Protocol of the Session on December 7, 2005

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Schwarz, vielen Dank, dass Sie die Aktuelle Stunde wegen unserer „Sitzfettlandkarte“ und unserer massiven Kritik an dem Test beantragt haben. Aber zu den unsportlichen Vorwürfen, die Sie ge

macht haben, sage ich Ihnen: Laufen Sie doch das nächste Mal mit Ihrer Fraktion beim Behördenmarathon mit! Machen Sie mit Ihrer Fraktion das Sportabzeichen, wie wir das machen! Dann reden wir weiter, was in unseren Fraktionen passiert.

(Beifall bei den GRÜNEN - Hans- Werner Schwarz [FDP]: Es geht um Kinder!)

Nun aber zum Fitnesstest. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, kaum ein Thema hat in den letzten Wochen die Gemüter so erhitzt wie die Fitnesslandkarte Niedersachsen. Eltern, Sportlehrkräfte, Wissenschaftler und Datenschützer haben erhebliche Bedenken hinsichtlich der Sinnhaftigkeit des Tests geäußert. Ich meine, sie haben Recht damit.

Um keinen Zweifel aufkommen zu lassen: Für die Zielsetzung der Aktion, den Fitness- und Gesundheitszustand der Schülerinnen und Schüler in Niedersachsen zu verbessern, haben Sie, Herr Minister Busemann, unsere volle Unterstützung.

(Ah! bei der CDU und bei der FDP)

Aber der Weg, den Sie eingeschlagen haben, ist nicht der Richtige.

Herr Busemann, Sie ordnen per Erlass an, dass alle Schülerinnen und Schüler von Klasse 1 bis 10 im Schulsportunterricht durch einen standardisierten Test auf ihre Fitness hin geprüft werden sollen. In unglaublich kurzer Zeit sollen die Schulen wieder einmal ausbaden, was sich der Minister Neues ausgedacht hat. Von Sportwissenschaftlern - das wissen Sie genau - wird der Test erheblich infrage gestellt.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Von wel- chen?)

Herr Busemann, wären Sie selbst und Ihre Kabinettskolleginnen und -kollegen bereit, sich einem solchen Test zu unterziehen? - Wir hätten das ja am Rande des Plenums machen können.

(Unruhe)

Meine Damen und Herren, der Geräuschpegel ist hochgradig inakzeptabel. Sie können sich gerne draußen unterhalten. Dort hat niemand etwas dagegen. Aber hier im Plenarsaal bitte ich der Rednerin zuzuhören. - Bitte sehr!

Danke schön, Herr Präsident. - Dass durch den Test diejenigen Kinder, die nicht so gut abschneiden, zu mehr sportlicher Aktivität begeistert werden sollen, glauben Sie, Herr Minister, doch wohl selbst nicht.

Sie fragen in dem Test nicht nach Gründen für schlechtes Abschneiden, und es folgen keine Konzepte. Sie stellen fest, welche Kinder Probleme haben, und lassen sie dann im Stich.

(Jörg Bode [FDP]: Falsch!)

Wo sind Ihre Konzepte für mehr und besseren Sportunterricht, für die dritte Sportstunde oder sogar die tägliche Sport- und Bewegungsstunde in der Grundschule? Was tun Sie, damit das Konzept „Bewegte Schule“ in Niedersachsen flächendeckend umgesetzt wird? - Sie machen die Klassen doch so voll, dass Bewegung gar nicht mehr möglich ist.

(Walter Meinhold [SPD]: Richtig!)

Wie ist die Versorgung mit Sportlehrerinnen und Sportlehrern an unseren Schulen? - Viele Klassen mussten an diesem Test teilnehmen, obwohl sie im laufenden Schuljahr gar keinen Sportunterricht haben, weil er ausfällt.

Herr Schwarz, Leistungsdaten bekommen die Sportkolleginnen und -kollegen längst über die Teilnahme an Bundesjugendspielen, am Sportabzeichen und an vielen anderen Sachen, die in den Schulen laufen. Dazu brauchen sie keinen neuen Test, der sehr aufwändig ist und auch noch viel kostet.

Herr Minister Busemann, Sie selbst tragen die Verantwortung dafür, dass in den Grundschulen 50 % des Sportunterrichts fachfremd erteilt wird und dass vor allen Dingen der Schwimmunterricht ausfällt.

(Joachim Albrecht [CDU]: Das ist al- bern!)

- Dann haben Sie aber nichts mitbekommen, Herr Albrecht. Da fällt unglaublich viel aus.

Meine Damen und Herren, Herr Busemann, die Eltern machen sich Sorgen, was mit den Daten ihrer Kinder passiert. Herr Schwarz hat das angesprochen. Diese Bedenken konnten Sie nicht ausräumen, auch nicht mit Ihrem Brief vom

16. November. Die persönlichen Daten und Testergebnisse müssen in einen Fitnessbogen eingegeben werden und sollen von den Sportlehrkräften bis zum 12. Dezember an das WIAD, das Wissenschaftliche Institut der Ärzte Deutschlands e. V., übermittelt werden. Was wird dort mit diesen Daten gemacht, und wem nützen sie eigentlich?

Ganz besonders brisant aber ist die Frage der Vergabe der Testdurchführung an das WIAD. Ist es ein Zufall, dass Ihr Fraktionskollege Dr. Kuno Winn der Vorsitzende dieses Instituts ist?

