Protocol of the Session on May 19, 2005

Tagesordnungspunkt 25: Zweite Beratung: Niedersachsen zum Musterland für bürgerschaftliches Engagement entwickeln - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drs. 15/840 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit - Drs. 15/1885

Die Beschlussempfehlung lautet auf Annahme in veränderter Fassung. Eine Berichterstattung ist nicht vorgesehen.

Ich eröffne die Beratung. Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Abgeordnete Frau Helmhold das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als wir diesen Antrag im vergangenen Jahr eingebracht haben, signalisierten uns die Regierungsfraktionen ihr Interesse an einem gemeinsamen Beschluss. Ich danke den beteiligten Kolleginnen und Kollegen für die konstruktive Zusammenarbeit; denn an ihnen hat es nicht gelegen, dass meine Fraktion dem Änderungsantrag heute nicht zustimmt, obwohl ich zum Teil bis an die Schmerzgrenze kompromissbereit war.

(Dr. Philipp Rösler [FDP]: Welche Schmerzgrenze? - Unsere oder Ihre?)

Die Sozialpolitiker und Sozialpolitikerinnen hatten in den Verhandlungen nicht viel zu melden. Da waren zunächst die Finanzpolitiker der Fraktionen der CDU und der FDP davor. Dann kamen die Innen- und Schulpolitiker und strichen noch mehr herum. Zum Schluss wurde sogar noch die gesamte Begründung gestrichen, auf die wir uns mühevoll geeinigt hatten. Nach über einem Jahr habe ich dieses Possenspiel dann beendet; denn die alles erschlagende Regierungsvorgabe bei der Beratung unseres Antrags lautete: Spielt ruhig ein bisschen herum, aber kosten darf es keinen einzigen Euro. - Aber hier, meine Damen und Herren, irren Sie gewaltig; denn bürgerschaftliches Engagement gibt es nicht umsonst. Es ist nicht der Ausfallbürge des Sozialstaates, der in Sonntagsreden mit warmen Worten abgespeist wird. Es braucht Unterstützung und Strukturen, die natürlich auch Geld kosten.

Sie aber strichen den Erhalt der Kleinstförderung, den Abbau bürokratischer Hemmnisse und die Unterstützung von Freiwilligenzentren. Sie wollten nicht, dass die durch den Wegfall des Zivildienstes frei werdenden Bundesmittel zur Förderung des Bürgerengagements umgewidmet werden. Vermehrte Fortbildung von Lehrerinnen und Lehrern mutierte zu vermehrten Fortbildungsangeboten. So spülten Sie unsere Forderungen weich; denn es darf ja alles keinen Euro kosten.

Sie gehen aber noch weiter. Warum sollen eigentlich Kinder und Jugendliche, wie in anderen Bundesländern, für Engagementzwecke nicht für zwei Tage von der Schule freigestellt werden dürfen? Das kostet keinen Euro und ist eine hohe Form von Anerkennung. Aber trotzdem wollen Sie das nicht.

Meine Damen und Herren, während wir noch berieten, kürzten Sie im Haushalt 2005 Programme des bürgerschaftlichen Engagements. Während wir noch berieten, tauchte der Innenminister mit seiner Hilfssheriffidee auf, die zwar auch bürgerschaftliches Engagement sein sollte, allerdings mit 7 Euro Stundenlohn, also als Engagement erster Klasse.

Sie wollen das bürgerschaftliche Engagement partout nicht an der Stelle verankern, an die es gehört, nämlich in der Staatskanzlei. Wenn es jedoch so bedeutend ist, wie Sie immer behaupten, dann kann ich nicht verstehen, warum Sie sich

so scheuen, es zur Chefsache zu machen und damit ein Zeichen für die Kommunen zu setzen. Stattdessen schlagen Sie vor, dass die Landesagentur Generationendialog die Aktivitäten des Landes zentral bündeln soll. Das ist ja eine großartige Idee. Sie wollen die landesweite Koordinierung einer Institution übertragen, die gerade einmal über zwei projektgeförderte Halbtagsstellen verfügt und nur bis Mitte 2007 abgesichert ist. Meine Damen und Herren, von Ihrem Vorbild werden die Kommunen schwer beeindruckt sein und sich dann selbst entsprechend engagieren. Dass die Landesregierung Vorbild sein soll, haben Sie vorsichtshalber auch gestrichen.

