Protocol of the Session on April 3, 2003

Gemeinsam mit der Kollegin Astrid Vockert, die dieses Thema viele Jahre im Plenarsaal behandelt hat, und dem heutigen Ministerpräsidenten Christian Wulff sind wir vor einigen Jahren in einer solchen Institution gewesen, nämlich in Gauting bei München. Wir haben uns vor Ort erkundigt und sind mit sehr guten Erkenntnissen nach Niedersachsen zurückgekehrt. Ich empfehle allen denjenigen aus der Opposition, die sich zu diesem Thema einmal schlau machen wollen: Fahren Sie nach Gauting!

(Beifall bei der CDU)

Was wir dort erfahren haben, war symptomatisch für die Diskussion. Selbstverständlich hat es Kinder und Jugendliche aus Niedersachsen in geschlossener Heimunterbringung gegeben, bloß nicht in unserem Bundesland, sondern in Bayern und Baden-Württemberg. So viel zur Scheinheiligkeit der Debatte, die in den letzten Jahren geführt worden ist.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wir haben in Gauting, stellvertretend für andere Institutionen, eine Einrichtung kennen gelernt, in der situationsgerecht und verantwortungsbewusst mit den jugendlichen Straftätern umgegangen wird. Dort werden schwerstkriminelle Jugendliche im Rahmen eines Gesamtkonzepts aus Freiheitsentzug und Therapie wieder auf ein „normales“ Leben vorbereitet. Wir haben Einzelgespräche geführt und wissen von der hoch qualifizierten pädagogischen Betreuung in diesen Einrichtungen.

Bevor ich zum Schluss meiner Ansprache komme, möchte ich noch betonen, dass wir im Hinblick auf die Federführung des Ausschusses einen Änderungswunsch vortragen möchten. Wir möchten gerne, dass die Federführung beim Ausschuss für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit liegt und dass der Ausschuss für Inneres und Sport, der bisher als federführend vorgesehen war, in die Mitberatung mit einbezogen wird.

Wir werben für Eingreifen statt Wegsehen, null Toleranzstrategien gegen Normverletzungen, verbindliche Regeln für das Schulleben, verstärkte Vermittlung von Werten, Bildungschancen und Zukunftsperspektiven für Kinder und Jugendliche. Das ist das Anliegen dieser neuen bürgerlichen Koalition. Notwendige Prävention muss jedoch durch konsequente Sanktion ergänzt werden, um die Bürger, aber auch um die jugendlichen Täter vor sich selbst zu schützen.

Im Übrigen noch ein Hinweis an die Adresse der Sozialdemokraten: Die britische Labour-Regierung hat 1998 die geschlossene Heimunterbringung in Großbritannien eingeführt. Heute liegt zwischen new Labour und old SPD noch ein gewisser Unterschied. - Danke.

(Starker Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Das Wort hat Frau Janssen-Kucz von Bündnis 90/Die Grünen.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der Opposition hatte die CDU immer ein Thema, das zu allen passenden und nicht passenden Gelegenheiten recycelt wurde: die geschlossene Heimerziehung. Die jetzige Vizepräsidentin des Landtages, Frau Vockert, vertrat stellvertretend für die CDU-Fraktion die Meinung: Der Staat darf nicht nur bellen, er muss beißen! - Jetzt gerade haben wir das Beißen gesehen.

(Starker Beifall und Bravo-Rufe bei der CDU)

Jetzt haben wir den beißenden Staat in Form einer so genannten bürgerlichen Koalition, und der fordert Hilfe für Intensivtäter.

(Reinhold Coenen [CDU]: Was heißt hier „so genannte“?)

- Herr McAllister hat Sie so genannt. Ich würde Sie nicht so nennen. Aber darüber können wir irgendwann einmal diskutieren.

Der Ton, der in dem Entschließungsantrag verwandt wird, ist nicht so reißerisch wie die Presseankündigungen des Innenministers „Kriminelle Jugendliche ab ins Heim“.

Ich meine, dass wir einmal ganz ruhig die Situation betrachten sollten. Um welche Gruppen von jungen Menschen geht es denn? Für Jugendliche ab 14 Jahre brauchen wir keine geschlossene Heimunterbringung, denn diese Altergruppe wird mit den Mitteln des Jugendstrafrechts erfasst.

(Dr. Gitta Trauernicht-Jordan [SPD]: So ist es!)

Es geht hier um die Altersgruppe der Kinder unter 14 Jahre. Es geht um Kinder, deren Entwicklung so aus dem Gleis geraten ist, dass sie durch hoch aggressives gewalttätiges Verhalten auffällig werden. Doch diese Kinder werden nicht, wie eben darzustellen versucht worden ist, von einem Tag auf den anderen zum Intensivtäter.

(Anneliese Zachow [CDU]: Das hat niemand gesagt!)

Das ist vielmehr eine lange Entwicklung. Man kann sie nicht einfach so abstempeln.

Jetzt zu der Debatte, die in den letzten fünf Jahren geführt wurde. Es ging nicht um Hilfe für Kinder, auch nicht um Unterstützung der kommunalen Jugendhilfe. Nein, es gab einen Wettstreit zwischen den beiden großen Parteien, den Begriff „öffentliche Sicherheit“ zu besetzen, um damit auf Stimmenfang zu gehen. Die Innen- und Rechtspolitiker hatten das Sagen in einem originären Feld der Jugendhilfe übernommen. Was ist nach fünf Jahren Debatte dabei herausgekommen?

