Protocol of the Session on April 3, 2003

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das soziale Niedersachsen, das meine Vorgänger wie Kurt Partzsch und Hermann Schnipkoweit

(Zuruf von der SPD: Vor der Hacke ist es duster!)

geprägt haben, wiederzubeleben - unter schwierigsten Rahmenbedingungen -, ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Politik lebt vom Streit und von der Auseinandersetzung der verschiedenen Interessen. Aber auch ich weiß - ich bin Ihnen dankbar, Frau Mundlos, dass Sie es angesprochen haben -, dass die Sozialpolitiker in diesem Haus eine Tradition der Arbeit an der gemeinsamen Sache gepflegt haben, wie das in anderen Bereichen vielleicht nicht so sehr der Fall war. Darauf möchte ich mich berufen. Ich biete Ihnen, sehr verehrte Abgeord

nete des Niedersächsischen Landtages, meine vertrauensvolle Zusammenarbeit an.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, was in der vergangenen Legislaturperiode galt, gilt auch in dieser Wahlperiode. Die Ministerin hat ihre Redezeit um mehr als ein Viertel überzogen.

(Zurufe)

Ich bitte darum, dass sich auch die neue Landesregierung - auch bei der alten war das etwas schwierig; meine Kollegen und Kolleginnen im Präsidium werden das bestätigen können -, wenn sie Redemanuskripte erstellt, an die vorgegebene Redezeit hält. Sollte Veranlassung bestehen, die Redezeit zu überschreiten, so gibt es dafür parlamentarische Instrumente. Ich sage das nur, damit wir hier vernünftig miteinander umgehen können.

(Dieter Möhrmann [SPD]: Eine zwei- te Regierungserklärung war zu viel!)

Sei es drum. Die nachfolgenden Redner erhalten entsprechend mehr Redezeit zugewiesen. Deshalb haben Sie, Herr Schwarz, von mir keine großen Beschränkungen zu erwarten.

(Uwe Schwarz [SPD]: So lange wollte ich nun auch wieder nicht reden!)

Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das, was wir hier gehört haben, ist das eine – auch Ihre Lippenbekenntnisse, Frau Mundlos. Was in Ihrem Antrag steht, ist das andere. Bisher war ich es so gewohnt, dass man sich mit dem auseinander setzt, was im Antrag steht, und man sich darauf parlamentarisch einstellen kann. Ich habe allerdings auch keine Schwierigkeiten, mich auf das andere einzustellen.

Ihr Antrag selbst ist eine Ansammlung von Überschriften, Luftblasen und Selbstverständlichkeiten.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, diese Vorgehensweise haben Sie in der Opposition perfektioniert. Ich bin

mir sicher, dass Sie mit solchen Anträgen, wie Sie ihn jetzt vorgelegt haben, auf Dauer nicht durchkommen werden. Sie werden auch als Regierungsfraktion den Menschen klar sagen müssen, was sie in der Sozialpolitik von Ihnen zu erwarten und - ich mache eine Klammer auf - nach einigen Seitenbemerkungen, die ich hier gehört habe, wohl auch zu befürchten haben.

In Wirklichkeit steht in Ihrem Entschließungsantrag nichts anderes, als dass die Landesregierung beabsichtigt, mit Kommunen und Trägern sozialer Einrichtungen über Sozialpolitik zu sprechen. Dies, meine Damen und Herren, finde ich absolut revolutionär und total zukunftsweisend.

(Heiterkeit bei der SPD)

Es wäre ja richtig originell gewesen, wenn Sie gesagt hätten: Wir machen etwas ganz anderes, wir reden mit denen nicht mehr.

Im Kern Ihrer Aufzählung ist erstens nichts weiter festgelegt als die Fortsetzung des Dialogs Soziales Niedersachsen. Auch hier eine Klammeranmerkung: Die Frage der Entbürokratisierung in den Pflegeeinrichtungen ist Gegenstand der Beratungen im Dialog Soziales Niedersachsen; das müssen Sie nicht neu erfinden, das hat Ihre Vorgängerin schon lange auf den Weg gebracht.

(Beifall bei der SPD)

Zweitens stellen Sie fest, dass Sie auf der Basis der gemeinsamen Erklärung der Landesregierung und der Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände vom Januar dieses Jahres weitermachen wollen. Beides haben Sie zwar in der Vergangenheit bekämpft, aber wenn auch Sie jetzt einsehen, dass es in der Sozialpolitik ohne Dialog nicht geht, so ist das im Nachhinein eine Anerkennung der Arbeit in unserer Regierungszeit und insbesondere der Arbeit von Frau Merk und Frau Trauernicht. Der Dank kommt zwar spät, aber wenn er heute kommt, nehmen wir ihn dankend an.

(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie mich nun noch etwas zum Thema partnerschaftliche Sozialpolitik sagen. Ich finde, wir sollten hier erst einmal beim Umgang mit Parlament und Sozialausschuss beginnen. In der konstituierenden Sitzung des Sozialausschusses hatte ich darum gebeten, dass Sie, sehr geehrte Frau Ministerin, wie üblich in der nächsten Sitzung - das wäre der 26. März gewesen - Ihre sozialpoli

tischen Ziele erläutern und vorstellen. Die Regierungskoalition hat dies abgelehnt und die dafür vorgesehene Sitzung am 26. März abgesagt mit dem Hinweis, es sei noch nicht klar, was die eigentliche Zuständigkeit des Sozialministeriums umfassen würde. Allerdings wurde uns ebenfalls von der Regierungskoalition zugesagt, dass wir bis zum 26. März schriftlich mitgeteilt bekämen, wie sich die Zuständigkeiten des Hauses im Einzelnen darstellen. Hier ist bis heute Fehlanzeige.

