Protocol of the Session on September 16, 2004

(Sigmar Gabriel [SPD]: Hört! Hört!)

„und die konsequente Überprüfung aller kommunalen Ausgaben und Aufgaben.“

(Sigmar Gabriel [SPD]: Was ist denn nun mit dem Vetorecht, das ihr wollt?)

Die ersten 100 Tage sind verstrichen. Passiert ist nichts. Im Februar 2004 wurde uns von der Landesregierung erläutert, man sei sich mit den kommunalen Spitzenverbänden schon bis auf einige Kommata einig und werde in Kürze einen mit den kommunalen Spitzenverbänden abgestimmten Gesetzentwurf vorlegen. Das dauerte dann bis September. Diese Verzögerung hat zwei Gründe: Erstens haben CDU und FDP absichtlich auf Zeit gespielt, weil die gröbsten Gesetzesvorhaben erst durchgezogen werden sollten. Zweitens bestand keineswegs Einigkeit mit den kommunalen Spitzenverbänden bis auf ein paar Kommata. In Wahrheit sind die kommunalen Spitzenverbände enttäuscht darüber, dass sich diese Landesregierung nicht an das hält, was sie selbst versprochen hat. In seiner Regierungserklärung am 4. März 2003 hat der Ministerpräsident hier Folgendes zu Protokoll gegeben:

„Zweitens wollen wir einen Konsultationsprozess, einen Beteiligungsprozess nach österreichischem Vorbild, durch den mit den Kommunen besprochen wird, welche Gesetze und Rechtsvorschriften geändert oder beschlossen werden dürfen, nämlich nur dann, wenn zuvor eine Einigung darüber erzielt wurde, vor allem darüber, wer die Kosten zu tragen hat.“

Herr Ministerpräsident, Sie haben vorgeschlagen, dass die Kommunen mit ihrem Veto Gesetze und Verordnungen des Landes zu Fall bringen können. In unserem Gesetzentwurf haben wir diesen Vorschlag aufgenommen. Ihr Gesetzentwurf enthält keine verfassungsrechtliche Verankerung eines Vetorechts.

Der Ministerpräsident hat in seiner Regierungserklärung gesagt, dass es guter niedersächsischer Brauch sei, dass derjenige, der bestellt, auch zahlen müsse. In Niedersachsen gilt aber auch folgende Regel: Wer etwas verspricht, der muss es auch halten. Kommt es nicht zu einer Einigung über die Kosten, dann soll es nach Ihrem Vorschlag nicht etwa ein Vetorecht geben, sondern in diesen Streitfällen soll der Landtag bzw. die Landesregierung über den Kostenausgleich abschließend entscheiden. Mit anderen Worten: Nach dem Vorschlag, der jetzt von den Mehrheitsfraktionen auf den Tisch gelegt worden ist, soll es nicht „wer die Musik bestellt, bezahlt“ heißen, sondern „wer die Musik bestellt, darf die Preise diktieren“. Meine Damen und Herren von CDU und FDP, es wundert mich nicht, dass die kommunalen Spitzenverbände von Ihrem Vorschlag enttäuscht sind.

Herr Wulff, Sie haben in Ihrer Koalitionsvereinbarung und in Ihrer Regierungserklärung ein Konsultationsverfahren nach österreichischem Vorbild versprochen. Der jetzt vorgelegte Entwurf enthält jedoch nur noch die Hülle des österreichischen Modells. Anders als in Österreich wollen Sie auf das Vetorecht und auf ein Klagerecht der kommunalen Spitzenverbände verzichten. Wenn der Innenminister jetzt sagt, dass ein Vetorecht sowie ein Klagerecht der Kommunen bereits existiere, dann verschweigt er, dass das derzeitige Klagerecht der einzelnen Gemeinde auf eine unzureichende Festsetzung der Finanzzuweisungen im Finanzverteilungsgesetz gerichtet werden muss und nur unter besonderen Umständen geltend gemacht werden kann. Wenn Sie inhaltlich alles so

lassen wollen wie es ist, dann können wir uns in diesem Fall eine Verfassungsänderung sparen.

(Zustimmung von Sigmar Gabriel [SPD])

Meine Damen und Herren, CDU und FDP sind angetreten, um den Kommunen ein scharfes Schwert in die Hand zu geben, um sich gegen weitere Belastungen von der Landesseite wehren zu können. Der vorliegende Vorschlag ist aber beileibe kein scharfes Schwert, sondern höchstens ein Pappschwert, mit dem die Kommunen immer den Kürzeren ziehen werden.

Bevor wir der Verfassungsänderung unsere Zustimmung erteilen, muss es deshalb substanzielle Verbesserungen geben. Ich nenne vier Punkte:

Erstens. Ein Verbandsklagerecht für die kommunalen Spitzenverbände und das vom Ministerpräsidenten versprochene Vetorecht für die Kommunen.

(Beifall bei der SPD)

Zweitens muss sichergestellt werden, dass Konnexität und Konsultation nicht einfach dadurch ausgehebelt werden können, dass das Gesetz nicht durch die Landesregierung, sondern auch durch die Regierungsfraktionen eingebracht wird.

