Protocol of the Session on September 15, 2004

Deshalb war die zügige Behandlung des Schulgesetzes in einem Guss besonders wichtig.

Ich habe mich damals gefragt, warum die Kommunen angesichts dieser Beschlusslage eigentlich nicht auf den Barrikaden waren; denn sie wussten ja, was sie umsetzen mussten. Ich erinnere an die Frage zwangsläufiger Schulschließungen. Ich glaube, für viele ist diese Standortfrage damals in den Hintergrund getreten, weil man viel stärker auf den größten pädagogischen Unsinn, den in der Geschichte Deutschlands eine Landesregierung vollbracht hat, fokussiert war: Sie wollten eine Förderstufe so, wie sie beschrieben ist, einrichten. Das war der größte schulpolitische Unsinn, den es je gab. Wer sich damit befasst hat, weiß, wovon ich rede.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, dieses neue Gesetz hat nicht nur hunderte von Schulen vor dem Aus bewahrt; wir haben auch erreicht, dass eine Vielzahl von neuen Schulen zum Jahresbeginn eingerichtet wurde. Das wird zurzeit in den Städten - der Minister hat vorhin einige genannt - groß gefeiert und mit Recht gefeiert. Die Leute freuen sich darüber, neue Schulstandorte in ihren Mauern zu haben. Das ist eine tolle Sache, eine gute Geschichte, die die neue Landesregierung mit auf den Weg gebracht hat.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, auch einer alten Forderung, die Sie immer aufstellen, wird hiermit entsprochen. Mit diesen neuen Schulen insbesondere im ländlichen Raum wird nämlich ein erleichterter Zugang zu Realschulabschlüssen oder gymnasialen Abschlüssen geschaffen. Wir sind uns sicherlich einig darin, dass dies gewürdigt werden muss; denn dies entspricht auch den Forderungen der OECD-Studien.

Es gibt übrigens eine interessante Parallele zum Regierungswechsel im Jahre 1976, zum Wechsel zur Regierung von Ernst Albrecht. Damals hatte die alte Landesregierung über 3 000 kleine Grundschulen geschlossen. Dann kam Kultusminister Werner Remmers und hat ca. 1 800 kleine Grundschulen, deren Auflösung schon beschlossen war - die Kommunen hatten die Verfügung schon in der Hand -, vor der Schließung gerettet. Diese Grundschulen arbeiten heute noch zum Wohle der Kinder, meine Damen und Herren. „Kurze Wege für kurze Beine“ war damals das Stichwort.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Der Emsländer Werner Remmers rettete bei der Regierungsübernahme 1976 1 800 kleine Grundschulstandorte. Der Emsländer Bernd Busemann rettet bei der Regierungsübernahme 2003 hunderte von Schulen im Sekundarbereich I. - Eine schöne, interessante Parallele, meine Damen und Herren. Ein Glück, dass es die Emsländer gibt.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, wir sind in diesem Lande auf gut ausgebildete junge Menschen angewiesen. Sie sind ein Standortfaktor, mit dem wir wuchern müssen. Deshalb - Herr Jüttner, Sie waren im Kabinett in der Verantwortung - habe ich nie verstanden, wie ignorant man sich gegenüber zentralen Problemen in der Bildungspolitik verhalten hat. Es musste Sie doch auch umtreiben, dass unsere Kinder bei den nationalen Vergleichstests immer die Verlierer waren! Es musste Sie doch irgendwie auch anspornen, sie wieder einmal auf die Siegerstraße zu bringen! Aber das hat Sie nicht interessiert. So war leider die Diskussion. Es musste Sie doch umtreiben, dass 10 % eines Jahrgangs ohne Schulabschluss die Schule verließen!

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Das ist ja jetzt besser geworden!)

- Darauf komme ich noch zu sprechen. Aber wenn Sie erwarten, dass eine Reform, die sich seit drei Wochen in der Umsetzung befindet, schon nach so kurzer Zeit diese Erfolge zeigt, dann erwarten Sie meines Erachtens ein bisschen zu viel, Herr Jüttner. Ich nehme an, dass wir uns darin einig sind.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Dann warte ich also noch ab!)

Es hat uns umgetrieben, dass 10 % eines Jahrgangs die Schule ohne Abschluss und ohne Hoffnung auf eine vernünftige berufliche sowie auf eine persönliche Perspektive verlassen. Ich habe mich gefragt, warum Sie nicht darauf reagiert haben, dass von weiteren 15 % der Schüler, auch wenn sie einen Schulabschluss erlangt haben, gesagt wird, ihre Kenntnisse reichten nicht aus, um eine erfolgreiche Ausbildung zu absolvieren. Die Zahlen waren Ihnen doch gegenwärtig. Wir haben sie Ihnen doch immer gesagt.

Meine Damen und Herren, Sie haben das Problem nicht angefasst, geschweige denn in den Griff bekommen

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

und 20 bis 25 % eines Jahrgangs sozusagen in eine ungewisse Zukunft geschickt. Sie hatten damals die Verantwortung.

