Protocol of the Session on September 16, 2004

Meine Damen und Herren, besonders bedeutsam bei der Aufklärung über die Gefahren des Rechtsextremismus und des Antisemitismus ist die niedersächsische Gedenkstättenarbeit. Die pädagogische Arbeit, die besonders in Bergen-Belsen, aber auch in zahlreichen kleineren Gedenkstätten im Lande geleistet wird, stellt auch einen unverzichtbaren Beitrag zur Prävention gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus dar. Diese Gedenkstättenarbeit wird künftig durch die Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten fortgesetzt.

In diesem Zusammenhang möchte ich auch unterstreichen, was mein Kollege Busemann bei der Beantwortung der Dringlichen Anfrage der SPDFraktion „Was unternimmt die Landesregierung gegen die Gefahren des Rechtsextremismus?“ am 24. Mai hier hervorgehoben hat - ich zitiere -:

„Die Bildungs- und Erziehungsarbeit, die täglich von rund 81 000 Lehrerinnen und Lehren in unseren Schulen geleistet wird, gehört zu den wichtigsten präventiven Anstrengungen dieses Landes gegen politischen Extremismus jeder Art.“

Meine Damen und Herren, die Bekämpfung der politisch motivierten Kriminalität hat auch innerhalb der niedersächsischen Landespolizei hohe Priorität. Hierbei handelt es sich um eine mit großem Engagement verfolgte Aufgabe aller Polizeibeamtinnen und -beamten. Die Grundlage bildet dabei die „Rahmenkonzeption zur Intensivierung der Bekämpfung von Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und sonstiger politisch motivierter Kriminalität - rechts", die als Reaktion auf die vermehrten von rechts her motivierten fremdenfeindlichen und antisemitischen Vorfälle im Sommer 2001 entwickelt wurde und sich bewährt hat.

Straftaten und Ordnungswidrigkeiten im Phänomenbereich „rechts" werden nachdrücklich und unter Ausschöpfung aller rechtlichen Möglichkeiten verfolgt. Noch wichtiger ist jedoch, dass bereits im Vorfeld potenzielle Täter frühzeitig ermittelt, ihre Vorhaben erkannt sowie rechte Taten verhindert werden.

(Vizepräsident Ulrich Biel über- nimmt den Vorsitz)

Meine Damen und Herren, die Aufgabe der Prävention stellt hohe Anforderungen an die Polizei, da die in Niedersachsen bekannt gewordenen von rechts her motivierten Gewalttaten fast ausnahmslos auf spontane Übergriffe zurückzuführen sind, die häufig vor einem fremdenfeindlichen Hintergrund begangen werden. In Niedersachsen sind keine Strukturen oder Vorgehensweisen erkennbar, die darauf hindeuten, dass die rechtsextremistische Szene zur nachhaltigen Durchsetzung ihrer politischen Bestrebungen bewusst auf Militanz bzw. gewalttätige Mittel zurückgreift. Vielmehr haben wir es oftmals mit so genannten unorganisierten Tätern zu tun, die der Polizei oder dem Verfassungsschutz nicht als ideologisch gefestigte Gewalttäter im rechten Phänomenbereich bekannt sind.

So wurden beispielsweise im Zuständigkeitsbereich der Polizeidirektion Hannover im ersten Quartal dieses Jahres neun Gewaltdelikte verübt,

die jeweils von verschiedenen Tätern begangen wurden. Das Verfahren solcher Täter entzieht sich im Regelfall polizeilichen Prognosemöglichkeiten. Auch eine noch so starke polizeiliche Präsenz kann diese Übergriffe auf offener Straße nicht immer verhindern. Die Polizeibehörden erarbeiten mit fachlicher Unterstützung durch den Verfassungsschutz kontinuierlich und lageangepasst die notwendigen Maßnahmen, um zu erreichen, dass rechte Gruppenstrukturen, die das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung in besonderem Maße beeinträchtigen, verunsichert und zerstört werden.