(Norbert Böhlke [CDU]: Und die Welt dreht sich trotzdem!)

- Das alles hat etwas mit der Frage des Umgangs miteinander zu tun. Sie können das gern so praktizieren, Herr Böhlke. Sie müssen aber wissen, ob wir so miteinander umgehen wollen. Sie waren ein paar Jahre nicht hier. In der Zwischenzeit sind wir ganz vernünftig miteinander umgegangen. Vielleicht kann das so bleiben.

(Beifall bei der SPD)

Außerdem ist uns im Ausschuss mitgeteilt worden, dass wir die Ministerin erst dann im Ausschuss erleben dürfen, wenn sie zuvor hier im Parlament eine Regierungserklärung zur Sozialpolitik abgegeben hat. Das alles können Sie im Protokoll nachlesen. Stattdessen kam dieser Luftblasenantrag.

Was Sie hier heute gemacht haben, Frau von der Leyen, war im Kern eine Regierungserklärung zur Sozialpolitik.

(Zuruf von der CDU: Eine gute!)

Ich halte das nicht für einen guten Umgang miteinander. Erstens haben Sie es nicht nötig, sich hinter einem solchen Antrag zu verstecken, um eine Regierungserklärung abgeben zu können. Zweitens gibt es klare Regeln für die Abgabe von Regierungserklärungen, damit die Oppositionsfraktionen in der Lage sind, sich darauf vorzubereiten und eine inhaltliche Diskussion zu führen. Ich bitte, zu diesen Gepflogenheiten zurückzukehren. Sonst wird das nichts mit einer vernünftigen Zusammenarbeit. Der Start in der Sozialpolitik war jedenfalls nicht gut.

(Beifall bei der SPD)

Ich bin wirklich der Auffassung, dass wir die Art und Weise, in der wir in den vergangenen Jahren gearbeitet haben, nicht durch einen solchen Beginn aufs Spiel setzen sollten. Ich habe die Befürchtung,

dass dieser Antrag als Alibi missbraucht wird, um in Niedersachsen in großem Stil Sozialabbau zu formulieren. Die Formulierung in Ihrem Antrag „unter Beachtung der finanziellen Notlage des Landes Niedersachsen“ lässt meines Erachtens nichts Gutes erwarten.

(Irmgard Vogelsang [CDU]: Wer hat die denn herbeigeführt?)

Was Frau Mundlos gerade gesagt hat, bestätigt meine Befürchtung. Die Aufgabenverteilung im Kabinett ist meines Erachtens klar: Die Sozialministerin macht charmant freundliche Aussagen gegenüber sozial benachteiligten Gruppen - Behindertengleichstellung, öffentlicher Gesundheitsdienst, Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familie -,

(Irmgard Vogelsang [CDU]: Alles, was vorher versäumt worden ist!)

und der Finanzminister sowie der Innenminister kassieren die Sozialleistungen ein. Innenminister Schünemann hat die kommunalen Spitzenverbände gebeten, ihm bis Mai eine Liste vorzulegen, welche Aufgaben auf Länderebene gestrichen werden können. Nach Prüfung der Vorschläge sei er - so Schünemann - zu weit reichenden Schritten bereit.

(Vizepräsident Ulrich Biel über- nimmt den Vorsitz Die Position der kommunalen Spitzenverbände ist uns in vielen Bereichen hinlänglich bekannt. Ich bin gespannt, was von den wohlfeilen Worten der Ministerin noch übrig bleibt, wenn die kommuna- len Spitzenverbände ihre bisherigen Positionen zum Niedersächsischen Pflegegesetz, zum Ret- tungsdienstgesetz, zum Behindertengleichstel- lungsgesetz, zum öffentlichen Gesundheitsdienst- gesetz, zur Krankenhausinvestitionsplanung, zum Niedersächsischen Gleichberechtigungsgesetz und, und, und bestätigen werden. Ich sage Ihnen: Dann bleibt hier überhaupt nichts mehr übrig. (Zustimmung bei der SPD)

Wenn ich mir dann ansehe, dass Sie im Rahmen des Nachtragshaushaltes 23 Millionen Euro einsparen sollen - -

(Anneliese Zachow [CDU]: Sie haben mehr aus dem Krankenhausfinanzie- rungsgesetz zurückgenommen!)

- Mit Verlaub, die Finanzsituation des Landes ist hier über Monate diskutiert worden. Sie haben zwei Jahre lang die Finanzlage des Landes hoch und runter diskutiert. Sehr geehrte Kollegin Frau Zachow, nun tun Sie doch nicht so, als ob Sie ein Überraschungsei gekauft hätten. Sie wissen ganz genau, was hier finanziell los gewesen ist.

(Beifall bei der SPD - Ilse Hansen [CDU]: Sie hätten doch auch ge- kürzt!)

- Darauf komme ich noch zurück.

Herr Abgeordneter Schwarz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Rolfes?

Nein, wir machen das nachher beim Kaffee. - Im Rahmen des Nachtragshaushalts soll die Sozialministerin 23 Millionen Euro einsparen. Ich weiß, dass die freiwilligen Leistungen im Sozialministerium insgesamt nur 50 Millionen Euro umfassen. Das heißt, zum Erreichen dieses Einsparzieles gibt es exakt zwei Möglichkeiten.

Die erste Möglichkeit ist: Sie arbeiten mit dramatischen Schätzkorrekturen. In welchen Bereichen das möglich ist, werden wir dann sehen. Aber ich kann mir vorstellen, wie Sie das organisieren können.

Die zweite Möglichkeit ist: Sie werden massiv und drastisch bei freiwilligen Leistungen kürzen. Letzteres ist auch eine logische Konsequenz dessen, was Herr Wulff bisher immer gesagt hat.