Ich hielte das schon bei jedem Mitglied des Parlaments für peinlich. Bei einer ehemaligen Justizministerin halte ich es für unverantwortlich.
Meine Damen und Herren, wenig hilfreich ist es des Weiteren, einen Antrag wie den hier vorliegenden im Parlament einzubringen: fehlerhafte Darstellung der Fakten, Statistikspielchen und falsche Schlussfolgerungen. - Frau Kollegin Müller, in Anbetracht Ihres Sachverstandes hätte ich mehr von Ihnen erwartet.
Meine Damen und Herren, ich schenke mir einmal die Zahlen und komme gleich zu den Forderungen. Da wird unter Nr. 1 gefordert, die notwendigen Erhaltungs- und Sanierungsmaßnahmen durchzuführen. - Mensch, Mensch, die trauen sich was! Ich glaube, für alle Mitglieder des Unterausschusses, Frau Müller, sprechen zu können, wenn ich sage, dass wir sehr froh wären, wenn wir alle Sanierungsmaßnahmen erledigt hätten, die durchzuführen Sie in Ihrer Regierungszeit versäumt haben.
Bei der Haftanstalt in Hannover denke ich an den traurigen Zustand der Küche. Leider haben Sie uns nicht das Geld dafür dagelassen, sondern nur einen riesigen Berg Schulden, der auf uns lastet.
Nebenbei bemerkt: Die Entweichung des Häftlings Bagdaa wäre durch diese Sanierung nicht verhindert worden; denn der Blitzableiter galt jahrzehn
telang nicht als Gefahrenquelle, weil niemand geglaubt hat, dass irgendjemand daran hochklettern könnte. Inzwischen ist der Blitzableiter gesichert. Hierbei handelte es sich also nicht um ein finanzielles Problem, sondern um eine Erkenntnislücke.
Weiter heißt es unter drittens, ein angeblicher Personalabbau sei die Ursache. Ich erlaube mir noch einmal, Frau Merk - - - Ist sie noch da?
(Bernd Althusmann [CDU]: Nein, sie ist gerade auf Spurensuche gegan- gen! - Heiterkeit und bei CDU und bei der FDP)
- Nein, sie ist nicht auf Spurensuche gegangen, sondern sie wusste, was jetzt kommt. Ich erlaube mir, trotzdem noch einmal die Neue Presse vom 28. Dezember 2004 zu zitieren. Dort heißt es:
„Das Land hat zu viel Personal im Strafvollzug eingespart, kritisiert die Ex-Justizministerin, und durch diese Flucht mache sich das bemerkbar.“
Hätte Frau Merk doch jemanden gefragt, der sich damit auskennt, z. B. den Leiter der JVA Hannover, Herrn Matthias Bormann. Ich zitiere einmal aus dem Interview in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung vom 12. Januar 2005. Zitat Bormann:
„In diesem Zusammenhang kann ich mit dem Gerücht aufräumen, Personaleinsparungen der Landesregierung hätten die Flucht begünstigt. Das ist absoluter Quatsch.“
„Wir haben bei rund 1 000 Gefangenen etwa 570 Bedienstete. Das ist völlig in Ordnung und seit vielen Jahren konstant.“
- Das konnte ich nicht wissen. Möglicherweise hat sie Gelegenheit, darüber nachzudenken. Wenn Frau Merk die Daten des Justizvollzuges nicht oder nicht mehr geläufig sind, dann würde ich ihr dringend dazu raten, sich mit öffentlichen Äußerungen zurückzuhalten.
Ich fasse zusammen: Erstens. Die Umstände der schlimmen Entweichung sind zügig ermittelt worden. Zweitens. Die festgestellten Mängel wurden abgestellt bzw. werden in Kürze beseitigt. Drittens. Der Antrag der Opposition ist nicht weiterführend. Er soll lediglich dazu dienen, die Ministerin und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Justizvollzug zu verunglimpfen. Das werden wir nicht zulassen. Ich danke Ihnen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Nacke, eine Vorbemerkung möchte ich machen - Sie sind meines Wissens auch Sprecher für Strafvollzug -: Bei einem so ernsten Thema solch eine Büttenrede zu halten, finde ich sehr merkwürdig; denn hier ist schließlich ein gefährlicher Mörder entkommen.