Drittens lehnen wir die vorgesehene Beschränkung des Ausgleichs auf unabweisbare Mehrbelastungen ab. Die entstehenden notwendigen Mehrbelastungen müssen ersetzt werden.

Viertens müssen die vorgesehenen Restriktionen bei der Erstattung von Kosten überarbeitet werden, wenn bereits bestehende kommunale Aufgaben vonseiten des Landes verändert werden und dadurch Kosten für die Kommunen entstehen. Was sich CDU und FDP hier z. B. als Bagatellgrenze vorstellen, sind keineswegs Peanuts, sondern bedeutet gerade für die ärmeren Kommunen den Ruin.

Meine Damen und Herren, die kommunalen Spitzenverbände haben die Verhandlungen mit der Landesregierung – das ist eben von Herrn McAllister etwas geschönt dargestellt worden – um das Konnexitätsprinzip entnervt abgebrochen,

(David McAllister [CDU]: Das ist aber hart an der Wahrheit!)

weil sie es nicht für sinnvoll gehalten haben, weitere Monate damit zu verbringen, wechselseitig Standpunkte auszutauschen, ohne dass sich die Landesregierung auch nur einen halben Millimeter bewegt. Ein bisschen Bewegung vonseiten der Regierungsfraktionen und der Landesregierung muss es allerdings schon noch geben, damit wir dem Konnexitätsprinzip zustimmen.

(Zuruf von David McAllister [CDU])

- Sie können aber sicher sein, dass die SPDFraktion da geschlossen agiert.

Dies muss ein scharfes kommunales Schwert sein und kein Feigenblatt für eine Landesregierung, die sich selbst gerne den Anschein der Kommunalfreundlichkeit gibt, deren Politik aber bisher - wie bewiesen - alles andere als kommunalfreundlich ist. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat der Abgeordnete Lehmann.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann mich den Ausführungen des Kollegen McAllister anschließen. Mit diesem Gesetzentwurf setzt die Koalition aus FDP und CDU in der Tat Wahlversprechen und ihre Koalitionsvereinbarung um.

Wir werden mit diesem Gesetzentwurf zur Verfassungsänderung unseren Kommunen alle Mehraufwendungen ersetzen, die ihnen durch die Übertragung neuer oder zusätzlicher Aufgaben entstehen. Diese unbestritten kommunalfreundliche Regelung zeigt erneut: Wir halten wirklich unsere Versprechen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Daran sollten sich insbesondere die Sozialdemokraten in diesem Haus doch einmal ein Beispiel nehmen, auch wenn das eben geleugnet wurde.

Ich will kurz auf das zu sprechen kommen, was Herr Gabriel gestern Abend angeführt hat. Er hat in einem anderen Zusammenhang gesagt: Die Bundesregierung aus FDP und CDU hätte zu ihrer Zeit nicht den Mumm zu Reformen gehabt. Das hätten sich dann erst SPD und Grüne getraut. Da würde ich mich an Ihrer Stelle doch lieber einmal an die

eigene Nase fassen; denn Sie gerieren sich in der Opposition als Speerspitze der Bewegung. In Wahrheit haben Sie sich in Niedersachsen Reformen, die notwendig waren, immer verweigert.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Christian Dürr [FDP]: So ist das!)

Sie haben 13 Jahre lang die von Ihnen jetzt so hoch gepriesene Konnexität nicht umgesetzt. Es wurde mehrfach angesprochen, und das musste man Ihnen auch immer wieder sagen. Genauso – eigentlich noch schlimmer - haben Sie sich z. B. in der Frage der Verkleinerung des Landtages verhalten. 2002 haben Sie noch gesagt: Nein, das wollen wir nicht. Jetzt sagen Sie: Wir müssen den Landtag eigentlich noch mehr verkleinern. Da frage ich mich: Haben Sie in der Opposition eigentlich überhaupt über irgendetwas nachgedacht, oder haben Sie einfach nur das gemacht, was Ihnen gerade so in den Kram gepasst hat?

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Ich meine, aus Sicht der Kommunen muss man sagen: Sie sind nicht der Heilsbringer, sondern bis jetzt immer nur der Unheilsbringer der Kommunen gewesen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Ich darf auch noch einmal an das anschließen, was Herr Meihsies eben auch richtig gesagt hat. Sie können das gerne auf Bundesebene - wenn Sie es so bedeutungsvoll finden; es ist ja auch richtig - in den Bundestag einbringen. Wir von der FDP haben das gemacht. Damals wurde der Antrag abgelehnt. Ich weiß auch nicht, warum Sie sich so unterschiedlich verhalten und warum Sie jetzt so tun, als seien Sie die Einzigen, die die Wahrheit wirklich kennen würden.

Jetzt aber zurück zur Sache. Mir geht es doch irgendwie besser, nachdem ich Ihnen das noch einmal gesagt habe. Zentraler Bestandteil unseres Entwurfs ist die Konsultationsvereinbarung. Hier werden wir alle Einzelheiten zur Berechnung, zum Ausgleich und zum Verfahren regeln. Das entspricht im Übrigen auch dem Geist des Konsultationsmodells aus Österreich, weil nämlich gerade dort geregelt ist, dass Land und Kommunen in Verhandlungen treten und dann eine Einigung finden sollen. Anschließend soll eine Entscheidung zugunsten und im Interesse der Gemeinden getroffen werden.