Vielleicht meinten Sie, das tun zu können, weil Ministerpräsident Wulff zwischenzeitlich verkündete, Niedersachsen sei bereits Musterland für freiwilliges Engagement. Diesen Zahn muss ich Ihnen allerdings ziehen; denn das mit Abstand führende Bundesland heißt nach wie vor BadenWürttemberg, das mit 42 % Engagiertenquote satte fünf Prozentpunkte vor Niedersachsen liegt. Dieses hervorragende Ergebnis hängt maßgeblich mit der dort installierten und finanzierten Unterstützungsstruktur zusammen.

(Dr. Philipp Rösler [FDP]: Oder mit der Landesregierung!)

Aber auf diese können die Niedersachsen noch lange warten.

Meine Damen und Herren, Sie haben aus unserem Antrag viele Worte übernommen, aber leider jeden Mehrwert für das bürgerschaftliche Engagement außen vor gelassen. Sie präsentieren hier einen Änderungsantrag der warmen Worte, und den mögen Sie getrost für sich alleine beschließen. Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Für die CDU-Fraktion hat nun der Abgeordnete Böhlke das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im März letzten Jahres diskutierten wir in der Erstberatung, ob und, wenn ja, wie wir Niedersachsen zum Musterland für bürgerschaftliches Engagement weiterentwickeln können. Trotz unterschiedlicher

Beurteilungen hinsichtlich des Ausmaßes der Freiwilligenarbeit und deren Bewertung waren die Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen, der FDP und der CDU im Fachausschuss sehr bestrebt, eine gemeinsam getragene Beschlussempfehlung zu entwickeln. Die SPD-Fraktion signalisierte frühzeitig, hieran nicht interessiert zu sein. Mehrere Arbeitstreffen waren vom ernsthaften Willen geprägt - für die einen sogar schmerzhaft, für uns voller Interesse -, das Ehrenamt mit einem aktuellen Entschließungstext gemeinsam voranzubringen und zu verabschieden. Bedauerlicherweise ist dies schlussendlich nicht gelungen; denn trotz vieler Übereinstimmungen und Annäherungen kamen wir bei der Frage der finanziellen Förderung durch das Land auf keinen gemeinsamen Nenner.

Natürlich würden auch wir bürgerschaftliches Engagement durch die Bereitstellung von entsprechendem Material oder auch Personal gerne finanziell unterstützen. Wir sind gleichzeitig aber auch angetreten, mit den Steuermitteln sehr sorgsam umzugehen und die Verschuldung des Landes nicht nur zu stoppen, sondern auch abzubauen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Unter dieser Prämisse ist jeder neue Fördertopf dezidiert zu hinterfragen. Die Antworten hierzu fallen - das liegt natürlich in der Natur der Sache Oppositionsfraktionen einfacher als einer Mehrheitsgruppe. Aber da, wo wir es vertreten können, ist die Förderung weiterhin geblieben. Stichwortartig möchte ich anführen: Mehrgenerationenhäuser, das von der Staatskanzlei initiierte Angebot zur Unfall- und Haftpflichtversicherung für ehrenamtlich Tätige, das auch ausgebaut wurde,

(Zustimmung bei der CDU)

und auch das vom Sozialministerium zur Verfügung gestellte landesweite Internetportal „Freiwilligenserver“ für das bürgerschaftliche Engagement in Niedersachsen sind hier zu nennen.

