Protocol of the Session on May 19, 2005

Wenn die Wahl vorbei ist und nach der Wahl der neue Finanzminister einen Haushaltsplan aufstellen muss, dann ist das auch in NordrheinWestfalen nicht mehr im Rahmen der dortigen Verfassung möglich. Deshalb lassen Sie uns in diesem Punkt doch ehrlich miteinander umgehen. Es nützt nichts, wenn Sie immer wieder darauf herumdreschen. Wir sagen den Leuten die Wahrheit. Wir wären Ihnen für jede Möglichkeit, die Sie uns nennen, um noch 1 Milliarde mehr aus dem

Haushalt herauszukürzen, dankbar. Dann können wir darüber nachdenken. Bislang sind solche Anträge nicht von Ihnen gekommen. Deshalb brauchen wir uns das gegenseitig nicht vorzuhalten.

Herr Möhrmann, ich werde meinen Antrag, den ich unterschrieben habe, noch einmal durchlesen. Dann werden wir feststellen, dass nicht nur die Mehrausgaben, sondern auch die Minderausgaben darin aufgeführt sind und dass das im Saldo geringer war. Darüber brauchen wir aber nicht zu diskutieren.

Ich habe einen Verfahrungsvorschlag: Wenn wir alle uns einig sind, dass das, was Sie in dem Antrag gar nicht haben wollen, gar nicht kommt, weil es in diesem Hause niemand ernsthaft diskutiert, dann ziehen Sie doch Ihren Antrag zurück. Dann brauchen wir keine Ausschussberatungen und keine zweite Beratung.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Dieter Möhrmann [SPD]: Dann kön- nen wir gleich beschließen!)

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe damit die Beratung.

Wir kommen zur Ausschussüberweisung. Es wird empfohlen, den Antrag zur federführenden Beratung dem Ausschuss für Haushalt und Finanzen zuzuleiten. Mitberatend sollen der Ausschuss für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr sowie der Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten und Medien tätig sein. Wer so beschließen möge, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen! - Stimmenthaltungen? - Das sehe ich nicht. Dann ist so beschlossen.

Ich rufe vereinbarungsgemäß zusammen auf

Tagesordnungspunkt 29: Erste Beratung: Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt stärken - Haushaltsdisziplin sichern Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP Drs. 15/1831

und

Tagesordnungspunkt 30: Erste Beratung: Weiterentwicklung des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes ermöglicht wachstumsorientierte Wirtschaftspolitik Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 15/1902

Zur Einbringung des Antrages der Fraktionen der CDU und der FDP hat sich Herr Kollege Heidemann von der CDU-Fraktion zu Wort gemeldet. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann mit meiner Rede nahtlos an die Debatte zum vorigen Tagesordnungspunkt anschließen.

Das wirtschaftliche Fundament, auf dem unser Wohlstand ruht, ist mittlerweile dünn und brüchig geworden. Trotzdem verschließen nach wie vor zu viele Menschen und insbesondere politisch Verantwortliche die Augen vor den Reformnotwendigkeiten in unserem Staat. Sie sehen nicht, dass unser Wohlstand nicht gottgegeben ist. Er muss täglich neu erarbeitet werden. Hierfür müssen die Rahmenbedingungen stimmen.

Den Handlungsdruck, unter dem wir stehen, verdeutlichen einige Zahlen: Derzeit haben wir über 6 Millionen Arbeitslose, fast 5 Millionen davon sind offiziell gemeldet, rund 1,1 Millionen sind in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen. Allein im letzten Jahr gab es über 39 000 Insolvenzen. Damit gingen - geschätzt - eine halbe Million Arbeitsplätze verloren, von denen allenfalls die Hälfte durch Neugründungen wieder entstehen oder als Arbeitsplätze fortgeführt werden können. Meine Damen und Herren, es gibt nur noch rund 26,5 Millionen sozialversicherungspflichtige Beschäftigte, die unsere sozialen Sicherungssysteme finanzieren sollen. Allein im letzten Jahr hat Deutschland an jedem Werktag mehr als 1 500 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze verloren.

Wir haben es mit einer erheblichen Abwanderungswelle von Unternehmen und Arbeitsplätzen ins Ausland zu tun. Wir befinden uns des Weiteren in einem Steuerwettbewerb mit den osteuropäischen Ländern, der alles in den Schatten stellt, was wir bisher an Steuerwettbewerb auf diesem Kontinent kennen gelernt haben.

Gleichzeitig laufen alle öffentlichen Haushalte aus dem Ruder. Zum Jahresende 2004 waren Bund, Länder und Kommunen mit insgesamt 1 394,7 Milliarden Euro verschuldet. Allein im letzten Jahr sind 69 Milliarden Euro hinzugekommen, die sich im Verhältnis 60 : 40 auf Bund und Länder verteilen. Damit beträgt der Schuldenstand der Bevölkerung pro Kopf - also von jedem, der in diesem Raum oder oben auf der Empore sitzt rund 16 900 Euro zum Jahresende 2004. Dieser Betrag ist innerhalb von nur einem Jahr um fast 900 Euro angestiegen.