(Zurufe von der CDU)

An dieses Institut haben Sie den Testauftrag, der über drei Jahre läuft, ohne Ausschreibung vergeben, jährliche Kosten 240 000 Euro. Herr Busemann, wenn Sie schon einen Fitnesstest machen wollen, wieso haben Sie keines der niedersächsischen sportwissenschaftlichen Institute gefragt oder beauftragt? Wäre das nicht kostengünstiger gewesen? - Herr Busemann, genau in dieser Frage sind Sie dem Parlament eine Erklärung schuldig.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank. - Das Wort hat jetzt der Kollege Albrecht. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin der FDPFraktion für dieses Thema der Aktuellen Stunde dankbar, gibt es doch die Möglichkeit, hier im Parlament zu den unterschiedlichen Anwürfen gegen das Projekt „Fitnesslandkarte Niedersachsen“ Stellung zu nehmen. Natürlich freue ich mich darüber hinaus, dass auch die FDP-Fraktion die Problematik der Gesundheitsprävention an unseren Schulen als ihr Thema erkannt hat.

Unser Kultusminister hat sich diese Thematik der Gesundheitserziehung bereits in den letzten Jahren zu Eigen gemacht und die entsprechenden Maßnahmen ergriffen. Ich erinnere nur an den Rauchererlass. Ich erinnere Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch an den Unmut in der Öffentlichkeit über diesen Erlass. Ich bin Minister Busemann dafür dankbar, dass er standhaft geblieben ist und die Mäkeleien am Rauchverbot an unseren Schulen ignoriert hat.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie fragen sich vielleicht: Was hat das mit der Fitnesslandkarte zu tun? - Es ist ganz einfach: Es macht auf Dauer keinen Sinn, jahrelang, ja, jahrzehntelang nur über Probleme wie z. B. Suchtprobleme in unserer Gesellschaft zu debattieren. Nein, es muss auch gehandelt werden!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ein anderes schleichendes riesiges Gesundheitsproblem in unserer Gesellschaft ist die Fettleibigkeit, die in den letzten Jahren verstärkt bei Kindern und Jugendlichen aufgetreten ist. In den vergangenen Jahren haben alle großen deutschen Magazine und Zeitungen sowie diverse Fernsehsendungen das Thema immer wieder aufgegriffen. Überschriften wie „Deutschlands Kinder werden dicker und dicker“ prangten in großen Lettern auf den Titelseiten. Nun sollten wir nicht wieder die Augen vor einem Problem verschließen oder jahrelang nur kluge Fensterreden darüber halten. Nein, wir müssen früher reagieren! Bevor allerdings eine Therapie empfohlen werden kann, muss eine detaillierte Diagnose vorgenommen werden.

(Zustimmung von Ursula Körtner [CDU])

In diesem Fall muss Ursachenforschung betrieben werden.

Eine der Hauptursachen der Fettleibigkeit ist Bewegungsmangel. Um diesen Bewegungsmangel bei Kindern und Jugendlichen festzustellen, muss man sie über ihre sportlichen Aktivitäten befragen und ihre körperliche Leistungsfähigkeit überprüfen. Nicht mehr und nicht weniger geschieht mit diesem jetzigen Test.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Dieser Test überfordert übrigens weder Lehrer noch Schüler. Die allermeisten Sportkollegen schaffen es, mit normal großen Klassen in der Mittelstufe den Sechs-Minuten-Lauf und die übrigen sechs kleinen Tests in zwei bis drei Schulstunden durchzuführen. Die Weiterverarbeitung der Ergebnisbögen der Schüler können die Sportkollegen auch sehr gut leisten. Da verstehe ich die öffentliche Aufregung überhaupt nicht.

Genauso wenig verstehe ich die gezielte Aufgeregtheit in den letzten Tagen und Wochen über angebliche Datenschutzprobleme. Meine Damen

und Herren, Sie können versichert sein: Wir nehmen die Aussagen unseres niedersächsischen Datenschutzbeauftragten immer sehr ernst, auch in diesem Fall. Der Landesbeauftragte für den Datenschutz hat diesem Vorhaben nach intensiver Prüfung ohne weitere Auflagen zugestimmt.

(Zustimmung bei der CDU)

Aber unsere lieben Bedenkenträger wissen mal wieder alles besser.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ein anderer Kritikpunkt war die angebliche mangelnde pädagogische Qualität der Übungen im Test. Wir haben dazu gerade von Frau Korter etwas gehört. Über das Zielwerfen wurden Kübel von Häme ausgeschüttet. Zielwerfen sollte öfter als nur dieses eine Mal im Test geübt werden. Dies hätte durchaus großen Nutzen für die Kinder und Jugendlichen, weil es die Koordinierung der visuellen Wahrnehmung und der Motorik in hohem Maße fördert. Ganz nebenbei könnte es auch noch einen gesellschaftlichen Nutzen haben: Die Jugendlichen wären dann vielleicht besser in der Lage, ihren Abfall, wie Getränkeverpackungen und Ähnliches, in einen Abfallbehälter zu befördern, und würden damit helfen, die Umwelt sauber zu halten.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zurufe - Unruhe - Glocke des Präsi- denten)

Was die ebenfalls arg geschmähte Rumpfbeuge angeht, so sind sich viele Physiotherapeuten darin einig: Das ist die Übung, die sehr gut geeignet ist, um die Beweglichkeit des Körpers zu beurteilen. Genau das ist das Ziel der Übungen insgesamt. Es sollen sportmedizinische Kenntnisse gewonnen werden und nichts anderes. Darum hat auch ein medizinisch-wissenschaftliches Institut und kein sportwissenschaftliches Institut den Auftrag für die Durchführung erhalten.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Das beauftragte Institut WIAD hat diesen Test übrigens bereits in Nordrhein-Westfalen durchgeführt, und zwar noch zu Zeiten einer rot-grünen Landesregierung; Sie wissen es vielleicht.

(Zuruf von der SPD: Aber in Stichpro- ben!)