(David McAllister [CDU]: Nichts!)

Wir führen weiterhin die alte Diskussion. Fünf Jahre lange wurde immer wieder nach Trägern gesucht, die zur Mitarbeit am Interventionsprogramm bereit sind, und es wurden Mittel zur Verfügung gestellt. Und was haben wir heute? Keine Träger für die geschlossene Heimerziehung in Niedersachsen. Die letzte geschlossene Einrichtung für Jugendliche ab 14 Jahre wurde vor zwei Jahren mangels Fachpersonals - das zumindest ist die offizielle Lesart - geschlossen.

Wir reden hier über Kinder- und Jugendhilfe, und das Sagen haben - das haben wir auch gehört Justiz- und Innenpolitik. Die Sozialministerin versucht jetzt mit der Federführung des Sozialausschusses den Sprung nach vorne.

(David McAllister [CDU]: Das ist Angelegenheit des Parlaments!)

Ich hätte gerne sehr viel früher mehr aus dem Bereich gehört, und ich hätte gerne gesehen, wenn Sie wirklich als Verteidigerin der Kinder aufgetreten wären.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das CDU-Konzept der Erziehung in geschlossenen Heimen ist eine Scheinlösung. Schauen Sie doch einfach einmal nach Hamburg! Was ist denn da? Dort ist Ihre geschlossene Heimunterbringung des Herrn Schill nicht positiv in der Diskussion, nein, es gibt eine Ausbruchsserie sondergleichen.

(Reinhold Coenen [CDU]: Wir schau- en nach Bayern!)

Bisher ist keiner dieser vier Jugendlichen nicht mindestens einmal geflüchtet. Vielleicht sollten Sie das auch einmal zur Kenntnis nehmen. Ich sehe auch nicht, dass das in Niedersachsen anders lau

fen wird; denn es gibt kein Konzept für therapeutische Maßnahmen in geschlossenen Einrichtungen. Es gibt in Niedersachsen auch keine Träger, die bereit sind, sich darauf einzulassen.

(Astrid Vockert [CDU]: Doch! Es gibt sie!)

Sie sollten endlich einmal den Mut haben, auf die Empfehlungen der Fachleute aus der Jugendhilfe und aus der Jugendgerichtshilfe zu hören und sich endlich für altersgerechte pädagogische Maßnahmen für diese Kinder einzusetzen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Vockert?

Bitte sehr, Frau Vockert!

Vor dem Hintergrund Ihrer Behauptung, es gäbe keine Träger, frage ich Sie: Ist Ihnen bekannt, dass es in der Gemeinde Schwanewede sehr wohl eine Einrichtung gibt, die bereit ist, sich hierfür einzusetzen?

Frau Vockert, das ist mir bekannt. Ich kenne auch noch andere, die Interesse haben. Aber die haben nicht unter dem Aspekt Interesse, dass sie unbedingt etwas für die Kinder tun wollen, sondern die haben aus finanziellen Gesichtspunkten Interesse. Bei der alten Prüfung ist doch sehr deutlich geworden, dass gar kein adäquater Träger übrig geblieben ist. Das wird Frau Trauernicht bestätigen können.

Kommen Sie bitte zum Ende. Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Das ist schön. Aber ich habe wenigstens die Zwischenfrage beantwortet.

(Heiterkeit und Beifall bei den GRÜ- NEN und bei der CDU)

Zum Schluss Folgendes: Es geht nicht darum, 20 oder mehr Plätze zu schaffen und diese vom Land bezuschussen zu lassen. Sie öffnen damit Tür und Tor für die Abschiebung von Kindern in geschlossene Einrichtungen und entledigen sich dieser Kinder. Die geschlossene Einrichtung ist keine Antwort, und sie schränkt das Angebot der Jugendhilfe ein. Ich finde es sehr viel schlimmer, dass wir mit so einem Angebot das breitgefächerte Angebot der Jugendhilfe mit seinen differenzierten Instrumenten einschränken werden. Es brennt unter den Nägeln. Überall wird die Kostenfrage diskutiert. Die führt zu den Reibungsverlusten. Deshalb kann den Kindern nicht adäquat geholfen werden. Die Haushälter haben den Deckel drauf.

Sie haben Ihre Redezeit mehr als 20 % überzogen.

Die Redezeit habe ich überzogen wegen des großen Applauses, der am Anfang vonseiten der CDU-Fraktion kam.

(Heiterkeit und lebhafter Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Frau Vockert, eines zum Schluss: Nicht bellen, nicht beißen, sondern helfen sollten wir, aber das auch gemeinsam!

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das Wort hat der Abgeordnete Bode von der FDPFraktion.

Frau Präsidentin! Verehrte Damen, sehr geehrte Herren! Frau Janssen-Kucz, Sie müssen es mir nachher erst noch einmal erklären; denn ich verstehe es nicht ganz. Einerseits lehnen Sie die geschlossene Heimunterbringung ab. Andererseits sagen Sie, es gebe ja gar keine Heime, in die wir