Protocol of the Session on April 30, 2004

- Schreien Sie ruhig herum. Ich habe mich nicht wegen der Öffentlichkeit zu Wort gemeldet, sondern weil ich finde, einer solchen Polemik wie Ihres Ministerpräsidenten muss man etwas entgegenhalten.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Herr Ministerpräsident, ich meine, was man in dieser Situation machen muss, ist, eine klare Linie bei der Entlastung der Kommunen von der Sozialhilfe zu fahren. Geben Sie bitte zu, dass genau das Herr Clement im Bereich der Umsatzsteuerpunkte gestern angeboten hat, und zwar in Höhe von 1,6 Milliarden Euro, also das, was Sie einfordern. Tun Sie nicht so, als seien wir da nicht längst auf gutem Wege.

Herr Gabriel, jetzt ist wirklich Schluss. Sie haben sechs statt drei Minuten gesprochen.

(Zurufe von der CDU: Genau!)

Schreien hilft bei dem Problem übrigens überhaupt nichts.

(Starker Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Lachen bei der CDU und bei der FDP)

Nach § 71 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung erteile ich Herrn Stefan Wenzel von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort für zwei Minuten.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Ministerpräsident Wulff, ein Punkt ist sicher: Die Defizitlücke wird ausgeglichen werden. Die 2,5 Milliarden Euro Entlastungen, die den Kommunen versprochen wurden, werden auf jeden Fall kommen. Das ist sicher.

(David McAllister [CDU]: Die Zahlen sagen doch genau das Gegenteil!)

Das haben wir unseren Leuten unmissverständlich klar gemacht. Das wissen und wollen auch die Sozialdemokraten. Das ist aber gar nicht der Punkt.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Meine Damen und Herren, die Union und Ministerpräsident Koch sind an zentraler Stelle für die Berechnungsfehler bei der Unterbringung mitverantwortlich. Herr Koch ist unvorbereitet in diese Sitzung gegangen, und Herr Koch hat mit Zahlen operiert, die am Ende nicht belastbar waren.

(Widerspruch bei der CDU)

- Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen. Vielleicht sollten Sie einmal nachfragen, wie das in dieser Nacht gelaufen ist.

Gleichzeitig hat die CDU die Möglichkeit für eine Trägerschaft der Kommunen mit durchgesetzt. Das halte ich durchaus für einen sehr positiven Aspekt. Dies wird den Kommunen, die das wollen, die Möglichkeit geben, das zu tun. Das halte ich auch für richtig. Auch wir wollen allerdings keine Zwangsmitgliedschaft. Wir wollen nicht all die Kommunen dort hineindrücken, die es gar nicht machen wollen.

Herr Ministerpräsident Wulff, wenn Sie das Optionsgesetz blockieren, dann sind Sie mitverantwortlich, wenn am Ende nur zentralistische Lösungen möglich sind.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die zentrale Mammutbehörde, von der Sie eben sprachen, wird dann eine Wulff-Merkel-Behörde sein. Eine Verfassungsänderung, die Sie jetzt einklagen, hat jedenfalls Herr Koch an dem Morgen um halb vier nicht angemahnt. Das ist so eine einschneidende Veränderung, dass er das sicherlich nicht vergessen hätte. Wenn ihm das bewusst gewesen wäre und wenn er das gewollt hätte, dann hätte man das zumindest in einer Protokollnotiz angemerkt. Das aber hat niemand getan.

Sie haben im Bundesrat die Mehrheit. Stehen Sie zu dieser Verantwortung, stehen Sie zu dem Verhandlungsergebnis im Vermittlungsausschuss, und tragen Sie den Konflikt nicht auf dem Rücken der Arbeitslosen aus. - Herzlichen Dank.

(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Das Wort hat der Abgeordnete McAllister von der CDU-Fraktion.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Gabriel, vielen Dank noch einmal für den Exkurs im Bereich Kommunalfinanzen. Ich weiß, wie schwierig es ist,

(Lachen bei der CDU und bei der FDP)

manchmal Sachen vortragen zu müssen, die man selbst nicht glaubt. Das haben wir hier früher im Landtag auch machen müssen. Ich weiß, dass das bitter ist. Aber vielleicht werden Sie dafür irgendwann in Berlin noch einmal belohnt.

(Sigmar Gabriel [SPD]: Herr McAl- lister, die Wahrscheinlichkeit ist ge- ring!)

- Wenn Sie so weitermachen, ja! - Es gibt kaum ein politisches Projekt der letzten Jahre, das von der Opposition so intensiv verhandelt worden ist. Die unionsgeführten Länder haben zu diesem Thema einen eigenen Gesetzentwurf eingebracht. Wir ha

ben im Vermittlungsausschuss verhandelt, vor allem Ministerpräsident Christian Wulff an führender Stelle, und wir haben eine Einigung erzielt, die beinhaltet, dass auch die Kommunen Träger sein können. Im Vermittlungsausschuss - das hat der Ministerpräsident zu Recht angesprochen - war auch eine Einigung darüber erzielt worden, dass die Kommunen finanziell entlastet werden. Ich stelle fest: Die Bundesregierung hat alle diese Absprachen gebrochen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Es sind drei Punkte, die uns zu Recht besonders ärgern.

