Protocol of the Session on April 2, 2003

Setzen Sie sich an einen Tisch und sichern Sie die Arbeit der 100 wertvollen Jugendwerkstätten hier in Niedersachsen. Geben Sie dem Ganzen nicht nur einen neuen Namen, auch wenn der Name „pro aktiv“ schön klingt. Machen Sie weiter, indem Sie mehr Mittel bereitstellen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, zu Wort gemeldet hat sich nun der Kollege Hagenah von Bündnis 90/Die Grünen. Ich erteile ihm das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Rösler, wir begrüßen, dass Sie eine Aktuelle Stunde zum Thema Jugendarbeitslosigkeit angemeldet haben. Wir werten das so, dass Sie damit die erste Korrektur an Ihrer radikal-libertären Haltung aus dem letzten Plenum vornehmen.

Denn klar ist: Der freie Markt kann das Problem Jugendarbeitslosigkeit leider nicht lösen. Das müssen auch Sie akzeptieren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Leider ist das Problem sogar so groß, dass es einige Betriebe gibt, die partout nicht ausbilden wollen, obwohl sie sich der Ausgebildeten, die ihnen von der öffentlichen Hand oder von anderen Betrieben angeboten werden, locker bedienen.

(Reinhold Coenen [CDU]: Warum bilden Sie denn nicht aus?)

Auch da müssen wir korrigieren. Wenn das nicht passiert, werden wir dort rechtlich eingreifen müssen. Auch das ist leider eine Realität, der wir uns stellen müssen.

Das ist aber nicht alles. Natürlich haben wir auch Probleme bei der augenblicklichen Umgestaltung der Arbeitsförderung. Natürlich gibt es ein Problem, wenn das eine Haus abgerissen wird und das andere noch nicht steht. Da gilt das Wort des Bundeskanzlers. Rot-Grün wird nicht zulassen, dass die Jugendlichen hier in Niedersachsen und auch in der Bundesrepublik insgesamt durch den Rost fallen. Wir werden hier eingreifen müssen. Der Deckel auf dem Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit muss gegen die Logik, dass dort eingespart werden muss, dieses Jahr gelüftet werden, um die Jugendlichen erst einmal unterzubringen, bevor nächstes Jahr die neuen Strukturen wirklich stehen. Die Träger, die hier wertvolle Arbeit über die letzten Jahre geleistet haben, müssen erhalten bleiben.

(Zuruf von der CDU)

Wir müssen dafür sorgen, dass die Städte wirklich in der Förderung der Arbeit für Jugendliche bleiben. Wir dürfen sie daraus nicht entlassen. Es darf nicht aufgrund des bevorstehenden steuerfinanzierten Arbeitslosengeldes II so sein, dass die Kommunen das Interesse verlieren, hier ihr Knowhow einzubinden. Das werden wir auf Bundesebene mit einem Sonderprogramm zügig absichern, um auch hier in Niedersachsen zu helfen. Die Jugendlichen haben unsere volle Unterstützung. Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Zu Wort gemeldet hat sich nun der Kollege Herr Böhlke von der CDU-Fraktion.

Sehr verehrte Frau Vorsitzende! Meine Damen und Herren!

(Zuruf von der CDU: Frau Präsiden- tin!)

- Frau Präsidentin! - Wenn ich die bisherigen Ausführungen interpretiere, stelle ich fest, dass wir uns in den Grundzügen ziemlich einig sind. Die Frau Ministerin hat, meine ich, sehr deutlich gemacht, welchen Weg diese Regierung und auch die Fraktionen von CDU und FDP dieses Landtags beschreiten werden. Es wird deutlich werden, dass wir uns sehr viel Mühe geben und auch sehr viel Engagement an den Tag legen werden, um dieser besonderen Gruppe von jugendlichen Arbeitslosen ein entsprechendes Angebot zu unterbreiten.

Aber ein entscheidender Punkt ist noch zu berücksichtigen, der hier von Ihnen, sehr verehrte Frau Dr. Trauernicht, etwas anders dargestellt wurde, als es der Wirklichkeit entspricht, nämlich die Tatsache, dass die Bundesanstalt für Arbeit sehr wohl klare Vorgaben macht, die darauf hinauslaufen, dass die leistungsstarken Arbeitslosen, entsprechend gefördert, in Lohn und Brot gebracht werden und die leistungsschwachen Gruppierungen dagegen durch den Rost fallen. Das ist Fakt.