Ich meine, es kann gar nicht hoch genug bewertet werden, dass es viele Menschen im Land gibt, die sich im Bereich der Vereinsarbeit, der Freiwilligen Feuerwehren, in der Kirchenarbeit oder in vielfältigen sozialen Einrichtungen für ihren Nächsten und für das Allgemeinwohl über die Maßen engagieren.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Frau Kollegin Helmhold, Sie führten im März letzten Jahres aus, dass Niedersachsen mit einer Quote von engagierten Bürgern von 31 % am Ende der deutschen Flächenländer liegt. Sie nannten Baden-Württemberg - daran haben Sie eben noch einmal erinnert - als positives Beispiel, da sich dort 40 % der Bevölkerung ehrenamtlich engagieren. Das Ergebnis der Freiwilligenbefragung 2004 vom Institut Infratest ergab für uns Niedersachsen ein außerordentlich erfreuliches Ergebnis; denn wir haben uns deutlich zu einem Land des Ehrenamtes entwickelt.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Mit 2,4 Millionen Menschen sind hier 37 % der Bevölkerung über 14 Jahre bürgerschaftlich aktiv. Das sind 6 % mehr als bei der Erhebung von 1991. Ein Vergleich zu dem von Ihnen wieder als Muster und Vorbild genannten Baden-Württemberg zeigt: Dort ist die Quote von 40 auf 42 % gestiegen. Wir haben auch noch das unverschämte Glück, dass wir bei dieser Umfrage feststellen können, dass 30 % der Befragten ernsthaftes Interesse an einer erneuten ehrenamtlichen Tätigkeit oder an einem erstmaligen Einstieg ins Ehrenamt haben. Das sind noch einmal 2 Millionen Bürger, die wir motivieren können, sich für das Gemeinwohl einzusetzen.

Dies zeigt, dass es engagierte Menschen mit Angeboten gibt, die auf kommunalen Ebenen, aber auch auf Landesebene entsprechende Angebote und Fördermöglichkeiten erhalten, die Mut machen und Erfolg haben. Das kann ebenfalls nicht hoch genug bewertet werden, und zwar nicht nur in Zeiten knapper Kassen. Es geht uns auch ums Grundsätzliche, um die Förderung des Gemeinwesens durch individuelles Engagement in guten wie in schlechten Zeiten.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, wir kommen mit dem Forderungskatalog in unserem Antrag, der hier zumindest von der Mehrheit verabschiedet werden soll, zu dem Ergebnis, dass wir uns auch an einem Landesausweis für Bürgerschaftliches Engagement in Nordrhein-Westfalen, an einer Ehrenamtskarte in Hessen oder auch beispielhaft an der Ehrenmedaille Katastrophenschutz in Niedersachsen orientieren können.

Es ist also unstrittig: Niedersachsen ist bereits heute ein Musterland für freiwilliges Engagement, übrigens auch ohne einen beschlossenen Antrag. Mit der heutigen Initiative können wir aber errei

chen, Niedersachsen noch stärker als bisher zum Vorbild für ein breitgefächertes freiwilliges bürgerschaftliches Engagement auch für andere Länder zu entwickeln. Lassen Sie uns weiterhin handfest und nicht nur mit Sonntagsreden daran arbeiten! Die niedersächsische Landespolitik ist auf einem guten Weg.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Für die SPD-Fraktion hat nun der Abgeordnete Nahrstedt das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Weit über 2 Millionen Menschen in Niedersachsen engagieren sich Tag für Tag für andere und für die Gemeinschaft. Sie sind in ihrer Freizeit freiwillig und unentgeltlich in fast allen gesellschaftlichen Bereichen aktiv. Ohne sie wäre unsere Gesellschaft ärmer und weniger menschlich. Ohne ihren Einsatz müssten wir alle auf Leistungen verzichten, die für uns längst selbstverständlich geworden sind. Denken Sie z. B. an den Sport im Verein oder an Feuerwehr und Hilfsorganisationen, ohne deren ehrenamtliche Helfer Katastrophenfälle, wie z. B. das Elbehochwasser vor einigen Jahren, nicht zu bewältigen wären.

