Zur Erprobung einer erweiterten Selbständigkeit können Schulen - allerdings nur mit Zustimmung der Schulbehörde und wieder unter Beachtung der beschriebenen Grenzen - bei Unterrichtsorganisation und -gestaltung, -messung und -bewertung auch von Rechtsverordnungen abweichen. Damit gehen wir sehr weit.
Lassen Sie mich an dieser Stelle etwas zu dem Gesetzentwurf der Grünen, der heute auch noch eingebracht wird, sagen. Ich empfinde es als erstaunlich kleinmütig, dass die Grünen bei der Eröffnung pädagogischer Gestaltungsräume so weit hinter unserem Entwurf zurück bleiben.
Ihr Vorschlag, dass eine Schule, wenn sie von einem Erlass abweichen will, einen Antrag an die Schulbehörde stellen muss, ist doch nur halbherzig. Welch bürokratischer Aufwand! Ich frage mich auch, warum Sie beim Abweichen von Rechtsverordnungen der Mut verlässt. Die Grünen waren es doch, die in diesem Hause mit Leidenschaft für die
versuchsweise Einführung einer Schule ohne Sitzenbleiben eingetreten sind. Wir werden nachher hören, was Frau Korter dazu zu sagen hat.
Sehr geehrte Damen und Herren, ein Wort zur Terminologie: „Eigenverantwortlichkeit“ oder „Selbständigkeit“. Wir wollen bei unserem Markenzeichen „Selbständigkeit“ bleiben, das schon in der Urfassung des Schulgesetzes von 1974 steht. Das tun wir nicht aus Starrköpfigkeit, sondern weil wir davon überzeugt sind, dass dieser Begriff das von uns Gewollte besser abbildet. Selbständigkeit ist mehr als Eigenverantwortlichkeit. Es sollte doch den Protagonisten der „Eigenverantwortlichkeit“ einleuchten, dass auch eine unselbständige Schule die Eigenverantwortlichkeit stärken kann.
Dass Sie an einer wirklichen Selbständigkeit der Schule nicht interessiert sind, zeigt sich daran, dass Sie gleichzeitig mit der Vorlage Ihres Gesetzentwurfes immer wieder neue Erlasse verkünden. In der jüngsten Ausgabe findet sich z. B. die Neufassung des Erlasses über die Durchführung von Schulfahrten, in dem bis ins Detail alles geregelt wird. Darüber kann man sich nur wundern. Das ist doch sehr hasenfüßig. Ministerpräsident Wolf hat völlig Recht, wenn er moniert, derzeit seien die Schulen überreguliert und von außen gesteuert.
Sehr geehrte Damen und Herren, mit unserem Gesetzentwurf wollen wir die Gestaltungsautonomie der Schulen gesetzlich absichern, zum Wohle der Schülerinnen und Schüler und, ganz wichtig, zur Verbesserung der Qualität unserer Schulen. Das ist unser wichtigstes Anliegen.
Rechtliche Zweifel kann es bei diesem Vorhaben nicht geben, weil Schulen alles in allem staatlich verantwortet bleiben, Zweifel anderer Art auch nicht, weil die Selbständigen Schulen verpflichtet werden, regelmäßig Rechenschaft abzulegen in interner und externer Evaluation.
In diesem Zusammenhang bekennen wir uns zur Schulinspektion, der wir mit unserem Entwurf eine gesetzliche Grundlage geben wollen, weil das aus
verfassungsrechtlichen Gründen auch notwendig ist. Bündnis 90/Die Grünen verfahren ebenso; allerdings konzipieren sie die Schulinspektion als Schulbehörde. Das wollen wir nicht mittragen; denn so könnte ihr Status als unabhängiger Teil der Schulverwaltung ohne Weisungsrechte gegenüber den Schulen verloren gehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zu dem zweiten wesentlichen Unterschied zwischen den Gesetzentwürfen. Bei der Verteilung der Zuständigkeit auf die Organe der Schule, Gesamtkonferenz und Schulleitung, lassen wir uns von der Erfahrung leiten, dass nicht von einem Einzelnen getroffene, sondern von einem breiten Konsens getragene Entscheidungen eine bessere Chance haben, erfolgreich zu sein.
