Protocol of the Session on June 23, 2004

- Halt, stopp!

Ich bitte um Nachsicht.

(Bernd Althusmann [CDU]: Frau Prä- sidentin, jetzt weisen Sie ihn bitte auf die Konsequenz hin!)

Immer mit der Ruhe. Ich bin jetzt dran. Herr Althusmann, ich führe hier die Landtagssitzung und nicht Sie.

Herr Bartling, ich möchte Sie darauf hinweisen, dass Sie bei dem nächsten Ordnungsruf leider den Saal verlassen müssen.

(Beifall bei der CDU - Zurufe von der SPD!)

Herr Gansäuer hat Sie darauf nicht hingewiesen. Deswegen ist das jetzt noch nicht der Fall. Bitte fahren Sie jetzt mit Ihrer Rede fort.

(Bernd Althusmann [CDU]: Normaler- weise wären Sie jetzt raus! - Christina Philipps [CDU]: Das ist die Vorbild- funktion eines ehemaligen Ministers!)

Frau Präsidentin, für den Begriff „Betrüger“ entschuldige ich mich. Es kann sein, dass mir da die Gäule etwas durchgegangen sind. Das tut mir Leid. Ich habe das aber wirklich gar nicht mehr so in Erinnerung. Ich bitte um Nachsicht und entschuldige mich ausdrücklich.

Meine Damen und Herren, ich halte es allerdings auch für wenig der Wahrheit zuträglich, wenn Sie in der Regierungserklärung das schlecht reden, was wir in den Bereichen Polizei und Lehrer an Positivem bewegt haben, obwohl wir massiv Stellenabbau betrieben haben. Ich habe Ihnen die Bilanz vorhin vorgelegt. Das schlecht zu reden ist etwas, was nicht der Wahrheit entspricht.

Sie könnten wirklich Geld sparen, wenn Sie nicht so unrealistische Wahlversprechen abgegeben hätten. Jeder, der die Landespolitik in den letzten anderthalben Jahren auch nur am Rande beobachtet, kann nur den Kopf schütteln, wenn er hört, dass Sie die Verwaltungsreform als Sparreform verkaufen wollen. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Verwaltungsmodernisierung und Stellenabbau sind eine gute, eine richtige Sache. Das Land darf nur so viel Personal beschäftigen, wie es zur Bewältigung seiner Aufgaben benötigt. Deshalb ist eine permanente Aufgabenkritik wichtig und richtig. Die SPD-Fraktion hat aus diesem Grund zu Beginn ihres Reformvorhabens durchaus die Bereitschaft signalisiert, an einer vernünftigen Reform mitzuwirken. Sehr schnell hat sich jedoch gezeigt, dass CDU und FDP über die Zerschlagung der Bezirksregierungen hinaus überhaupt kein Ziel haben.

(Widerspruch bei der CDU und bei der FDP)

Ihnen geht es in Wahrheit nur um die Zerschlagung einer nicht geliebten Mittelinstanz und nicht etwa um eine effizientere Form der Verwaltung.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, dabei machen Sie ganz entscheidende Fehler, die für Bürger und Wirtschaft negative Auswirkungen haben werden, auch wenn hier die eine oder andere positive Stimme aus der Wirtschaft zitiert wird. Sie fragen nicht nach der Effizienz der Verwaltung insgesamt, son

dern lassen die Fachressorts ihren jeweiligen Unterbau so organisieren, dass er zwar fachlich stringent aufgebaut ist, aber die Bündelung völlig aus den Augen verliert. Sie geben entgegen aller Vernunft die Einräumigkeit der Verwaltung auf, also das Prinzip, dass unterschiedliche Behörden eine gemeinsame Verantwortung für einen Bereich entwickeln. Künftig geht in Niedersachsen alles kreuz und quer. Jeder fühlt sich für seinen Fachbereich verantwortlich, aber niemand für das Ganze. Bei einer solch flickenteppichartigen Verwaltungsreform bleiben die regionalen Interessen völlig auf der Strecke.

(Starker Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Künftig werden die so genannten Fachbruderschaften in Niedersachsen regieren. Jede Verwaltung schaut nur nach dem fachlich besten Weg. Niemand achtet darauf, dass eine vernünftige Entscheidung für die Regionen gefunden wird. Kompromisse, die auch bei Verwaltungsentscheidungen an der Tagesordnung sind, werden nicht mehr innerhalb der Verwaltung selbst gefunden, weil mit der Zerschlagung der Bezirksregierungen der Ort für Kompromisse abgeschafft wird. Über alle Streitigkeiten wird künftig am Kabinettstisch entschieden werden müssen. Damit geht eine unverantwortliche Zentralisierung, aber auch eine ungute Politisierung von Verwaltungsentscheidungen einher.

