Protocol of the Session on January 27, 2005

(Zuruf von der CDU: Unverschämt- heit!)

er möge vor Abschluss des Verfahrens und vor dem Gerichtsurteil zu dieser Person öffentlich Stellung nehmen. Das werden wir auch in Zukunft nicht von Ihnen verlangen.

(Beifall bei der SPD)

Deswegen bleibt es dabei: Keiner von uns akzeptiert, dass jemand Gehalt bekommt, ohne dass er dafür arbeitet. Wenn der Präsident das feststellt und eine Rechtsfolge festlegt, werden wir keine Kritik an dieser Rechtsfolge zu üben haben, meine Damen und Herren. Das ist jedenfalls meine Einschätzung des laufenden Verfahrens.

(Zuruf von der CDU: Das wäre ja auch eine Verweigerungstaktik!)

- Entschuldigen Sie, ich weiß gar nicht, warum Sie Zwischenrufe machen. Sie haben mir vorgeworfen, ich würde mich nicht in einem laufenden Verfahren äußern. Ich kann die Namen der betroffenen Kollegen, gegen die staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren laufen, gerne auch noch nennen. Ich kann auch die Vorwürfe nennen. Dann würde ich gerne wissen, ob Sie das billigen oder nicht. Darüber reden wir hier, meine Damen und Herren.

(Zustimmung bei der SPD)

Wir sind uns nämlich einig in diesem Haus, dass wir Verfehlungen gegen Recht und Gesetz nicht dulden. Wir sind einig in diesem Haus, dass wir Verfehlungen und Verstöße weder beim Abgeordnetengesetz noch im Strafverfahren dulden. Das entbindet uns aber nicht, das Verfahren zur Feststellung dieser Verstöße akzeptabel durchzuführen. Ich wiederhole: Ich akzeptiere und weiß, dass dies im Falle von Abgeordneten selbstverständlich in der Öffentlichkeit stattfindet.

Meine Damen und Herren, die betroffenen Probleme sind weder im Bund noch in Ländern, noch in Europa hinlänglich gelöst. In einem gebe ich Herrn McAllister ausdrücklich Recht: Wir diskutieren über zwei unterschiedliche Dinge. - Sie haben es nicht so gesagt, aber die Wahrheit ist es. - Wir diskutieren über Verstöße gegen das geltende Abgeordnetengesetz. Man kann die Debatte über ein zukünftiges Abgeordnetengesetz nicht dazu missbrauchen, sich sozusagen vor Verstößen gegen das geltende Abgeordnetengesetz zu verstecken. Das geht nicht. Wir müssen auf der einen Seite sauber aufklären: Gibt es Verstöße und, wenn ja, wie haben wir damit umzugehen? Dann darf man auch nicht so tun, als hätte es sie nicht gegeben. Auf der anderen Seite müssen wir offensichtlich trotzdem darüber nachdenken, ob das geltende Abgeordnetenrecht eigentlich vernünftig geregelt ist oder verbessert werden kann. Ich zitiere Ihren

Ministerpräsidenten: „Das Bessere ist des Guten Feind.“

Deswegen ist es gut, meine Damen und Herren, dass sich in der aktuellen Situation die Stimmen mehren, die eine einheitliche Regelung für alle hauptamtlichen Ebenen fordern. In der Tat ist es der Präsident des Niedersächsischen Landtages, der dies als Erster Ende Dezember 2004 angemahnt hat. Ich halte es langfristig für das repräsentative parlamentarische System nicht nur für abträglich, sondern für verhängnisvoll, wenn wir uns nicht darüber verständigen, welches die Grundsätze unseres Parlamentarierverhaltens und -selbstverständnisses sind. Es wäre aber genau so verhängnisvoll, wenn wir nicht zu einer einheitlichen Beurteilung darüber fänden, wenn ungerechtfertigte und unterstellte Vorhaltungen gegenüber der Politik als Ganzes erhoben werden und deshalb zurückgewiesen werden müssen.

Ebenso absolut inakzeptabel ist es, meine Damen und Herren, wenn Abgeordnete, denen nun wirklich nichts vorzuwerfen ist, von Kollegen denunziert oder ihre Arbeit öffentlich von Regierungsmitgliedern skandalisiert wird, nur weil die Situation gerade mal so schön passt. Ich sage dies an dieser Stelle ganz bewusst für meinen Fraktionskollegen Günter Lenz und danke ausdrücklich dem Landtagspräsidenten, dass er ihn gegen ungerechtfertigte Angriffe in Schutz genommen hat.