Erstens. Die Bundesregierung hat immer eine finanzielle Entlastung von 2,5 Milliarden Euro angekündigt; das ist bisher mehrfach angesprochen worden. Herr Clement hat das gestern erneut angekündigt. Die Tatsache ist aber, dass die Gesetze, die Sie vorgelegt haben und die gestern im Bundestag beschlossen worden sind, eine Belastung von bis zu 5 Milliarden Euro vorsehen. Was ist denn das Wort des Wirtschaftsministers wert, wenn die Gesetze, die er vorlegt, diametral zu dem stehen, was tatsächlich angekündigt wird?

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herr Kollege Gabriel, wir sprachen über 2,5 Milliarden Euro an Entlastungen. Sie haben vorhin gesagt, dass es 1,6 Milliarden Euro bei der Umsatzsteuer gebe.

(Sigmar Gabriel [SPD]: Nur Umsatz- steuer!)

Selbst mit diesen 1,6 Milliarden Euro fehlen mindestens noch 900 Millionen, wenn nicht sogar einige Milliarden Euro. Darauf können sich die Kommunen und die Länder nicht einlassen, weil das zu einer deutlichen finanziellen Belastung führen wird. Das sagt ausgerechnet derjenige, der hier vorgestern irgendetwas von Konnexitätsprinzip gefaselt hat.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Sigmar Gabriel [SPD]: Gefaselt habe ich schon gar nicht! Frau Präsidentin, lassen Sie das durchgehen? - Doro- thea Steiner [GRÜNE]: Was ist denn das für ein Stil?)

Wir haben mit Interesse gelesen, dass Sie das Konnexitätsprinzip in die Verfassung aufnehmen

wollen. Sie hatten viele Jahre Zeit. Aber, Kollege Gabriel, wer a sagt - und Sie müssen in Niedersachsen ja mitmachen, weil wir die Änderung der Landesverfassung gemeinsam erreichen wollen -, der muss auch b sagen. Ich frage mich, Herr Gabriel, wo Ihre Initiativen in Bezug auf Ihre eigenen Parteifreunde in der Bundesregierung sind, dass das Konnexitätsprinzip endlich einmal beachtet wird. Es ist diese Bundesregierung, die die Grundsicherung in Millionenhöhe auf die Kommunen übertragen hat. Sie machen jetzt ein Kindertagesstättenganztagsbetreuungsprogramm mit mehreren Milliarden Euro an Zusatzkosten für die Kommunen. Wenn Sie hier im Landtag schon über Konnexität reden, dann tun Sie das bitte auch in der SPD auf Bundesebene. Alles andere ist unglaubwürdig.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Das Zweite ist, dass die Kommunen die Wahlfreiheit bekommen müssen, wie sie die Langzeitarbeitslosen in Zukunft an der Betreuung beteiligen wollen. Alles andere macht die Kommunen zu reinen Helfershelfern der Bundesregierung. Das kann keine Lösung sein.

Schließlich - der Ministerpräsident hat es bereits angesprochen - hat der Bundeskanzler angekündigt, er wolle weniger Bürokratie und weniger Zentralismus in Deutschland. Das, was jetzt in Berlin vorliegt, wird zu 40 950 zusätzlichen Stellen in der Arbeitsverwaltung des Bundes führen. Selbst wenn man die 14 300 bereits vorhandenen Stellen abzieht, selbst wenn man die 10 000 Menschen abzieht, die bereits bei den Kommunen tätig sind, und selbst wenn man die Stellen abzieht, die auf Aufgabenbereiche entfallen, die auf Dritte übertragen werden, bleibt nach offiziellen Angaben der Bundesagentur noch ein Mehrbedarf von 27 000 Stellen bestehen. Ich frage Sie: Ist das tatsächlich das Weniger an Bürokratie, das Weniger an Zentralismus? Ich denke, nicht. Das ist purer Zentralismus, den wir in Niedersachsen nicht durchgehen lassen werden.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Das, was gestern in Berlin beschlossen worden ist, kann definitiv nicht die Grundlage sein. Wir stehen jetzt vor Verhandlungen mit den Ländern. Ich bin mir ganz sicher, dass auch die Niedersächsische Landesregierung alles in Ihrer Macht Stehende tun

wird, um doch noch zu einer Einigung zu gelangen. Aber eins ist klar: Die Bundesregierung muss sich bewegen. So ist das inakzeptabel. Ich sage auch, weil wir bereits unter einem engen Terminplan stehen: Wenn die Bundesregierung nicht bereit ist, sich zu bewegen, dann ist es richtig, das InKraft-Treten des Gesetzes um ein Jahr zu verschieben; denn sonst würden sich alle Beteiligte nur blamieren.

(Starker, anhaltender Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herr Kollege McAllister, ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, dass wir hier eine parlamentarische Sprache pflegen wollen. Das Verb „faseln“ gehört nicht dazu.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Sigmar Gabriel [SPD]: Von sich auf andere schließen!)

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Wir kommen damit zur Abstimmung über die Ausschussüberweisung. Es ist vorgeschlagen, federführend den Ausschuss für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit und mitberatend den Ausschuss für Inneres und Sport und den Ausschuss für Haushalt und Finanzen mit dem Antrag zu betrauen. Wer so verfahren möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Damit ist einstimmig so beschlossen worden.

Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 37: Wirtschaftlichkeit der Tierkörperbeseitigung verbessern - Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP - Drs. 15/963