Die Umwandlung einer Schule in eine Ganztagsschule kann doch nur gelingen, wenn eine solche Organisationsform von der Gesamtkonferenz mitgetragen wird. Warum soll dann der Schulleiter/die Schulleiterin darüber entscheiden, ob ein Antrag gestellt wird oder nicht? Es ist überhaupt nicht nachvollziehbar, dass die Schulleitung auch darüber entscheiden soll, ob im Fach Biologie ein neues Schulbuch eingeführt wird oder ob nach der alternativen Stundentafel gearbeitet wird, ob es an einer Schule Freiarbeit und Wochenplanarbeit gibt oder nicht.
Diese Beispiele sind nicht an den Haaren herbeigezogen; sie ergeben sich aus dem Gesetzentwurf der Landesregierung. Auf diese Weise, Herr Busemann, zerstören Sie die Balance zwischen den Gremien, die in einer Schule Entscheidungen zu treffen haben. In dieses Dilemma gerät, wer für die Konferenzen abschließende Beschlusskataloge vorschreibt. Um es ganz deutlich zu sagen: Den Ersatz der Allzuständigkeit der Konferenzen durch die Allzuständigkeit der Schulleitung macht die SPD-Fraktion nicht mit.
Sie macht ihn nicht mit, weil sie für die Weiterentwicklung der Schulen schädlich ist, weil sie Beteiligte aus dem Willensbildungsprozess ausschließt, weil sie Motivation zerstört und weil sie die Schulleitung möglicherweise auch überfordert.
Das Kernelement Ihres Gesetzentwurfes, Herr Busemann, ist nach Ihren eigenen Aussagen die Stärkung der Schulleitung. Er trägt aber die Überschrift „Gesetz zur Einführung der Eigenverantwortlichen Schule“. Dem Schulleitungsverband ist voll und ganz zuzustimmen, wenn er Ihren Entwurf als ein - ich zitiere - „zirkusreifes Meisterstück der Irreführung“ bezeichnet hat. Und sogar der Ihnen sonst so gewogene VDR belehrt Sie in diesem Zusammenhang, indem er sagt: „Eine Stärkung des Schulleiters bedeutet nicht automatisch eine Steigerung der Schulqualität. Es müssen sich alle an Schule Beteiligte einbringen können.“
Nun noch ein Wort zur Schulkonferenz, für die es im Grunde schon jetzt eine gesetzliche Grundlage gibt, deren Stellung wir aber stärken wollen. Wir haben viel Sympathie für ein Beschlussgremium, in dem die Paritäten der an Schule beteiligten Gruppen anders aussehen als in der Gesamtkonferenz. Ob Schulen eine Schulkonferenz einrichten, hängt ebenso wie beim Schulbeirat sicherlich sehr von der Größe einer Schule und den Gegebenheiten vor Ort ab. Unsere Entscheidung, die Einrichtung einer Schulkonferenz nicht verpflichtend vorzuschreiben, beruht darauf, dass wir der Selbständigen Schule auch bei der Frage, wie sie sich selbst organisiert, mehr Autonomie geben wollen.
Wir können uns vorstellen, dass wir uns in den Ausschussberatungen auf eine gemeinsame Haltung über Schulkonferenzen als Pflichtgremium an den Schulen verständigen können; denn wir sehen - wie die Grünen ja wohl auch - in der Aufteilung der Zuständigkeiten auf zwei Organe gewisse Abgrenzungsschwierigkeiten. Die Schulkonferenzen sind für größere Schulen sicherlich eine attraktive Alternative. Nicht mitmachen können wir aber die Übertragung der Paritäten auf die Teilkonferenzen, wie es die Grünen für die Schulkonferenz vorsehen. Eine Fachkonferenz z. B., in der die Lehrkräfte nicht die Mehrheit der Mitglieder stellen, ist für uns nicht akzeptabel.
Sehr geehrte Damen und Herren, unser Gesetzentwurf enthält zwei weitere Vorschläge, bei denen wir es von den Stellungnahmen zu unserem Entwurf abhängig machen wollen, ob wir daran festhalten oder nicht. Das gilt zum einen für die im Beamtenrechtsrahmengesetz vorhandene Möglichkeit, Schulleiter und Schulleiterinnen zunächst im Beamtenverhältnis auf Zeit, befristet auf drei Jahre, zu bestellen. Das gilt zum anderen für den Vorschlag, die kommunalen Schulträger aus der Pflicht zu entlassen, für ihre Grundschulen Schul
bezirke festzulegen. Die Freigabe läge in der Logik der Selbständigen Schulen, die sich in ihren Schulprogrammen ja deutlich voneinander unterscheiden können. Wir wissen aber auch, dass mit einem Verzicht auf Schulbezirke Auswahlprozesse verstärkt werden, die sich nachteilig auf die Grundschule auswirken können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, richtig ist der Vorschlag von Bündnis 90/Die Grünen, den Bereich Beratung und Unterstützung der Schulen mit aufzunehmen und die Installation eines regionalen Netzes zur Schulentwicklungsplanung ins Gesetz zu schreiben. Im Haushalt finden sich dafür, wie auch für eine notwendige Erhöhung der Leitungszeit, keine Mittel und für die Qualifizierung der Schulleitung nur geringe Mittel. Fast umsonst ist aber auch die Eigenverantwortliche Schule nicht zu haben.
