Protocol of the Session on April 29, 2004

Das Gesamtsteuerkonzept von CDU und CSU kommt zu Steuermindereinnahmen in Höhe von 100 Milliarden Euro. Sie brauchen in diesem Zusammenhang nicht unsere Zahlen oder die der SPD, sondern nur Ihre eigenen Kronzeugen zu bemühen, die das sicherlich besser ausgerechnet haben, als wir es jemals ausrechnen könnten; denn die kennen diese Papiere im Detail. Diese

100 Milliarden - darauf sind Sie überhaupt nicht eingegangen, Herr Möllring - sind genauso hohl wie die 800 Millionen aus der Senkung der Erbschaftsteuer. Was Sie hier seit Monaten versuchen, ist in hohem Maße unredlich, nämlich den Leuten einzureden, dass es möglich wäre, in diesem Ausmaß Steuern zu senken, ohne ganz fundamentale Dinge wie unser Bildungswesen, unsere Hochschulen, unsere Kindergärten und unsere Schulen infrage zu stellen oder dort zu massiven Qualitätsverschlechterungen zu kommen.

Das, meine Damen und Herren, macht aber auch deutlich, dass es mit der Regierungsfähigkeit von CDU und CSU auf Bundesebene nicht weit her ist. Dies ist dann für Niedersachsen aber doch wieder beruhigend, weil dieses Steuerkonzept im Falle seiner Umsetzung den endgültigen Ruin dieses Gemeinwesens bedeuten würde. Herzlichen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe damit die Beratungen. Wir kommen zur Ausschussüberweisung.

Es ist beantragt worden, mit der federführenden Beratung den Ausschuss für Haushalt und Finanzen und mit der Mitberatung die Ausschüsse für Inneres und Sport sowie für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr so beauftragen. Wer so beschließen möchte, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Das sehe ich nicht. Damit ist das so beschlossen.

Ich rufe jetzt auf

Tagesordnungspunkt 24: Besprechung: „Kompetenzzentrum Großschadenslagen“ - Katastrophenschutz in Niedersachsen auf neuen Wegen oder nur unter neuem Namen? - Große Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 15/888 - Antwort der Landesregierung - Drs. 15/974

Die schriftliche Antwort der Landesregierung haben Sie erhalten. Wir kommen zur Besprechung. Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat sich

Professor Dr. Lennartz zu Wort gemeldet. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Antwort auf unsere Große Anfrage bestätigt unsere Vermutung, dass im Innenministerium offensichtlich nur ein neues Türschild angenagelt wurde, dass sich in der Praxis des Katastrophenschutzes bisher aber nicht viel geändert hat. Schon die Aussage „Alle Angehörigen des Referates 51... sind in Personalunion Angehörige des Kompetenzzentrums im Alltagsbetrieb“ belegt doch den Eindruck vom neuen Türschild.

Es wäre doch aber einfach gewesen, unsere Fragen zu beantworten. Ein Jahr nach Einrichtung des Kompetenzzentrums muss die Landesregierung doch in der Lage sein, Konzept und Arbeitsgrundlagen eines solchen Zentrums auf den Tisch zu legen. Das können Sie offensichtlich nicht, weil Sie nichts vorzuweisen haben. Es wird an der Feinkonzeption gearbeitet, heißt es stattdessen. Sie versuchen, das Parlament mit einer Sammlung viel sagender fachlich getarnter Floskeln abzuspeisen.

Ihre Antwort wird der Wichtigkeit des Themas Katastrophenschutz nicht gerecht. Die Antwort auf die Anfrage gibt ohne Zweifel interessante Einblicke in die Arbeit des Innenministeriums. Man fragt sich unwillkürlich: Womit hat sich das Katastrophenschutzreferat des MI all die Jahre zuvor quasi kompetenzzentrumslos beschäftigt? Wurde dort nur verwaltet? Gab es in Niedersachen auch vor den tragischen Ereignissen des 11. September 2001, nach Bad Münder sowie vor und nach den letzten Hochwassern überhaupt konzeptionelle Arbeiten? Warum werden die Katastrophenschutzvorsorge und die Vorsorge bei Großschadensereignissen nur so wenig in die Öffentlichkeit kommuniziert? - Ihre Antwort bleibt nichts sagend. Es entsteht der Eindruck, dass Sie nicht so weit sind, wie in der Antwort dargestellt worden ist. Es gibt keine zusätzliche technische Ausstattung, keine Geschäftsordnung, keinen Erlass neueren Datums, der Regelungen formuliert. Wie das Lagezentrum der Polizei im Innenministerium, das ständig besetzt ist, die Fachleute im Schadensfall benachrichtigen soll, ist nicht geregelt. Unser Fazit: Das Kompetenzzentrum ist derzeit nicht arbeitsfähig.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Alles soll offensichtlich so bleiben, wie es ist. Die Kompetenzen bleiben vor Ort, und das Innenministerium bietet ein unverbindliches zusätzliches Hilfsangebot. Wer Lust hat, kann es nutzen oder es auch lassen. Aus dieser Antwort können wir uns keine Vorstellung davon machen, wie das Zentrum konkret arbeitet. Die Kommunikation auch mit den Stellen des Bundes soll verbessert werden. Aber das ist sowieso schon Aufgabe des Ministeriums.