Die Problemlage ausführlich und richtig zu beschreiben, ist deshalb so wichtig, weil es für den Handlungsdruck, unter dem wir stehen, sensibilisiert. Meine Damen und Herren, mit einem „Weiter so!“ ist es nicht länger getan.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Denn die Krise, in der wir uns befinden, ist eine Beschäftigungs- und Wachstumskrise, die mit einer konjunkturellen Krise nichts, aber auch überhaupt nichts zu tun hat.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Das Wachstumspotenzial der deutschen Volkswirtschaft liegt derzeit bei nur noch 1 %.

Wir befinden uns also in einem Teufelskreis aus geringem Wirtschaftswachstum und hoher Arbeitslosigkeit, daraus resultierenden hohen Staatsund Sozialausgaben bei gleichzeitig nicht mehr so stark wachsenden Steuereinnahmen. Das Ergebnis dieses Teufelskreises ist eine stark steigende Verschuldung der öffentlichen Haushalte, die wiederum über steigende Zinsausgaben die Haushaltsspielräume der Gebietskörperschaften weiter reduziert.

Meine Damen und Herren, vor dieser Problemlage gilt es, bei den Ursachen adäquat anzusetzen, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Deutschland zu verbessern. Hierbei haben Reformen auf dem Arbeitsmarkt zur Flexibilisierung des Arbeitsrechtes wie auch Reformen in den sozialen Sicherungssystemen eine hohe Priorität.

Da wir uns im Niedersächsischen Landtag befinden, sollten wir hier und heute zunächst vor der eigenen Tür kehren und überlegen, welchen Beitrag wir zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte einerseits und zur Ankurbelung des Wirt

schaftswachstums andererseits über eine Reform des Steuersystems leisten können und müssen. In Niedersachsen hat die neue Landesregierung gleich nach ihrer Regierungsübernahme ein beispielhaftes Haushaltskonsolidierungskonzept vorgelegt und dieses bisher auch in allen von ihr zu verantwortenden Haushalten umgesetzt.

(Beifall bei der CDU)

Die Neuverschuldung des niedersächsischen Landeshaushaltes ist um jährlich 350 Millionen Euro verringert worden. Seit Übernahme der Regierung sind also über 1 Milliarde Euro eingespart worden. Ziel dieser beispielhaften Konsolidierung ist es, mit Ablauf dieser Legislaturperiode einen verfassungsgemäßen Haushalt vorzulegen. Dazu werden auch in den zukünftigen Haushalten weitere scharfe und unpopuläre Einsparmaßnahmen notwendig sein.

Meine Damen und Herren, ich habe dies so deutlich ausgeführt, weil das im völligen Widerspruch zu dem steht, was uns die rot-grüne Bundesregierung bislang vorgeführt hat. Sie hat das Ziel eines annährend ausgeglichenen Staatshaushaltes mehrfach verfehlt und die Maastricht-relevanten Finanzierungsdefizite auf eine Rekordhöhe getrieben. Diese Bundesregierung, meine Damen und Herren, hat eine völlig unzureichende Haushaltskonsolidierungspolitik betrieben, weshalb wir das Problem der überbordenden Staatsverschuldung nicht so weiterlaufen lassen dürfen und können. Wir haben, um es mit anderen Worten zu sagen, jahrelang über unsere Verhältnisse gelebt, ohne uns über die Folgen hinreichend Gedanken zu machen. Verteilungskonflikte zwischen den Interessengruppen wurden zulasten zukünftiger Generationen entschärft. Nach meiner Einschätzung sind wir an einem Punkt angelangt, von dem an dies nicht mehr so weiter gehen darf. Wir sollten, ja wir müssen verbindliche Regeln festlegen, wie die öffentlichen Haushalte mittelfristig konsolidiert werden können.

Herr Kollege Heidemann, die verbindliche Regel besagt auch, dass die Zeit gleich abgelaufen ist. Einen letzten Satz gestatte ich Ihnen.

Der letzte Satz soll sein, dass unser Antrag in den Ausschüssen beraten wird, dass aber der Antrag