Fragen Sie einmal diejenigen, die in der Praxis damit zu tun haben. Fragen Sie einmal diejenigen, die sich in den Arbeitsämtern mit diesen Dingen in der Praxis auseinander setzen. Fragen Sie einmal diejenigen, die damit zu tun haben, wenn es darum geht, dass es keine Leistung vom Arbeitsamt mehr gibt, sondern dass diese Personen, weil sie schlichtweg noch nicht eingezahlt haben, von der Sozialhilfe leben müssen.

Die Sozialhilfe wird von den Kommunen getragen. Der Druck wird immer stärker. Die Situation bei den finanziellen Voraussetzungen insgesamt ist auch sehr schwierig. Ich meine, es muss deshalb unser gemeinsames Interesse sein - lassen Sie mich das zum Abschluss sagen -, dafür zu sorgen, dass ganz im Sinne dessen, was Herr Hagenah vorgetragen hat, eine Korrektur hinsichtlich der Bundesanstalt für Arbeit vorgenommen wird. Sie kann nur durch die Bundesregierung vorgenommen werden: durch den Bundeskanzler und den zuständigen Fachminister.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich würde mich sehr freuen, wenn der ehemalige Minister

präsident diese Position der Kritik an der Bundesregierung und das Einfordern von Positionen, auf die wir uns offensichtlich über alle Fraktionsgrenzen hinweg verständigen können, auch öffentlich aussprechen und beim Bundeskanzler entsprechend deutliche Worte finden würde. Ich hoffe, er hat noch den Einfluss, den er vor der Wahl zu haben glaubte. Lassen Sie uns in diesem Sinne - im Interesse der jugendlichen Arbeitslosen - daran arbeiten. - Danke schön.

(Beifall bei der CDU)

Zum Tagesordnungspunkt 1 c) liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.

Bevor ich zu Tagesordnungspunkt 1 d) komme, möchte ich sagen: Vor dem Hintergrund, dass es hinsichtlich der Redezeit heute zum ersten Mal so ist, dass wir vier Beratungsgegenstände und 15 Minuten Redezeit pro Fraktion haben, muss man mit Sicherheit im Präsidium und im Ältestenrat darüber nachdenken, inwieweit eine Erweiterung der Redezeiten möglich ist. Da das eine Premiere ist, handhaben wir das heute ein wenig moderat und souverän. Vor diesem Hintergrund hat jeder noch die Möglichkeit, sich zu Wort zu melden.

Ich rufe auf:

d) Gute Noten für die Grundschüler, schlechte Noten für frühe Selektion - Schulgesetz muss nachgebessert werden - Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 15/82

Dazu hat sich der Abgeordnete Schwarz zu Wort gemeldet. - Herr Oppermann, war das nicht abgestimmt? - Herr Jüttner?

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Ich dachte, wir bringen ein!)

- Sie haben keine Wortmeldung abgegeben.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Das stimmt!)

- Sehr gut.

(Zuruf von Wolfgang Jüttner [SPD])

Vielleicht gewöhnen Sie es sich für das nächste Mal an. Aber ich bin bereit, heute wegen der Premiere ein Auge zuzudrücken. Ich erteile Ihnen, Herr Jüttner, das Wort.

Scharfe Selbstkritik. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wissenschaftliche Untersuchungen kann man ignorieren, instrumentalisieren, aber man kann sie auch lesen und möglicherweise sogar als eine politische Beratung begreifen. Ich habe heute der HAZ entnommen, dass Herr Busemann zu Letzterem neigen könnte. Er hat sich die Unterlagen zur PISA-Untersuchung angesehen. Herzlichen Glückwunsch, wir erwarten Konsequenzen.

(Beifall bei der SPD und und den GRÜNEN – Zuruf: Endlich!)