Meine Damen und Herren, rechtsextremistische Straftaten werden von der niedersächsischen Justiz konsequent verfolgt und nachdrücklich geahndet. Ziel der Strafverfolgungsbehörden ist eine nachdrückliche und schnelle Reaktion, um dem Gesichtspunkt der Abschreckung Rechnung zu tragen. Bei allen Staatsanwaltschaften sind besondere Dezernate und Abteilungen eingerichtet worden, die auf die Verfolgung von Straftaten mit extremistischer, ausländerfeindlicher oder antisemitischer Motivation spezialisiert sind. Diese sind auch für die Verfolgung rechtsextremistischer Straftaten im Internet zuständig.

Meine Damen und Herren, die Beobachtung und die Bekämpfung des Rechtsextremismus ist und bleibt ein wichtiges, nicht allein mit strafrechtlichen Mitteln zu erreichendes Ziel dieser Landesregierung.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Neben repressiven Maßnahmen und polizeilicher Prävention spielen bei der Bekämpfung von Rechtsextremismus auch längerfristige präventive Maßnahmen eine entscheidende Rolle. Mittel- und langfristige Veränderungen rechtsextremistischer, ausländerfeindlicher, antisemitischer und gewaltbereiter Einstellungen und Verhaltensweisen erfordern nach Auffassung der Landesregierung auch konkrete Angebote an ausstiegswillige Anhänger der rechtsextremistischen Szene, die diesen eine Rückkehr in unsere Gesellschaft ermöglichen.

Aus diesem Grund ist das Niedersächsische Justizministerium in Zusammenarbeit mit dem Innenministerium, der Polizei und dem Verfassungsschutz langfristig in zwei Schwerpunktbereichen präventiv tätig: erstens in dem Aussteigerprogramm „AussteigerhilfeRechts" und zweitens im Landespräventionsrat Niedersachsen, der insbe

sondere mit der Kommission „Rechtsextremismus“ Grundlagenarbeit für die kommunalen Präventionsgremien leistet.

Die Einrichtung einer Clearingstelle für die Prävention von Rechtsextremismus in der Geschäftsstelle des Landespräventionsrates Niedersachsen im April 2004 beruht auf einer Empfehlung der Kommission „Rechtsextremismus“. Die Landesregierung unterstützt diese für die kommunalen Präventionsgremien unseres Landes wichtige Koordinierungsarbeit, indem sie einen erfahrenen Kriminalbeamten für die Arbeit der Clearingstelle abgeordnet hat.

Meine Damen und Herren, die Bekämpfung des politischen Extremismus - von rechts, von militanten Islamisten, aber auch von links - ist unser gemeinsames Anliegen. Diese Landesregierung jedenfalls stellt sich den aktuellen Herausforderungen durch den Rechtsextremismus und Antisemitismus in unserem Lande.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend Folgendes sagen: Gerade wenn es um die Bekämpfung von Extremismus geht, sollten wir uns nicht auseinander dividieren lassen und uns nicht Versäumnisse vorwerfen, sondern lassen Sie uns gemeinsam dafür kämpfen, den Extremismus in den Griff zu bekommen. Extremismus von links oder von rechts - egal, Extremismus gehört bekämpft. Dabei sollten wir zusammenstehen. Wir als Landesregierung tun alles, um dieses Ziel zu erreichen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Abgeordnete Briese das Wort. Ich erteile es ihm.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein ernstes Thema zu später Stunde. Ich bin Ihnen, Herr Innenminister, dankbar dafür, dass Sie am Ende gesagt haben, wir sollten uns bei diesem Thema nicht auseinander dividieren lassen. Das ist in dieser Sache auch unsere Intention und unsere Meinung. Insofern haben wir an dieser Stelle durchaus einen Konsens.

Hintergrund unserer Großen Anfrage sind aber eben doch erschreckende und Besorgnis erregende Entwicklungen in unserem Land. Niedersach

sen war in den letzten Monaten aufgrund rechtsradikaler Umtriebe und Ereignisse mehrfach in den Schlagzeilen. Wir wollen dies weder künstlich aufblähen noch dramatisieren. Es macht aber auch keinen Sinn - in diesem Punkt gehe ich mit Ihnen nicht konform -, dieses Thema totzuschweigen. Vielmehr steht es dem Parlament nach den Ereignissen in Niedersachsen sehr gut an, darüber zu reden und zu diskutieren.

