Protocol of the Session on April 2, 2003

(Beifall bei der CDU)

Niedersachsen muss allein für Zinsen 276 Euro pro Einwohner - das sind 80 Euro mehr als im Durchschnitt der westdeutschen Flächenländer - zahlen. Das bedeutet einen unrühmlichen dritten Platz im Ländervergleich. Zwischen 1990 und 2001 stiegen die Zinsausgaben Niedersachsens um rund 58 % und damit fast doppelt so stark wie im Durchschnitt der anderen Flächenländer, die bei 32 % liegen. Die Zinsausgabenquote stieg auf rund 10 %, während die westdeutschen Flächenländer insgesamt die Quote auf 7 % senken konnten. Nun kann man sagen, dass drei Prozentpunkte nicht die Welt sind, aber auf den Haushalt Niedersachsens heruntergerechnet bedeutet das über 600 Millionen Euro, die wir mehr an Zinsen zahlen, weil wir so weit über dem Durchschnitt der Flächenländer liegen. Wenn wir dort nicht lägen, könnten wir alle Programme bezahlen und sogar noch Schuldenabbau betreiben. Wir liegen dort aber nicht, und deshalb stehen wir vor den schwierigen Problemen, die wir jetzt zu meistern haben.

Diese strukturellen Probleme stellen für unser Land eine schwere Zukunftshypothek dar. Alle Konsolidierungsbemühungen werden noch auf lange Jahre von dieser Last betroffen sein. Und über diese Langzeitlasten hinaus hat die alte Landesregierung nach ihrer Abwahl noch eine ganze Reihe offener Baustellen hinterlassen, zum Teil offene Baustellen im wahrsten Sinne des Wortes,

unvollendete Projekte und finanzpolitische Hinterlassenschaften, mit denen wir umzugehen haben. Einige davon sind inhaltsleere Luftnummern, andere sind haarsträubende Fehler, und wieder andere sind Projekte, die mit großem Getöse angeschoben wurden, bei denen aber wichtige Hausaufgaben nicht erledigt wurden – teils aus Gedankenlosigkeit, teils aber auch aus erschütternder Verantwortungslosigkeit und unter Irreführung der Öffentlichkeit. Ich möchte hier einige der wichtigsten Beispiele nennen, die im Übrigen symptomatisch sind für den ganzen Regierungsstil von Sigmar Gabriel – einen Politikstil, der in einer Reihe von Punkten unserem Demokratieverständnis eklatant widerspricht.

(Widerspruch bei der SPD)

- Es ist schon eine Frage der Demokratie, ob man das Haushaltsrecht dem Landtag überlässt oder ob man Ausgaben tätigt, die nicht im Haushalt veranschlagt sind und die hinterher eine andere Regierung bezahlen muss.

(Beifall bei der CDU – Zuruf von Thomas Oppermann [SPD])

- Das brauche ich Ihnen doch nicht zu sagen, Herr Oppermann. Sie haben ein noch besseres Examen als ich und wissen doch um die Wechselwirkungen.

(Zuruf von Thomas Oppermann [SPD])

- Wir können ja gegenseitig einmal reingucken. – Wenn die Regierung macht, was sie will, und dem Landtag nicht mehr sagt, was sie tut, dann ist das Demokratieverständnis nach meinem Dafürhalten ausgehöhlt, denn der Landtag ist Herr bzw. Herrin über den Haushalt, nicht aber die Regierung.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Auch das gehört zur Ehrlichkeit. Dazu gehört aber auch, dass der Landtag den Mut hat, Ausgaben zu tätigen oder sie nicht zu tätigen. Wir werden entsprechende Vorschläge machen, und wir werden ehrliche Vorschläge machen.

Es liegt nun an der neuen Regierung, in diesem Wirrwarr Ordnung zu schaffen, um weiteren Schaden vom Land abzuwenden.

Ich möchte Ihnen ein Beispiel nennen, damit Sie das auch plastisch sehen. Am 16. Januar wurde der

erste Spatenstich für ein Finanzamt gemacht. Am 2. Februar war Landtagswahl, die Sie verloren haben, weil auch dieser erste Spatenstich nicht mehr geholfen hat. Als ich ins Finanzministerium kam, musste ich feststellen, dass die Bauplanung noch nicht fertig ist, dass keine Auftragsvergabe erfolgt war und dass kein Cent dafür vorhanden war.

(Zuruf von der CDU: Unglaublich!)

Das war ein virtueller Spatenstich. Zwar ist eine Ausnahmegenehmigung erteilt worden, es war aber nicht finanziert. Das ist das, was wir Täuschung der Öffentlichkeit nennen.