(Beifall bei der SPD)

Es ist mehr als scheinheilig, die Mitarbeiter von Staatskanzlei und Wirtschaftsministerium vor Aufsichtsratssitzungen zu ihm zu schicken, um eine möglichst enge Abstimmung und Zusammenarbeit im Aufsichtsrat des Unternehmens Volkswagen zu sichern, und ihn anschließend - nur weil es gerade mal so in den Kram passt - öffentlich für genau diese erfolgreiche Zusammenarbeit mit der Regierung in Niedersachsen zu diffamieren. Denn nichts anderes hat er mit dem zugegebenermaßen unglücklichen Begriff „System Volkswagen“ gemeint. Man kann ihn nicht zur Zusammenarbeit bitten und ihn dann öffentlich schelten, dass er dafür auch als Person im Aufsichts- und Betriebsrat geradesteht.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei den GRÜNEN)

Hüten wir uns also im Hause vor Denunziationen.

Meine Damen und Herren, beides ist richtig: Unkorrektes und den allgemeinen moralischen Re

geln zuwiderlaufendes Verhalten von Abgeordneten wollen wir nicht. Wir wollen aber auch nicht, dass sich eine haltlose und prinzipiell alle politisch Tätigen unter Generalverdacht stellende Mentalität breit macht.

Das Ansehen von Politikerinnen und Politikern ist vermutlich so schlecht wie noch nie. Die Menschen sind mit den Ergebnissen unserer Arbeit unzufrieden. Deshalb sind sie auch nicht der Überzeugung, dass wir angemessen bezahlt werden.

Der vielleicht bekannteste Enthüllungsjournalist von politischen Skandalen, Hans Leyendecker, spricht von einer zunehmenden Vorverachtung der Bürgerinnen und Bürger gegenüber Politikerinnen und Politikern, Verachtung, bevor man die tatsächliche Person und ihre Leistung überhaupt kennen gelernt hat. Der Frust über mancherlei ungelöste individuelle und gesellschaftliche Probleme entlädt sich auch in der Debatte über Politikerinnen und Politiker.

Wir selbst leisten zu diesem Frust natürlich auch unseren Beitrag. Selbstverständlich, Herr McAllister, ist es schlimm, wenn Kollegen durch Fehlverhalten einen Beitrag zu dieser Verachtung leisten, sozusagen den Beweis für die Vorverachtung liefern. Aber es geht natürlich auch darum, dass wir immer wieder der Verlockung erliegen, schwierige Probleme mit einfachen Antworten zu versehen, um uns den Nimbus der Allmächtigkeit und Allgewaltigkeit zu erhalten.

(Zuruf von der CDU: Wohl wahr!)

Wenn diese einfachen Antworten dann nicht gelingen oder die Menschen feststellen müssen, dass Politiker keinesfalls alle Probleme lösen können, steigt die Verärgerung über unsere nicht eingelösten Versprechungen. Trotz oder gerade wegen dieser steigenden Vorverachtung müssen wir das Wesen der Demokratie stärker offensiv verteidigen. Zu dieser Offensivität der Auseinandersetzung um die parlamentarische Demokratie gehört für uns Sozialdemokraten auch die Offenlegung unserer Einkünfte, und zwar nicht nur dem Landtagspräsidenten gegenüber, sondern auch und insbesondere gegenüber der Öffentlichkeit und den Wählerinnen und Wählern.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, dem repräsentativen Charakter der Demokratie liegt die Vorstellung

zugrunde, dass Politiker durch Wahlen belohnt oder bestraft werden. Es ist deswegen übrigens auch scheinheilig und der politischen Stabilität nicht förderlich, die Politiker bei jeder sich bietenden Gelegenheit, z. B. bei Diätenentscheidungen, bestrafen zu wollen; denn den freien Wahlen liegt auch die Hoffnung zugrunde, dass sich ein Volk in freien und verantwortlichen Wahlen seine selbst gewünschten Repräsentanten wählt oder abwählt. Dafür allerdings sollte das Volk alle Informationen besitzen. Die Volksvertreter sind insofern dem gesamten Volk gegenüber verpflichtet. Es wäre zweifellos die eleganteste und sauberste Lösung, wenn sie ausschließlich vom Volk bezahlt würden. Das ist übrigens der Kern aller öffentlichen Forderungen nach Transparenz bei denen, die nicht in der Politik tätig sind. Ein Volk, das weiß, dass seine Abgeordneten auch von ihm und von keinem anderen bezahlt werden, kann mit hoher Wahrscheinlichkeit auch erwarten, dass Abgeordnete nicht Diener zweier Herren sind. Dies erscheint für viele die beste aller Lösungen.