Was ist passiert? - Junge Neonazis haben im Raum Verden frech und ungeniert Menschen verachtende Propaganda verteilt und um Neumitglieder geworben. Die NPD hat sich nach dem Verbotsdebakel erschreckend schnell erholt und neu aufgestellt. Ich möchte an dieser Stelle eine Passage aus der Antwort der Landesregierung zitieren. Dort heißt es:

„Die NPD hat als einzige Partei ein strategisches Konzept, um neue Mitglieder zu rekrutieren. Infolge dieser strategisch geplanten Aktivitäten ist innerhalb des niedersächsischen Landesverbandes ein Verjüngungsprozess festzustellen.“

Fast zeitgleich zu diesen NPD-Werbeaktionen hat sich ein Rechtsanwalt und bekennender Neonazi mit Namen Rieger - in Niedersachsen nicht unbekannt - ein großes ehemaliges Bundeswehranwesen in Dörverden gekauft. Er verkündet, dass er dort Fruchtbarkeitsforschung betreiben wolle, um arischen Nachwuchs zu züchten.

Meine Damen und Herren, so etwas aus dem Munde eines Antisemiten, eines Radikalen, eines rechten Hasspredigers, würde ich an dieser Stelle sagen, ist angesichts der deutschen Geschichte schlicht abartig.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir wissen, dass Rieger ein Wirrkopf ist und vieles ankündigt. Aber eine Nazi-Kaderschmiede mitten in Niedersachsen muss mit allen politischen Mitteln unterbunden werden,

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der CDU und bei der FDP)

auch und gerade aufgrund der Erfahrungen mit Jürgen Rieger in Hetendorf.

Angesichts jüngster Wahlerfolge der NPD in anderen Bundesländern - der Innenminister hat es angesprochen - muss uns dies besorgen, meine sehr

verehrten Damen und Herren, und die Landesregierung muss den Rechtsextremisten in Niedersachsen eben mehr entgegensetzen als bisher. Zwar wird in der Antwort der Landesregierung auf unsere Große Anfrage am Anfang weitschweifig dargelegt, wie ernst man das Problem nehme und dass die Bekämpfung gar einen Schwerpunkt der Landesregierung im Bereich der inneren Sicherheit darstelle. Aber wie heißt es doch so schön? - An ihren Taten wollen wir sie messen. In den letzten Monaten hatten wir eher den Eindruck, dass die Landesregierung die rechtsradikalen Umtriebe in Niedersachsen - gelinde gesagt - etwas lax nimmt.

(Minister Uwe Schünemann: Das ist eine Unverschämtheit!)

Herr Innenminister, erst nach breiter Presseberichterstattung sahen Sie sich bemüßigt, sich zu diesem Thema zu Wort zu melden. Nicht im Vorfeld haben Sie dies getan.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie mussten quasi zum Jagen getragen werden. Die Ernsthaftigkeit und die Entschlossenheit haben wir bei Ihnen etwas vermisst. In anderen Bereichen, wie z. B. bei der Ausweitung von Gendateien, bei der Rasterfahndung, bei der Biometrie, bei verfassungsrechtlich hochbedenklichen Verbunddateien oder beim Bundeswehreinsatz im Inneren, sind Sie nicht so zögerlich. Sie bleiben aber erstaunlich gelassen und phlegmatisch - würde ich fast sagen -, wenn es um rechtsextremistische Vorgänge und braune Umtriebe vor Ihrer Haustür geht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sprechen wir z. B. einmal das Phänomen der massenhaften Verteilung von CDs an. Diese Vorgänge waren lange in den Medien und wurden in den verschiedenen Institutionen breit diskutiert. Die Journalisten haben das thematisiert. Der Innenminister ist aber erstaunlich still geblieben. Er hat sich kaum zu Wort gemeldet. Erst nachdem breit darüber unterrichtet worden ist, haben Sie gesagt, dass dies massiv unterbunden werden muss. Es hat ziemlich lange gedauert, bis Sie aktiv geworden sind. Das lässt sich auch nicht von der Hand weisen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Nun eine Anmerkung zum Stichwort „Militanz“. Sie haben in Ihre Antwort gerade gesagt, dass es bei

