Protocol of the Session on September 15, 2005

Auch die Vertreter der Regierung Kohl, die seinerzeit bekanntlich den Stabilitäts- und Wachstumspakt wesentlich mitgestaltet haben, waren der Ansicht, dass länderspezifische Gegebenheiten bei der Bewertung mit zu berücksichtigen sind. Diese Einsicht hat auch heute noch Gültigkeit.

Sicherlich war es richtig, den Stabilitäts- und Wachstumspakt damals als Zusatz zum Maastricht-Vertrag zu vereinbaren. In der Praxis haben diese strengen Regeln ihre Wirkung gezeigt. Die Gefahr einer Inflation hat seit der Einführung des Euro nie bestanden. Es besteht auch keine Gefahr für die Stabilität des Euro. Neben diesen positiven Erfahrungen sind jetzt nach einigen Jahren allerdings auch konzeptionelle Mängel erkennbar geworden. Grundlage für die Formulierung der Defizitkriterien waren die Wachstumsraten der 80erJahre, die seinerzeit noch deutlich über 3 % betrugen. Bevor Sie jubeln, sei daran erinnert, dass wir in der gestrigen Sitzung festgestellt haben, dass dies schon lange vor 1998 nicht mehr der Fall war.

Allerdings erschweren einige finanzpolitische Vorgaben des Stabilitätspaktes heute den Regierungen, auf Konjunkturschwankungen angemessen zu reagieren. Die Regierungen dürfen in einer Krise nicht mehr gezwungen sein, gegen ihre eigenen Interessen zu handeln, weil der Pakt von ihnen prozyklisches Verhalten fordert mit dem Ergebnis, dass sich Wachstumseinbrüche noch verstärken. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Diskussion um Portugal. Dies hat übrigens als Erster der Internationale Währungsfonds erkannt, eine gewiss unverdächtige Institution, die bereits im

Jahre 2002 für eine stärkere ökonomische Interpretation des Stabilitäts- und Wachstumspaktes eingetreten ist. Diese Erkenntnisse und Erfahrungen haben die europäischen Regierungschefs - darunter befanden sich u. a. die Herren Chirac und Juncker - im März dieses Jahres bewogen, sich einmütig für eine Anpassung des Stabilitätsund Wachstumspaktes einzusetzen, damit seine beiden wichtigsten Zielsetzungen - ausgewogenes Wirtschaftswachstum und Preisstabilität - realistischerweise erreicht werden können.

Meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, im Januar dieses Jahres hat es auf Initiative Ihrer Kollegen in Berlin eine öffentliche Anhörung zum Stabilitäts- und Wachstumspakt gegeben. Deren Strategie, die auch heute erkennbar war, die derzeitige Regierung als Totengräber einer stabilen Währung beschimpfen zu können, ist allerdings nicht ganz aufgegangen. Im Rahmen dieser Anhörung hat sich nämlich auch herausgestellt, dass die Umsetzung der steuerpolitischen Vorstellungen von CDU und CSU sowie ihres Reformmodells im Gesundheitswesen zu Verlusten im zweistelligen Milliardenbereich führen und eine Einhaltung der Stabilitätskriterien auch mittelfristig unmöglich machen würde.

(Beifall bei der SPD - Jörg Bode [FDP]: Wer hat das gerechnet?)

Leider war die Umsetzung der Kirchhof‘schen Visionen damals noch nicht Bestandteil dieser öffentlichen Anhörung. Das wäre sicherlich sehr spannend geworden. Meine Damen und Herren von CDU und FDP, Sie fordern in Ihrem Antrag dazu auf, die Regeln des Stabilitätspaktes punktgenau einzuhalten und werfen der Bundesregierung mangelnden Konsolidierungswillen vor.

(Wilhelm Heidemann [CDU]: Genau so ist das!)

Dann müssen Sie sich natürlich auch selbst fragen lassen, wie weit Sie diese Kriterien erfüllen können. Diesen Beweis ist der Minister auch heute schuldig geblieben.

(Beifall bei der SPD - Wilhelm Heide- mann [CDU]: Das werden wir Ihnen zeigen! - Reinhold Hilbers [CDU]: Niedersachsen ist vorbildlich!)