(Beifall bei der CDU)

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Finanzamtes, die Zeitungen, die darüber berichtet haben, und auch die Öffentlichkeit gehen doch davon aus, dass ein Finanzminister, der den ersten Spatenstich für ein Finanzamt macht, zuvor in seinen Haushalt geschaut hat, ob dafür auch das Geld zur Verfügung steht. Das ist doch wohl das Mindeste. Dort steht noch nicht einmal ein Bauschild, weil noch keine Handwerker benannt worden sind. Das heißt, in diesem Jahr wird das Finanzamt nicht mehr gebaut werden können, weil schlicht kein Geld dafür vorhanden ist.

Zur Finanzierung des Tiefwasserhafens wurde in die Mipla 2002 bis 2006 ein Zuschuss des Bundes von 89 Millionen Euro eingestellt. Ihr Trick bestand darin, das erst einmal in die Mipla einzustellen, das der Öffentlichkeit zu erklären, aber im Haushalt keine Mittel vorzusehen. Dass das noch nicht im Haushalt steht, wäre an sich gar nicht einmal so schlimm. Wir haben jetzt aber festgestellt, dass es weder eine rechtsverbindliche Zusage des Bundes noch einen „letter of intent“ über diesen Finanzierungsbeitrag gibt. Hier sind wichtige Hausaufgaben schlichtweg nicht gemacht worden, die neue Landesregierung wird die Summe beim Bund noch einwerben müssen. Es wird jetzt Aufgabe des Wirtschaftsministers, des Finanzministers und des Ministerpräsidenten sein, diese 89 Millionen beim Bund einzuwerben, damit das, was Sie schwarz auf weiß gedruckt haben, tatsächlich mit Geld unterlegt ist.

Zwischen der alten Landesregierung und Bundesfinanzminister Eichel bestand Übereinkunft, die streitige Verrechnung der BEB-Rückzahlung im Länderfinanzausgleich erst nach der Landtagswahl einer Lösung - so genannte zweite Verordnung

zuzuführen. In der ersten Verordnung hat Herr Eichel den Vorschlag unterbreitet. Das ist auch bei den Ländern so gebucht worden; bei uns 615 Millionen Euro. Ich habe das vorhin schon gesagt. Silvester letzten Jahres hätte die zweite Verordnung kommen müssen, die das dann rechtskräftig festgestellt hätte. Mit Rücksicht auf die Bundestagswahl, auf Eichels eigenes Problem und mit Rücksicht auf die Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen hat Eichel - „schluren“ will ich nicht sagen – ein bisschen Zeit ins Land gehen lassen. Wir müssen jetzt sehen, dass wir diese Verordnung irgendwann bekommen. Für das Land Niedersachsen besteht hier nach wie vor ein Risiko von bis zu 300 Millionen Euro, sollte sich die Rechtsauffassung anderer Bundesländer - gestützt auf das „Kirchhoff-Gutachten“ letztendlich durchsetzen. Das ist mit 15 : 1 in der Finanzministerkonferenz so beschlossen worden. Aber Rechtsmeinungen müssen nicht mit 15 : 1 getroffen werden. Vielmehr wird man sehen müssen, ob sich die in dem Gutachten geäußerte Rechtsauffassung durchsetzt. Ich hoffe auf eine einvernehmliche Lösung. Die alte Regierung hat hier – warum, weiß ich nicht – eine gefährliche Flanke in unverantwortlicher Weise unnötig lange offen gelassen, statt endlich auf eine Bereinigung der ganzen unrühmlichen Angelegenheit zu drängen. Die neue Landesregierung wird durch Gespräche und Verhandlungen mit Bund und anderen Ländern auf eine tragfähige Lösung hinarbeiten müssen - damit habe ich während der letzten Finanzministerkonferenz bereits begonnen -, die möglichst zu keinen weiteren Haushaltsbelastungen über die im Jahr 2002 vom Bundesministerium der Finanzen vorgeschlagene Kompromissvariante hinaus führt.

Bei den CASTOR-Transporten, die kommen wie das Amen in der Kirche – ich glaube nicht, dass nach dem Regierungswechsel Frau Harms als Blumenmädchen vorneweg laufen und Blumen streuen wird, sondern das wird ähnliche Polizeieinsätze wie bisher erfordern –,

(Rebecca Harms [GRÜNE]: Das ma- chen Sie doch!)