Die neueste Studie unter dem Namen „IGLU“ betrifft das Leseverständnis von Schülerinnen und Schülern der vierten Jahrgangsklassen - eine neue Chance, hier wieder einmal zu prüfen, ob man ignoriert, instrumentalisiert oder sich beraten lässt. Herr Busemann hat sich festgelegt. Dem rundblick habe ich heute entnommen: „Kaum anwendbar auf Niedersachsen.“ - Herr Busemann, warum ist das nicht anwendbar? Diese Untersuchungen, die in den nächsten Tagen im Detail öffentlich gemacht werden, widerlegen die tief in Ihrem Kopf sitzenden Vorurteile. Das ist Ihr Problem an dieser Stelle. Es würde Sie zwingen, nachzudenken, es müsste Sie veranlassen, den Gesetzentwurf, den wir hier gerade beraten müssen, zurückzuziehen und in gewichtigen Teilen neu zu schreiben.

(Beifall bei der SPD - Karl-Heinz Klare [CDU]: Sie sind ein Scharla- tan!)

Es sind mindestens drei Vorurteile, die richtig in Bedrängnis geraten: erstens das Vorurteil, dass die 15-Jährigen, die in der PISA-Studie untersucht worden sind, dort deshalb so schlecht abgeschnitten haben, weil sie in der Primarstufe die Grundfertigkeiten so schlecht gelernt haben, zweitens das Vorurteil, dass die Philosophie der Grundschullehrerinnen und Grundschullehrer - von Herrn Rösler im letzten Monat als „Kuschelpädagogik“ diffamiert - die Leistungsorientiertheit bewusst ignoriert, und drittens das Vorurteil, dass die Homogenität von Lerngruppen das Nonplusultra jedes

Lernerfolges darstellt. - Das ist Busemanns Denken, meine Damen und Herren.

Die IGLU-Untersuchung kommt hingegen zu völlig anderen Ergebnissen.

(Ursula Körtner [CDU]: An wie viel Schulen in Niedersachsen ist sie denn durchgeführt worden?)

- Das sage ich Ihnen: an 14; dazu müssen Sie nur in die Unterlagen gucken. Es sind 150 Schulen bundesweit, das ist ein zwischen den Kultusministern der Länder verabredeter Standard und gilt als absolut solides Arbeitsergebnis, meine Damen und Herren!

Wir nehmen zur Kenntnis, Herr Busemann will sich nicht beirren lassen. Wir nehmen zur Kenntnis - das interessiert uns inhaltlich -, dass die Gesamtschule für die Kleinen augenscheinlich nicht so schlecht ist, wie Herr Busemann und andere uns in den letzten Jahren hier erzählt haben. Ich habe vielmehr den Eindruck, dass das, was an den Grundschulen an innovativer Pädagogik stattfindet - offene Lernformen, Motivation, Ausprobieren, Sammeln von Erfahrungen, Experimentieren -, durchaus zu Ergebnissen führt. Es ist auch interessant zu sehen, dass dort die soziale Integration offenbar besser gelingt.

Welches sind die beiden Konsequenzen daraus für die Bildungspolitik? Die wird durch die IGLUUntersuchung ja nicht rückläufiger. - Die erste, die wichtigste bleibt die Qualität des Unterrichts. Das ist wichtiger als die Schulstruktur - das ist überhaupt keine Frage -, und daran ist über Jahrzehnte in Deutschland nicht hinreichend gearbeitet worden.

(Beifall bei der SPD)

Die Zweite aber, meine Damen und Herren, ist: Herr Busemann hat verkündet, der OS-Erlass gehöre überarbeitet, wir müssten schon nach der Hälfte des 5. Schuljahrs bei Mathematik und anderen Fächern zur Trennung kommen.

(David McAllister [CDU]: Richtig!)

Ich habe mir heute aus dem Internet die Berichterstattung über einen spannenden Modellversuch in Bayern gezogen. Die Bayern sind nicht immer gut, aber wenn sie auf einen guten Gedanken gekommen sind, muss man sie auch zitieren:

„In der Volksschule Lochham lernen erstmals Fünftklässler der Volksschule und des Kurt-Huber-Gymnasiums gemeinsam. ‚Leistungsgemischter Unterricht Mathematik plus‘ nennt sich das Experiment. Dass Gymnasiasten und Hauptschüler gemeinsam lernen, ist eine Antwort auf PISA, und zwar im Rahmen des bayerischen Modellprojekts ‚ModUS 21 Modell Unternehmen Schule im 21. Jahrhundert.‘“

Herr Jüttner, kommen Sie bitte zum Schluss!