In Niedersachsen, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist ein Strafgefangener auf spektakuläre Weise aus einer Justizvollzugsanstalt ausgebrochen. Es war kein Kleinkrimineller, der entwischt ist, sondern das war ein schwerer Kapitalverbrecher. Von ihm fehlt bisher jede Spur. Mit ziemlicher Sicherheit hat er sich bereits ins Ausland abgesetzt.
Böswillige Menschen, meine sehr verehrten Damen und Herren, könnten nun behaupten, die Landesregierung erfüllt hier eine Forderung, ausländische Straftäter zum Vollzug in das Heimatland
Es wurde auch der Verdacht geäußert, dass der Gefangene Hilfe aus dem Vollzug erhalten hat. Korruption, meine sehr verehrten Damen und Herren, in einer niedersächsischen Strafanstalt wäre ein schlimmes Phänomen in unserem Land.
Der Ausbruch des Schwerverbrechers hat in den Medien hohe Wellen geschlagen, und natürlich stellt sich hier immer die Frage: Wie viel Verantwortung trägt dafür die Ressortchefin, Justizministerin Heister-Neumann?
Hat man den niedersächsischen Bürgern nicht in Wahlprogrammen, im Koalitionsvertrag und in Pressekonferenzen bei der Vorstellung von einheitlichen Vollzugskonzepten mehr innere Sicherheit versprochen? Was bleibt von diesen Versprechungen angesichts des Ausbruchs eines Kapitalverbrechers? - Ich will Ihnen eine Antwort geben: Wo Menschen arbeiten, passieren Fehler. Es gibt keine fehlerfreien Systeme. Natürlich müssen wir die Bedingungen so gestalten, dass sich möglichst wenig Fehler, vor allem in so hoch sensiblen Bereichen wie dem Justizvollzug, ereignen. Aber völlige Fehlerfreiheit und damit Sicherheit kann und sollte uns niemand versprechen. Das ist entweder Täuschung, oder es ist Hybris.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben daher den Ausbruch eines gefährlichen Strafgefangenen nicht hysterisch und populistisch skandalisiert und reflexartig den Rücktritt einer Ministerin gefordert, wie das die CDU-Fraktion mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in umgekehrter Rolle getan hätte.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die CDU in Schleswig-Holstein ist das tatsächliche und schlechteste Beispiel dafür; Sie wissen, was im Moment dort abgeht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Fehler sind etwas Menschliches, und solange nicht Fahrlässigkeit oder sogar Vorsatz vorliegen, muss man
auch entschuldigen können. Das ist ein Gebot der Fairness, und der politische Wettbewerb sollte nicht schäbig werden.
Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Ministerin muss sich dann auch kritische Fragen gefallen lassen. Seit Sie regieren, Frau Heister-Neumann, gibt es einen kontinuierlichen Abbau der Vollzugsstandards oder zumindest die Forderung danach. Sie wollen Mehrfachbelegung in Zellen, Sie bauen soziale Dienste in den Anstalten ab, und Sie wollen eine längere U-Haft und ein härteres Jugendstrafrecht, und zwar gegen den geballten Sachverstand der Fachwelt.
Schlechtere Knastbedingungen erhöhen die Ausbruchgefahr. Gleichzeitig wird die Resozialisierung erschwert, und damit steigt die Gefahr von Rückfällen. Das ist weder Opferschutz noch mehr innere Sicherheit; das ist einfach eine unprofessionelle und antiquierte Vollzugspolitik, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Schon verkünden Sie voll Stolz, dass jetzt die neue Sicherungsverwahrung auch in Niedersachsen greift, obwohl der Maßregelvollzug in Niedersachsen bereits aus allen Nähten platzt. Ich bin gespannt, wie lange unter diesen Bedingungen der nächste Ausbruch auf sich warten lässt.