- nein, ich mache das nicht, wir müssen das nur finanzieren - müssen wir trotz der Vergrößerung des Transportumfangs und der Beschränkung der Anzahl der Transporte aufgrund der Erfahrungen der vergangenen Jahre mit mindestens 20 Millionen Euro jährlichen Kosten rechnen. Die alte Landesregierung hatte für entsprechende Sondereinsätze der Polizei im Haushaltsjahr 2003 aber lediglich

8,2 Millionen Euro veranschlagt. Dieser Ansatz ist von der alten Regierung in irreführender Absicht schöngerechnet. Wir müssen ihn jetzt um 12 Millionen Euro - das sind rund 150 %! – nach oben korrigieren, um die zu erwartenden Kosten endlich realistisch veranschlagt zu haben. Wir wissen, dass es kommt. Deshalb müssen wir das veranschlagen. Das verschlechtert natürlich den Haushalt. Aber Sie hätten das in Ihrer Haushaltsplanung 2001 berücksichtigen müssen.

Im Sommer 2002 erlangte die alte Landesregierung Kenntnis davon, Herr Gabriel, dass im Bereich des Amtsgerichts Hannover durch jahrelange Falschbuchungen eine Summe von 78 Millionen Euro Einnahmen zu viel im Landeshaushalt vereinnahmt wurde.

(Zurufe von der CDU: Was? Wie viel?)

- 78 Millionen Euro.

(Bernd Althusmann [CDU]: Un- glaublich!)

Die alte Landesregierung entschied, den notwendigen Ausgleich dieses Abwicklungskontos über den Termin der Landtagswahl hinauszuschieben. Er belastet nunmehr den Soll-Abschluss des Haushaltsjahres 2002 und vergrößert den spätestens 2004 zu veranschlagenden Fehlbetrag. Das heißt, wir müssen das in 2002 buchen. Da 2002 aber nicht genug Geld vorhanden ist, werden wir mit einem Fehlbetrag für 2002 abschließen. Das alles ist nicht unsere Verantwortung. Wir machen nur den Buchhalter. Spätestens 2004 müssen wir das in den Haushaltsplan einstellen, was dann den Haushaltsplan 2004 belastet. Man muss wissen, was man geerbt hat. Wir können und wollen das Erbe nicht ausschlagen. Man muss das aber offen sagen.

Das von der alten Landesregierung beschlossene „Beschleunigungsprogramm“ für Investitionen führte im Jahr 2002 zur überplanmäßigen Bewilligung von 45 Millionen Euro. Der Jahresabschlusses 2002 wird sich deshalb dementsprechend verschlechtern. Die 45 Millionen, die im letzten Jahr im Vorgriff auf 2003 bezahlt wurden, müssen im Abschluss für 2002 gebucht werden und verschlechtern noch einmal zusätzlich den Abschluss für das Jahr 2002. Das müssen wir 2004 wieder hereinholen. Bei planmäßiger Fortsetzung der begonnenen Hochbaumaßnahmen folgt daraus zusätzlich auch noch ein Mehrbedarf beim Hochbauplafond im laufenden Haushaltsjahr. Das heißt, wir

müssen noch 24 Millionen Euro in den Haushaltsplan einstellen, um die begonnenen Maßnahmen – nicht die Spatenstichmaßnahmen, sondern die Maßnahmen, die sich in der Bauphase befinden – zu Ende führen zu können, wenn wir uns nicht dazu entscheiden, Bauruinen liegen zu lassen, was wir natürlich nicht wollen. Wir werden das zu Ende führen. Für diese begonnenen Maßnahmen hatte man aber kein Geld eingeplant.

Das von der alten Landesregierung beschlossene Stellenabbauprogramm von insgesamt 5 527 Stellen, der so genannten Zielvereinbarungen, harrt noch etwa zur Hälfte der Umsetzung. Sie sind ja einmal durchs Land gegangen und haben gesagt: Wir haben 5.500 Stellen gestrichen. - Das war Wunschdenken.

Überhaupt noch nicht konkretisiert ist der Abbau von 365 Stellen. Weitere 2 406 Stellen sollen „künftig wegfallen“. Insgesamt sind also 2 771 Stellen als Überhang aus der alten Legislaturperiode noch im Haushaltsplan enthalten, die nunmehr von der neuen Landesregierung in einem übergroßen Kraftakt abgebaut werden müssen. Erst dann kann das neue Stellenabbauprogramm von weiteren 6 000 Stellen greifen. Auch hier hat die alte Landesregierung ihre Hausaufgaben schlicht nicht gemacht. Wir müssen für sie nachsitzen. Das ist bitter genug.