den Rechtsradikalen in Niedersachsen keine militanten Strukturen gebe. Sie haben gesagt, dass seien Einzelfälle oder politische Wirrköpfe. Wissen Sie, was Jürgen Rieger gegenwärtig in Dörverden betreibt? Wissen Sie das? - Der bestückt sein Anwesen gerade mit Militärfahrzeugen und hält dort rechtsradikalen Ratschlag. Ich frage mich: Was macht diese Landesregierung eigentlich dagegen?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Kommen wir zu den wichtigsten Punkten unserer Anfrage. Im ersten Teil werden Zahlen und Straftatbestände mit rechtsradikalem Hintergrund abgefragt. Eines wird an den Zahlen sehr deutlich: Sie sind immer noch auf viel zu hohem Niveau, und insbesondere der erneute leichte Anstieg von rechtsextremistischen Straftaten im ersten Quartal 2004 gibt absolut keinen Grund zur Entwarnung. Entscheidend allerdings sind - da gebe ich Ihnen Recht - politische Konzepte gegen den rechten Extremismus. Nennen möchte ich vor allem die Ursachenbekämpfung in Form von Aufklärung, Bildungsmaßnahmen und Sozialprogrammen. Das ist ganz klar.

Aber auch hier, meine sehr verehrten Damen und Herren, bleibt die Antwort der Landesregierung - gelinde gesagt - irritierend. Sie haben das in Ihrer Antwort hier gerade dargelegt. Zwar gibt es noch einige Programme und Initiativen, aber keines dieser Programme und auch keine dieser Initiativen - das müssen wir einmal feststellen - stammt von der neuen Landesregierung, sondern alle Programme und Initiativen stammen aus der SPD-Zeit oder sogar noch aus der Zeit von Rot-Grün. Aber nicht einmal - auch das haben Sie hier gerade deutlich gemacht - die bestehenden Projekte führen Sie fort. Tatsache ist vielmehr, dass Sie nunmehr anfangen, einzelne Projekte, wie z. B. die Landeszentrale für politische Bildung, einzustampfen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es ist doch irritierend, dass Sie in Ihrer schriftlichen Antwort den Sinn der Landeszentrale mit keiner Silbe infrage gestellt, sondern ausdrücklich gelobt haben. Auch hier haben Sie das gerade wieder getan. Sie haben gesagt: Die Projekte sind gut und vernünftig. Das sind zwar kleine Projekte. Wir wollen aber weg von der Kleinstförderung. Im Großen und Ganzen hat die Landeszentrale im Bereich der Bekämpfung des Extremismus jedoch gute Arbeit geleistet. Deshalb machen wir sie zu. - Diese Lo

gik, meine sehr verehrten Damen und Herren, erschließt sich mir nicht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir appellieren deshalb an Sie: Erhalten Sie wenigstens die guten noch existierenden Programme gegen Rechtsradikalismus in Niedersachsen, und geben Sie ihnen Planungs- und Bestandsschutz für die nächsten Jahre. Sie haben gerade die „AussteigerhilfeRechts“ angesprochen. Aber auch die soll meines Wissens im Jahr 2005 auslaufen. Das ist also das nächste Projekt, das auf der Abschussliste steht.

Es gibt weitere Projekte, die relativ gut arbeiten und vernünftig sind. Beispielhaft erwähnen möchte ich das Projekt „Prävention gegen Rechts“ oder das Präventionsund Integrationsprogramm PRINT, worüber wir in diesem Plenum auch schon gesprochen haben, als wir den Kultusminister dazu befragt haben. Wir werden sehr genau darauf achten, meine sehr verehrten Damen und Herren, was mit diesen Projekten und Programmen geschieht und ob auch diese ausgetrocknet werden.