Wenn die von Ihnen selbst genannte Zahl von 0,9 % des Bruttoinlandsproduktes zutrifft, sind Sie sowohl 2004 als auch 2005 außerhalb der Defizit

kriterien geblieben. Dabei sind die Ausgaben in den Schattenhaushalten noch nicht einmal mitgerechnet.

(Beifall bei der SPD)

Im Übrigen empfehle ich Ihnen die Lektüre der mittelfristigen Finanzplanung Ihrer eigenen Landesregierung. Die sollte man öfter lesen.

(Sigrid Leuschner [SPD]: Genau!)

Dort wird zum wiederholten Male auf die historisch einmalig negative Einnahmeentwicklung der Jahre 2001 und 2002 und auf die reduzierten Einnahmeerwartungen für die Zukunft verwiesen, ebenso auf die geringere Wachstumsdynamik. Mit diesem Hinweis begründen Sie die Tatsache, dass Sie - wie in den Vorjahren - auch für das Jahr 2006 keinen verfassungsmäßigen Haushalt vorlegen können. Wenn Sie Ihren Antrag inhaltlich ernst nehmen würden, dann müssten Sie nicht nur für den Bund, sondern auch für das Land Niedersachsen konsequente Konsolidierung als oberste Priorität einfordern.

(Wilhelm Heidemann [CDU]: Das ma- chen wir ab Sonntag!)

Ich frage mich allerdings, weshalb Sie in Ihrer eigenen Finanzplanung das von Ihnen selbst errechnete Konsolidierungspotenzial nicht voll ausschöpfen und auch noch zugeben, dass Sie das nicht tun.

(Beifall bei der SPD - Reinhold Hilbers [CDU]: Das müssen Sie aber mal er- klären, Frau Geuter!)

Auch von den Vorschlägen des Professor Homburg und des Bundes der Steuerzahler, die am Jahresanfang kursierten und von Ihnen so begrüßt wurden, finden wir in Ihren eigenen Finanzplanungen nahezu gar nichts wieder.

(Unruhe - Glocke der Präsidentin)

Ich erinnere daran: Es ging u. a. auch um die Zusammenlegung von Ministerien.

Entgegen dem in Ihrem Antrag erweckten Eindruck besteht zwischen der Europäischen Kommission und den Finanzministern der Euro-Länder Einvernehmen darüber, dass die im Maastricht-Vertrag festgelegten Referenzwerte nicht geändert werden dürfen. Wenn allerdings die Regeln des Paktes ausschließlich mit dem Ziel gehandhabt werden,

kurzfristig dessen quantitative Vorgaben zu erreichen, dann kann dies dazu führen, dass die Glaubwürdigkeit und Akzeptanz der Regeln geschwächt werden.

Aus diesem Grunde unterstützen wir mit unserem Antrag ausdrücklich den Vorschlag der Europäischen Kommission, die Beurteilungskriterien für das Feststellen eines übermäßigen Defizits gründlich zu erarbeiten. Das hat entgegen Ihren Einwendungen nichts mit einem Aufweichen des Paktes zu tun, sondern es ist die einzig sinnvolle Konsequenz aus den bisherigen Erfahrungen. Danke.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Der nächste Redner ist Herr Rickert von der FDPFraktion.

(Dr. Philipp Rösler [FDP]: Endlich Sachverstand!)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zurück zum Thema: Es geht um den Stabilitäts- und Wachstumspakt. Zum vierten Mal in Folge überschreitet die Bundesrepublik Deutschland das Defizitziel von 3 %. 3,7 % hat Herr Eichel nach Brüssel gemeldet, 2002 waren es 3,7 %, 2003 waren es 3,8 %, 2004 waren es 3,7 %. Wenn man Herrn Eichel in seiner Finanzpolitik Kontinuität attestieren kann, dann bei den wiederholten Verstößen gegen den Stabilitätspakt.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Ich möchte dazu noch einmal in Erinnerung rufen: Seit In-Kraft-Treten des europäischen Stabilitätsund Wachstumspaktes 1997 - übrigens weit nach der Wende zur deutschen Einheit - hatte die deutsche Finanzpolitik das Ziel, die Staatsdefizite mittelfristig auf 1 % des Bruttoinlandsproduktes, langfristig sogar auf 0 % zu bringen. Das war das Ziel einer CDU/CSU-FDP-geführten Bundesregierung. Wie weit die Bundesrepublik zur Stunde von diesen Zahlen entfernt ist, haben wir gehört. Der Herr Bundesfinanzminister ist schon lange nicht mehr Herr der Lage.

