch nehmen lassen, weil Sie wussten, wie unterschiedlich sie sind.

(Beifall bei der CDU - David McAllister [CDU]: Das ist heute ein Waterloo für die SPD!)

Meine Damen und Herren, wir brauchen ganz dringend eine verlässliche Entwicklung für die Schulen. Diese Entwicklung bekommen wir aber nur dann hin, wenn wir die taktischen Spiele lassen. Ich habe das Gefühl, dass Sie vor den Landtagswahlen taktieren wollen. Sie brauchen keine Ruhe an den Schulen. Sie wollen Unruhe. Sie wollen Unsicherheit, weil Sie sich davon wahltaktische Vorteile versprechen. Das nehme ich Ihnen übel - dies sage ich in aller Klarheit -, weil es gegen die Kinder geht.

(Beifall bei der CDU)

Herr Jüttner, auf der Pressekonferenz haben Sie ein bisschen am Rande gesessen. Ich hatte nicht den Eindruck, dass es für Sie ein Lustgewinn war, als Herr Duin das Ding vorgestellt hat. Sie sahen an jenem Tag nicht so glücklich aus, weil Sie gewusst haben, dass das gegen Sie läuft und es um einen Machtkampf in der SPD geht. Das ist die Wahrheit. Wir warten einmal ab, wie er ausgeht.

(Beifall bei der CDU - Lachen bei der SPD)

Wir jedenfalls wollen verlässliche Bedingungen. Deswegen sage ich Ihnen in aller Klarheit Folgendes: Wenn das Projekt der Eigenverantwortlichen Schule gelingen soll,

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

wird am Ende entscheidend sein, dass wir die Fragen stellen, was es unseren Schülerinnen und Schülern nützt, was die Lehrer davon haben und was sich für sie an unseren Schulen verändern wird. Die Eigenverantwortliche Schule darf nicht zu einer reinen Organisationsform werden, die durch gesetzliche Vorgaben eingeführt wird. Eigenverantwortung bedeutet, dass jeder, der im System Schule arbeitet, Verantwortlichkeit empfindet und aus ihr heraus handelt und an die Kinder herantritt.

Meine Damen und Herren, Kinder sind uns wichtig. Wenn wir so individuell wie möglich an die Kinder herankommen wollen, dann müssen wir immer wieder den Versuch unternehmen, den Bezug zu jeder einzelnen Schülerin und zu jedem einzelnen Schüler herzustellen. Was hilft den Kindern die politische und fachliche Diskussion, wenn sie in ihrer Persönlichkeit nicht wahrgenommen werden?

Die Eigenverantwortung der Schule wird die Motivation auch des einzelnen Lehrers steigern; davon bin ich überzeugt. Dadurch trägt dieses neue Schulsystem in besonderer Weise dazu bei, dass die Schule gelingt, da wir nicht ständig neue Regeln und gesetzliche Vorgaben auf den Weg bringen müssen. Die Gesamtverantwortung gegenüber dem Kind wird zunehmend der Maßstab unseres Handelns sein. Auf diesen Kern kommt es an. Dies ist Grundlage unseres Gesetzentwurfs, der zurzeit in der Anhörung ist. Ich wünsche uns gute gemeinsame Beratungen,

(Walter Meinhold [SPD]: So nicht!)

und ich wünsche, dass wir am Ende einen gemeinsamen Weg gehen. Dies sind wir nach langer Zeit den Eltern, den Schülerinnen und Schülern sowie den Lehrkräften in Niedersachsen schuldig.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, ich erinnere Sie an meinen Appell von vorhin, ein bisschen ruhiger zu sein. Ich kann genau zwischen Zurufen und einer Privatunterhaltung unterscheiden. Wenn man sich in den Bänken unterhält, merkt man es nicht so. Aber hier ist es sehr laut. Daher sollten Sie dem Redner zuhören oder aus dem Saal gehen, wenn Sie andere Gespräche führen wollen.

Für die FDP-Fraktion hat nun der Abgeordnete Schwarz das Wort.

(Walter Meinhold [SPD]: Ich sehe schwarz!)

Das tut manchmal sehr gut. - Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meinen Beitrag werde ich vor dem Hintergrund leisten, dass ich genauso wie meine Fraktion der Auffassung bin, dass die Eigenverantwortliche Schule nicht zum Spielball der Bildungspolitik werden darf,

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Ach, Sie melden sich ab, oder was?)

sondern dass wir konstruktiv an diesen Dingen arbeiten. Ich stelle fest, dass der Beitrag der Grünen im Gegensatz zu dem Entwurf der SPDFraktion eine ganze Menge mit Eigenverantwortlicher Schule zu tun hat. Mit den Grünen können wir in der einen oder anderen Frage zueinander kom

men, auch wenn es dort manche Dinge gibt, die wir nicht mittragen können. Aber dies wird sich im Laufe der Beratung herausstellen.

Gestatten Sie mir zunächst einige Vorbemerkungen. Gegenwärtig findet in Hannover, also direkt vor unserer Haustür, die bedeutendste europäische Bildungsmesse statt, auf der ein riesiges Angebot vorhanden ist. Abgeordnete aus allen Fraktionen haben sich dort bereits aufgehalten. Durch sämtliche auf dieser Messe geführten Diskussionen zieht sich hindurch, dass die Eigenverantwortliche Schule das Thema überhaupt ist. Egal, wohin man kommt, wird darüber diskutiert.

Zielsetzung der gemeinsamen Politik von CDU und FDP bleibt nach wie vor die Verbesserung der Bildungsqualität, um den niedersächsischen Schülerinnen und Schülern Chancen zu eröffnen, die ihnen über anderthalb Jahrzehnte vorenthalten worden sind. PISA war notwendig. Es wurde eine Diskussion in Deutschland und auch in Niedersachsen in Gang gesetzt, die dazu beigetragen hat, den Bildungsbereich wieder ins Blickfeld zu rücken. Dies war vor allen Dingen deshalb notwendig, weil sich nur 30 % der Erwachsenen in Deutschland für Bildungspolitik interessieren. Allerdings wurde mit den Ergebnissen zum Teil sehr undifferenziert und sehr oberflächlich umgegangen. Schaut man sich in unseren Schulen um, stellt man fest, dass sich der vor Ort vorherrschende Eindruck nicht zwingend mit den veröffentlichten PISA-Ergebnissen und schon gar nicht mit den Interpretationen dieser Ergebnisse deckt. Wenn dem so ist, dann darf man es auch sagen.

Gleichwohl bestand Handlungsbedarf. Man kann uns alles vorwerfen, allerdings nicht Tatenlosigkeit. In der Koalitionsvereinbarung haben sich FDP und CDU darauf verständigt, die Eigenverantwortliche Schule auf den Weg zu bringen und sukzessive umzusetzen. Dies ist aus unserer Sicht das Kernstück auf dem Weg zu besserer Bildungsqualität. Die FDP-Fraktion hat sich für diesen Weg entschieden, weil wir es für erforderlich halten, Schulen in den Wettbewerb zu stellen und Vielfalt im Bildungswesen herzustellen. Wir haben auch die Erfahrung gemacht, dass autonome Schulen die stärksten Schulen sind. Für diese Schulen müssen wir die Rahmenbedingungen schaffen.