Die alte Landesregierung hatte im Rahmen der Mipla 2002 bis 2006 den Abbau von Subventionen und Zuwendungen in Höhe von 50 Millionen Euro beschlossen - aber nur in der Mipla. Die Konkretisierung dieser Vorgabe wurde auf die Zeit nach der Landtagswahl verschoben - eine weitere Mogelpackung, die uns die alte Regierung hinterlassen hat. Der Subventionsabbau wird nunmehr von der neuen Landesregierung umgesetzt werden müssen. Er ist von den Kolleginnen und Kollegen des Kabinetts bereits erbracht, wofür ich mich herzlich bedanke. Deshalb war es sinnvoll, dass Sie es für die Zeit nach der Landtagswahl geplant haben. Sonst wäre es nämlich wieder Makulatur geworden, und Sie hätten es um ein Jahr verschoben. Wir haben den Abbau von 50 Millionen Euro Subventionen beschlossen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Die alte Landesregierung hatte zum 1. November 2002 700 Lehrkräfte eingestellt. Warum nicht zum 1. Februar? - Es ist klar: Die Landtagswahl war am

2. Februar, und da sollten die schon mal ein paar Monate am Arbeiten sein. Damit sollte ja Wahlkampf gemacht werden.

Aber die Finanzierung war nicht im Grundhaushalt 2003 abgesichert. Hierdurch wurde der Jahresabschluss 2002 mit 3,8 Millionen Euro belastet, was wiederum zur Verschlechterung führte - wir werden das 2004 nachholen müssen - und für den Nachtragshaushalt 2003, den wir im Mai vorlegen wollen, einen zusätzlichen Finanzierungsbedarf von 26 Millionen Euro ausgelöst hat.

(Zuruf von der CDU: Völlig unseri- ös!)

Es hieß: Diese 700 Lehrer bezahlen wir aus dem Nichts, und wir bezahlen sie ohne Stelle. Dazu steht in Artikel 31 der Niedersächsischen Verfassung und im Beamtengesetz: Jeder Beamte muss eine Stelle haben. - Bei uns aber laufen 700 Lehrer herum und unterrichten, haben jedoch keine Stelle. Dies hat es im Lande Niedersachsen sicherlich noch nie gegeben. Wir werden es reparieren.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Auch in der Mittelfristigen Planung waren lediglich Mittel für eine bis zum 31. Juli 2004 befristete Beschäftigung fertiger Lehramtsanwärter berücksichtigt worden ein weiterer Bedarf von 19,4 Millionen Euro für das Jahr 2004, die wir noch einsetzen müssen.

Die alte Landesregierung hat ein bis zum 31. Dezember 2003 befristetes Programm zur Verstärkung der Hauptschulen durch Sozialarbeiter aufgelegt. Die bislang in Form von Zuwendungen gewährte Kofinanzierung des Landes für die bei den öffentlichen Schulträgern der Hauptschulen beschäftigten Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen bzw. Erzieherinnen und Erzieher in Höhe von bis zu 6 Millionen Euro jährlich läuft zum 31. Dezember 2003 aus. Es war ja der Trick, dass man die Stellen nicht selber geschaffen, aber gesagt hat: „In die Hauptschulen kommen Sozialarbeiter“, sondern dass man das Geld den Kommunen gegeben, es aber auf den 31. Dezember 2003 befristet hat. Dieses Programm können wir angesichts der Haushaltslage nicht weiterführen. Wir müssten es neu auflegen, denn es läuft ja am 31. Dezember 2003 aus. Viele Kommunen sind mit der Einstellung der bis jetzt geleisteten Sozialarbeit konfrontiert. Das verstehen Sie dann unter „kommunalfreundlicher Politik“.

(Vizepräsident Ulrich Biel über- nimmt den Vorsitz)

Auch wenn keine neuen Projekte mehr über die Niedersächsische Finanzierungsgesellschaft realisiert werden, existiert die Gesellschaft derzeit noch.

(Zuruf von der CDU: Auflösen!)

Wir werden die NFG auflösen und ihre Verbindlichkeiten endlich in Landesschulden überführen.

(Bernd Althusmann [CDU]: Schatten- haushalt!)

- Wir wollen den Schattenhaushalt auflösen, ja. Wenn ich in der vergangenen Woche im Haushaltsausschuss von 126 Millionen Euro gesprochen habe, dann bezog sich das auf den aktuellen Schuldenstand. Bis zur Überführung in die Landesschulden wird das etwas abgebaut sein. Das sei angemerkt, damit hinterher niemand sagt, ich hätte zwei unterschiedliche Zahlen genannt. Um die 126 Millionen Euro geht es jetzt. Am Ende des Jahres wird ein bisschen davon getilgt sein. Dann werden wir wahrscheinlich bei 124,3 Millionen Euro sein. Gleichzeitig mit der Überführung der Schulden in den Landeshaushalt werden natürlich Bürgschaften in gleicher Höhe frei, denn dieses Geld ist ja zu 100 % landesverbürgt. Im Prinzip sind es Landesschulden.