Fazit: Man kann sich nur wünschen, dass nichts passiert und dass - wenn doch - die Leute vor Ort so viel Glück haben, dass sie den Schadensfall selbst bewältigen können und nicht auf Unterstützung durch das Kompetenzzentrum angewiesen sind.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Gesetzliche Regelungen sollen keinesfalls verändert werden. Eine allgemein gültige Definition des Begriffs „Großschadenslagen“ lässt sich nicht treffen - Antwort auf Frage 2. Warum ist das Land Nordrhein-Westfalen in der Lage, den Großschadensfall gesetzlich zu definieren? Also geht es offensichtlich doch, siehe § 1 Abs. 3 des nordrhein-westfälischen Gesetzes.

Bad Münder zeigt: Gerade Kräfte kleiner Kommunen sind oft nicht in der Lage, zu beurteilen, ob ein Schadensereignis örtlich noch zu bewältigen ist. Kooperationsunwillige Beteiligte oder auch Verursacher können mit Beschwichtigungstaktiken und Abwiegelei die örtlichen Kräfte massiv beeinflussen, wie in Bad Münder zu sehen war. MI hat die Komplexität von Großschadensereignissen nicht richtig erkannt, z. B. die Frage der Evakuierung bzw. der Aufhebung einer Evakuierung oder die Frage, welche Art von Warnmeldungen an die Bevölkerung gegeben werden sollen. Örtliche Kräfte verfügen in der Regel über zu wenig Erfahrung, um solche Entscheidungen treffen zu können. Deshalb hat Nordrhein-Westfalen geregelt: Bei Großschadenslagen übernimmt der Landkreis die Einsatzleitung. - Diese Regelung muss das Land Niedersachsen nach unserer Auffassung übernehmen.

Das Kompetenzzentrum arbeitet nur auf Anforderung. Notwendig wäre jedoch eine Informationspflicht im Schadensfall, damit sich auf der höchsten Ebene eine fundierte Meinung herausbilden und dann entsprechend unterstützend eingegriffen werden kann.

Im Landtagsbeschluss vom 23. Januar 2003 wird die Einrichtung einer überregional einsetzbaren Task-Force zur Analyse und Bekämpfung von chemischen und biologischen Gefahren angeregt. Davon redet die Landesregierung in ihrer Antwort mit keinem Wort.

In der Antwort zu Frage 8 wird behauptet, dass die Erfahrungen aus Großschadensereignissen der letzten Jahre zu einer neuen Strategie für den Bevölkerungsschutz in Deutschland geführt hätten. Was das konkret für Niedersachsen bedeutet, wird nicht verraten. Stattdessen die Aussage:

„Das Kompetenzzentrum selbst wird in diesem Zusammenhang nur eine begrenzte Rolle spielen können. Es bleibt demgegenüber Aufgabe der eigentlichen Aufgabenträger, diese Erfahrungen... im Rahmen der jeweiligen Zuständigkeit zu verarbeiten.“

Das heißt also, jede Gemeinde oder der Landkreis muss diese Fragen für sich selbst beantworten.

Zum Punkt Öffentlichkeitsarbeit: Bad Münder hat gezeigt, dass Polizei, Bundesgrenzschutz, Bürgermeister und Bahn mit jeweils eigenen, zum Teil widersprüchlichen Presseverlautbarungen an die Öffentlichkeit gingen. Wie will das Innenministerium das ändern?

In Bad Münder spielte der BGS eine tragende Rolle. In der Antwort auf die Anfrage kommt er nicht vor.

Die Pressestellen der betroffenen Ministerien sollen die Öffentlichkeitsarbeit koordinieren, so sagen Sie - wahrscheinlich mit dem Ziel, dass die Landesregierung in gutem Licht dasteht. Die Vorstellungen im Einzelnen zu dieser Frage sind unpraktikabel.

Zu Frage 12, Auswirkungen der Verwaltungsreform auf die Arbeit des Kompetenzzentrums, Ihre Antwort: Keine.

Die beabsichtigte Übertragung der Zuständigkeiten für den Katastrophenschutz auf die Polizeidirektionen wirft Fragen auf. Wie soll die gerade beim Katastrophenschutz bewährte Bündelung von verschiedenen betroffenen Fachbereichen bei den Bezirksregierungen künftig gewährleistet werden? Soll das Kompetenzzentrum diese Bündelungsaufgaben wahrnehmen, die Koordination also im

Ministerium stattfinden? Meinen Sie, das geht auf der Ebene der Polizeidirektionen?