Uns freut natürlich, Herr Minister, dass unser Gesetzentwurf der Landesregierung so eingeheizt hat, dass sie Hals über Kopf ihren Entwurf unter Verzicht auf alle üblichen Formalien,
gleichsam als Tischvorlage unter dem Tagesordnungspunkt „Verschiedenes“, durchs Kabinett und auf den Markt gebracht hat. Es stimmt schon: Konkurrenz belebt das Geschäft. In den Ausschussberatungen und Diskussionen wird sich zeigen, dass wir das bessere Angebot haben. - Vielen Dank fürs Zuhören.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über alle Parteigrenzen hinweg sind wir uns einig, dass unsere Schulen von innen heraus grundlegend reformiert werden müssen, um den Unterricht und die Bildungsarbeit zu verbessern. Dafür hat die Stärkung der Eigenverantwortlichkeit der Schulen
Sie ist neben der Verbesserung der Aus- und Fortbildung unserer Lehrkräfte und dem Aufbau eines modernen Qualitätsmanagements ein entscheidender Baustein für eine Qualitätsentwicklung der niedersächsischen Schulen. Doch eine innere Reform kann man nicht von oben verordnen. Die Reformkräfte in den Schulen müssen gestärkt werden.
Das, was die Landesregierung für den so wichtigen Baustein Eigenverantwortliche Schule bisher als Gesetzentwurf vorgelegt hat, ist aus meiner Sicht nur ein Reförmchen, halbherzig und mutlos.
Wir sehen bislang nicht, Herr Busemann, wo Sie den Schulen größere Freiräume geben wollen, um moderne Unterrichtskonzepte tatsächlich entwickeln und umsetzen zu können. Sie geben den Schulen, genau genommen den Schulleitungen, mehr Verantwortung, aber keine Freiheit, und Sie beziehen die Eltern und Schüler nicht als Reformkräfte in die Entwicklung mit ein. Sowohl der Schulleitungsverband als auch der Landeselternrat haben den Entwurf der Landesregierung deshalb heftig kritisiert und ihre Enttäuschung deutlich gemacht.
(Ursula Körtner [CDU]: Aber beide aus unterschiedlichen Gründen! - Walter Meinhold [SPD]: Das kann doch nicht wahr sein!)
- Walter, ich kann es euch nicht ersparen. Auch bei eurem Gesetzentwurf finden wir keine weitere Beteiligung der Eltern und der Schüler.
- Herr Meinhold. - Sie geht nicht wesentlich über das hinaus, was jetzt schon im Schulgesetz steht. Da bleibt der SPD-Entwurf leider genauso mutlos wie der von Herrn Busemann.
Schon jetzt können doch auf Beschluss der Gesamtkonferenz Kompetenzen auf einen Ausschuss übertragen werden - das steht in § 39 -, der auch paritätisch zusammengesetzt sein kann. Leider - das ist die Krux - hat bis heute fast keine Schule davon Gebrauch gemacht. Eine stärkere Beteiligung der Eltern und Schülerinnen und Schüler von Gesamtkonferenz Gnaden reicht offensichtlich nicht.
Wir haben deshalb einen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt, der die vorher geschilderten Defizite aufgreift und aufzulösen versucht. Unser Gesetzentwurf hat folgende zentrale Elemente und unterscheidet sich damit vom Entwurf der Landesregierung und auch vom SPD-Entwurf - ich möchte vier Punkte nennen -:
Erstens. Wir wollen die Einengung der Entwicklung der Schulen durch eine Vielzahl von Verwaltungsvorschriften beenden. Dafür führen wir in § 32 eine Öffnungsklausel ein. Dort heißt es:
„Die Schulen... können bei den Schulbehörden beantragen, dass die Geltung von Verwaltungsvorschriften für sie aufgehoben wird. Diesem Antrag ist stattzugeben, wenn gewährleistet ist, dass die in den Rechtsvorschriften und in den Bildungsstandards festgelegten Ziele nicht gefährdet werden...“