Meine Damen und Herren, die heute vorgelegte Verwaltungsreform ist aus unserer Sicht in Wahrheit eine Verwaltungsdeformierung, weil sie die Qualität und vor allem die Geschwindigkeit von Verwaltungsentscheidungen verschlechtert und keine Antwort auf die wachsenden Herausforderungen für die Städte und Gemeinden in Niedersachsen gibt. Auch die völlig veränderten europäischen Rahmenbedingungen der Regionalentwicklung werden völlig ausgeblendet. Insbesondere mit der ersatzlosen Streichung regionaler Bündelungsbehörden zieht sich das Land Niedersachsen als Partner von Städten, Gemeinden und Landkreisen aus der Regionalentwicklung zurück. Meine Damen und Herren, wo bleibt eigentlich der viel beschworene kommunale Aspekt in der Verwaltungsmodernisierung?

(Zustimmung bei der SPD - Jörg Bode [FDP]: Das sagt ja der Richtige!)

Meine Damen und Herren, die Landesregierung ist angetreten, die kommunale Ebene entscheidend zu stärken. Ich stelle fest: Die versprochene Kommunalisierung ist gescheitert. Lediglich in sehr bescheidenem Ausmaß findet eine Aufgabenverlagerung auf die Kommunen statt. Nur 73 von 740 Aufgaben der Bezirksregierungen sollen auf die Kommunen verlagert werden - eine sehr bescheidene Kommunalisierung. Aber nicht nur wir sind enttäuscht. So schreibt der Niedersächsische Städtetag in seiner Stellungnahme: Die Abschaffung von Anzeige- und Genehmigungspflichten entspricht in keiner Weise unseren Vorstellungen.

Meine Damen und Herren der Fraktionen von CDU und FDP, Sie machen den Fehler, dass Sie Stellenabbau mit Verwaltungsmodernisierung verwechseln. Durch die Zerschlagung der Bezirksregierungen wird nur ein bescheidener Beitrag zum Stellenabbauprogramm in Höhe von 1 350 Stellen erbracht. Mit anderen Worten: Vier Fünftel des von dieser Regierung betriebenen Stellenabbaus in der Landesregierung hätten sich realisieren lassen, ohne die Bezirksregierungen überhaupt anzutasten. Anschaulich wird dies im Bereich des Umweltministeriums, für den auch der Landesrechnungshof schon sehr deutliche Worte gefunden hat. Der Landesrechnungshof stellt dem Umweltminister für die Verwaltungsreform in seinem Geschäftsbereich ein vernichtendes Zeugnis aus.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Eine glatte Sechs!)

Nicht nur, dass die ehrenamtliche Arbeit im Umweltbereich durch Ihre wilden Kürzungsvorschläge erheblich geschwächt wird. Mit der Zerschlagung der Umweltverwaltung in Niedersachsen wird eine effektive und kostengünstige Arbeit so gut wie unmöglich gemacht. Der Landesrechnungshof hat in seiner Stellungnahme zur geplanten Verwaltungsmodernisierung des Umweltressorts sehr deutliche Worte gefunden: Die organisatorischen Lösungen hält er für nicht geglückt. Bei der geplanten Aufgabenzuordnung aller Aufsichts- und Koordinierungsaufgaben befürchtet er eine spürbare Stellenausweitung im Ministerium und unnötige Mehrkosten. Die Aufgaben am Sitz des Landesbetriebes könnten nicht sinnvoll wahrgenommen werden. Er sieht hierin ein erhebliches finanzielles Risiko. - Entscheidend ist jedoch das abschließende Urteil des Landesrechnungshofs: Wir schätzen es nach Durchsicht der Anlagen und der Auswertung des Projektberichtes so ein, dass sich fast alle Aufgabenveränderungen mit entsprechenden

Stelleneinsparungen in Ihrem Geschäftsbereich auch bei einer Beibehaltung der bisherigen Organisationsstruktur realisieren ließen.

Meine Damen und Herren, hätte die Landesregierung die Aufgabenkritik der Bezirksregierung Weser-Ems ernst genommen, dann hätte sich der Stellenabbau bei den Bezirksregierungen in exakt dieser Höhe realisieren lassen, ohne dass eine komplette Neuorganisation der Landesverwaltung notwendig gewesen wäre. Eine ganze Reihe von Folgekosten hätte eingespart werden können. Doch leider haben CDU und FDP die Chance für einen umfassenden Umbau der bisherigen Bezirksregierungen zu regionalen Managementbehörden vertan. Stattdessen gehen sie den verhängnisvollen Weg der regionalen Bündelungsbehörden, die im Land Niedersachsen unweigerlich zu chaotischen Verwaltungsstrukturen führen werden.

Es liegt auf der Hand, meine Damen und Herren, dass unsere kommunalen Gebietskörperschaften unterschiedlich leistungsfähig sind. Der Landkreis Lüchow-Dannenberg mit knapp über 50 000 Einwohnern ist in Sachen Verwaltungskraft nicht mit der Region Hannover zu vergleichen. Sie stellen mit dieser Art von Verwaltungsreform die Entwicklungsmöglichkeiten gerade unserer schwächeren Gebietskörperschaften massiv in Frage.

(Beifall bei der SPD)

Das muss wohl auch der Grund dafür sein, dass Sie seit Monaten ein Gutachten des NIW zu diesem Themenkreis - gerade auch zu LüchowDannenberg - bezüglich der Finanzsituation unter Verschluss halten. Würden Sie dieses Gutachten endlich einmal der Öffentlichkeit zugänglich machen, dann würde deutlich, dass Ihre Vorstellungen von chancengleicher Entwicklung im ländlichen Raum reines Wunschdenken sind.