Bezeichnend ist auch, dass Sie auf die Fachkompetenz aus den Fachdezernaten der Bezirksregierungen und des Niedersächsischen Landesamtes für Ökologie zugreifen wollen, obwohl Sie doch beabsichtigen, diese Institutionen in Kürze abzuschaffen.

(Beifall bei den GRÜNEN - Heinrich Aller [SPD]: Was? Das ist ja unglaub- lich!)

Unklar bleibt schließlich, ob die Listen mit den Fachleuten der Behörden, die ereignisspezifisch herangezogen werden sollen, bereits vorliegen. Meine Vermutung: Nein. „Deren kurzfristige Erreichbarkeit wird sichergestellt“, sagen Sie. Ist die Erreichbarkeit schon sichergestellt, oder soll das erst noch passieren, und wie soll es geregelt werden?

Das Kompetenzzentrum war eine politische Reaktion der SPD-Landesregierung auf das Unglück in Bad Münder. Vor der Wahl wurde noch schnell ein neues Türschild angebracht. Die jetzige Landesregierung hat einen wahrnehmbaren Schritt getan: Sie hat Brand- und Katastrophenschutz mit den anderen Fachreferaten dieses Bereichs in einer eigenen Abteilung des Ministeriums zusammengefasst.

(Jörg Bode [FDP]: Genau!)

Ein richtiger Schritt! Aber dabei sind Sie offensichtlich stehen geblieben.

Die Grundfrage, um die es geht, lautet: Will das Ministerium operativ bei Großschadenslagen tätig werden, oder will es nur verwalten? - Danach, was die Landesregierung hierzu als Antwort auf unsere Anfrage vorgelegt hat, kann man nur feststellen: Es soll verwaltet werden.

Das Kompetenzzentrum Großschadenslagen wird dem Anspruch „Unterstützung der örtlichen Einsatzkräfte“ nicht gerecht. Was auf dem Türschild steht, ist nicht drin. Sie, Herr Innenminister, arbeiten für unsere Begriffe mit einer Mogelpackung. Dabei gibt es doch einen vorzüglichen Erfahrungsbericht über Bad Münder vom damaligen Leiter des Krisenstabes. Er fasst auf Seite 24 die zentralen notwendigen acht Konsequenzen für den Katastrophenschutz zusammen.

So, wie Sie bisher diesen Vorgang angefasst haben, werden Sie Ihrer Verantwortung nicht gerecht. - Schönen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD - Heinrich Aller [SPD]: Vernichtende Analyse!)

Meine Damen und Herren, für die Landesregierung erteile ich nunmehr dem Innenminister, Herrn Schünemann, das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst einmal gern auf die Punkte des Kollegen Dr. Lennartz eingehen. Ich wundere mich schon, dass Sie quasi gefordert haben, dass bei Großschadenslagen oder im Katastrophenfall das Innenministerium operativ einschreiten und vielleicht solch eine Großschadenslage sogar koordinieren sollte.

(Heinrich Aller [SPD]: Das hat er gar nicht gesagt!)

Wenn Sie das tatsächlich fordern, dann frage ich mich, ob das wirklich ernsthaft verfolgt werden sollte.

(Heinrich Aller [SPD]: Er hat gefragt, ob Sie das wollen!)

Denn das wäre sicherlich völlig falsch. Vielmehr ist es in diesem Bereich Katastrophenschutz/Großschadenslagen wichtig, dass man vor Ort die Kompetenz hat und sie auch dort belässt.

Dann ganz konkret zu Ihrer Äußerung, dass in Nordrhein-Westfalen im Großschadensfall der Landkreis übernimmt: Das ist bei uns genauso geregelt. Da sind Sie - das muss ich Ihnen sagen nicht richtig informiert. Das ist genau so, wie das von Ihnen beschrieben worden ist. Es besteht auch eine Informationspflicht, wenn ein Großschadensfall eintritt, sodass wir auch informiert werden sollen. Das kann doch gar nicht anders sein; das ist genau so geregelt.

Wenn Sie fordern, dass über eine Evakuierung nicht vor Ort entschieden, sondern von hier aus koordiniert werden soll, dann muss ich sagen, dass das natürlich völlig falsch ist. Das muss im Groß

schadensfall auf jeden Fall ortsnah im Landkreis koordiniert werden. Alles andere wäre sicherlich völlig falsch.

(Heinrich Aller [SPD]: Warum schrei- ben Sie denn so etwas nicht in die Antwort?)

- Weil der Kollege Dr. Lennartz es nicht gefragt hat. Wenn er das in der Großen Anfrage gar nicht fragt, können wir es nicht beantworten. Aber wenn die Frage hier gestellt wird, bin ich in der Lage, sie ihm jetzt zu beantworten. Dann kann man das auch nachlesen und auch dokumentieren. Das ist kein Problem.