der Fraktion der SPD, der aus meiner Sicht überhaupt nicht zielführend ist, sicherlich abgelehnt wird. - Danke.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Danke schön, Herr Kollege Heidemann. - Den Antrag der SPD-Fraktion wird Frau Kollegin Geuter einbringen. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Stabilitäts- und Wachstumspakt, über den wir heute sprechen, wurde 1997, also fünf Jahre nach Ratifizierung des Vertrages von Maastricht über die Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion, abgeschlossen. Er entstand in einer Situation, in der es gerade in Deutschland eine latente Skepsis gegenüber der Aufgabe der D-Mark und der Einführung des Euro gab. Dieser innenpolitische Druck führte dazu, dass insbesondere die Regierung Kohl und die Deutsche Bundesbank auf diesen Pakt drängten in der Sorge, die Mitgliedsländer im Euro-Raum könnten durch übermäßige Defizite die Geldentwertung des Euro vorantreiben. Heute können wir feststellen, dass die am Euro beteiligten Länder mit einer derzeitigen Inflationsrate von ca. 1,5 % nun wirklich nicht unter einem Inflationsproblem leiden. Es besteht keine Gefahr, dass die Haushaltsdefizite in Deutschland und weiterer sechs am Euro beteiligten Staaten die Stabilität des Euro gefährden. Die Entscheidung des damaligen Bundeskanzlers Kohl - übrigens gegen den Rat der damaligen Bundesbank - war also richtig, durch den Vertrag von Maastricht der gemeinsamen Währung beizutreten. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt ist seinem Anspruch auf Stabilität also durchaus gerecht geworden. Beim Wachstum sieht das leider anders aus. Für uns in Deutschland zeigt das einen der Ursprungsfehler dieser Vereinbarung ganz deutlich. Die ökonomische Vereinigung der deutschen Staaten mit einem Wechselkurs von 1 Mark (Ost) zu 1 Mark (West) bei Löhnen und Preisen ist einer der Hauptgründe für die noch immer anhaltend hohen Defizite der gesamtdeutschen Haushalte.

(Beifall bei der SPD)

Die damalige Regierung hat es leider versäumt, die Sonderlasten mit in die Regelungen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes mit einzubeziehen.

Die Nettotransferzahlung von West nach Ost machen damals wie heute annährend 4 % des Bruttoinlandprodukts aus.

(Zustimmung bei der SPD)

Ich darf daran erinnern, dass auch der damalige Finanzminister Waigel die zahlenmäßigen Kriterien des Stabilitäts- und Wachstumspaktes mehrere Jahre nicht erfüllen konnte. Die strukturellen Probleme aufgrund dieser Besonderheit waren schon damals bekannt, und sie sind auch heute bekannt.

(Helmut Dammann-Tamke [CDU]: Ja, und dann kam Schröder!)

Auch 15 Jahre nach der deutschen Einheit beträgt die eigene Steuerkraft der ostdeutschen Länder erst ein Drittel des Bundesdurchschnittes. Es sind auch weiterhin erhebliche Transfers in die neuen Bundesländer zur Finanzierung ihrer Aufgaben nötig. Die Europäische Kommission hat festgestellt, dass zwei Drittel der Wachstumsschwäche in Deutschland auf die Folgen der Wiedervereinigung, die wir alle wollten und alle begrüßt haben, zurückzuführen sind. Die jetzt folgerichtig vereinbarte Berücksichtigung dieses ökonomisch so bedeutsamen Faktors entspricht uneingeschränkt dem Inhalt des Vertrages von Maastricht, den ich Ihrer gelegentlichen Lektüre empfehle.

(Beifall bei der SPD - Helmut Dam- mann-Tamke [CDU]: Können Sie die- se Argumentationslinie auch auf Frankreich übertragen?)

Die letzten acht Jahre haben gezeigt, dass die bisher eher mechanistische Anwendung der Regelungen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes zyklische Tendenzen verstärkt und damit die Entwicklung von Wachstumspotenzialen sogar verhindert hat. Der heute für die Währungspolitik in Brüssel zuständige Kommissar hat vor wenigen Wochen am Beispiel Portugals dargelegt, dass die Eröffnung des Defizitverfahrens gemäß dem Pakt dieses Land praktisch in die Rezession getrieben hat. In diesem Zusammenhang macht es auch durchaus Sinn - in anderen Fällen machen wir das ja auch sehr gerne -, Vergleiche zu Ländern außerhalb der Währungsunion zu ziehen: Sowohl die USA als auch Japan liegen mit ihren Verschuldungen weit über den Grenzen des europäischen Stabilitätspaktes, während ihre Arbeitslosenraten unter dem europäischen Durchschnitt liegen. Auch daran sollten wir denken.

Die jetzt in ihren Grundzügen feststehende und notwendige Weiterentwicklung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes ist übrigens nicht allein auf Druck der Bundesregierung zustande gekommen; denn ihr haben nachweislich 25 Staatschefs - darunter war auch jede Menge Konservative zugestimmt. Durch diese Vereinbarung bleibt die bisher durchaus erfolgreiche Stabilisierungsfunktion des Paktes uneingeschränkt erhalten und wird die Wachstumsorientierung stärker als bisher unterstützt. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt hat von Anfang an nicht nur eine Verpflichtung für die Bundesregierung, sondern auch für die Bundesländer enthalten. Auch diese Landesregierung muss sich daran messen lassen,

(Zustimmung von Dieter Möhrmann [SPD])

wieweit sie die in dem Antrag der Regierungsfraktionen geforderten Verpflichtungen eigentlich selbst erfüllt.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung von Stefan Wenzel [GRÜNE])

In Niedersachsen erleben wir die einmalige Situation, dass die Landesregierung schon zu Beginn ihrer Amtszeit verfassungswidrige Haushalte gleich für fünf Jahre geplant hat.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Ein Skandal ist das!)

Die Investitionsquote liegt in Niedersachsen auf einem historisch einmalig niedrigen Stand, der beileibe nicht wachstumsfördernd wirken kann.