(Beifall bei der SPD)

Wo sich Ehrenamtliche engagieren, tun sie dies überzeugt und professionell. Sie reden nicht viel über ihr Engagement, sondern sie tun einfach das, was ihnen wichtig ist, was ihren Wertvorstellungen entspricht, was sie gut können und gern tun und was ihnen daher Spaß macht. Sie dabei wirkungsvoll zu unterstützen, ihr Engagement noch stärker anzunehmen und anzuerkennen, den Informations- und Erfahrungsaustausch durch Angebote und Schritte zur Vernetzung zu erleichtern, sind wichtige Ziele zur Stärkung des Ehrenamtes und des Bürgerengagements. Dies wird von uns allen parteiübergreifend anerkannt und steht so auch in der Beschlussempfehlung.

In dem Antrag der Fraktion der Grünen wird davon ausgegangen, dass Wehrpflicht und Zivildienst in absehbarer Zeit abgeschafft werden. Im Ausschuss versuchte Frau Helmhold über viele Monate - ich glaube, es war sogar über ein Jahr -, zusammen mit FDP und CDU einen gemeinsamen Kompromissantrag zu erreichen. Frau Helmhold,

es war schon erstaunlich, wie weit Sie dabei gegangen sind. Nicht nur ich hatte den Eindruck, dass eine der zentralen Forderungen der Grünen, nämlich die Abschaffung der Wehrpflicht, dabei zur Disposition stand.

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Nein!)

Trotz aller Bemühungen von Frau Helmhold haben FDP und CDU eine Beschlussempfehlung vorgelegt, welche von den Grünen nicht mitgetragen wird. Herr Böhlke, wir haben schon Interesse am bürgerschaftlichen Engagement. Aber den Antrag haben die Grünen eingebracht. Ich denke, Frau Helmhold hat sich gut an Ihnen abgearbeitet. Obwohl die CDU entschlossen an der Wehrpflicht festhält, wird erstaunlicherweise in der uns nun vorliegenden Beschlussfassung keine Aussage zur Abschaffung oder zum Erhalt der Wehrpflicht und des Zivildienstes mehr getroffen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist allgemein bekannt, dass die SPD über die Zukunft der Wehrpflicht auf ihrem Bundesparteitag im November dieses Jahres entscheiden wird.

Meine Damen und Herren, Niedersachsen zum Musterland für bürgerschaftliches Engagement zu entwickeln, ist Ziel des Antrages. Die nunmehr vorgeschlagenen Maßnahmen, wie sich Niedersachsen zu einem Musterland bürgerschaftlichen Engagements entwickeln kann, sind für uns unproblematisch. Deshalb werden wir der Beschlussempfehlung zustimmen.

(Beifall bei der CDU)

Der Ausbau und die Weiterentwicklung freiwilliger sozialer, kultureller und ökologischer Jahre, die Entwicklung von Schulen als Lernort für Bürgerengagement und die allgemeine Förderung des generationenübergreifenden bürgerlichen Engagements werden auch von uns unterstützt. Allerdings müssen die zuständige Ministerin und die zuständigen Minister noch deutlich machen - dies wollen wir wissen -, wie der Ausbau und die Weiterentwicklung sozialer, kultureller und ökologischer Jahre entsprechend der tatsächlichen Nachfrage ausgebaut, weiterentwickelt und vorangetrieben werden.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Gleiches gilt selbstverständlich auch für die Entwicklung von Schulen als Lernort für Bürgerengagement und den damit verbundenen Komponenten - ich zitiere einige -: verstärkte Öffnung der Schu

len für die Zusammenarbeit mit bürgerschaftlich Engagierten, der Auf- und Ausbau von Mentorenprogrammen für Schülerinnen und Schüler, vermehrte Fortbildungsangebote und breitangelegte Werbung und Informationen. Wir möchten auch wissen, welche zusätzlichen Sach- und Personalkosten mit der Beschlussfassung verbunden sind.

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Keine, Herr Nahrstedt!)

Wir sind sicher, dass Sie die dafür notwendigen Mittel spätestens im Haushaltsplan 2006 zur Verfügung stellen werden. Dass bürgerschaftliches Engagement durch ein differenziertes Bonussystem belohnt und bei Einstellungen und Beförderungen extra gewürdigt werden soll, begrüße ich.