Wir haben mit unserem Vorschlag ein ausreichendes Instrumentarium geschaffen, um einen Kostenausgleich herbeizuführen. Es ist nachvollziehbar, dass wir für die Erheblichkeit eine Bagatellgrenze in Höhe von 500 000 Euro pro Jahr bzw. 10 % des bisherigen Ausgabevolumens vorgesehen haben; denn wir wollen nicht jede Kleinstveränderung in der Kostenentwicklung zum Gegenstand von langwierigen Erstattungsverhandlungen machen.

Nach unserer Auffassung bedarf es übrigens nicht eines Veto- oder Klagerechts; denn jede Kommune, die sich falsch oder ungerecht behandelt fühlt, hat die Möglichkeit, selbst zu klagen. Jede Kommune ist aktiv legitimiert. Das ist anders als in Österreich, und - ich darf mich insofern auch den Ausführungen der Kollegen anschließen – ein Verbandsklagerechts wollen wir in der Tat nicht.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Eine Aussetzung der jeweiligen Vorhaben für die Zeit bis zu einer gerichtlichen Entscheidung ist auch nicht notwendig. Das Land hat in der Tat das Recht, die Aufgabenübertragung auf die Kommunen vorzunehmen. Nach unserem Vorschlag, wonach der finanzielle Ausgleich in jedem Fall garantiert ist, wäre es unverhältnismäßig, jetzt so lange zu warten, dass man sagt: Ihr müsst euch erst einmal einigen, und dann darf es umgesetzt werden, um auf dieser Seite den Druck aufzubauen. Herr Bartling, Sie können das Vertrauen in FDP und CDU setzen, dass wir mit den Kommunen vernünftig umgehen. Wenn Sie Bedenken haben, würde ich vielleicht einmal darüber nachdenken, woher diese Bedenken kommen. An uns kann es nicht liegen. Wir verfügen über ein partnerschaftliches Verhältnis mit den Kommunen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Und weil es so wichtig ist, dass wir den Kommunen endlich auch den finanziellen Ausgleich schaffen und nicht nur immer neue Aufgaben übertragen, bitte ich Sie alle ganz herzlich - nicht nur die Kolleginnen und Kollegen von CDU, FDP und den Grünen, sondern gerade auch die Kolleginnen und Kollegen von der SPD, die ja vielfach auch in den kommunalen Räten tätig sind -, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen. Denken Sie genau darüber nach, was Sie nicht nur Ihren Leuten, sondern insbesondere auch den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort antun, wenn es nicht zu dieser Verfassungsänderung kommt. Sagen Sie dann nicht: Na ja, wir

wollten das ja, wir hätten das eigentlich viel besser gemacht. Geben Sie den Kommunen endlich das, was sie brauchen, nämlich einen finanziellen Ausgleich. Dann geht es mit diesem Land noch besser weiter als bisher. - Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Herr Ministerpräsident Wulff, Sie haben das Wort.

Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Landesregierung begrüßt ausdrücklich die Initiative der beiden Regierungsfraktionen von CDU und FDP, hält die gefundenen Formulierungen für klug, hilfreich und für eine echte Stütze des Schutzes der Kommunen vor finanziellen Mehrbelastungen im Falle zukünftiger Aufgabenübertragungen oder Anforderungsveränderungen.

Wir sind der Meinung, dass das Land damit ein besonders verlässliches, partnerschaftliches und freundschaftliches Verhältnis zu seinen Kommunen wahrnimmt. Die Kommunen sind mittelbare Landesverwaltungen. Da gehört es sich so, dass man in Zukunft die Dinge auf eine andere Grundlage stellt.

Ich freue mich sehr darüber, dass die Fraktion der Grünen hier grundsätzlich Zustimmung signalisiert hat, weil es sich damit um ein gemeinsames Anliegen der Fraktionen von CDU, FDP und Grünen handelt, die gemeinsam hier im Parlament 120 Stimmen haben. Zur verfassungsändernden Mehrheit brauchen wir – wenn ich richtig gerechnet habe- 122, möglicherweise 123 Stimmen. Auf jeden Fall geht es in den kommenden Wochen darum, ob in der SPD-Fraktion Bereitschaft dafür vorhanden ist, diese Verfassungsänderungen mit zu verantworten.

Ich habe am Dienstag in der Ministerpräsidentenkonferenz die Position vertreten, dass wir uns bei der Neuordnung der bundesstaatlichen Ordnung, also bei der Reform des Grundgesetzes, davon frei machen sollten, wer gerade die Mehrheit hat. Wir wissen in Bezug auf die Bundesebene ganz gewiss nicht, wer ab 2006 die Mehrheit hat. Dementsprechend sollten wir uns frei davon machen, die Dinge danach zu beurteilen, wer gerade die Mehrheit hat, sondern wir sollten so entscheiden, dass wir weg von organisierter Unverantwortlichkeit hin