Aber, meine Damen und Herren, gleichzeitig wissen wir, dass die Parteien ein Interesse daran haben, bestimmte gesellschaftliche oder berufliche Qualifikationen in ihren Reihen zu sichern. Dabei gibt es oft keine Alternative, als eine Nebentätigkeit oder eine weitere Berufsausübung zuzulassen. Als Sozialdemokrat will ich, dass auch in Zukunft aktive und nicht ehemalige Betriebsräte und Arbeitnehmervertreter in unseren Reihen sitzen. Dann allerdings müssen wir dafür sorgen, dass jede Bürgerin und jeder Bürger auch Einsicht in diese Nebentätigkeit oder in die Berufsausübung erhält. Sonst verstärkt sich der Verdacht, es gelte das Motto: Wes Brot ich fress, des Lied ich sing.

Dass Abgeordnete unterschiedliche Meinungen über die beste Lösung bestimmter Probleme haben, liegt an den unterschiedlichen Gemeinwohlvorstellungen, die den Parteien zugrunde liegen, und nicht an privaten Abhängigkeiten oder Bezahlungen. So und nicht anders ist die gedankliche Konstruktion einer repräsentativen Demokratie.

Meine Damen und Herren, die Bevölkerung und die Öffentlichkeit haben oft längst vergessen, dass die Geschichte der Diäten die Geschichte der Befreiung von privaten Abhängigkeiten war. Weil man nicht wollte, dass sich nur Großgrundbesitzer, reiche Industriebarone oder Rechtsanwälte die teuren Parlamentssitzungen im Berlin des 19. Jahrhunderts leisten konnten, sind Diäten eingeführt worden. Deshalb, Herr Kollege McAllister, war un

ser erster Vorschlag in dieser Richtung in der Tat nicht besonders zielführend; keine Frage. Aber ich sage Ihnen: Auch nicht zielführend war, dass Ihre Fraktion und die der FDP uns zu Beginn der Legislaturperiode bei den Transparenzregeln verhöhnt haben, als wir wenigstens die Anpassung an die Bundestagsregeln gefordert haben.

(Bernd Althusmann [CDU]: Das ist nicht wahr, das haben Sie nicht ge- tan!)

Denn das, was Sie jetzt fordern, nämlich sie dem Landtagspräsidenten zu nennen, ist nichts anderes als das, was wir zu Beginn der Legislaturperiode beantragt haben. Das haben CDU und FDP verweigert.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, es ist unverkennbar, dass die sachgerechten Anforderungen und Verpflichtungen, die ein Abgeordnetenmandat mit sich bringt, kaum andere Tätigkeiten zulassen. Man muss sehr gut organisiert sein, man darf seinen Wahlkreis nicht weit von Hannover entfernt haben, sondern muss ihn ganz nahe an der Landeshauptstadt haben, und man darf keine kommunalpolitischen Verpflichtungen haben, um ein Landtagsmandat und eine umfangreiche Nebentätigkeit unter einen Hut zu bringen. Deswegen sind die Überlegungen, die den niedersächsischen Regelungen zugrunde liegen, auch gar nicht so schlecht.

Aber Achtung! Hat jeder Rechtsanwalt in diesem Parlament seine Arbeitszeit wirklich entsprechend den Regelungen des Landtages reduziert? Und haben die Mitglieder von Sozietäten nach ihrer Reduktion der Arbeitszeit auch wirklich alle ihre Einnahmen reduziert? - Nichts anderes fordert das niedersächsische Abgeordnetengesetz. Wer neben seiner Tätigkeit als Abgeordneter einer anderen bezahlten Tätigkeit nachgeht, hat dies anzuzeigen, und - das ist das Wichtigste - wir müssen es überprüfbar machen. Das würde nicht nur Transparenz in der Öffentlichkeit herbeiführen, sondern würde übrigens auch die einzelnen Abgeordneten schützen, und zwar vor Fehlbeurteilungen, auf die sie dann sofort hingewiesen würden, und vor ungerechtfertigten Verdächtigungen.