(Reinhold Coenen [CDU]: Ungeheuer- lich!)

Meine Damen und Herren, es hilft diesen jungen Menschen nicht, wenn Sie jetzt alles, was anläuft, kaputtreden. Das ist eine Auffassung von Politik, für die ich keine Worte habe. Sie reden alles kaputt, haben die Verantwortung für eine miserable Politik und sind nicht in der Lage anzuerkennen, welche guten Entwicklungen mit den initiierten Maßnahmen eingeleitet worden sind.

(Beifall bei der CDU)

Unsere Antwort ist die Schulreform aus einem Guss.

(Stefan Wenzel [GRÜNE]: Aufguss!)

Ich stehe auch zu einem gegliederten Schulwesen. Ein dreigliedriges Schulwesen haben wir in Niedersachsen nicht, auch wenn Sie es immer wieder behaupten. Profilierte Schulen, hohe Durchlässigkeit und neue Inhalte, gute Unterrichtsversorgung und der ganzheitliche Ansatz, insbesondere die

Einbeziehung der Förderung von drei- bis fünfjährigen Kindern im Kindergarten, also das niedersächsische Modell, sind in Deutschland ein Markenzeichen geworden. Ich nenne weiterhin die besondere Sprachförderung, den Weg in die eigenverantwortliche Schule usw. Diese Maßnahmen mussten sozusagen in einem Zusammenklang umgesetzt werden. Das ist die neue Schulreform.

Sie haben nicht geglaubt und vielleicht auch noch nicht einmal gehofft, dass wir diese Maßnahmen mit all den Anhörungen und Fachgesprächen in so kurzer Zeit umgesetzt haben.

(Reinhold Coenen [CDU]: Gehofft ha- ben sie es!)

Hätten wir es nicht geschafft, dann wären Sie doch die Ersten gewesen, die über uns hergefallen wären. Das ist doch die Wahrheit. Das merken wir doch auf den Veranstaltungen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Jetzt, wo wir es geschafft haben, behaupten Sie, dass wir zu viel auf einmal gemacht hätten. Sie kritisieren, dass wir den Schulen zu viel zugemutet hätten.

(Reinhold Coenen [CDU]: Sie können uns nicht folgen! - Ina Korter [GRÜ- NE]: Das sagen die Schulleiter! - Jacques Voigtländer [SPD]: Gesagt hat das zwar noch niemand, aber das müssen Sie ja jetzt sagen!)

- Herr Voigtländer, Sie werden nicht mehr so oft zu den Veranstaltungen eingeladen. Das ist leider ein Problem. Das bleibt jetzt anderen überlassen, und die hören so etwas nun jeden Tag. Fragen Sie einmal Frau Korter!

Ich bin fest davon überzeugt, dass Niedersachsen mit dieser Richtungsentscheidung für das moderne Schulwesen den richtigen Weg eingeschlagen hat: ein klares Profil, Schulen, die wieder erkennbar sind, ausgerichtet auf die Begabungen der Schüler mit langfristig organisierten Bildungsgängen.

Herr Jüttner, Bildung ist kein statischer Begriff, auch wenn Sie uns das immer wieder unterstellen - ich sage das nachher noch etwas deutlicher -, und Lernen vollzieht sich immer dynamisch. Darin sind wir uns ja einig. Das ist eine allgemeine Feststellung, die ich hier einmal treffen muss, damit Sie uns nicht immer vorhalten, wir würden in die

50er-Jahre zurückgehen. Deshalb benötigen wir die verschiedenen Wege des Lernens. Das ist doch die einzige richtige Antwort: orientiert an den verschiedenen Persönlichkeiten. Wenn Sie heute in der Kirche waren, dann haben Sie bestätigt bekommen, dass unsere Kinder - alle, jedes einzelne Kind - verschiedene Persönlichkeiten sind. Der Bischof hat heute gesagt, das sind alles Prinzessinnen und Prinzen. So weit gehe ich heute in der bildungspolitischen Diskussion nicht. Nur, wir müssen doch ein Schulsystem entwickeln, das auf die Kinder, auf deren unterschiedliche Persönlichkeiten, eingeht und ihnen entsprechende Fördermöglichkeiten lässt. Das geht nun einmal nur dann, wenn wir verschiedene Wege des Lernens anbieten.

Das Credo heißt: Wir wollen die richtige Schule für jeden Schüler und für jede Schülerin. So kann der Anspruch auf individuelles Fördern und Fordern optimal umgesetzt werden. Insbesondere dazu, nämlich zu einer Verpflichtung, auf der einen Seite den Schwachen zu helfen - das wird im Schulgesetz deutlich gemacht - und auf der anderen Seite auch den sehr Guten zu helfen - auch das ist im Schulgesetz eindeutig niedergelegt -, stehen wir.

(Ina Korter [GRÜNE]: Wo helfen Sie denn? Sie sortieren sie doch aus! - Ursula Körtner [CDU]: Frau Korter wird es nie verstehen!)