(Zustimmung bei der SPD)

Meine Damen und Herren, die Wahrheit ist: Sie schwächen die niedersächsischen Regionen. Die Schwächsten werden durch diese Verwaltungsreform abgehängt.

(David McAllister [CDU]: Was denn nun?)

Das machen wir nicht mit, und wir werden nicht müde, das auch der Öffentlichkeit zu beweisen.

(Starker, nicht enden wollender Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Herr Gabriel von der SPD-Fraktion hatte sich zur Geschäftsordnung gemeldet. Bitte, Herr Gabriel!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich beantrage nach § 67 Abs. 3 der Geschäftsordnung eine Unterbrechung der Landtagssitzung. Falls die Präsidentin das nicht für angezeigt hält, bitte ich ersatzweise um Einberufung des Ältestenrates in der Mittagspause, nämlich aus zwei Gründen: Erstens. Die SPD-Fraktion stellt die Maßnahme des Präsidenten Gansäuer, dem Kollegen Bartling zwei Ordnungsrufe zu erteilen, infrage. Wir sind der festen Überzeugung - und zwar jeder Abgeordnete bei uns -, dass es ausreichend Grund gibt, der Regierung Täuschung der Öffentlichkeit sowie übrigens auch eine unzureichende Unterrichtung des Landtages vorzuwerfen und ihr damit durchaus den politischen Vorwurf des Verfassungsbruches zu machen.

(Starker Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Das ist die Auffassung jedes Abgeordneten und jeder Abgeordneten der SPD-Fraktion im Niedersächsischen Landtag. Wir halten das für eine politisch durchaus zulässige Schlussfolgerung und Auffassung. Aufgrund der berechtigten Ermahnung durch die Präsidentin, dass ein Abgeordneter nach einem dritten Ordnungsruf des Landtages verwiesen wird, wollen wir über die ersten beiden Ordnungsrufe reden. Wir halten es für absolut unvertretbar, in die Gefahr zu geraten, dass der Kollege Bartling nicht mehr an der Sitzung teilnehmen kann.

(Zuruf von der CDU: Er muss sich nur zusammenreißen!)

- Wir halten es für absolut in Ordnung, was er gesagt hat. Ich sage hier ausdrücklich: Den dritten Ordnungsruf meine ich nicht. Es geht um die ersten beiden Ordnungsrufe.

Zweitens. Frau Präsidentin, wir wollen im Ältestenrat endlich darüber reden, wie wir den Niedersächsischen Finanzminister dazu bringen können, nicht permanent in jeder Sitzung das Präsidium unter Druck zu setzen.

(Starker, lang anhaltender Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Zur Geschäftsordnung haben sich jetzt Herr Wenzel, Herr Althusmann und Herr Gansäuer gemeldet. Aus gegebenem Anlass erteile ich zunächst Herrn Gansäuer das Wort. Herr Gansäuer, bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Gabriel, es ist Ihr gutes Recht, diesen Antrag zu stellen. Das ist gar keine Frage. Mit Blick auf diejenigen, die solche Verhandlungsführungen kennen, sage ich: Sie sollten sich gut überlegen, was Sie tun. Ich bleibe im Übrigen bei den beiden Ordnungsrufen - das ist überhaupt keine Frage -; denn ich habe mir das nicht leicht gemacht und habe sofort die Verwaltung gebeten zu prüfen, ob es nach den vorgegebenen Kriterien Ordnungsrufe sind oder nicht. Die Mitarbeiter, die Sie kennen - ich möchte diese jetzt nicht namentlich nennen -, haben dies bestätigt.

Ich möchte Ihnen aber noch etwas Weiteres sagen, weil ich über die Art und Weise, wie hier Debatten geführt werden, wirklich verbittert bin: Wenn wir schon - wie beim letzten Mal - auf Ihre Bitte hin im Ältestenrat darüber reden, dann sollten Sie wenigstens auch kommen.

(Starker, anhaltender Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zurufe von der SPD - Unruhe - Glocke der Präsi- dentin)

Herr Wenzel, zur Geschäftsordnung, bitte!

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Gansäuer, Sie wissen - auch aus persönlichen Gesprächen -, dass ich es für richtig und angemessen halte, wenn in diesem Parlament persönliche Beleidigungen gerügt werden. Das ist völlig richtig und korrekt. In diesem Fall hat aber - soweit ich das gehört habe; im Detail müssten wir uns aber das Protokoll noch einmal angucken Herr Bartling der Regierung eine Täuschung der Öffentlichkeit vorgeworfen.

(Hans-Christian Biallas [CDU]: Den Beschluss gefasst zu haben!)

Ich habe hier eine offizielle Presseerklärung der Landesregierung, in der der Innenminister behauptet, diese Verwaltungsreform spare dem Land Niedersachsen bereits im Jahr 2005 haushaltswirksam 36 Millionen Euro.

(David McAllister [CDU]: Machen wir das jetzt nicht im Ältestenrat?)