Die Fälle Viereck und Wendhausen und vermutlich eine ganze Reihe unentdeckter Fälle dieses Hau

ses in der Vergangenheit, vielleicht auch in der Gegenwart, hätte es dann niemals gegeben.

(Unruhe bei der CDU - Bernd Althus- mann [CDU]: Das sind pauschale Verdächtigungen!)

- Entschuldigung! Es gibt Mitglieder dieses Hauses, die in den letzten Tagen dramatisch dafür gesorgt haben, dass die Hinweise auf ihrer Abgeordneten-Internetseite auf ihren Beruf und ihre Kanzlei gelöscht worden sind. Das ist aktuell passiert, und zwar nur deshalb, weil wir eine Debatte in diesem Hause haben. Ich sage Ihnen: Keiner dieser Kollegen hat das aus meiner Sicht vorsätzlich getan. Das ist hinsichtlich der Qualität der Verstöße gegen das Abgeordnetengesetz übrigens auch nicht vergleichbar.

(Zurufe von der CDU: Aha!)

Trotzdem ist es ein Verstoß. Trotzdem verstoßen Sie gegen Verhaltensregeln, wenn Sie das machen. Trotzdem verstoßen Sie gegen das Abgeordnetengesetz, gegen Transparenzregeln. Von der Qualität her ist dieser Verstoß nicht so groß wie der Verstoß, über den wir gerade diskutieren. Aber es ist auch ein Verstoß. Ich sage Ihnen: Das hat etwas damit zu tun, dass wir, was die Offenlegung unserer Nebentätigkeiten und Nebeneinkünfte angeht, zu wenig Transparenz haben.

(Beifall bei der SPD)

Ein letztes Argument zu denjenigen, die sagen, dann kämen keine Freiberufler mehr in die Parlamente, sie würden nicht mehr kandidieren. Meine Damen und Herren, nicht nur der öffentliche Dienst ist im Landtag überrepräsentiert. Der Anteil der im öffentlichen Dienst Tätigen an den Erwerbstätigen beträgt 13 %, während ihr Anteil im Landtag fast 40 % der Abgeordneten ausmacht; das stimmt. Aber selbst im Agrarland Niedersachsen sind nur 4 % der Erwerbstätigen in der Land- und Forstwirtschaft tätig. Im Landtag ist der Anteil fast doppelt so hoch; in der CDU liegt er sogar bei 14 %. 30 % aller Landtagsabgeordneten geben an, dass sie selbstständig sind. Sie sind damit dreimal so stark im Landtag vertreten wie in der Bevölkerung. Rechtsanwälte, meine Damen und Herren, haben unter den Erwerbstätigen unseres Landes nur einen Anteil von 0,0002 %. Ihr Anteil im Landtag beträgt 4 %. Anders gesagt: Sie sind in diesem Hause, gemessen an den Erwerbstätigen, 20 000-fach überrepräsentiert.

(Heiterkeit)

Die einzige Gruppe, die hier wirklich unterrepräsentiert ist, sind die Arbeiter und Angestellten außerhalb des öffentlichen Dienstes. Sie stellen zwar 68 % der Erwerbstätigen, aber nur 23 % der Abgeordneten.

Fazit: In Niedersachsen kommt auf 665 Rechtsanwälte ein Abgeordneter und ein Abgeordneter auf 54 552 Arbeiter und Angestellte außerhalb des öffentlichen Dienstes. Das bedeutet, es gibt keinen Grund, allzu viel Sorge zu haben, der Landtag könnte bei weitgehender Transparenz der Einkommen und Nebeneinkünfte an einem zu großen Blutverlust an Freiberuflern und Selbstständigen leiden. Wenn jemand dann wirklich nicht kandidieren wollte, können sich alle Parteien ja auf den Weg machen, um einen Facharbeiter oder eine Industriekauffrau zur Kandidatur zu bewegen. - Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Starker, lang anhaltender Beifall bei der SPD)

Das Wort hat der Kollege Dr. Rösler.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Politik kann immer nur so gut sein, wie die Menschen sind, die sie gestalten. Herr Kollege Gabriel, ich habe Ihnen eben sehr genau zugehört. Ich stelle zuerst einmal fest: Es kam kein Wort der Reue und kein Wort der Entschuldigung.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Es geht heute nicht nur um das Problem zweier Abgeordneter oder um das Problem von neuen gesetzlichen Regelungen, sondern das Problem, um das es eigentlich geht, ist der Vertrauensverlust der Menschen in die Politik.