Meine Damen und Herren, Sie alle zusammen haben geglaubt - einige von Ihnen glauben es heute noch -, dass man die Spitze, also die sehr guten Schülerinnen und Schüler, ignorieren kann. Wenn ich diese Zwischenrufe höre, dann muss ich Ihnen vorwerfen, dass Sie das leider immer noch tun. Sie meinen, verschiedene Talente können gleichgemacht werden. Diesem pädagogischen Irrglauben laufen Sie und viele Linke noch hinterher. Das System hat aber nicht funktioniert. Wir haben im Gegenteil den Rechtsanspruch auf Förderung von Förderschülern und von Hochbegabten in das Schulgesetz geschrieben, meine Damen und Herren. Das ist unser Anspruch - nicht mehr und nicht weniger.

Ich habe auch gehofft, dass wir nach der Landtagswahl bezüglich der Schulstrukturpolitik Ruhe haben. Dem ist leider nicht so, wie ich einigen Anträgen entnehmen muss. Kämpfen Sie weiter für Ihre Klientel, wenn Sie meinen, dass das wichtig ist. Mit einer Schulpolitik für Kinder hat das nichts zu tun. Wir kümmern uns um Inhalte. Bitte tun Sie

uns der Sachlichkeit und Glaubwürdigkeit wegen nur einen Gefallen: Wenn Sie von der einen Schule für alle reden, dann grenzen Sie die nicht aus, die einen ganz besonderen Förderbedarf haben, und zwar die Kinder in unseren zehn Förderschulformen. Darüber reden Sie überhaupt nicht, weil Sie von diesem Thema keine Ahnung haben und sich überhaupt nicht damit befasst haben.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Ina Korter [GRÜNE]: Wir grenzen überhaupt niemanden aus!)

Meine Damen und Herren, wenn heute - so wie Sie hier und anderer Stelle - Grüne und Sozialdemokraten, das Wort von der einen Schule für alle im Munde führen, dann haben sie sich unzureichend mit der Sonderschulpädagogik auseinander gesetzt. Oder sie klammern die Schüler von vornherein mit ihren berechtigten Förderansprüchen aus. Noch ein Vorurteil, mit dem ich gerne aufräumen möchte - Sie brauchen in Ihrer Rede dann gar nicht darauf einzugehen -: Wenn Sie von „Standesdenken“ und „zurück in die 50er-Jahre“ reden - ich habe es heute auch in den Nachrichten von irgendjemandem gehört; ich kann nicht sagen, von Ihnen -, wenn Sie sagen, wir wollten die Schulpolitik in die 50er-Jahre zurückversetzen, dann ist das purer Populismus oder - ich muss es besser sagen - unsinniger Populismus.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich war Hauptschullehrer. Ich war gerne Hauptschullehrer. Ich war auch Leiter einer Hauptschule. So etwas zu behaupten, ist Unsinn, weil eine Hauptschulklasse kein monolithischer Block ist, in der nur Schüler sind, die gleichgeschaltet einen Beruf lernen wollen. Nicht alle wollen Schlachter werden - nichts gegen den Beruf. So laufen Sie durch die Gegend, und Sie wissen, dass das Unsinn ist, dass es in einer Hauptschule ein sehr differenziertes Angebot gibt. Dort gibt es viele unterschiedliche Menschen, Hochbegabte, Schüler mit fachlichen Stärken und natürlich auch Schwächen. Das Unterrichtsangebot in einer Hauptschule ist sehr differenziert.

(Ina Korter [GRÜNE]: Aber erst nach- dem wir sie gemacht haben!)

Wer behauptet, die Bildungswege führen in die Sackgasse, der stempelt diese Kinder ab und programmiert sie auf ganz bestimmte Berufe. Ich kann nur sagen: keine Ahnung von Schulpraxis.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Gerade in der Hauptschule gibt es gute und schlechte Zeugnisse und Abschlüsse. Man kann die 10. Klasse besuchen oder in das differenzierte Berufsschulwesen übergehen. Die Schüler können dort die Fachhochschulreife und auch die normale, die uneingeschränkte Hochschulreife erlangen. All das negieren Sie. Sie tun so, als wenn es das nicht gibt, weil es das in Ihrem Kopf nicht geben darf, weil Sie keine Perspektive für Hauptschulen sehen wollen und weil Sie Schwächere ausklammern. Das ist doch der Punkt.

(Ina Korter [GRÜNE]: Das ist ja wohl nicht wahr! Wer hat sich denn für In- tegration stark gemacht?)

Deswegen kann ich nur sagen: Lassen Sie diese parteipolitischen Taktiken heraus, und erzählen Sie diesen Menschen nicht weiterhin solchen Unsinn. Wenn Sie dann die Diskussion insgesamt betrachten, dann nehmen Sie doch einmal zur Kenntnis, was jetzt bewiesen ist, nämlich dass es ein ganz gewaltiges Leistungsgefälle zwischen SPD-regierten und unionsregierten Ländern gibt.

(Ernst-August Hoppenbrock [CDU]: Warum wohl!)