(Reinhold Hilbers [CDU]: Der blanke Hans!)

Vielleicht sollte sich Herr Eichel doch ein Beispiel an der ehemaligen rot-grünen Landesregierung nehmen, die selbst bei Herrn Kirchhof Beratungsbedarf angemeldet hat. So titelt eine dpa-Meldung von heute: Rot-Grün in NRW hat Kirchhofs Steuerforschungen mitfinanziert.

(Dr. Philipp Rösler [FDP]: Aha! - Die- ter Möhrmann [SPD]: Was hat das jetzt mit den Maastricht-Kriterien zu tun?)

Frau Geuter hat eben gerade auch auf Herrn Kirchhof hingewiesen. Offensichtlich geistert er durch Ihre Köpfe. Im Übrigen hat es mich vorhin ganz furchtbar geärgert, in welcher Art und Weise Frau Helmhold die familienpolitischen Vorstellungen von Herrn Kirchhof diskreditiert hat.

(Heinz Rolfes [CDU]: Ungeheuerlich!)

- Das war ungeheuerlich, genau.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Wir stellen fest, dass Rot-Grün auch den Rat von Herrn Kirchhof in Anspruch genommen hat. Das halte ich für nicht schädlich,

(Dr. Philipp Rösler [FDP]: Aber ge- nützt hat es ihnen auch nichts!)

aber unterhalb die Gürtellinie zu gehen und von einem Professor in Heidelberg zu sprechen, gleichzeitig aber seine Ratschläge selbst in Anspruch zu nehmen, halte ich für doppelzüngig. Das ist so nicht zu akzeptieren, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Dr. Philipp Rösler [FDP]: Geld aus Düsseldorf! - Reinhold Hilbers [CDU]: Allemal besser als der Lehrer aus Kassel!)

Um die Defizitgrenze im Planungsstadium nicht zu überschreiten, wurden übrigens die Prognosen im Hinblick auf Wachstum oder Einsparungen völlig falsch dargestellt. Die Schätzungen waren zu optimistisch. Ich zitiere: Verhängnisvoll für die Finanzplanung ist es, wenn das Prinzip Hoffnung gegen die Wirklichkeit steht. - Das sagte Theo Waigel, der Vater des Stabilitätspaktes, in der von Ihnen so gerne zitierten FAZ vom 11. Mai 2005.

Auch die Kommission verliert zunehmend die Geduld mit der deutschen Finanzpolitik. Ich meine,

die deutschen Wähler, die das auch tun, werden dem am Sonntag Ausdruck verleihen. Bedeutende Maßnahmen sind erforderlich, um die Schulden zurückzuführen. Wir haben gestern gehört, dass die SPD bei der Steuervereinfachung und beim Arbeitsmarkt nicht ihre wichtigsten Handlungsfelder sieht. Ich erinnere an den Verlauf der gestrigen Steuerdebatte und an die verhängnisvolle Kritik des SPD-Fraktionsvorsitzenden Jüttner an dem Motto „Sozial ist, was Arbeit schafft“ - eine wirklich entlarvende Kritik.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Hans-Dieter Haase [SPD]: Ihr Slogan ist entlarvend!)

Wie wichtig diese Handlungsfelder sind, bestätigt übrigens der Vizepräsident der Weltbank, Herr Klein. Den hat Herr Gabriel gestern als Zeugen für seine eigene Politik angeführt.

(Glocke der Präsidentin)

Herr Klein antwortete in einem Interview auf die Frage: Wo hat Deutschland den größten Nachholbedarf? - Antwort: auf dem Arbeitsmarkt und bei der Komplexität des Steuerrechts.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Herr Rickert, kommen Sie bitte zum Schluss. Ihre Redezeit ist abgelaufen.